"Magellan"-Projekt der Deutsche Bank

So kommt das Business zur IT

16.10.2012 von Karin Quack
Als die Deutsche Bank die erste Etappe ihres "Magellan"-Projekts abschloss, war in der offiziellen Mitteilung zwar von Plattform und Prozessen, aber nicht von Hard- und Software die Rede. Für den CIO ist das symptomatisch.
Am Projekt Magellan arbeiten Entwickler aus der IT und Prozessspezialisten aus dem Retail-Geschäft Schreibtisch an Schreibtisch.
Foto: Deutsche Bank/Joachim Wendler

Zum Gespräch hatte Wolfgang Gaertner ins Business-Gebäude an der Frankfurter Theodor-Heuss-Allee eingeladen. Hier werde eher sicht- und spürbar, worum es bei dem Projekt eigentlich gehe, als im Rechenzentrum draußen in Eschborn, so der CIO für den Retail-Bereich der Deutschen Bank. Eine ganze Etage des riesigen Bürokomplexes wurde dort freigeräumt, um Business-Experten aus dem Filialbankgeschäft sowie Prozess- und IT-Spezialisten zusammenzubringen, so dass sie gemeinsam am Projekt "Magellan" arbeiten können.

Unter dieser Bezeichnung ist die Deutsche Bank schon 2010 daran gegangen, die Prozesse im Privatkundengeschäft komplett neu zu organisieren. Wie Gaertner erläutert, steht Magellan für Plattformen und Prozesse, IT und Operations, also weit mehr als nur Technik (siehe auch "Acht Fragen an Wolfgang Gaertner"). Vermutlich von Anfang an intendiert, wenn auch erst später kommuniziert, ist die Integration der PBC-Plattform (Private& Business Clients) mit den Systemen der inzwischen akquirierten Postbank.

Zwei Releases im Jahr

Fünf Jahre hat sich der Finanzdienstleister dafür Zeit gegeben, also bis Ende 2015. "Für die komplette Erneuerung der IT im Heimatmarkt sind fünf Jahre ein realistischer Zeitraum", sagt Gaertner.18 Monate nach dem Projektstart, am 2. Juli dieses Jahres, wurden die fünf Millionen Sparkonten der Deutsche-Bank-Kunden auf die neue Plattform migriert. Die Programmierung der bisherigen Umgebung stammte, wie der CIO amüsiert berichtet, teilweise noch aus den 1970er-Jahren: "Wir haben da ein Stück Code mit einem Datum von 1976 gefunden."

Im nächsten Schritt folgen nun die Sparkonten der Postbank. Anschließend stehen die deutlich komplexeren und mit zehn Millionen Kunden auch umfangreicheren Deutsche-Bank-Anwendungen für Zahlungsverkehr und Kontokorrent an - wiederum gefolgt vom Giro-Sektor der Postbank. Etwa alle vier bis sieben Monate soll ein weiteres Release fertig sein, bis alle Kernbankanwendungen beider Häuser mitsamt den Daten von 24 Millionen Privat- und Geschäftskunden auf einer einheitlichen Grundlage laufen.

Projektsteckbrief

  • PROJEKTNAME: "Magellan" - Prozess- und IT-Plattform für das Privatkundengeschäft.

  • UMFANG: Die komplett neue Hochleistungsplattform umfasst die gesamte IT und alle Abwicklungsprozesse des PBC-Bereichs. Sie soll künftig das gemeinsame Fundament für mehr als 2.000 Filialen von Deutscher Bank und Postbank mit zusammen 24 Millionen Privat- und Geschäftskunden in Deutschland bilden.

  • PRODUKTE: Plattform auf Basis SAP Banking Release 8.0; Umstellung auf x86-Commodity-Hardware.

  • ZIEL: Integration der Postbank, mehr Kosteneffizienz und Industrialisierung von Geschäftsprozessen.

  • PROJEKTDAUER: Fünf Jahre, von 2011 bis 2015.

  • AUFWAND: Rund eine Milliarde Euro für den Aufbau von Magellan bis 2015; mehr als 1000 interne und externe Projektmitarbeiter.

  • NUTZEN: Bereits 2012 rund 200 Millionen Kostensynergien; nach vollständiger Inbetriebnahme jährliche Kostensynergien von einer Milliarde Euro geplant; modernste Technologie- und Prozessplattform für Bankdienstleitungen in Europa; schnellerer und leistungsfähigerer Service sowie höhere Produktqualität für die Kunden.

