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08.01.2008 von Karin Quack
Die IT-Abteilung ist tot, es lebe das Utility-Computing! Dieser Meinung ist zumindest Nicholas Carr in seinem jüngsten Buch "The Big Switch". Seine Prognose: Die IT-Abteilung stirbt aus.

Vor fünf Jahren schockierte Nicholas Carr die IT-Fachwelt mit seiner These "IT doesn't matter": Die Informationstechnik verschaffe den Unternehmen keinen strategischen Vorteil, behauptete er (siehe dazu auch die Replik von Don Tapscott in der US-amerikanischen COMPUTERWOCHE-Schwesterpublikation "CIO").

Jetzt geht Carr noch einen Schritt weiter: In seinem gerade erschienen Werk "The Big Switch: Rewiring the World from Edison to Google" prophezeit er den baldigen Tod der IT-Abteilung. Die unternehmenseigene IT werde in Kürze großflächig durch standardisierte Dienstleistungsangebote ("Utility Computing") ersetzt, sagt er voraus.

"Auf längere Sicht wird die IT-Abteilung wohl kaum überleben – wenigstens nicht in der gewohnten Form", schreibt Carr. "Sie wird nicht mehr viel zu tun haben, wenn der größte Teil der Business-IT aus den privaten Rechenzentren in die Weiten des Internets abwandert. Dann können die Geschäftseinheiten oder sogar einzelne Mitarbeiter die Informationsverarbeitung direkt überwachen – ohne dass sie dafür Legionen von Technikern bräuchten."

Zentralisierte IT-Dynamos

Um seine Zukunftsvision zu stützen, greift Carr einmal mehr auf das Beispiel der Elektrizitätsversorgung zurück: Um die Wende zum 20. Jahrhundert hätten die Betriebe noch ihre eigenen Generatoren betrieben, argumentiert er, doch je zuverlässiger die Stromerzeuger geworden seien und je größer die Vorteile, die sich durch die massenhafte Energiegewinnung erzielen ließen, desto weniger Unternehmen hätten diese Aufgabe noch selbst erledigen wollen. Immer mehr seien bereit gewesen, diese "kritische" Unternehmensfunktion an die Elektrizitätsversorger auszulagern.

Dasselbe werde auch mit der Datenverarbeitung passieren, prognostiziert Carr (siehe dazu auch: "Alles, was kein Kerngeschäft ist, fliegt raus"). Das derzeitige "Client-Server-Modell" der IT-Versorgung werde über kurz oder lang durch ein Utility-Modell ersetzt. Tatsächlich gibt es bereits erste Beispiele für den Bezug von IT-Leistungen nach Verbrauch ("Utility-Services"), so beispielsweise das neue Outsourcing-Abkommen des Finanzdienstleisters MLP ("Outsourcing 2.0").

"Es gilt als erwiesen, dass – zumindest in der Theorie – die Leistungen der Datenverarbeitung wie der elektrische Strom über das Netz von den großen Anbietern bezogen werden könnten", konstatiert Carr. Die "zentralisierten Dynamos" der IT können seiner Ansicht nach viel effizienter und flexibler arbeiten als die privaten Rechenzentren.

Wie Carr einräumt, sind die IT-Dienstleister noch nicht ganz so weit, derartige Services flächendeckend anbieten zu können. Dazu müssten sie sicherer, verlässlicher und effizienter werden. Aber es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie diese Hürde überwunden hätten.

IT-Profis tun überall dasselbe

Für den Trend zum Utility-Computing sieht Carr eine Reihe von Auslösern. Beispielsweise seien Computer- und Speichersysteme, Netz und Standardapplikationen mittlerweile "Comodities".

Nicht eben an Sympathie gewinnen dürfte Carr mit der Behauptung, dass sich die IT-Profis ebenso wenig voneinander unterscheiden ließen wie die Systeme: "Die meisten erledigen doch nur routinemäßige Wartungsaufgaben – genau dieselben wie ihre Kollegen in anderen Unternehmen."

An die Ökonomen richtet sich der Autor mit dem Argument, dass die meisten privaten Rechenzentren unwirtschaftlich arbeiten würden. Im Regelfall seien sie lediglich zu einem Viertel bis zur Hälfte ausgelastet.

