Datenqualitäts-Management

Sechs Tricks für den Projektalltag

06.11.2008 von Boris Otto und Michael Silberman
Obwohl miese Geschäftsdaten für steigende Kosten und ein schlechtes Image sorgen, haben viele Unternehmen kein Datenqualitäts-Management. Oft auch deshalb, weil solche Projekte schlecht vermarktet werden.

Eine hochqualitative Datenbasis bildet das Rückgrat erfolgreicher Unternehmen. Denn die zunehmende Zahl gesetzlicher und behördlicher Auflagen zu erfüllen, ein integriertes Kunden- und Service-Management anzubieten oder weltweit Geschäftsprozesse zu harmonisieren, ist ohne konsistent, aktuell und korrekt verfügbare Stammdaten unmöglich.

Trotzdem fristet das Datenqualitäts-Management in vielen Unternehmen ein Schattendasein. Dies hat verschiedene Ursachen: So herrscht die Meinung vor, für die Sicherung der Datenqualität sei allein die IT-Abteilung verantwortlich und die Fachbereiche seien lediglich Nutzer der Daten. Das ist insofern falsch, als dass nur der Fachbereich die Anforderungen an die Qualität von Stammdatenklassen wie Materialien, Lieferanten und Kunden kennen kann. Denn aus den Geschäftsprozessen muss sich der Bedarf an Datenqualität ableiten.

Tech talk und Vogel Strauß

Auch wird häufig über technische Aspekte wie Datenmodelle, Datentypen und Feldlängen einzelner Attribute diskutiert, während die eigentliche betriebswirtschaftliche Bedeutung von Datenqualität in den Hintergrund rückt. Und schließlich gewinnen Projekte für Datenqualitäts-Management immer erst dann eine strategische Bedeutung, wenn es bereits ernsthafte Probleme im Unternehmen gibt.

Das ist, etwa dann der Fall, wenn zentrale Berichte bei der "Spend-Analyse" im Einkaufscontrolling falsche Zahlen aufweisen oder sich gar nicht erst erstellen lassen. Ein anderes Beispiel ist die inkonsistente Verwendung des metrischen und imperialen Systems, wodurch die zulässigen Maximalgewichte bei Transportmitteln überschritten werden und Ware nicht ausgeliefert werden kann.

Nachteile eines reaktiven Datenqualitäts-Managements

Maßnahmen zur Steigerung der Datenqualität werden also häufig erst dann ergriffen, wenn es zu spät ist und ein Schaden für das Unternehmen bereits eingetreten ist. Ein solches "reaktives" Datenqualitäts-Management verhindert eine vernünftige Budget- und Ressourcenplanung (Diesbezüglich macht die COMPUTERWOCHE derzeit eine Anwenderbefragung über die aktuelle Situation und Strategien der Unternehmen im Datenqualitäts-Management. Dabei sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen.)

Auch ist es schwierig, für entsprechende Ad-hoc-Projekte überhaupt kurzfristig Mitarbeiter zu finden, und Projektbudgets werden überschritten, weil während der Budgetplanung keine Mittel vorgesehen wurden bzw. nicht bekannt war, in welcher Höhe sie benötigt werden. Zudem ist in vielen Fällen nicht bekannt, welches Niveau an Datenqualität denn eigentlich in den Geschäftsprozessen benötigt wird. Das hat zur Konsequenz, dass nicht zu bestimmen ist, wann ein Ad-hoc-Projekt zur Verbesserung der Datenqualität eigentlich erfolgreich ist und wann nicht.

Um die Datenqualität der wichtigsten Stammdatenklassen im Unternehmen nicht nur einmalig und temporär zu verbessern, sondern langfristig zu erhöhen, sollten Sie sechs Ratschläge befolgen:

1. Rat: Belegen Sie den Geschäftsnutzen von Datenqualität

Zentraler Erfolgsfaktor für ein dauerhaftes Datenqualitäts-Management ist die Einbindung der Entscheidungsträger und der Fachbereiche im Unternehmen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, einen klaren Wirkungszusammenhang zwischen einer hohen Qualität von Stammdaten und den betriebswirtschaftlichen Zielen des Unternehmens aufzuzeigen.

