Stadtrat in München

Schwarz-rote Koalition will das LiMux-Projekt beenden

15.02.2017 von Martin Bayer
LiMux in München steht vor dem Ende. Der Stadtrat hat mit rot-schwarzer Mehrheit von SPD und CSU beschlossen, einen einheitlichen Windows-Client entwickeln zu lassen. Die Opposition moniert stukturelle Probleme, die nun vorgeschoben würden, um Linux loszuwerden und sich bei Microsoft wieder lieb Kind zu machen.

Das viel beachtete Linux-Projekt der Münchner Stadtverwaltung scheint am Ende. Die regierenden Stadtratsfraktionen von CSU und SPD haben sich offenbar darauf verständigt, die IT der Kommune auf eine neue Basis zu stellen. Im Rahmen einer Stadtratssitzung wurde am 15. Februar ein Änderungsantrag (PDF-Link) verabschiedet, wonach die Verwaltung beauftragt wird, "unverzüglich ein Konzept zu erstellen, wie auf Basis des neu zu entwickelnden Windows-Basis-Clients bis spätestens zum 31.12.2020 eine stadtweit einheitliche Client-Architektur geschaffen werden kann". Rund um Funktionen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationsprogramm seien "stadtweit einheitlich marktübliche Standardprodukte einzusetzen, die eine höchst mögliche Kompatibilität nach intern und extern sowie zu anderen Softwareprodukten (zum Beispiel SAP) gewährleisten".

LiMux leidet an resistenten Windows-Keimen

Mit der Rückkehr in die Microsoft-Welt wäre LiMux am Ende. 2003 hatte der damalige Stadtrat mit rot-grüner Mehrheit die Open-Source-Migration beschlossen und damit weltweit für Aufsehen gesorgt. Ziel war es, ein Zeichen gegen den Softwaremonopolisten Microsoft zu setzen und mit Open-Source-Lösungen auch Kosten einzusparen. In der Folge erwies sich der Umstieg jedoch als alles andere denn einfach. Spezielle Fachanwendungen ließen sich teilweise nicht auf Linux migrieren. Daher konnte auch nicht die komplette Rechnerinfrastruktur umgestellt werden. Heute laufen etwa 15.000 Rechner der Stadtverwaltung mit LiMux, 5000 weitere nach wie vor unter Windows - Tendenz steigend.

Der Mischbetrieb sorgte in den vergangenen Jahren oft für Ärger und Kritik, und auch die erhofften Vorteile stellten sich nur in Teilen ein. Seit die CSU 2014 mit der SPD im Stadtrat regiert, erhöhte sich der Druck auf LiMux. Ein von Oberbürgermeister Dieter Reiter in Auftrag gegebenes Gutachten von Accenture empfahl im Herbst 2016 die Rückkehr zu Windows. Es gelte, "Altlasten in der Infrastruktur zu beseitigen sowie einen leistungsfähigen Windows-Client und die dazugehörigen Basisdienste einzuführen", heißt es darin. Accenture empfahl, die Stadt München solle die "im Markt verbreitete MS Office Suite als Standard" nutzen. Ein zumindest anfangs nötiger Doppelbetrieb von Open-Source- und neuen Windows-Clients soll nach Berechnungen des Beratungshauses rund 18,9 Millionen Euro kosten. Die Accenture-Experten mahnten zudem "punktuelle Verbesserungen beim LiMux-Client" und einen "vollständigen Neuaufbau beim Windows-Client" an. Insgesamt machen die Berater in ihrem Gutachten jedoch sehr deutlich, dass das offene Betriebssystem LiMux keine Zukunft habe.

Böse Zungen behaupteten, die wachsende Linux-Skepsis hänge auch damit zusammen, dass Microsoft seine neue Deutschland-Zentrale im Münchner Norden eingerichtet hat. Der Entschluss des Softwareriesen fiel in die Zeit, als Reiter Wirtschaftsreferent der bayerischen Landeshauptstadt war. Auch die Unabhängigkeit des Accenture-Gutachtens wurde offen in Frage gestellt.

Koalition bezeichnet Umsteig auf Linux als Fehlschlag

Auf der Stadtratssitzung prallten die unterschiedlichen Standpunkte von Windows- und Linux-Befürwortern noch einmal aufeinander. München könne es sich auf Dauer nicht leisten, zweigleisig zu fahren, konstatierte Anne Hübner von der SPD. Sie verwies auf die Diversität bei den Betriebssystemen, wenig benutzerfreundliche Anwendungen sowie daraus resultierenden Kompatibilitätsprobleme. "Der Umstieg auf Linux ist nicht gelungen", lautet das Fazit der Politikerin. "Wir sind in Deutschland die letzten Mohikaner", meinte Hübner mit Blick auf Linux. Andere Behörden hätten diesen Schritt schon längst wieder rückgängig gemacht, beispielsweise das Auswärtige Amt.

