Mit dem allmählichen Generationswechsel in den Unternehmen ändert sich die Kommunikation. Während Mitarbeiter, die auf das Ende ihres Arbeitslebens zusteuern, seinerzeit gerade einmal für Telefon, Fax und E-Mail zu begeistern waren, kommt die Generation, die neu ins Arbeitsleben einsteigt, aus einem ganz anderen Umfeld: Chat-Rooms, soziale Netzwerke, Skype, SMS/MMS und eben auch Video gehören für die jungen Leute zum Alltag. Und diese Kommunikationsmittel erwarten sie auch im Job. Die frühere Skepsis gegenüber neuen Kommunikationsformen ist einer Gier nach einer möglichst viele Medien umspannenden Kommunikation gewichen. Die Nutzer verhalten sich dabei oft fast beängstigend unkritisch, etwa was die Preisgabe intimster Informationen auf den Plattformen von Facebook, Yahoo, Lokalisten und vielen anderen Anbietern betrifft.
Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Videokommunikation einen neuen Stellenwert. Im Büro der Zukunft wird sie in ihren unterschiedlichen Facetten natürlicher Bestandteil des Arbeitslebens sein. Die Massentauglichkeit hochwertiger Raumsysteme mit High-Definition-Video- und Hifi-Stereo-Audio-unterstütztem Präsenzerlebnis ist noch nicht abzusehen.
Systemkunde
Womöglich ist einfach die Tatsache, dass dafür ein speziell ausgestatteter Raum im Unternehmensgebäude zur Verfügung stehen muss, die maßgebliche Einschränkung. Klar, dass der Chef beziehungsweise das Topmanagement so etwas in Fußreichweite haben will - für das Gros der anderen Mitarbeiter ergeben sich daraus vergleichsweise weite Wege, und der mit einer Nutzung des Telepresence-Raums verbundene, relativ enge räumliche Kontakt zur Führungsspitze erzeugt nicht selten auf beiden Seiten Unbehagen.
Eine Etage "tiefer", bei den Desktop-Videoconferencing-Systemen, gibt es solche Probleme nicht - jeder Mitarbeiter hat das dafür benötigte "Werkzeug" jederzeit sofort griffbereit. Das hat einen einfachen Grund: Die Entwicklung auf Seiten der PCs und Laptops hat dafür gesorgt, dass spezielle und teure Videoconferencing-Bausteine wie Codec-Boxen, Kameras, Mikrofone etc. heute nicht mehr benötigt werden. Das trifft auch für die neue Klasse von Touchscreen-Geräten zu, die durch das iPad inzwischen rasende Verbreitung findet. Fast jedes heute neu ausgelieferte Laptop oder "Wischbrett" hat alles Benötigte bereits eingebaut, für Desktop-PCs stehen gegebenenfalls preisgünstige Audio-/Video-Add-ons zur Verfügung.
Auf der Ebene der Desktop- und mobilen Videokommunikation geht der Trend weg von den eigenen, spezialisierten Geräten hin zu "Video-enabled" Standardgeräten. Damit verschwinden auch große Unterschiede in den Funktionen - diese werden hier in der Regel durch verbreitete Standardplattformen wie den Microsoft Office Communication Server (OCS) grundlegend definiert. OCS hat in der neuen, als Teil der Office-2010-Produktreihe ausgelegten Version 14 das Zeug zur vollständigen Kommunikationslösung für Unternehmen - TK-Anlage inklusive.
Interoperabilität
Neben den Microsoft-eigenen Produkten wie Office, Sharepoint Server und Exchange, die OCS-Funktionen bereits fest integriert haben, bieten zahlreiche Partner Produkte und Services als Erweiterungen für den Microsoft Lync Server (früher: OCS 14) an beziehungsweise haben dies angekündigt. Mit dem Lync Server ist es Microsoft einmal mehr gelungen, ein gedeihliches Ökosystem in der Branche zu platzieren - eine Tatsache, die den eher mit proprie-tären Unified-Communications-(UC-) Ansätzen arbeitenden Konkurrenten das Leben schwermacht.