Auch nach der wachsenden Schar der Umweltbewussten wirft Carr die Angel aus: Durch eine Zentralisierung der Datenverarbeitung lasse sich der Energiebedarf für die IT senken, erläutert er. Schließlich benötige ein Rechenzentrum bis zu hundert Mal mehr Strom als ein anderes Bürogebäude (hierzu siehe auch die Gartner-Hitliste der wichtigsten Techniken für 2008).

"Zehntausende von unabhängigen Rechenzentren, die sich fast vollständig gleichen – alle nutzen ähnliche Hardware, betreiben ähnliche Software und beschäftigen denselben Typ von Mitarbeitern –, das ist ein ernsthaftes Hindernis für den wirtschaftlichen Erfolg", schreibt Carr. "Die Folge davon ist, dass es ein Überangebot an IT-Installationen in allen Wirtschaftsbereichen gibt, und das frisst die Produktivitätsgewinne auf, die von der Computer-Automatisierung ausgehen könnten."

Google als positives Beispiel

Die Avantgarde auf dem Gebiet des Utility-Computing sieht Carr im Suchmaschinenspezialisten Google verkörpert, der über sein hochmodernes Rechenzentrum neuerdings auch Software als Service anbietet ("Google Apps"). "Wenn die Unternehmen sich darauf verlassen dürfen, dass Zentralbahnhöfe wie der von Google alle ihre IT-Anforderungen in die richtigen Bahnen lenken, dann können sie sich die Ausgaben für eigene Hard- und Software sparen."

Andere Beispiele, die Carr anführt, sind der CRM-Software-Anbieter Salesforce.com sowie die Services S3 (Simple Storage Solution) und EC2 (Elastic Compute Cloud) von Amazon. Allerdings vergisst der Autor nicht, zu erwähnen, dass die großen IT-Anbieter, namentlich Microsoft, Oracle, SAP, IBM, HP, Sun und EMC, bereits daran arbeiten, ihre Produkte Utility-fähig zu machen. "Einige der Unternehmen alter Schule werden die Kehrwendung zu dem neuen Computing-Modell schaffen, andere nicht", schreibt Carr, "aber allen sei angeraten, das Beispiel von General Electric und Westinghouse sorgfältig zu studieren."

Die beiden Unternehmen hatten vor etwa hundert Jahren eine Menge Geld damit verdient, Komponenten und Systeme für die Stromgewinnung an die privaten Erzeuger zu verkaufen. Dieses Geschäft wurde hinfällig, als die großen Kraftwerksbetreiber die Stromerzeugung übernahmen. "Aber GE und Westinghouse waren in der Lage, sich selbst neu zu erfinden", ermutigt Carr die IT-Giganten.

Keine Zukunft für den CIO

Für die IT-Profis hat das Enfant terrible der IT weniger tröstende Worte zu bieten. In seiner Vorstellung vom Utility-Computing lässt sich die gesamte Unternehmens-IT von einer Person an einem PC erledigen, die via Internet "einfache Befehle" an einen weit entfernten Dienstleister abschickt.

Carr führt erfolgreiche Internet-Unternehmen wie YouTube, Craigslist, Skype und Plenty of Fish als Beleg dafür an, dass sich der IT-Betrieb mit minimalem Personalaufwand betreiben lasse. Als Google im vorletzten Jahr YouTube für 1,65 Milliarden Dollar übernommen habe, seien nur 60 Mitarbeiter dort gewesen, die sich an den neuen Eigner gewöhnen mussten. Bei Craigslist betrieben 22 Leute mehre Milliarden Internet-Seiten. Skype bediene seine 53 Millionen Kunden mit gerade mal 200 Angestellten. Und die Partnervermittlungs-Site Plenty of Fish sei ein veritabler Einmannbetrieb.

Erste Leser üben Kritik

Dass die Unternehmen im Rahmen ihrer Kehrtwendung Millionen von Mitarbeitern auf die Straße setzen werden, hält Carr für unabänderlich. Ein ähnliches Schicksal prophezeit er übrigens auch den fest angestellten Journalisten, Fotografen, Analysten und anderen Wissensarbeitern, die sich seiner Ansicht nach leicht durch Freiberufler ersetzen lassen. Erste Leser des neuen Buchs werfen Carr vor, dass er die sozialen Folgen dieser Entwicklung einfach außer Acht gelassen habe.

Andere Kritiker bemängeln die fehlende Erörterung von geschäftlichen Implikationen, Strategien und Empfehlungen. Carr habe sich vor allem auf die Anbieterseite konzentriert, so ein Rezensent auf www.amazon.com. (qua)