Sapient

Sapient: Auferstanden aus Ruinen

13.10.2005 von Hermann Gfaller
Der IT-Dienstleister Sapient hat eine schlimme Krise durchlitten. Überstanden hat er sie dank einer außergewöhnlichen Firmenkultur.

Wenn man etwas über Sapient sagen kann, dann dies: Das Unternehmen hat wahrhaft bewegte Zeiten hinter sich. Es gehörte mit seinen Internet-Projekten zu den Lieblingen der New Economy und stürzte mit ihr ins Bodenlose. Mehrere Entlassungswellen halbierten die Mitarbeiterzahl. Inzwischen macht die Firma wieder Gewinn und gehört in Deutschland zu den fünfzig beliebtesten Arbeitgebern. Die Harvard Business School hat Sapient als Musterbeispiel für Firmenkultur in den Lehrplan aufgenommen.

Asien mit Sonderrolle

Sapient ist ein amerikanischer IT-Dienstleister mit Niederlassungen in Kanada, Großbritannien, Deutschland und Indien. Die Filialen in dem asiatischen Land spielen insofern eine Sonderrolle, als hier Gruppen von Fachleuten fest an die europäischen und amerikanischen Töchter gebunden sind. So werden die 100 deutschen Sapient-Mitarbeiter von 220 Kollegen in Neu-Delhi und Bangalore unterstützt. Erklärtes Ziel der beiden Unternehmensgründer Jerry Greenberg und Stuart Moore ist es, nicht nur die Kundenwünsche zu erfüllen, sondern diese nach Geschäftsproblemen zu hinterfragen, die sich mit Hilfe aktueller Technologie lösen lassen. So sprang das Unternehmen sehr früh auf den Client-Server-Zug auf und begann schon Mitte der 90er Jahre, das Potenzial des Internets auszuschöpfen. Mit strategischen Partnern wie IBM, Microsoft und Oracle entwickelt der Dienstleister heute sowohl Open-Source- und Java-Techniken als auch für .NET-Umgebungen. Im Markt der Dienstleister sieht sich Sapient gern als Großer unter den Kleinen: Der Service-Provider spielt nicht in der gleichen Liga wie Accenture oder T-Systems. Sapient-Projekte kosten zwischen einer und vier Millionen Euro.

Der Konzernumsatz lag 2004 bei 253 Millionen Dollar, wovon knapp die Hälfte außerhalb der USA und 26 Millionen Euro in Deutschland erwirtschaftet wurden. Der Dienstleister bedient das gesamte Spektrum von Beratung und Entwicklung über Implementierung bis Betrieb (Outsourcing) und Support. Dabei zielt das Unternehmen auf die Global-2000-Konzerne, die es mit Branchen-Know-how in den Bereichen Energiewirtschaft, Telekommunikation, Automotive/Reisebranche und Finanzdienstleistung umwirbt. Der in den USA etablierte Bereich Finanzdienstleistung befindet sich hier zu Lande erst im Aufbau. Zu den Kunden zählen VW, Unilever, Deutsche Telekom, der WDR, Bertelsmann, Essent (niederländischer Gasversorger), die Deutsche Bank, Novartis, die Star Alliance oder das Reiseportal Opodo.

Hat sich die Branchenorientierung erst mit der Zeit herauskristallisiert, so lockte das Unternehmen die Kunden von Anfang an mit Festpreisen und fixen Projektterminen. Hinter diesem für Sapient riskanten Angebot steckt ein ausgefeiltes und straffes Risiko- und Projekt-Management sowie ein Konzept, das benötigtes Know-how aus allen Teilen der Welt zum Kunden bringt. Indien spielt hierbei eine zentrale Rolle, nicht nur bei der Senkung der Projektkosten.

Als Greenberg und Moore vor knapp 15 Jahren Sapient gründeten, war das Internet noch kein Thema. Die Partner schwammen erfolgreich auf der damals neuen Client-Server-Welle und rutschten eher per Zufall in das Internet-Geschäft. Ein Großkunde buchte 1994 bei Sapient einen Kurs, um zu erfahren, wie man diese neue Technik für das eigene Geschäft nutzen könne.

Überwindung der Dotcom-Krise

Der Erfolg der eilig zusammengeschusterten Schulung: Die relativ ahnungslosen Dienstleister fingen selbst Feuer und wurden über Nacht gefragte Internet-Berater. In den Folgejahren stieg der Umsatzanteil der Web-Projekte auf über 70 Prozent. Der Börsenkurs explodierte von rund sieben Dollar auf 76 Dollar im Spitzenjahr 2000. Anders als bei anderen New-Economy-Stars wuchs aber auch der Umsatz auf 503,3 Millionen Dollar, und das bei einem unter dem Strich positiven Ergebnis. Dan platzte die Blase, der Kurs stürzte unter einen Dollar, die Kunden legten ihre Internet-Projekte auf Eis, und Sapient musste in mehreren Wellen knapp die Hälfte der über 3300 Mitarbeiter entlassen.

Managements Gehaltsverzicht

Auf die Frage, wie es gelungen ist, die Dotcom-Krise zu überwinden, verweist Christian Oversohl, Vice President und Geschäftsführer Deutschland, vor allem auf die Unternehmenskultur. So ging das hiesige Management mit gutem Beispiel voran und verzichtete auf 20 Prozent seines Gehalts, die Belegschaft zog mit fünf bis zehn Prozent Lohnverzicht mit. Wichtiger war Oversohls Meinung nach die Fähigkeit aller Mitarbeiter, offen über Probleme und Möglichkeiten miteinander zu sprechen. Auf diese Weise registrierte das Management nicht nur rasch, dass Web-Projekte out waren und viele Kunden sich die bisherigen Preise nicht mehr leisten konnten oder wollten. Es erkannte auch bald die Chance, die darin lag, dass - angesichts des zusammengebrochenen US-Markts - der Auslandsanteil am Geschäft sprunghaft anstieg.

