Angst der Kunden beflügelt Marketing:

Sicherheit ist wichtiger als das Produkt

16.01.1987

Gleichförmige Information und einheitliche Argumentation vieler Hard- und Softwareproduzenten machen dem Anwender das DV-Leben sauer - zumindest wenn er sich bei der Systemauswahl einzig und allein auf diese Angaben verlassen soll. Nicht selten wird dabei die Produktentscheidung zum Vabanque-Spiel. Die COMPUTERWOCHE sprach über dieses Problem mit Marketingexpertin Gisela Mayer.

* Frau Mayer, Sie vertreten die Ansicht, daß der Anwender bei einer Systemauswahl nicht nur das angebotene Produkt, sondern in gleichem Maße auch das Marketing des Anbieters unter die Lupe nehmen soll. Welche Bedeutung muß der Interessent dem Marketing nun wirklich beimessen?

Der Kunde muß sich mit dem Marketing des Herstellers oder Softwarelieferanten intensiv auseinandersetzen. Nur so kann er überzogene Marketingexotik, Falschaussagen und Irreführungen erkennen, wie sie immer wieder unter Konkurrenzdruck und fast neurotischen Profilierungszwängen einiger Marketiers auftreten. Ähnlich dem Marketing von politischen Parteien oder der Kosmetikindustrie neigt unsere Branche leider immer mehr dazu, beim Anwender eine unerfüllbare und letztendlich das Geschäft erschwerende Erwartungshaltung aufzubauen. Dazu tragen nicht zuletzt die irreführenden Wortschöpfungen in Broschüren und Werbeaussagen bei: Da gibt es Terminals, die "intelligent" sind, oder Software, die "freundlich" zum Bediener ist. Und Technik - ob alt oder neu, ob low oder high - wird nahezu nur noch als innovative "High-Technology" vermarktet. Die meisten der rosaroten Ausmalungen erweisen sich allerdings in der Praxis als falsch.

* Könnten Sie einige Praktiken dieser Schönfärberei näher erläutern?

Ja, etwa die Vermarktung von Produkten, die nachweislich in die letzte Phase ihres Lebenszyklus getreten sind und dann als "Innovation" für ein nochmaliges Neukundengeschäft herausgeputzt werden. Beispiel Datenbankgeschäft: Seitdem die relationale Technik in aller Munde ist, werden auch herkömmliche DBMS als relationale Systeme verkauft. Am Produkt selbst kann man vom Grundkonzept her natürlich nichts ändern, um so einfacher geht das aber mit dem Namen. Sozusagen ein altes Produkt an einem neuen Platz im Kopf des Interessenten. Das Ganze nennt der Marketier dann Positionierung. Das Ergebnis solcher Art Marketing ist vorprogrammiert: unzufriedene und enttäuschte Kunden.

* Gilt ähnliches auch für Projekte, die sich quasi noch in der Pipeline befinden?

Ja, da leidet unsere Branche unter einem vorschnellen Marketing für Produkte, die eigentlich noch Konzepte sind. Hier werden leider unter Erfolgsdruck gute Ansätze als Lösungen zu früh und zu marktschreierisch hinausposaunt und am Ende zerquatscht. So war es mit MIS, mit Btx, mit Bürokommunikation - und jetzt ist CIM dran.

* Ein Protest gegen solche Methoden ist von den Anwendern nur selten zu hören. Woran liegt das?

Ich erinnere mich an einen Satz von Arno Plack: "Der Mensch, der an Worte glaubt, nimmt zuletzt das schön Gesagte für das stillschweigend ihm Vorenthaltene." Vielleicht wird deshalb der Inhalt von Prospekten oder Anzeigen kaum noch ernsthaft oder kritisch zur Kenntnis genommen. Das liegt zum einen sicherlich an der ausufernden Informationsflut und der damit verbundenen Gleichgültigkeit gegenüber Informationen, aber auch an der Gleichförmigkeit der Informationspräsentation und der einheitlichen Argumentation. Fast könnte man meinen, die Hersteller und Softwareproduzenten haben alle dieselbe Agentur und denselben Texter.

* Trotzdem werden - bei gleichwertiger Produktpalette - manche Unternehmen vom Anwender offensichtlich bevorzugt.

Ja, dabei spielt wohl ein Gesichtspunkt die entscheidende Rolle: Der Anwender kauft lieber bei einer stabilen und zukunftssicheren Firma. Wie viele Anwender kaufen beispielsweise nur bei der IBM, weil dieses Unternehmen voraussichtlich auch in zehn Jahren noch im Markt sein wird. Und darauf - nennen wir es einfach Angst - basiert eigentlich die gesamte Marketingstrategie des Branchenprimus. Marketing kann viel bewirken und die Stabilität eines Anbieters entscheidend beeinflussen. Also schaue ich mir als Käufer auch das Marketing und damit letztendlich die Zukunftschancen des Unternehmens an. Man kauft - siehe Beispiel IBM - in erster Linie nicht Produkte, sondern Sicherheit. Ich kenne keine Firma, die allein aufgrund führender Technik langfristig überlebt hätte; dazu gehört immer ein geschicktes Marketing.

* Was raten Sie also einem Marketier, wenn er über sein Marketingkonzept für 1987 noch einmal nachdenkt?

Offenheit gegenüber den Interessenten und zufriedene Kunden sind Voraussetzungen für langfristigen Unternehmenserfolg. Das sollten auch die Ziele jeder Marketing-Kultur sein. Wer dies übersieht, erzeugt Kräfte, die auch angesichts bester Produkte jeden Markterfolg zunichte machen.

Gisela Mayer ist zuständig für das Marketing der Oracle Deutschland GmbH.