Beispiel: Ein Produktionsunternehmen besitzt weltweit Standorte, in welchen die gleichen Werkzeugmaschinen eingesetzt werden. Bisher hat jeder Standort seine Ersatzteile eigenständig bewirtschaftet, dass heißt eigene Nummern und Merkmale zur Beschreibung vergeben. Infolgedessen können Ersatzteile nicht zwischen den Standorten ausgetauscht werden. Die Einführung einer konsistenten Materialnummer sowie einheitlicher Merkmale führt dazu, dass die Verfügbarkeit von Ersatzteilen weltweit sichtbar wird, Ersatzteile zwischen Standorten ausgetauscht werden können und Kapitelbindungskosten sinken.

Suchen Sie zudem "Trägerprojekte", also Initiativen von hoher strategischer Bedeutung im Unternehmen. Zeigen Sie den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Erfolg der Initiative und der Qualität der dafür benötigen Daten auf (Auch Service-orientierte Architekturen können helfen, die Datenqualität zu steigern).

Beispiel: Ein Unternehmen der Spezialchemie plante die Einführung weltweit harmonisierter Geschäftsprozesse. Hierzu sollten die Einkaufs- und Logistikabläufe vereinheitlicht und die gleichen Stammdaten für Materialien und Lieferanten genutzt werden. Erfolgsfaktor dafür ist die Verwendung einer einheitlichen Identifikation für Lieferantenstammdaten sowie die Identifikation und Bereinigung von Duplikaten. Andernfalls entstehen nicht die erhofften Synergien gemeinsamer Geschäftsprozesse.

2. Rat: Was Sie nicht messen können, können Sie auch nicht managen

Viele Unternehmen betreiben Datenqualitäts-Management, ohne zu wissen, wie gut sie darin sind und wie gut sie sein müssen. Beispielsweise ist in vielen Fällen nicht bekannt, welche Kosten für die Pflege von Stammdaten anfallen, sondern sie sind in verschiedenen Gemeinkostenumlagen versteckt. Das führt dazu, dass Mitarbeiter im Produktmanagement kein Bewusstsein dafür haben, dass sie knappe Ressourcen verbrauchen, wenn Sie ein Material beantragen, welches es schon gibt oder welches durch ein Produkt mit ähnlichen Eigenschaften substituiert werden könnte.

In anderen Fällen messen Unternehmen die Datenqualität, beispielsweise ausgedrückt in der Vollständigkeit bestimmter Datenbankfelder, aber es fehlt der Bezug zur betriebswirtschaftlichen Führungsgröße.

Beispiel: Ein großes deutsches Warenhausunternehmen misst nicht die Datenqualität von Artikelstammdaten im Sinne von Konsistenz, Aktualität o. ä., sondern es prüft auf Ebene der Filialen, wie häufig beim Check-Out-Vorgang an der Kasse eine EAN-Nummer nicht identifiziert werden kann und auf eine Sammelnummer gebucht werden muss. Dieses Qualitätsmaß hat einen direkten Bezug zur Nachschublieferung und schließlich zu "Out of Stock"-Situationen, welche nicht nur im Einzelhandel unbedingt zu vermeiden sind.

Solche Reifegradmessungen erlauben es zudem, auch die organisatorische Verankerung des Datenqualitäts-Managements zu bestimmen. Ein Reifegradmodell hilft einschätzen, inwieweit Datenverantwortliche, Datenmanager und Prozessverantwortliche ihre Verantwortung für Datenqualität wahrnehmen und inwieweit gemeinsame Standards und Richtlinien bereits im Tagesgeschäft verankert sind.

3.Rat: Data Governance schafft klare Verantwortlichkeiten

Eine der häufigsten Ursachen für mangelhafte Datenqualität ist das "Silo-Denken" einzelner Unternehmensfunktionen oder Landesgesellschaften (so wissen deutsche Anwender oft gar nicht, ob es einen Verantwortlichen für das Thema Datenqualität gibt) . Abhilfe verspricht der Aufbau einer übergreifenden "Data Governance". Diese regelt die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen, indem sie die übergreifenden Aufgaben im Datenqualitäts-Management identifiziert, die Rollen festlegt, welche aus den Unternehmensbereichen bei der Bewältigung dieser Aufgaben involviert sind, und den Rollen dabei Verantwortlichkeiten zuordnet.