Hübners Kollegin Kristina Frank von der CSU mahnte etwas mehr Pragmatismus an und wunderte sich über regelrechte "Glaubenskriege". "Für mich ist es völlig egal, wie das Betriebssystem heißt, und woher es kommt", stellte Frank klar. "Hauptsache es funktioniert." Darüber hinaus verurteilte die CSU-Politikerin Verschwörungstheorien, wonach der Umstieg auf Windows mit dem Umzug von Microsoft nach Münche zusammenhänge, als "absoluten Blödsinn". Hier gehe es um eine richtungweisende Entscheidung für die Zukunft in München.

Opposition spricht von teurem Schildbürgerstreich

Die Opposition kritisierte indes den Beschluss als Schildbürgerstreich, der die Kommune viele Millionen Euro kosten werde. Florian Roth von den Grünen beklagte, dass sämtliche Fakten rund um LiMux außen vor geblieben seien. Zudem gebe keine Abschätzung für den auf die Stadtzukommenden Aufwand: Roth nannte unter anderem Lizenzgebühren für Microsoft-Office, Support-Kosten, interne Aufwände und Hardwareersatz. Der Grünen-Politiker warf zudem die Frage auf, ob eine solche 180-Grad-Wende ohne Ausschreibung oder Preisvergleich im Rahmen des europäischen Vergaberecht überhaupt zulässig sei.

Pirat Thomas Ranft sprach von einem "schlechten Tag für den Datenschutz und die Bürger". Es sei befremdlich, dass die Koalition ihre Entscheidung nicht auf Basis von Fakten, sondern von Emotionen und politischen Interessen getroffen habe. Mit einem gerade einmal zwei Seiten langen Antrag werde "maximaler Schaden" angerichtet, schimpfte die Linke Brigitte Wolf. Mit Windows hätte man heute genau die gleichen Probleme. Wolf sprach von einer "Pippi-Langstrumpf-Politik - ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt".

München bekommt keine IT-Fachleute

Insgesamt machte die Debatte darüber hinaus auch deutlich, dass es im Münchner IT-Betrieb an vielen verschiedenen Stellen Probleme gibt. Diese würden nun vorgeschoben, um LiMux loszuwerden, kritisieren die Befürworter des Open-Source-Sytems. Wolf von den Linken verweist beispielsweise darauf, dass im Kreisverwaltungsreferat der Stadt München immer noch Windows XP eingesetzt werde. Und auch Hübner aus der regierenden SPD-CSU Koalition muss einräumen, dass es außer dem Betriebssystem etliche andere Baustellen gibt. Sie berichtet, dass viele Stellen in der IT nicht besetzt werden können - teilweise 20 bis 30 Prozent in einigen Bereichen. Es gelinge der Stadt nicht, sich als attraktiver Arbeitgeber anzubieten. In der freien Wirtschaft fänden IT-Experten bessere Arbeitsbedingungen und vor allem eine bessere Bezahlung. Die Lücken im eigenen IT-Betrieb müsse die Stadt München durch externe Kräfte schließen - für die laut Hübner Tagessätze von 1500 Euro fällig würden.

