"SAP-Produkte sind zu komplex"

19.10.2005 von Frank Niemann
Anwender wollen günstigere und leicht implementierbare SAP-Lösungen, so zeigte sich auf der Jahrestagung des Anwendervereins DSAG. Gartner übte Kritik an der Produktstrategie der Walldorfer.

Hier lesen Sie…

  • was die Anwendervereinigung DSAG von SAP fordert;

  • warum sich mittelständische Kunden benachteiligt fühlen;

  • Lob und Tadel für SAPs Web-Services-Strategie.

Alfons Wahlers fordert Anwender auf, innovativ zu sein. Von SAP erwartet der DSAG-Sprecher besser an den Mittelstand angepasste Produkte und Preise.

Die Infrastrukturplattform "Netweaver" ist der Dreh- und Angelpunkt in SAPs Service-orientierter Produktstrategie. Auf der Grundlage des Produkts entsteht die "Business Process Plattform", die sich auf Netweaver und das "Enterprise Services Repository" stützt. Auf der Jahrestagung der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) in Bremen analysierte Peter Wesche, verantwortlich für das "Executive Program" beim Beratungshaus Gartner, wo die Walldorfer heute in Sachen "Enterprise Services Architeture" (ESA) stehen. Die ESA ist SAPs Implementierung einer Service-oriented Architecture (SOA), die das tradierte Client-Server-Modell ablöst.

Evolution oder Zumutung?

In seinem "ESA - Evolution oder Zumutung" betitelten Vortrag positionierte Wesche SAPs Angebot einer Web-Services-Plattform auf der Ebene der "Marktführer". Dort befänden sich auch Microsoft, IBM, Tibco und Oracle. Viel dazu beigetragen habe der Entschluss des Softwarehauses, mit der "Business Process Platform" die Verschmelzung von Infrastruktur und Applikationen (von SAP-Strategen auch als "Applistructure" bezeichnet) in Angriff zu nehmen. Netweaver sei zwar unter den am Markt befindlichen Produkten der Newcomer, habe aber schon eine beachtliche installierte Basis.

Marktführer sei SAP bei Composite Applications, also Programmen, die sich der Funktionen verschiedener Anwendungen bedienen, um neue Geschäftsprozesse abzuwickeln. Allerdings beurteilt Wesche das "Composite Application Framework", mit dem solche Composites seitens der Kunden oder Partner realisiert werden können, als noch nicht ganz marktreif. Dies gelte auch für die anderen Netweaver-Komponenten "Master Data Management" und Business Process Management.

Am negativsten schätzt Wesche jedoch das "Enterprise Services Repository" ein, jenen Speicher, in dem Web-Services abgelegt werden sollen, mit denen sich neue Geschäftsprozesse modellieren lassen. Hier zeigten sich noch viele Unklarheiten. Es sei nicht ersichtlich, was derzeit an Services vorhanden ist. Ferner fehlten Produkt- oder Versionsbezeichnungen. "Es ist unklar, ob SAP sich hier auf dem richtigen Weg befindet", so der Gartner-Mann. Bisher habe der Hersteller bestenfalls einen Prototypen. Das Repository soll 2007 verfügbar sein.

SAP könnte sich überfordern

Grundsätzlich liege die SAP mit ihrer Business Process Platform richtig. Das Unternehmen müsse jedoch aufpassen, die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht zu übertreiben. "SAP ist kurz davor, sich selbst zu überfordern."

Überfordert hat Wesches Ansicht nach die SAP auch die Kunden. Er kritisierte zudem die Kommunikation mit den Anwendern. Der Hersteller habe ESA und Mysap ERP als Revolution dargestellt, was viel Verwirrung gestiftet habe. Unternehmen waren sich nicht im Klaren, warum sie auf Mysap ERP umsteigen sollten: "Ein Wechsel von R/3 auf Mysap ERP ist nur ein Release-Wechsel." Die Weiterentwicklung des ERP-Systems bezeichnete Wesche als "komplett zerlegtes R/3". Sie soll mit Mysap ERP 2007 vollzogen sein. Dieses Produkt werde den Anwendern vermutlich in der zweiten Jahreshälfte 2008 zur Verfügung stehen.

Vielen Nutzern seien die Vorteile einer Service-orientierten Architektur, wie sie SAP mit ESA entwickelt, bewusst. Ein großer Teil werde jedoch skeptisch bleiben. Die ERP-Kunden dächten heute vielfach noch in Modulen und seien der technischen Beurteilung verhaftet. In Zeiten von SOA sei es jedoch vor allem wichtig, die damit möglichen Verbesserungen des Geschäfts darzustellen. Hierzu komme es darauf an, zwischen den Business-Experten und Plattformspezialisten zu vermitteln. "Das Geschäft muss die Innovation treiben", lautet das nicht mehr ganz unbekannte Mantra des Gartner-Managers.