Viele Unternehmen nutzen dafür Notationen aus dem Projektmanagement, beispielsweise RACI. Dadurch wird geregelt, welche Rolle für welche Aufgaben die Durchführung verantwortet (responsible), haftbar ist (accountable), wessen Fachwissen hinzuziehen ist (consulted) und welche Rolle über den Abschluss der Aufgabe informiert wird (informed) (Auch gibt es mittlerweile hierzulande Kurse für IT-Profis, die sich näher mit Data Governance beschäftigen wollen).

Beispiel: Ein weltweit agierendes Chemieunternehmen hat eine zentrale Funktion für Stammdatenqualität etabliert, welche Standards für die Definition, Erfassung und Pflege von Material- und Lieferantenstammdaten festlegt. Ein zentraler Datenmanager führt dabei ein Team aus drei regionalen Datenmanagern, welche wiederum Ansprechpartner in allen Landesgesellschaften besitzen, in denen das Unternehmen Produkte absetzt. Dadurch sind gleichartige Verfahren für die Rückverfolgbarkeit von Stoffen im Sinne der EU-Richtlinie "REACH" gewährleistet.

4.Rat: Denken Sie kunden- und serviceorientiert

In der Geschäftsleitung und im Fachbereich wartet niemand auf ein Datenqualitätsprojekt. Wenn Sie mit einem unternehmensweiten Datenqualitäts-Management betraut sind, müssen Sie die Erzeuger und Nutzer der Daten als Kunden verstehen. Bieten Sie Unterstützung bei den fachlichen Aufgaben an, indem Sie Methoden, Fachwissen und Beratung zur Verfügung stellen.

Beispiel: Ein Automobilzulieferer beauftragt eine Stabsfunktion im Rechnungswesen mit der Koordination des Qualitätsmanagements für Konzernstammdaten. Neben einer Richtlinie für den Umgang mit und die Verantwortung für die Daten bietet die Funktion einen Methodenbaukasten, der den Datenverantwortlichen unterstützen kann. Dazu gehören die Beratung für Datenqualität bei der Erstellung von Fachkonzepten, die Organisation und Moderation eines bereichsübergreifenden Kompetenzteams zur einheitlichen Bewirtschaftung gemeinsam genutzter Daten sowie Kommunikationsmaßnahmen zur Unterstützung der Datenverantwortlichen.

5.Rat: Denken Sie voraus

Viele Unternehmen erachten ihre Daten als "Asset", als Anlagegut - aber die meisten handeln nicht danach. Während sich für physische Anlage- und Investitionsgüter im Unternehmen, zum Beispiel CNC-Werkzeugmaschinen, ausgefeilte Instandhaltungs- und Wartungsstrategien finden, fehlt dies für die Datenbasis fast überall. Diese muss aber genauso präventiv und geplant bewirtschaftet werden wie andere Anlagegüter im Unternehmen.

Kümmern Sie sich also nicht erst um die Qualität der Daten, wenn Sie sie für analytische Zwecke benötigen und dafür aus operativen Systemen extrahieren. Sondern sorgen Sie vielmehr dafür, dass bereits beim "Erstkontakt" die Datenqualität sichergestellt ist. Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiter einerseits und automatisierte Plausibilitätsprüfungen andererseits helfen dabei, falsche Daten zu vermeiden.

6.Rat: Beweisen Sie langen Atem

Die nachhaltige Etablierung eines Datenqualitäts-Managements in einem großen Unternehmen ist weniger ein einzelnes Projekt, als vielmehr ein langfristiges Programm. Begreifen Sie es als Veränderungsprozess und zeigen Sie neben wirtschaftlichen Vorteilen auch den Nutzen für diejenigen Mitarbeiter auf, die mit den Daten arbeiten (weitere Tipps zur Stammdatenpfelege finden Sie hier).

Beispiel: Ein internationales Telekommunikationsunternehmen betreibt seit über sieben Jahren ein Programm zum Datenqualitäts-Management in den verschiedenen Unternehmensbereichen und dadurch Kosten von mehreren hundert Millionen Euro einsparen. Dies gelang unter anderem dadurch, dass sich heute die Hardware-Infrastruktur wesentlich besser für die Datenverwaltung ausnutzen lässt. Bis dahin hatte das Unternehmen durch den Kauf immer neuer Infrastrukturkomponenten versucht, mehr Bandbreite für die Datenbereitstellung zu erzielen (as).