SBS schöpft Hoffnung

22.03.2005 von Joachim Hackmann
Der Siemens-Beschluss, die IT komplett an die eigene Tochter Siemens Business Services (SBS) auszulagern, beschert dem Münchner IT-Dienstleister einen warmen Regen: SBS hofft auf einige hundert Millionen Euro Mehreinnahmen pro Jahr.

Hier lesen Sie ...

  • warum Siemens die komplette IT an SBS auslagert;

  • welche Auswirkungen dies auf SBS haben wird;

  • wie SBS auf die Probleme in einzelnen Geschäftsfeldern reagiert;

  • wie sich die Übernahme von RAG Informatik auswirkt.

Anfang März hatte der Siemens-Konzern angekündigt, die IT- und Netzinfrastruktur aller zwölf Konzernbereiche weltweit künftig von SBS zu betreiben lassen. Auf der CeBIT zeigte sich das oberste SBS-Management hoch erfreut über diese Entscheidung: "Das ist ein starkes Signal für uns", sagte Deutschland-Chef Ulrich Assmann. "Es zeigt, dass die Konzernführung Vertrauen in die professionelle Arbeit des hausinternen IT-Dienstleisters hat." Die beiden ersten Projekte haben bereits begonnen. Ist die gesamte Siemens-IT erst einmal übernommen, werde sich der Umsatz von SBS durch diesen Beschluss um mehrere hundert Millionen Euro jährlich verbessern, hofft Assmann.

Die vom Siemens-Vorstand geforderte Marge von vier bis sechs Prozent hat SBS bislang nicht erreicht.

Zurzeit erwirtschaftet SBS rund 23 Prozent seiner weltweiten Einnahmen, also mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr, mit Services für Siemens. Umgekehrt gibt der Elektrokonzern weniger als die Hälfte seines gesamten IT-Budgets für Dienste von SBS aus - das ist zu wenig, meint Assmann: "Die Wettbewerber unter den IT-Ausgründungen machen einen erheblichen Anteil ihres Geschäfts im Konzernumfeld, wohingegen SBS stark im externen Geschäft ist und nur einen geringen Umsatzanteil mit der Muttergesellschaft erzielt."

Siemens hat nun mit SBS einen bevorzugten Provider. Damit läuft der Konzern Gefahr, für IT-Leistungen mehr als den marktüblichen Standard zu zahlen, weil künftig das wichtige Benchmark-Instrument der Ausschreibung fehlt: Kaum ein externer Dienstleister wird sich noch der mitunter aufwändigen und teuren Leistungsschau bei Siemens unterziehen, wenn SBS bereits als Gewinner eines anstehenden Servicevertrages feststeht. Assmann beruhigt: "Siemens hat eine starke CIO-Organisation, die die Leistungen genau begutachten wird. Wir müssen weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preise liefern."

Für Standarddienste dürfte die Einkaufsorganisation Preise vergleichen können, schwerer fällt dies für individuelle, unternehmensspezifische Aufgaben. Zudem konnten die einzelnen Siemens-Geschäftsbereiche auch bisher schon SBS beauftragen - es gab ja keine Ausschlussklausel für den internen Dienstleister. Nichtsdestotrotz wählten viele Konzernbereiche einen externen Anbieter, vermutlich weil SBS entweder zu teuer war oder nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügte. Beide Argumente haben auch nach dem Siemens-Beschluss nicht an Gültigkeit verloren.

Assmann beurteilt die neue Marschrichtung der Mutter gegenüber SBS jedoch anders: "Früher gab es eine Zentralabteilung. Dann wurde die Verantwortung in die Einheiten verlagert. Jetzt verfolgt Siemens, den Gedanken, bestimmte Aufgaben in unternehmensweiten Shared Service Centers zu erbringen. Dazu zählen etwa Einkaufs-, Personal- und IT-Dienste. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich eine CIO-Organisation herausgebildet, die das professionell verantwortet." Als Beleg nennt er die enormen Standardisierungsanstrengungen des Konzerns, etwa im Umfeld der SAP-Landschaft.

SBS-Zentrale in München

Der Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit der von SBS erbrachten Leistungen bleibt weiterhin das externe Geschäft, nur dort muss sich die Siemens-Tochter der Konkurrenz stellen. In den vergangenen Krisenjahren hat sich gezeigt, dass der Münchner IT-Dienstleister im Massengeschäft den Anschluss verloren hat und dem enormen Preisdruck nicht mehr standhalten konnte. Aus diesem Grund veräußerte SBS Anfang März seine Hardware-Maintenance-Tochter Sinitec an A&O Systems & Services: Mit PC-Services ist für SBS kein Geld mehr zu verdienen.

Und Sinitec ist nur der Anfang, denn von den vier SBS-Geschäftsbereichen Solution Business (Lösungsgeschäft, Systemintegration, SAP-Beratung), Operation Related Services (IT-Outsourcing), Business Process Outsourcing (Auslagerungsdienste für Geschäftsprozesse) sowie Product Related Services bereitet vor allem letzteres Segment Sorge. Dort werden produktnahe Wartungs- und Betreuungsdienste geleistet, und dort zieht sich SBS aus dem Massengeschäft zurück. "Wir integrieren in das Geschäft mit Hardware-Rollout oder Reparatur verstärkt Partner mit anderen Kostenstrukturen", erläutert Assmann. "In diesen Feldern sind die Stundensätze auf ein Niveau gesunken, dem wir in der bisherigen Aufstellung nicht profitabel entsprechen können."

