SAP trimmt Kunden auf ESA-Kurs

31.05.2006
Für SAP geht es im Endspurt zur Enterprise Services Architecture (ESA) darum, die Anwender auf die eigene Seite zu ziehen. Doch dafür gilt es, noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. Zudem versuchen Konkurrenten wie Oracle, den Walldorfern immer wieder Steine in den Weg zu legen.

Das Störfeuer begann bereits am Flughafen. Besuchern von SAPs Kundenveranstaltung Sapphire in Paris leuchteten meterhohe Transparente des Wettbewerbers Oracle entgegen. "Neun der zehn Top-Automobilhersteller nutzen Oracle-Applikationen", hieß es dort, und "Zehn der zehn am profitabelsten Telkos setzen auf Oracle-Anwendungen". So ging es munter weiter mit den Anspielungen auf SAPs Motto "The best-run businesses run SAP". Der US-amerikanische Softwarekonzern aus Redwood Shores ließ kaum eine Branche aus, in der angeblich die Top-Anwender für die eigenen Produkte gewonnen seien.

Der SAP-Vorstandsvorsitzende Henning Kagermann hatte die Aktion entweder nicht bemerkt oder er ließ sich davon in keinster Weise beeinflussen. Jedenfalls würdigte er den lästigen Konkurrenten in seiner Keynote mit keiner Silbe. Allerdings rückte auch der SAP-Chef den Kunden in den Blickpunkt. SAP habe in den vergangenen Monaten mit vielen Firmenverantwortlichen gesprochen, um zu erfahren, was diese bei der Entwicklung des eigenen Geschäfts umtreibt. Beruhigendes Ergebnis aus SAP-Sicht: IT werde mehr und mehr strategisch verstanden. Die Anwender sähen mittlerweile ein, dass sie ihr Geschäft auf eine innovativere und flexiblere Basis stellen müssten.

Glaubt man dem SAP-Chef, sind damit die gebetsmühlenartig vorgetragenen Predigten der zurückliegenden Jahre auf fruchtbaren Boden gefallen. Seit nunmehr drei Jahren bemüht sich der badische Softwarekonzern seine Klientel von den Vorzügen der Enterprise Service Architecture (ESA) zu überzeugen, der SAP-eigenen Ausprägung einer Service-orientierten Architektur (SOA). So auch wieder in Paris. Vor rund 8000 Zuhörern, die aus über 70 Ländern angereist waren, breitete Kagermann in Halle 1 des Pariser Expo-Geländes zum wiederholten Male seine Vision von der schönen neuen Softwarewelt der Zukunft aus.

Nach der Aufspaltung der monolithischen Softwareblöcke der Vergangenheit sollen Anwender künftig in der Lage sein, mit Hilfe der Business Process Platform (BPP) einzelne Softwareservices zu nutzen und damit ihre individuellen Abläufe im Unternehmen abzubilden, führt der SAP-Chef aus. So kämen die Anwender in den Genuss spürbarer Vorteile: Softwareeinführungen gelängen fünfmal schneller, die Produktivität lasse sich verdoppeln, die Total Cost of Ownership (TCO) halbieren und Veränderungen um den Faktor zehn beschleunigen, verspricht Kagermann.

Dafür müssen die Kunden jedoch eine Mysap-Lizenz kaufen. Kagermann verweist auf das aktuelle Release "Mysap ERP 2005", das seinen Worten nach das erste voll Service-fähige Produkt auf dem Markt ist. Eine Migration von R/3 auf Mysap sei weniger aufwändig als ein Umstieg zwischen zwei R/3-Versionen, versucht der SAP-Chef seine Kunden zu beruhigen. Selbst größere Unternehmen könnten das Upgrade binnen 45 Tagen über die Bühne bringen.

Marktbeobachtern zufolge haben viele Anwenderunternehmen in der Vergangenheit zwar Mysap-Verträge unterzeichnet, vor allem um die jährlich geringer werdenden Anrechnungen SAPs auf die Alt-Systeme in Anspruch nehmen zu können. Produktiv eingesetzt haben die neue Software dagegen die wenigsten (siehe auch: SAP bringt den ESA-Zug nicht ins Rollen).

Für SAP wird es daher im Endspurt mit ESA oberste Priorität haben, die Kunden von den Vorteilen der neuen Architektur zu überzeugen. 2007 soll die ESA-Entwicklung termingerecht abgeschlossen werden. Dann werde erst einmal nichts neues mehr kommen, verspricht Kagermann. "Nach 2007 geht es darum, das volle Potenzial von SOA auszureizen", gibt Kagermann die Marschrichtung vor. Aus Analystensicht bedeutet diese Aussage eine Beruhigung der Kunden. SAP-Anwender könnten sich in Ruhe mit ESA beschäftigen, ohne weitere tief greifende Veränderungen in absehbarer Zeit befürchten zu müssen.