  • DIENSTLEISTER: Team aus Deutscher Bank, Postbank und externen Dienstleistern.

  • NÄCHSTER SCHRITT: Pro Jahr durchschnittlich zwei weitere Releases, bei denen Deutsche Bank und Postbank auf die gemeinsame neue Plattform migrieren.

  • ANSPRECHPARTNER: Wolfgang Gaertner, Deutsche Bank CIO Retail.

Wie Gaertner erläutert, wurden die Leitplanken für das Vorgehen gemeinsam mit der Postbank eingeschlagen. Diese arbeitet schon seit 2004 mit der Standardbankensoftware von SAP und setzt aktuell das Release 7.0 ein. Das Magellan-Projekt der Deutschen Bank hingegen wurde von Anfang an auf der Service-orientierten Version 8.0 von "SAP Deposit Management" aufgesetzt, um die Integration mit anderen Systemen, beispielsweise für Online-Banking, zu erleichtern.

Die Postbank-Anwendungen müssen also ebenfalls dorthin migriert werden, bevor man ernsthaft neue technische Optionen ins Auge fassen kann. Zu den Themen, die die Deutsche Bank interessieren, zählt beispielsweise das unter dem Namen HANA (High Performance Analytic Appliance) bekannte In-Memory-Datenbanksystem der SAP. Dafür hat der Bankkonzern bereits einen Piloten installiert.

Wolfgang Gaertner, CIO Retail der Deutschen Bank, will die Komplexität auf das Fachliche beschränken.
Foto: Deutsche Bank/Joachim Wendler

Die Konvergenz der Deutsche-Bank- und Postbank-Systeme dürfte den Anwendungsbetrieb deutlich effizienter machen. "Wir wollen die Komplexität auf das Fachliche beschränken", fasst Gaertner das Ziel zusammen. Wie der CIO nicht ohne Stolz anmerkt, wurde schon im laufenden Jahr die Voraussetzung geschaffen, um "Kostensynergien" von rund 200 Millionen Euro zu erreichen - über die Vereinfachung und Standardisierung der IT sowie der Abwicklungsprozesse. Die runde Milliarde, die der Konzern für Magellan bereitgestellt hat, muss sich ja mittelfristig auszahlen. Neben der Vereinheitlichung der Systeme hätten sich auch die im Vergleich zu Mainframes erheblich preisgünstigeren x/86-Rechner "dramatisch" auf die Kostenbilanz ausgewirkt, erinnert Gaertner. Derzeit laufen bereits 120 Anwendungen, beispielsweise der gesamte Workflow für das Filialnetz, auf der "Commodity-Hardware" - und zwar ohne Performance-Probleme, wie der CIO betont.

Mehr Raum für Innovationen

Auch auf die Innovationsfähigkeit der IT soll die Harmonisierung einen positiven Einfluss ausüben: Auf der Grundlage einheitlicher Kern- und Umsysteme kann der Konzern beispielsweise das Thema Online-Banking neu konzipieren oder mobilere und anwenderfreundlichere Arten des Kundenkontakts etablieren, wie sie in der Flaggschiff-Filiale der Deutschen Bank ("Q110") auf der Berliner Friedrichstraße heute schon erprobt werden.

Die Marken Postbank und Deutsche Bank sollen laut Gaertner in jedem Fall erhalten bleiben. Nicht so die separaten IT-Bereiche. "Auf Dauer", so Gaertners Formulierung, sollen die Rechenzentren in Bonn und Eschborn zu einer einzigen IT-Organisation zusammenwachsen.

Outsourcing neu durchdacht

Vor einem knappen Jahrzehnt hatte die Deutsche-Bank-IT, damals noch unter der Leitung von Hermann-Josef Lamberti, schon einmal für Wirbel gesorgt. Damals beschloss sie, den reinen Rechenzentrumsbetrieb in Europa an die IBM auszulagern. Im Zuge der technischen Entwicklung und der Großfusion mit der Postbank wurde diese Outsourcing-Strategie aber neu durchdacht. Die SAP-Plattform wird schon heute zum großen Teil intern betrieben - mit der Unterstützung von einzelnen Teams der Postbank Systems. Und das soll vorerst auch so bleiben. Oder wie Gaertner sagt: "Wir haben keine Veranlassung, uns nach anderen Modellen umzuschauen." Das gelte auch für ein SAP aus der Cloud; es sei für die Deutsche Bank auf absehbare Zeit "keine Option - jedenfalls nicht im Core-Banking-Bereich".