Künftig will sich SBS in diesem Geschäftsbereich auf das Management von Servicepaketen konzentrieren, etwa auf das PC-Lifecycle-Management (Anschaffung, Installation, Betrieb, Ersatz und Entsorgung von PCs). Benötigt SBS dafür entsprechende Wartungsleistungen, kauft man sie im Bedarfsfall von externen Dienstleistern á la Sinitec ein. Der Outsourcing-Spezialist verkürzt die eigene Wertschöpfungskette. Ganz aussteigen möchte man nicht: "Bei Product Related Services konzentrieren wir die eigenen Ressourcen künftig stärker auf höherwertige Bereiche wie etwa Server-Konsolidierung oder Security." Gerüchten, Siemens plane die Integration des Problemsegments der produktnahen Services in die Hardwaretochter Fujitsu-Siemens, tritt Assmann entgegen: "Dieser Bereich ist anbieterunabhängig aufgestellt."

Im Outsourcing-Geschäft konnte SBS jüngst einige bemerkenswerte Erfolge verzeichnen, etwa einen Auftrag der britischen Rundfunkanstalt BBC. Einen Meilenstein im deutschen Auslagerungsgeschäft stellt die Übernahme der RAG Informatik samt Outsourcing-Auftrag des Essener Energie- und Chemiekonzerns RAG vom Dezember vergangenen Jahres dar. In den kommenden sieben Jahren wird SBS Betriebsdienste im Wert von rund 500 Millionen Euro erbringen. Der Vertrag birgt laut Assmann Potenzial für eine weitaus höhere Summe: "Die RAG Informatik hat nur etwa ein Drittel aller Services geliefert, die der Konzern für den Betrieb benötigt. Viele geforderte Services konnte RAG Informatik nicht leisten. SBS kann das", zeigt sich der Deutschland-Chef zuversichtlich. Ein von RAG Informatik unbestelltes Feld ist auch der Chemiekonzern Degussa, der seit Mitte 2004 mehrheitlich zur RAG gehört. Der Weg in die Degussa-IT führt allerdings nur über den hauseigenen IT-Dienstleister Its.on.

Die RAG Informatik, die vor der Übernahme eigenen Angaben zufolge etwa 20 Prozent der Einnahmen im externen Markt erzielte, firmiert seit Ende Februar unter dem Namen Service for Business IT Ruhr GmbH (SBI Ruhr). Außer der Bezeichnung bleibt beim IT-Dienstleister jedoch vieles beim Alten: Vornehmlich kümmert sich SBI Ruhr um den wichtigsten Kunden RAG. Des Weiteren wird SBI Ruhr wie gehabt im nordrhein-westfälischen Mittelstandsgeschäft Flagge zeigen. Damit verzichtet SBS darauf, dem IBM-Vorbild zu folgen. Big Blue hatte im November 2002 die Rheinmetall Informationssysteme GmbH (RIS) übernommen und darauf aufbauend die IBM Mittelstand Systeme GmbH (IMS) entwickelt.

Mit der Übernahme von RAG Informatik begrüßt SBS rund 800 neue Mitarbeiter von RAG am Haupteingang und schickt durch die Hintertür 950 der rund 15 000 deutschen SBS-Angestellten nach Hause. Gehen müssen auf jeden Fall diejenigen Mitarbeiter aus dem Competence Exchange Center (CEC), die ohne Arbeit sind. Insgesamt hatte SBS 400 Kollegen ins CEC verschoben, deren Fähigkeiten und Kompetenzen im Projektgeschäft nicht mehr angefordert werden. 170 konnten so geschult und weitergebildet werden, dass sie wieder in Lohn und Brot stehen. Für die übrigen 230 Mitarbeit besteht keine Hoffnung auf Weiterbeschäftigung bei SBS.

Wohin steuert SBS?

Über Siemens und SBS rätselt die Branche: Welches Ziel verfolgt der Konzern mit seiner IT-Tochter? Ein baldiger Verkauf erscheint ebenso möglich wie eine gestärkte Rolle als konzerninterner IT-Dienstleister. Dadurch, dass Siemens künftig die komplette IT an die eigene Tochter auslagert, gewinnt SBS für potenzielle Käufer an Attraktivität. Auch HP und Atos Origin haben die IT-Ausgründungen Triaton beziehungsweise Itellium nur aufgrund der riesigen Outsourcing-Aufträge mit den Konzernmüttern Thyssen-Krupp und Karstadt-Quelle gekauft. Angeblich haben Atos Origin und CSC bei Siemens bereits angeklopft. Andererseits gewinnt SBS selbst derzeit viele große Auslagerungsverträge außerhalb des Siemens-Konzerns, etwa mit der britischen Rundfunkanstalt BBC oder dem RAG-Konzern. Für potenzielle Käufer wird die Integrationsaufgabe damit komplexer, außerdem dürfte der Preis steigen. Gegen die Verkaufsoption spricht auch die Expansion von SBS in Osteuropa. Dort verleibt sich der Münchner IT-Dienstleister mit dem Segen der Mutter kleine Servicefirmen ein, um sich ein zukunftsträchtiges Standbein zu schaffen.

Siemens-Auftrag, Portfolio-Bereinigung und Entlassungen - alles ordnet sich dem Ziel unter, endlich die vom Konzernvorstand seit Jahren geforderte Marge von fünf bis sechs Prozent zu erreichen. Die Spekulationen, Siemens wolle SBS verkaufen, sind auch nach der aktuellen Entwicklung nicht verstummt. "Sie schmücken die Braut ", kommentierte etwa Ovum-Analystin Katharina Grimme: Siemens mache seine IT-Dienstleister hübsch für die Veräußerung.