Um über den Abschluss der ESA-Strategie hinaus das von der Börse geforderte Wachstum zu sichern, verfolgt SAP verschiedene Ansätze. So soll beispielsweise das Mittelstandsgeschäft weiter ausgebaut werden. Bis 2010 will SAP seine Kundenzahl von derzeit etwa 35 000 auf 100 000 hieven. Der Großteil davon soll aus dem Mittelstand kommen.

Die mittelständische Klientel favorisiere Lösungen out of the Box, erläutert der SAP-Chef. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, planen die Walldorfer ihr Branchenprofil weiter zu schärfen. Zu den 26 existierenden Industrielösungen sollen im Laufe des Jahres bis zu 80 weitere hinzukommen, kündigte SAP-Vorstand Leo Apotheker an. Die Entwicklung forcieren sollen sechs weltweit verteilte Solution Center. Zudem würden Partner so genannte "Micro Verticals" entwickeln, um die Industrielösungen für die spezifischen belange einzelner Branchen oder Unternehmen anzupassen. Die SAP-Verantwortlichen gehen von bis zu 1000 Micro Verticals aus.

Neben den erweiterten Märkten will SAP auch in Reihen der Bestandskunden mehr Anwender auf seine Seite ziehen. Im Visier haben die Walldorfer dabei den Information Worker. In erster Linie soll dessen Produktivität verbessert werden, kündigte Kagermann an. Dabei helfen sollen zusätzliche Analysefunktionen sowie eine größere Auswahl an User-Interfaces. Mit dem gemeinsam mit Microsoft vor einem Jahr gestarteten Vorhaben "Mendocino", dessen erste Früchte noch im Juni unter dem Namen "Duet" auf den Markt kommen sollen, sowie dem kürzlich vorgestellten "Project Muse" räumen die SAP-Verantwortlichen der Entwicklung verbesserter Benutzerschnittstellen oberste Priorität ein (siehe auch: SAP und Microsoft spielen im Duet und Mit Project Muse will SAP benutzerfreundlicher werden).

Die Chancen für SAP, vor allem mit Duet neue Benutzerschichten zu erschließen, stehen nicht schlecht, glauben Analysten wie Christian Glas von Pierre Audoin Consultants (PAC) und Nils Niehörster, Geschäftsführer von Raad Consult. Allerdings mahnen die Marktbeobachter zugleich ein modifiziertes Preismodell an. Nutzer, die nur gelegentlich via Microsofts Office-Applikationen auf das SAP-Backend zugriffen, fänden sich bislang nicht in SAPs Preislisten wider.

Doch mit den Preismodellen tut sich SAP offenbar schwer. Obwohl Duet bereits im kommenden Monat auf den Markt kommen soll, hat sich SAP bislang noch nicht zu einer offiziellen Aussage zum Pricing durchringen können. Seitens Microsoft und aus den Reihen SAPs sickerten Aussagen über Beträge von 100 Euro beziehungsweise 125 Dollar pro User durch. Was der Zugriff auf das dahinter liegende SAP-Backend kosten soll, ist noch nicht bekannt. SAP lasse sich Zeit, resümiert Niehörster. Das müsse jedoch kein schlechtes Zeichen für die Kunden sein.

SAP will sich allem Anschein nach nicht in seinem Kurs irritieren lassen. Kagermann betonte, SAP werde keine Kunden kaufen, wie mancher Wettbewerber. Vielmehr dienten Übernahmen dazu, das eigene Portfolio zu ergänzen. Auch den kürzlich wieder aufgeflammten Fusionsgerüchten, die SAP-Mitbegründer Hasso Plattner entzündet hatte, erteilte der studierte Physiker eine klare Absage (siehe auch: Plattner hält SAP-Fusion für denkbar). "Es gibt keinen Anlass für Fusionsverhandlungen. Aktionäre und Kunden wollen ein unabhängiges SAP." Und zuletzt sorgten die SAP-Verantwortlichen auch dafür, dass Oracles Störfeuer nicht zu nah kommt. Auf allen verfügbaren Werbeflächen der der Sapphire am nächsten gelegenen Metrostation Porte de Versailles prangten die eigenen Werbeplakaten. (ba)