Wesche gab den Zuhörern mit auf den Weg, mit Nutzenbewertungen und externen Amortisationsaussagen vorsichtig zu sein. Hier werde von Herstellern mitunter mehr versprochen als gehalten. Zudem sollten sie sich genau überlegen, wie sie in die SOA-Technik einsteigen, und unter Umständen auch über alternative Produkte nachdenken. Ferner sollten sich die Anwender bemühen, vor dem Wechsel in die Web-Services-Ära ihre komplexen Systeme zu entschlacken: "Erst die Komplexität senken, dann mehr Freiheitsgrade schaffen."

Angebot an Siebel-Kunden

Die Walldorfer haben ihr Programm "Safe Passage", das bereits für Anwender der Lösungen von Peoplesoft und J.D. Edwards gilt, nun auf Siebel-Kunden ausgeweitet. Der SAP-Konkurrent Oracle hatte die drei Firmen übernommen. Im Gegensatz zur Offerte an die beiden ERP-Spezialisten, die auch die Wartung der Produkte über die SAP-Tochter Tomorrow Now für einen bestimmten Zeitraum umfasst, erstreckt sich das Siebel-Angebot nur auf die Migration auf ein SAP-Produkt. Unternehmen erhalten beim Wechsel auf "Mysap CRM" 75 Prozent ihrer Investition in Siebel-Lizenzen angerechnet. SAP setzt darauf, dass Kunden von Siebel über die Zukunft ihrer CRM-Installation verunsichert sind und auf eine Software von SAP migrieren wollen.

SAP kümmert sich nicht nur um den Umbau der eigenen Software, sondern versucht, verstärkt mit mittelständischen Unternehmen ins Geschäft zu kommen. Allerdings fühlen sich Firmen dieser Größe nicht so bedient, wie sie es gern hätten. Die DSAG verlieh ihren Forderungen nach besser für den Mittelstand tauglichen Softwarelösungen Nachdruck. Im nächsten Jahr will sie eine Mittelstandsinitiative auflegen.

In einem ersten Schritt plant die Vereinigung, ein "Mittelstands-Networking" unter den Anwendern zu installieren. Der thematische Schwerpunkt soll auf dem R/3-Nachfolger "Mysap ERP" liegen. Ziel des Erfahrungsaustauschs sei es, von anderen Anwendern zu lernen, um die Unternehmensprozesse vor dem Hintergrund der technologischen Innovationen zukunftsorientiert ausrichten zu können. Dies gehe zunächst einher mit der Erkenntnis des wirtschaftlichen Nutzens von SAP-Lösungen für den Mittelstand, argumentiert die DSAG. "Wir wollen Firmen und deren Geschäftsführer über neue Organisationsformen informieren, nicht so sehr über die Vorzüge von Mysap ERP und Enterprise Services Architecture", präzisiert der DSAG-Vorsitzende Alfons Wahlers.

Wahlers zufolge haben Firmen mit 100 bis 500 Millionen Euro Jahresumsatz noch große "Effizienzlücken". Diese zu schließen gehe aber nur mit Software, die zur Klientel passt. Durch die Initiative will die Anwendervereinigung erfahren, was der Mittelstand von ERP-Systemen erwartet. "In den heutigen Mittelstandsprodukten der SAP ist die Komplexität der Mysap Business Suite enthalten", kritisiert Wahlers. Was die DSAG laut ihres Vorsitzenden fordert, sind Systeme, die sich einfacher einsetzen, betreiben und implementieren lassen.

Hohe Infrastrukturkosten

Benachteiligt sei der Mittelstand auch beim Outsourcing. Solche Dienstleister müssten für den Betrieb von SAP-Systemen im Kundenauftrag heute dedizierte Rechner bereitstellen, was den Mietanteil, der auf die Infrastruktur entfalle, in die Höhe treibe. Bei Großkunden sei dieser Anteil wesentlich geringer. Abhilfe schaffen könnten Wahlers zufolge bessere Virtualisierungskonzepte, mit denen sich Hardwareressourcen flexibel auf mehrere Kundensysteme verteilen lassen. Auch das Preismodell der SAP sei nicht gerade mittelstandsfreundlich, die Anwendervereinigung wünscht sich hier Entgegenkommen.

Probleme mit dem Preismodell kann Michael Kleinemeier, Geschäftsführer von SAP Deutschland, nicht erkennen. "Der Produktpreis kann es nicht sein. Das sind nur noch drei bis fünf Prozent der gesamten Projektkosten." Seiner Meinung nach hat der Mittelstand Schwierigkeiten, Potenziale, die in den Prozessen lagern, zu heben. "Manche erledigen die Rechnungsprüfung noch immer so wie vor 14 Jahren." Zudem würden die Methoden der Business Intelligence in Firmen dieser Größe nur unzureichend genutzt.

SAP kann sich dem Mittelstand nicht verschließen, weil in Deutschland die Wachstumspotenziale im Großkundengeschäft gering sind: "Wir erwarten hier keine zweistelligen Zuwächse mehr, außer im Mittelstand", sagte Kleinemeier. Generell verlagerten sich die Einnahmen zunehmend in Richtung Infrastruktur. Details wollte der Firmenchef jedoch nicht nennen.