Shared Service Center: Finanz-Controlling ohne Belegsuche

21.09.2007 von Jörg Schultz
Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg wickelt das Rechnungswesen in einem Shared Service Center ab. Über Web-Schnittstellen können Anwender Abrechnungen prüfen und auf gespeicherte Belege zugreifen.

"Alle zum Helfen Bereiten müssten aneinander gekettet als eine Einheit und im Zusammenhang in das große Geschäft der Menschenliebe gebracht werden...". Als Königin Katharina von Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit diesen Worten das heutige Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg ins Leben rief, hat sie in gewissem Sinne die Idee des Shared Service Centers schon vorweggenommen. Das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg bietet an 17 Standorten vielfältige Dienste für rund 2000 Senioren in ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen sowie betreuten Wohnanlagen. Die Muttergesellschaft Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg Stiftung bR erbringt dabei mit vier Tochtergesellschaften und zwei per Management-Vertrag angeschlossenen Stiftungen mobile Pflegedienste, Rundumversorgung in Pflegeheimen, Tages- und Nachtpflege und betreibt Wohngemeinschaften für Senioren.

Hier lesen Sie ...

  • wie das Wohlfahrtswerk für Baden-Würtemberg Finanzabläufe in einem Shared Service Center gebündelt hat;

  • dass dezentrale Controller über die Web-Oberfläche der Finanz- und Rechnungswesenlösung Geldströme und Buchungen kontrollieren können;

  • was dem Pflegedienst das Shared Service Center gebracht hat;

  • wie das schon länger installierte Rechnungswesensystem künftig erweitert wird.

Dezentrale Strukturen

Um das Dienstleistungsangebot bedarfsgerecht und wirtschaftlich zu gestalten, achtet die Stiftung auf Effizienz im Zusammenspiel aller dezentralen und zentralen kaufmännischen Bereiche. Die rund 1800 Mitarbeiter erwirtschafteten im Jahr 2006 insgesamt 54 Millionen Euro Umsatz. Komplizierte Abrechnungsmodelle mit unterschiedlichen öffentlichen Kassen und Privatpersonen stellen hohe Anforderungen an eine Buchhaltung sowie ein aussagekräftiges Berichts- und Controlling-Wesen.

Über das Web-Interface der Finanzbuchhaltungssoftware können Controller an den dezentralen Standorten Buchungen kontrollieren.

Obwohl die Hauptverwaltung schon quasi als Shared Service Center die komplette Buchhaltung für die fünf Gesellschaften und deren Einrichtungen übernommen hatte, fehlte eine durchgängige Finanzlösung, die den Prozess für alle transparent machte. Beispielsweise mussten die Daten für Abschlüsse und Konsolidierungen auf dem Postweg an die Zentrale gesandt und viele Auswertungen manuell erledigt werden. Andererseits hatten die dezentralen Einrichtungen keinen direkten Einblick in die für sie wichtige Finanzbuchhaltung. Ein notwendiger Schritt war daher die technische und betriebswirtschaftliche Anbindung aller Einrichtungen und Dienste an ein zentrales Finanz- und Rechnungswesen. Auf einem einheitlich hohen Serviceniveau sollten die Finanzprozesse gebündelt und der Einsatz von Ressourcen effizienter gestaltet werden.

Web-Oberflächen und Transparenz

Ein externer Berater unterstützte das Team bei der Auswahl der geeigneten Lösung. Sie musste vor allem drei Anforderungen gerecht werden: ein leistungsfähiges Debitoren-Management besitzen, Web-fähig und erweiterbar sein. Um die komplexe Abrechnungsstruktur einfacher verwalten und nachvollziehen zu können, benötigte das Wohlfahrtswerk ein transparentes System, mit Hilfe dessen sich die – teilweise mehrfachen - Rechnungsempfänger für jeden einzelnen Pflegebedürftigen einsehen lassen. Zudem sollte das System auf einfachem und kostengünstigem Wege den verschiedenen Einrichtungen zugänglich sein.

