SAP auf Linux - eine Alternative?

10.01.2006 von Stefan  Ueberhorst
Wer seine SAP-Software von proprietären Systemen auf Linux migriert, kann allein im Hardwarebereich viel Geld sparen. Die Realtech GmbH hat Vorteile und Hürden eines Plattformwechsels zusammengestellt.

Kostendruck prägt die Szene in Rechenzentren - eine Situation, der sich auch die Verantwortlichen für SAP-Umgebungen stellen müssen. IT-Leiter fragen sich, wie sie die Systemleistung verbessern, gleichzeitig aber die Betriebskosten reduzieren können. Vom Umstieg auf SAPs "Netweaver" wissen sie, dass damit ein Weg zu mehr Serviceorientierung und zur Abstraktion von Prozessen eingeschlagen wird. Geht es jedoch um Kosten, rückt vielfach die technische Basis der IT-Systeme in Kombination mit Linux ins Visier.

Hier Lesen Sie...

  • Nach mehr als sechs Jahren am Markt hat sich Linux als Backend-Betriebssystem im SAP-Umfeld etabliert - die Phase der "Early Adopters" ist definitiv vorbei.

  • In bestimmten Bereichen kann Linux einen massiven Beitrag zur Kostensenkung in der SAP-IT leisten.

  • Es gibt einen definierten und standardisierten Weg für die Linux-Migration.

Keine Statistik verfügbar

Die Planung und Abwicklung eines Projekts zur Migration von SAP-Systemen nach Linux müssen von einem von SAP zertifizierten Migrationsexperten begleitet werden.

Viele SAP-Kunden machen von der Open-Source-Alternative bereits Gebrauch. Dass es dennoch keine Statistik beziehungsweise exakte Zahlen zu dieser Produktkombination gibt, hat einen einfachen Grund: Unternehmen lassen die zentrale SAP-Instanz beziehungsweise das Transaktionssystem aus Sicherheitsgründen weiterhin beispielsweise auf Unix laufen, während sie die Geschäftslogik diverser Applikations-Server auf eine Linux-Plattform migrieren. Die genaue Zahl solcher Linux-basierenden SAP-Instanzen ist jedoch nur schwer abzuschätzen.

Unterm Strich lässt sich den Experten zufolge jedoch sagen, dass die Nachfrage migrationswilliger SAP-Anwender nach Linux inzwischen stärker als nach jedem anderen Betriebssystem ist.

Doch es herrschen noch Informationsdefizite. Typische Fragen dieser Klientel sind laut Realtech, Walldorf, welche Erfahrungen es mit den inzwischen über sechs Jahre verfügbaren Linux-Produkten von SAP gibt, ob sich eine Zielgruppe für diese Produktkombination besonders eignet, wo das Einsparpotenzial im Fall eines Wechsels liegt und welche Migrationshürden sich in den Weg stellen könnten.

Übergreifende Kundenstruktur

Aus Sicht von Realtech gibt es bezüglich der Kundenstruktur keine Branche, auf die sich das Thema SAP auf Linux beschränken würde. Auch hinsichtlich der Unternehmensgröße haben sich die ursprünglichen Grenzen aufgelöst. In den ersten Jahren, in denen SAP-Produkte für Linux verfügbar waren, beschäftigten sich vor allem Firmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 250 Millionen Euro mit einer Linux-Migration, insbesondere in Kombination mit der Open-Source-Datenbank Max-DB (ehemals SAP-DB).

Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. Auch für mittlere und große Hosting-Anbieter ebenso wie für internationale Großunternehmen mit mehr als 20 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehreren Milliarden Euro stellt SAP auf Linux heute eine interessante Alternative dar. Bereits im Jahr 2003 meldete der für Max-DB ver- antwortliche SAP-Partner, die schwedische Firma MySQL, weltweit über 5000 Kundeninstallationen der Datenbank, darunter Konzerne wie Daimler-Chrysler, Bayer und die Deutsche Post. Die Betriebsgröße ist demnach für die Frage nach einem Plattformwechsel kein Entscheidungskriterium mehr.

Checkliste

Wer die Mehrzahl der im Folgenden gelisteten sieben Fragen mit "Ja" beantwortet, sollte sich mit dem Thema SAP auf Linux intensiver beschäftigen.

  1. Trägt eine Migration der SAP-Landschaft nach Linux zur Senkung des Investitionsvolumens für Hardware bei?

  2. Lassen sich durch den Einsatz von Linux und neuer, Linux-affiner Techniken wie Single-Image-Boot und Adaptive Computing signifikant Kosten sparen, Verfügbarkeiten erhöhen oder ein hoher Automatisierungsgrad erreichen?