Für Anwender, die sich mit ihrer (auch Videokommunikation umfassenden) UC-Lösung nicht an einen bestimmten Hersteller binden wollen, ist das Unified Communications Interoperability Forum (UCIF) eine Pflichtadresse (http://www.ucif.org). Hier haben sich Technikunternehmen aus aller Welt zusammengefunden, um in Form einer Non-Profit-Allianz bei der Entwicklung offener UC-Lösungen zusammenzuarbeiten. Ziel des UCIF ist es, auf der Grundlage gemeinsamer Standards ein reibungsloses Zusammenspiel der UC-Hardware- und Softwarelösungen verschiedener Hersteller und Cloud-Service-Provider sicherzustellen. Dabei sollen unterschiedlichste Gerätetypen berücksichtigt werden - vom Handy über den PC bis hin zu Raum-in-Raum-Telepresence-Lösungen. Um die Lücken zwischen den derzeitigen Kommunikationsprotokollen zu schließen und eine umfassende Interoperabilität zu ermöglichen, will das UCIF nicht nur auf vorhandene Industriestandards zurückgreifen, sondern auch neue Standards definieren. Zu den Gründungsmitgliedern zählen neben Microsoft weitere Größen wie Hewlett-Packard, Juniper Networks, Logitech/Lifesize und Polycom.
Eine weitere Anlaufstelle sind Herstellerinitiativen wie das Polycom Open Collaboration Network. Ein erstes Ergebnis resultiert aus der Partnerschaft zwischen Microsoft und Polycom: ein Outlook-Plug-in mit der Funktionalität eines virtuellen Meeting-Rooms.
Bandbreite
In den letzten Jahren sind die Bandbreiten für Internet-Verbindungen deutlich gestiegen und die dafür zu zahlenden Gebühren gleichzeitig gesunken. Diese Entwicklung kommt dem groß angelegten Einsatz visueller Kommunikation sehr entgegen. Parallel gab es auf Seiten der Video-Codecs wichtige Entwicklungen, um den Bandbreitenhunger von Videoverbindungen zu reduzieren und - fast noch wichtiger - mit schwankenden Bandbreiten besser zurechtzukommen. Garantierte hohe Bandbreiten passen mehr in das Konzept teurer Telepresence-Lösungen - für die Alltags-Videokommunikation stehen entsprechende Verbindungen in der Regel nicht zur Verfügung. Die Folge sind oft extrem schwankende Verbindungsqualitäten - je nach Auslastung der Verbindungen beim Provider und je nach Nutzungsaufkommen einer Internet-Anbindung innerhalb des Unternehmens. Ruckelige Bilder, Verzögerungen im Video-/Audio-Stream, Aussetzer und komplette Abbrüche der Kommunikationsverbindung waren oft die Folge.
Um mehr Kommunikationsqualität und -stabilität zu garantieren, haben neuere Videokommunikationssysteme sehr ausgeklügelte technische Mechanismen an Bord. Dazu gehört die Unterstützung des Videokomprimierungsstandards H.264 "High Profile". Diese Technik reduziert durch eine effizientere Codierung die Bandbreitenanforderungen für Telepresence- und Videokonferenz-Anwendungen um bis zu 50 Prozent. Für Full-Motion-Video in HD-Qualität genügt so bereits eine Bandbreite von 512 Kbit/s. Für Videoverbindungen in SD-Qualität (normale DVD-Qualität) reichen schon Übertragungsraten von 128 Kbit/s aus.
Dem Problem der schwankenden Bandbreiten begegnen einige Hersteller mit intelligenten Packet-Loss-Recovery-Techniken (PLR). Für ein flüssiges Kommunikationserlebnis ist so etwas sicher Pflicht - am besten in Verbindung mit einer Mehrschicht-Video-übertragung. Diese im "Anhang G" der H.264-Protokolle definierte Technik überträgt, abhängig von der in Echtzeit gemessenen Bandbreite, eine entsprechende Zahl von Layern, wobei die Schärfe und Detailtreue von Layer zu Layer zunimmt. Ohne Unterstützung von Anhang G beziehungsweise "H.264 SVC" (Scalable Video Codec), wie das neue Verfahren auch genannt wird, können PLR-Techniken nur innerhalb eines singulären Video-Streams wirken. Auch das bringt Verbesserungen bei der Bandbreitentoleranz, jedoch bei weitem nicht in dem Maße wie bei SVC.
Resümee
Der Funktionsumfang aktueller Videokommunikationssysteme für den Alltag ist heute kein wesentliches Unterscheidungsmerkmal mehr. Ein entscheidenderes Kriterium ist die Erreichbarkeit dieser Funktionen über ein einfaches und plausibles Bedienkonzept. Wichtig ist auch, ob die ins Auge gefassten Hersteller auf Standards setzen oder sich in einer proprietären Welt bewegen.
Kaufkriterien
Kriterien für Großunternehmen:
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Integrierbarkeit in vorhandene (Kommunikations-)Lösungen,
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Skalierbarkeit,
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Trainingsaufwand für Anwender.
Kriterien für kleine und mittlere Unternehmen (KMU):
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Standardkonformität,
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Kosteneffizenz.
Kriterien für Home Offices:
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Standardkonformität,
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einfache Bedienung,
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Netzanbindung.