Shared Service Centers im Controlling

Shared Service Centers (SSCs) werden in den nächsten Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen. Insbesondere in den Bereichen Controlling und Finanzwesen lässt sich einiges verbessern. SSCs bieten Unternehmen viele Vorteile: Sie standardisieren und bündeln Prozesse auf hohem Niveau. Einzelne Geschäftseinheiten können sich dadurch besser auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Mengendegression (Economies of Scale) senkt zusätzlich die Kosten. Während zentrales Know-how aufgebaut wird, bleibt trotzdem weiterhin eine dezentrale Planung und Kontrolle möglich. Erfahrungen haben gezeigt, dass sich Qualität und Effizienz steigern lassen, wenn Unternehmen ihre IT-Dienstleistungen zentral bündeln. Laut einer Studie des Beratungshauses Bearingpoint verkürzt sich dadurch die Zeit, die zum Erstellen von Monatsberichten benötigt wird, von zehn auf vier Tage.

Verschiedene Produkte wurden auf Herz und Nieren geprüft: Ntire Financials, Dynamics NAV, SAP R/3 und Coda e-Finance. Letzteres erfüllte die Anforderungen am besten. Für das Produkt sprach unter anderem dessen Übersichtlichkeit. Außerdem kann der Anwender Geschäftsvorfälle gut nachvollziehen. Wert legten wir auch auf die Integrationsmöglichkeiten, da einerseits Daten aus Vorgängersystemen zu übernehmen waren, andererseits künftig eine Dokumenten-Management- und Workflow-Software eingebunden werden soll. Zu den Altsystemen zählten selbst geschriebene Programme zur Fakturierung sowie "Seminar 1", eine Spezialsoftware für Bildungseinrichtungen.

Datenimport aus den Altsystemen

Bei Projektbeginn standen wir unter enormem Zeitdruck und wollten so schnell wie möglich mit dem neuen System live gehen. Nach fünf Monaten konnte die Lösung den Betrieb aufnehmen, inklusive der Schnittstellenanbindung zur Anlagenbuchhaltung, der Lohn- und Gehaltsabrechnung, Kontoauszügen und Zahlungen, Heimverwaltung und Fakturierung. Ferner wurden in diesem Zeitraum die Altdaten des vorigen Finanzbuchhaltungssystems migriert. Annähernd 100 000 Datensätze aus den alten Systemen waren zu übernehmen. XML kam für den Datenimport kam wegen des Alters der Bestandssoftware nicht in Frage. Daher blieb nichts anderes übrig, als die meisten Daten im CSV-Format (Comma Separated Values) über SQL einzulesen.

Ein Software-Tag pro Woche

Bei Abschluss des Projekts waren alle Einrichtungen und Dienste des Wohlfahrtswerks mittels Web-basierter Technik an das zentrale Rechnungswesen angeschlossen. Schwierigkeiten gab es außer kleineren Fehlern keine, was darauf zurückzuführen war, dass sämtliche Beteiligte sehr viel Zeit und Mühe investiert hatten. Die Anwender in der Hauptverwaltung (HV) waren während der gesamten Implementierung in alle Vorgänge eingebunden. Zum Beispiel befassten sich sechs Mitarbeiter in dieser Zeit einen vollen Arbeitstag pro Woche mit dem Softwareprojekt. Eine gesonderte Schulung dieser Benutzer war danach nicht mehr erforderlich.

Neue Infrastruktur und Netzverbindungen

Neben der Software waren auch die Rechner und Netzwerkverbindungen zu modernisieren. Dazu wurden auf Seiten der Hauptverwaltung die Client-Rechner ausgetauscht und die Arbeitsplätze der Einrichtungen zuerst per ISDN an die Zentrale angeschlossen. Heute nutzt das Wohlfahrtswerk einen sicheren VPN-Volltunnel über eine DSL-Leitung. Während anfangs in der Zentrale drei Server zur Datenbereitstellung ausreichten, sorgen heute elf Server, darunter zwei für die Oracle-Datenbanken, für die Verfügbarkeit der Daten rund um die Uhr. Als Backup kommt neben der klassischen Bandsicherung ein Windows 2003 Server zum Einsatz, auf dem jeweils die Datenbanken mit dem Stand des Vorabends gespeichert werden. Auch die alten ISDN-Leitungen stehen heute noch für Notfälle als Backup für den Datenzugriff zur Verfügung. Das bedeutete einen weiteren Schutz für sensiblen die Finanzdaten.