Die Geschichte von Linux
Ein Glänzen im Auge
Die Geschichte von Linux beginnt, als der 20-jährige Linus Torvalds, in den frühen 1990er Jahren Informatik-Student an der Universität Helsinki, beginnt, sich für das Betriebssystem Minix zu interessieren. Bereits im Alter von 11 Jahren beginnt Torvalds mit Technik-Experimenten - damals mit Hilfe eines Commodore VIC-20.
Bescheidene Anfänge
Torvalds Interesse an Minix geht scheinbar mit Frustration über das Lizenzmodell einher, was den Studenten dazu bringt, sein eigenes Betriebssystem zu entwerfen. An diesem Tag im August 1991 verfasst Torvalds diese, heute legendäre E-Mail, mit der alles beginnt. Die daraus entstandene Diskussion kann man heute noch auf Google Groups nachlesen.
Erste Major-Distribution?
Zwar ist sie nicht die allererste Linux-Distribution, dafür aber die erste, die eine große Verbreitung findet. Das Softlanding Linux System (SLS) kommt im Mai 1992 auf den Markt. Der Werbeslogan: "Gentle Touchdowns for DOS Bailouts". Heute gilt SLS als Vorläufer von Slackware.
Die Geburt von Slackware
Patrick Volkerding (im Bild ca. 1994), ein Student an der Minnesota State University Moorhead, hilft seinem Professor bei der Installation von SLS. Daraus entsteht die derzeit älteste, aktive Linux-Distribution Slackware. Die wird auch heute noch von Volkerding gepflegt.
Red Hat kommt
Red Hat ist heutzutage wohl der bekannteste Name im Zusammenhang mit Linux - zumindest was die Enterprise-Welt angeht. Die erste Linux-Distribution von Red Hat erscheint 1994 - auf CD-ROM. Das Firmenlogo entstammt übrigens der Angewohnheit des Red-Hat-Linux-Verantwortlichen Marc Ewing, während seiner Studentenzeit den roten Hut seines Großvaters zu tragen.
"Linux ist ein Krebs"
Linux legt in den frühen Jahren kontinuierlich an Popularität zu. Die steigende Unzufriedenheit über diese Entwicklung bewegt den damaligen Microsoft-CEO Steve Ballmer zu folgender Aussage: "Linux bleibt wie ein Krebs an jeglichem geistigen Eigentum hängen, mit dem es in Berührung kommt." Es ist der offizielle Beweis dafür, dass die Open-Source-Software den etablierten Playern ein wenig mehr als nur sauer aufstößt.
Die Welle des Erfolgs
Im Jahr 2001 bringt das Schweizer Unternehmen Rösch ein neues Waschmittel namens Linux auf den Markt. Das Produkt ist bis heute im Verkauf, denn Linus Torvalds ist zwar in Besitz der Markenrechte für den Namen Linux, allerdings nur in Zusammenhang mit Computer-Software.
Enter the Big Game
Heutzutage sieht man kaum noch TV-Werbung für Linux. Im Jahr 2003 aber kreiert IBM einen 90-sekündigen Super-Bowl-Werbespot für die Open-Source-Software. Slogan: "The future is open".
Groß und professionell
Eigentlich hatte Torvalds nicht damit geplant, dass aus seinem Hobby-Betriebssystem einmal etwas wirklich Großes und Professionelles wird. Doch genau das passiert. Im Jahr 2005 schafft es Torvalds sogar auf das Cover der renommierten "Business Week": Der zugehörige Artikel beschäftigt sich mit der Linux-Erfolgsstory.
Eine Milliarde Dollar
Erfolg kann auf vielen Wegen gemessen werden, aber Zahlen unter dem Strich können nur schwer angefochten werden. Im Jahr 2012 ist Red Hat das erste Open-Source-Unternehmen, das mehr als eine Milliarde Dollar einnimmt.
Microsoft liebt Linux?
Was in einer Dekade so alles passieren kann: Im Jahr 2001 noch ein Krebsgeschwür, erklärt der Windows-Riese im Jahr 2014 öffentlich seine Liebe zu Open-Source-Software. Microsoft-CEO Satya Nadella gibt die neue Richtung erstmals bei einem Event im Oktober 2014 vor und wird nicht müde, diese immer und immer wieder zu wiederholen.
Qual der Wahl
Auch wenn Linux und Microsoft inzwischen so etwas wie "Freunde" sind: Viele User legen Wert auf Wahlmöglichkeiten. Und die bekommen sie in der Linux-Welt zur Genüge. Inzwischen gibt es für so gut wie jeden Geschmack die passende Linux-Distribution und -Plattform.
Linux-getriebene Welt
Dass Linux in Teilen unsere Tech-Welt dominiert, ist nicht zu verleugnen: 95 Prozent der Server der Top-Domains laufen mit Linux, die meisten Finanzmärkte der Welt ebenso. Achja: 98 Prozent der 500 schnellsten Supercomputer setzen ebenfalls auf die Open-Source-Software und für 75 Prozent der Unternehmen, die den Schritt in die Cloud gewagt haben, ist Linux das Betriebssystem der Wahl.

Diese strukturellen Probleme will die Stadt durch eine neue Organisation lösen. Demnach soll es künftig ein zentrales IT-Referat mit angeschlossenen GmbHs für den IT-Betrieb geben. Damit stehe man indes noch ganz am Anfang, räumte Hübner von der SPD ein. Viele Fragen seien noch nicht gelöst. Das moniert auch die Opposition. Mit dem IT-Referenten hätten der Oberbürgermeister und sein Stellvertreter zumindest jemanden, dem man immer die Schuld in die Schuhe schieben könne, wenn etwas schief gehe, ätzt Linken-Politikerin Wolf. "Ich nenne das Feigheit vor der IT."

Gibt es Microsoft in fünf Jahren noch?

Tatsächlich ist mehr fraglich, ob die Neuausrichtung des Münchner IT-Betriebs gelingt. Vier Jahre soll die Entwicklung des neuen Windows-Clients dauern - das ist alles andere als "agile". Dass die technische Basis, auf der man heute beginnt, dann auch schon wieder veraltet sein wird, müsste den Verantwortlichen eigentlich klar sein. Die Tatsache, dass IT heute ein schnelllebiges Geschäft mit rasanten Änderungen ist, scheinen die Politiker im Münchner Stadtrat zumindest zu ahnen - welche Konsequenzen das für die eigene IT haben müsste, darüber herrscht aber offenbar Ratlosigkeit. "Wissen wir denn, ob es Microsoft in fünf Jahren noch gibt?", fragte Hübner in der Sitzung Mitte Februar unter dem Gelächter ihrer Stadtratskollegen und -kolleginnen.