Schon 2002, im Jahr eins nach dem Platzen der Dotcom-Blase, lief die Reorganisation auf Hochtouren. Im Zentrum der neuen Globalisierungs- und Kostensenkungsstrategie stand Indien. Schon in Boomzeiten hatte man dort wegen Fachkräftemangels Mitarbeiter angeworben. Nun wurde mit den in guten Zeiten erwirtschafteten Millionen eine Entwicklungsniederlassung in Neu-Delhi aufgebaut. Dabei ging es nie um stumpfe Programmiertätigkeit, sondern um anspruchsvolle Hightech- Entwicklung für große europäische und amerikanische Konzerne. Auf diese Weise konnte Sapient seine Preise um 30 bis 50 Prozent senken. Außerdem entwickelten sich die indischen Niederlassungen zu einer Drehscheibe für das, was Sapient Global Distributed Delivery (GDD) nennt. Das Konzept ist einfach. Die Sapient- Töchter in den USA, Großbritannien, Kanada, Deutschland und Indien unterstützen sich gegenseitig mit Know-how und Entwicklungsressourcen. Dabei nimmt Indien eine zentrale Rolle ein, weil die dortigen rund 1200 Mitarbeiter den jeweiligen Länderorganisationen zugeordnet sind. So stehen den rund 100 deutschen Sapient- Mitarbeitern 220 indische Kollegen zur Seite.

Muster an Firmenkultur

Die Fähigkeit des Unternehmens, sich in der Krise neu auszurichten, hat viel mit der Firmenkultur zu tun, für die die Gründer schon recht früh die entscheidenden Weichen stellten. Fraglich ist allerdings, ob diese Entscheidungen den vom lateinischen Wort für Weisheit (sapientia) abgeleiteten Firmennamen rechtfertigen. Eher auf Glück deutet die Interpretation von Chief Operating Officer Sheeroy Desai hin, wonach das Unternehmen gerade reich genug gewesen sei, um den Rückschlag überstehen, aber noch klein genug, um die tief greifenden Veränderung durchsetzen zu können. Auch war es eher ein günstiger Umstand, dass die Gründer sich nie von Wagniskapital abhängig machen mussten und so bei der Neuorientierung freie Hand hatten.

Die meisten Werte drehen sich um die Mitarbeiter. Eingestellt werden nur Hochschulabgänger, die nicht nur auf dem Stand der Technik, sondern auch in der Lage sind, mit Nichttechnikern zu kommunizieren und zu verhandeln. Jeder erhält einen Karriereberater, der in der Regel zwei Hierarchiestufen über ihm angesiedelt ist und ihm unabhängig vom Projektvorgesetzten zur Seite steht. Für Beförderungen allerdings braucht ein Sapient-Mitarbeiter gute Bewertungen von Vorgesetzten, Kollegen und Untergebenen. Stolz ist Oversohl darauf, dass er alle seine hundert Mitarbeiter in München und Düsseldorf persönlich kennt und sich von ihnen durchaus auch Kritik gefallen lässt. Darf man ihm glauben? Moore und Greenberg zumindest behaupten, dass niemand wegen eines schief gelaufenen Projekts gefeuert werde, sondern nur, wenn Fehlentwicklungen verschwiegen würden. Sie mäßen den Erfolg eines Projekts nicht nur am Geld. Offenheit, so die Leitlinie, schafft Vertrauen untereinander, aber auch beim Kunden. Einen Betriebsrat gibt es im Unternehmen nicht.

Inzwischen macht sich bei Sapient wieder Aufbruchsstimmung breit. Die Lohnkürzungen sind ausgeglichen worden, und neue Projekte stehen an. Oversohl berichtet, dass er Leute einstellt, um den Bereich Finanzdienstleistungen aufzubauen. Die Know-how-Träger in den USA stehen schon bereit. Auch eine Ausweitung seiner Tätigkeit nach Mittel- und Osteuropa ist geplant.

Zukunftsstrategien

Darüber hinaus wirbt er dafür, Outsourcing anders als bislang, nämlich als „Managed Wettbewerb“, zu organisieren. Tatsächlich reagiert Sapient damit auf einen aktuellen Trend. Den Unternehmen wächst die Koordinierung ihrer vielen Dienstleister langsam über den Kopf. Die Großen der Dienstleistungsbranche reagieren darauf mit dem Angebot einer Generalunternehmerschaft. Oversohl hält es jedoch für vorteilhafter, mit einer kleinen Gruppe von IT-Service-Providern längerfristige Verträge abzuschließen, die miteinander im Wettbewerb bleiben, aber auch gemeinsame Zielvorgaben erhalten. Auf diese Weise soll einerseits sicher gestellt werden, dass die Dienstleister auch nach Auftragserteilung aktiv bleiben, gleichzeitig aber im Sinne des Kunden kooperieren. Finden sie Synergien, dann lassen sich die Kosten für sie und das Anwenderunternehmen senken. Für den Dienstleister hat dieses Modell den Vorteil eines langfristig gesicherten Einkommens.

* Der Autor HERMANN GFALLER ist freier Journalist in München. [hgfaller@arcor.de]