Ursprungsbelege abrufbar

Die dezentralen Verwaltungsfachleute des Wohlfahrtswerks profitieren vor allem von der Datentransparenz und Nachvollziehbarkeit des neuen Buchhaltungssystems. Zahlungsverhalten und Zahler können jetzt systemgestützt analysiert werden, und die Anzahl der automatisierten Buchungen hat sich deutlich erhöht. Über die Funktion "Browse Details" erschließen sich dem Anwender eine gesamte Kostenstelle, alle Abrechnungsdaten, die beteiligten Unternehmensbereiche sowie das Gegenkonto. Auch der Ursprungsbeleg ist direkt einsehbar und steht im System zentral allen Berechtigten zur Verfügung. Früher mussten Benutzer diese Informationen in den entsprechenden Unterlagen nachschlagen. Zusätzlich lassen sich Buchungen durch Texterläuterungen ergänzen, weshalb diese Informationen im System von jedem Ort aus zur Verfügung stehen.

Genaue Leistungsabrechnung statt Umlage

Die Einzelstandorte selbst beschränken sich heute auf die korrekte Leistungsabrechnung sowie das Vorerfassen der Eingangsrechnungen und können sich ansonsten auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Das neue, zentrale Buchhaltungssystem sorgt auch für eine einfache und fehlerfreie Abrechnung der internen Dienstleistungen. Diese wurden vorher mit Hilfe eines pauschalen Umlageverfahrens ermittelt. Jetzt verfügt das System über einen Zählmechanismus, der die einzelnen Buchungen registriert und leistungsgerecht abrechnet.

Die einfache Handhabung und die weitgehend selbsterklärenden Funktionen des Programms führten zu einer schnellen Akzeptanz bei den Nutzern. Vor allem die Möglichkeit, weitestgehend eigenständig zu arbeiten und zu jeder Zeit selbst Einsicht in die Finanzdaten zu haben, motiviert die Mitarbeiter. Umständliche telefonische Anfragen und längere Wartezeiten auf Rückmeldungen haben sich auf ein Minimum reduziert. Das neue Programm ist übersichtlicher und hat nützliche zusätzliche Features. So können Benutzer zum Beispiel Auszifferungen unproblematisch wieder rückgängig machen und auch Stornierungen vornehmen. Vor allem die Elementstruktur des Rechnungswesens hilft den Anwendern, da sie es ihnen beispielsweise gestattet, schnell in Erfahrung zu bringen, wer für einen Bewohner zahlt.

Erweiterungen für den Zahlungsverkehr

Mittlerweile hat das Wohlfahrtswerk zwei Gesellschaften gegründet, in die das Personal der Hauptverwaltung ausgegliedert wurde. Diese Geschäftsbereiche wurden in das Shared-Service-Konzept der Coda-Software eingebunden. Derzeit führen Softwarespezialisten eine Konzernverrechnung ein, die es gestattet, dass Gesellschaften untereinander abrechnen. Darüber hinaus will das Management Funktionen integrieren, um am einheitlichen europäischen Zahlungsverkehr (Single Euro Payments Area, kurz Sepa) teilnehmen zu können. Hierzu wird vermutlich Ende des Jahres ein entsprechendes Update der Rechnungswesenlösung vorgenommen, da sich beispielsweise Kontoverbindungen ändern. Für das dritte Quartal 2008 ist die Migration auf das neue Coda-Produkt "Neon" vorgesehen.

Fazit

Seit der Einführung der zentralen Finanzlösung verzeichnet das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg deutliche Effizienzsteigerungen. Insgesamt 1,6 Stellen konnte das Rechnungswesen der Hauptverwaltung seit Einführung der Lösung einsparen. Das Shared Service Center hat die Finanzströme aller Organisationen im Blick. Durch die zentrale Verfügbarkeit aller Detailinformationen bis auf Belegebene hat sich die Transparenz erhöht und der Aufwand für die Informationsbeschaffung deutlich reduziert. Das erweiterte Debitoren-Management mit automatisiertem Mahnwesen unterstützt dabei die wirtschaftliche Leistungserbringung. (fn)