Der Konzern tendiert wohl dazu, IT-Wissen und teilweise auch -Doing im eigenen Haus zu halten. Zumindest, was Magellan betrifft. "Wir machen viel selbst", bestätigt Gaertner. Schlüsselpositionen seien mit eigenen Mitarbeitern besetzt worden -aus der Deutschen Bank, aber zunehmend auch aus der Postbank. Er lege großen Wert darauf, eigenes Wissen aufzubauen, selbst zu steuern und zu managen sowie die Risiken im Blick zu behalten, konstatiert der CIO: "Das ist in einer solchen Veränderungssituation essenziell."

Insgesamt seien 1100 Mitarbeiter in die "Mutter der Tranformationen" eingespannt, wie Gaertner das Mammutprojekt scherzhaft nennt. Für Anderes bleibe da wenig Kapazität: "Die Erneuerung der Kernplattformen ist für uns das wichtigste Projekt; 80 Prozent des IT-Investitonsvolumen der Retail-Bank fließen in Magellan, denn das wird den Erfolg des Unternehmensbereichs ausmachen. Die anderen 20 Prozent werden größtenteils für die regulatorischen Anforderungen aufgewendet; so ist das auch mit dem Geschäftsbereich abgesprochen."

Ulrike Wetzel (Mitte) leitete eine kleine Filiale, bevor sie sich dem Magellan-Team anschluss, wo sie das Design der Berater-Schnittstelle verantwortet.
Foto: Deutsche Bank/Joachim Wendler

Die gesamte Steuerung des Magellan-Projekts ist eine Koproduktion von Business und IT. Der Business-Bereich Retail formuliert die Anforderungen und entwirft die Prozesse, die IT berät und setzt um. "Es gibt keine getrennten Programme für Business- und IT-Einführung", beteuert Gaertner.

In enger Kooperation mit dem Business werden derzeit die Bankprodukte neu geschnitten. Die Angebotspalette wird gestrafft beziehungsweise Produkte zusammengefasst.

Neu gestaltet werden auch die Retail-Prozesse. Hier hat der Konzern bewusst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Business-Paxis ins Boot geholt, die mit den bisherigen Abläufen bestens vertraut sind und gute Ideen für Verbesserungen mitbringen.

Was die Deutsche Bank aus Magellan lernt

  • Die enge Verbindung mit der Geschäftsstrategie ist die Voraussetzung für die effektive Unterstützung des Geschäfts. Die lässt sich durch räumliche Nähe stärken.

  • Alle Schlüsselpositionen intern besetzen heißt, das Know-how im Haus und die Entscheidungswege kurz zu halten.

  • Ein funktionierendes Netzwerk zwischen Business, IT und den externen Anbietern, in diesem Fall vor allem SAP, ist keine Selbstverständlichkeit; daran muss man ständig arbeiten.

  • Die Meilensteine sollten klar definiert und terminiert sein. Ein nachvollziehbares "Scope Management" schafft Transparenz und Vertrauen bei den internen Kunden und den Teammitgliedern.

  • Eine stark standardisierte Umgebung ist der Schlüssel zur Effizienz. Oder wie CIO Wolfgang Gaertner sagt: "Wir wollen keinen Schmuck am Nachthemd."

  • Die Themen Integration und Testen dürfen auf keinen Fall vernachlässigt werden. Der Aufwand dafür ist hoch, gerade wenn es darum geht, eine Standardsoftware Stück für Stück mit einer gewachsenen Umgebung zu verbinden. Hier ist die Deutsche Bank dabei, das Setup für die Testumgebung noch einmal zu überarbeiten, um den Ablauf effizienter zu machen.

  • Bei einem Projekt dieser Größenordnung ist es durchaus notwendig, ab und an einen Schritt zurückzutreten, aus dem Abstand draufzuschauen und nachzujustieren. Allerdings muss das große Ziel Vorrang haben.

  • Techologische Entscheidungen sind so zu treffen, dass die Systeme mindestens die nächsten zehn oder sogar 20 Jahre lang up to date bleiben; deshalb sollte im Zweifel das Neueste gewählt werden, nicht die bewährte Variante.

  • Allerdings sollte man wirkliche Weiterentwicklungen anschauen. Dazu zählt für die Deutsche Bank die InMemory-Technik der SAP, die schon im Laufe des Projekts zum Einsatz kommen soll.

  • Aber solche Dinge, die "außen herum geschehen" (Gaertner) dürfen den Kern des Projekts nicht verändern. Denn ein Schlüsselfaktor für eine grundlegende Erneuerung ist Konstanz. Dazu braucht der IT-Bereich einen langen Atem - und eine gewisse Konsequenz. Viele IT-Projekte litten daran, dass zuviel verändert und angebaut werde, so der Deutsche-Bank-CIO.

  • Für die hohe Investitionssumme erwartet der Konzern einen adäquaten Nutzen. Und der stellt sich nur ein, wenn die Transformation konsequent zu Ende geführt wird. Am besten geht das, indem der dicke Brocken in verdauliche Portionen unterteilt und sukzessive abgearbeitet wird.

  • Am Ende läuft es auf einen Balanceakt zwischen Agilität und Stabilität hinaus. An jedem Punkt des Projekts muss man handlungsfähig bleiben und auf kurzfristige Änderungen reagieren können. Aber gleichzeitig ist es notwendig, Sicherheit, Stabilität und Verfügbarkeit zu gewährleisten.

Acht Fragen an Deutsche-Bank-CIO Wolfgang Gaertner

CW: Wieso wurde der Lieferant der Kernbanksoftware, SAP, in der Presseinformation über den ersten Projektabschnitt überhaupt nicht erwähnt?

Wolfgang Gaertner, CIO Retail der Deutschen Bank.
Foto: Deutsche Bank/Joachim Wendler

Gaertner: Diese Mitteilung kam vom Privatkundenvorstand. Es ging uns darum, darzustellen, dass die Bank einen wesentlichen Schritt zur Erneuerung des Geschäfts mit Privatkunden sowie kleinen und mittleren Unternehmen und gleichzeitig zur Integration mit der Postbank getan hatte. Die IT war nur ein Schritt auf diesem Weg."

CW: Aber die IT hat großen Anteil an der Umsetzung. Ist das dem Business nicht bewusst?

Gaertner: Doch sicher. Das Business sieht die IT als wesentlichen Treiber seiner Strategie.

CW: Gab es etwa Meinungsverschiedenheiten mit SAP, so dass man den Anbieter nicht erwähnen wollte?

Gaertner: Ganz im Gegenteil. Jeder weiß doch, dass wir das gemeinsam gemacht haben. Von beiden Seiten waren die besten Leute auf dem Projekt - und zwar auf allen Management-Ebenen. Neben SAP gab es aber noch einen wichtigen technischen Faktor, nämlich die für ein Core-Banking-System beinahe revolutionäre x/86-Hardware.

CW: Der Name des Projekts ist Magellan. Wie sind Sie denn darauf gekommen?

Gaertner: Wir haben ein Brainstorming gemacht, alle Möglichkeiten und Einschränkungen überdacht und uns schließlich dafür entschieden.

CW: Eine eigenartige Wahl: Ferdinand Magellan wollte die Erde umrunden, blieb aber letztlich erfolglos. Ist das ein gutes Vorbild?

Gaertner: Es ist eine Warnung. Denn Magellan scheiterte daran, dass er unterwegs die Einwohner auf den Philippinen missionieren wollte und im Zuge dieses Bemühens getötet wurde. Er persönlich hatte sein Ziel aus den Augen verloren, aber sein Team setzte die Reise erfolgreich fort.

CW: Die Postbank hatte zum Zeitpunkt der Akquisition bereits SAP Banking im Einsatz. Außerdem betreibt sie seit 2004 den Inlands-Zahlungsverkehr für die Deutsche Bank. Welche Rolle spielten diese Tatsachen bei der Übernahme?

Gaertner: Durch die Auslagerung des Inlands-Zahlungsverkehrs konnte man sich gegenseitig schon einmal kennenlernen. Aber eine Fusion geschieht aus anderen Gründen als wegen der IT. Es geht vielmehr darum, ob der künftige Zusammenschluss aus stretegischen und ökonomischen Gründen Sinn macht.

CW: Aber gerade da spielt die IT doch eine geschäftskritische Rolle. Oder ist das zu sehr durch die romantische Branchenbrille betrachtet?

Gaertner: Die IT hat auch in den Fusionsgesprächen immer mit am Tisch gesessen. Aber ihr die ausschlaggebende Rolle zuzuweisen ist zumindest "halbromantisch".

CW: Was ist eigentlich mit dem Investment-Banking? Ist es in irgendeiner Weise in das Projekt involviert?

Gaertner: Es wird dort ein paar Schnittstellen zu SAP geben. Aber ansonsten konzentrieren wir uns auf eine effiziente Plattform für das Retail-Geschäft. (qua)