  3. Gibt es in der SAP-Basis beziehungsweise Server-Administration bereits Know-how im Bereich Unix oder Linux?

  4. Ist Linux in der SAP-Basis akzeptiert oder sogar gewollt?

  5. Ist die Optimierung oder Neuausrichtung der SAP-Systemlandschaft durch den von Netweaver vorgegebenen Technologiesprung ohnehin notwendig?

  6. Ist aufgrund von Internationalisierung oder der Einführung von Netweaver eine Migration wichtiger SAP-Systeme nach Unicode erforderlich?

  7. Steht das Risiko einer Betriebssystem-Migration in einem gesunden Verhältnis zum potenziellen Nutzen?

Sparen im Massenmarkt

Sucht man dennoch nach typischen Gemeinsamkeiten der Migrationsklientel, so sind diese laut Helmut Spöcker, Consulting Manager bei Realtech, eher im Bereich der Quell-Betriebssysteme zu finden. Hier zeigt die Statistik, dass Unix mit rund 60 Prozent das häufigste Ausgangs-OS für Linux-Migrationen ist. Anwender sind bestrebt, aus dem engen Korridor einer herstellergebundenen Rechnerarchitektur auszubrechen, und wollen mit Linux in den Massenmarkt der x86-Systeme (Intel und AMD) wechseln - die Kosten für Hardwareinvestitionen bei der Entscheidung pro Linux spielen also eine wesentliche Rolle. Migrationen auf Itanium- und Power-Architekturen sind dagegen eher selten, ebenso werden Plattformen wie die I-Series oder gar OS/390 kaum noch für einen Wechsel in Betracht gezogen.

Bester Ausgangspunkt: Unix

Aus der Windows-Welt wechselten nur knapp 20 Prozent zu Linux. Ein Grund dafür ist, dass ein im Unix-Umfeld bereits vorhandenes Know-how den Weg zu Linux offensichtlich erleichtert, wohingegen verhältnismäßig wenige Windows-Kunden den mit dem Wechsel der Welten verbundenen Lernaufwand in Kauf nehmen wollen.

Der Begriff Migration ist definiert als ein Wechsel des Betriebssystems, der Datenbank sowie der Codepage (in der Regel nach Unicode), auf deren Basis ein SAP-System betrieben wird. Weitgehend unproblematisch für SAP-Migrationen nach Linux ist laut Spöcker das Thema Datenbanken. Grundsätzlich gilt, dass ein Wechsel des Betriebssystems nicht unbedingt den Wechsel der Datenbank erzwingt. Ausnahme ist, wenn die Quell-Datenbank für Linux gar nicht existiert, so etwa bei Microsofts SQL Server. Doch auch technische Gründe können einen Wechsel der Datenbank erfordern. So erfüllt Informix zum Beispiel die Anforderung von Unicode nicht.

Max-DB sehr beliebt

Dennoch hat es im Zuge der Linux-Migrationen deutliche Verschiebungen bei den Datenbanken gegeben. Oracle ist laut Realtech-Statistik, wie schon im Unix-Bereich seit Jahren, mit rund 40 Prozent häufigste Zieldatenbank. Sie verliert jedoch 13 Prozent der Anteile, die sie auf den Quellplattformen besaß. Der große Gewinner heißt Max-DB, die in den Migrationsprojekten ein Plus von 33 Prozent verzeichnen konnte und nun im Mix der Datenbanken einen Anteil von ebenfalls fast 40 Prozent hat. Offensichtlich herrscht auch bei SAP-Anwendern eine besondere Affinität zu Open-Source-Produkten. Gründe dafür könnten laut Spöcker im Lizenzmodell des Anbieters MySQL liegen oder in dem als niedrig empfundenen Administrationsaufwand für Max-DB.

Einheitliches Verfahren

Bezüglich des Migrationsverfahrens ist der Weg nach Linux für die SAP-Systeme stark standardisiert. SAP stellt ein für alle freigegebenen Betriebssysteme und Datenbanken formal identisches Verfahren zur Verfügung - die "Paketkosten" betragen 8000 Euro je produktive Systemlinie. Das Verfahren beschreibt, welche Tests und Prüfungen in welcher Anzahl und Reihenfolge vorzunehmen sind. Voraussetzung hierfür ist, dass bei SAP ein Projektplan eingereicht wird.

Unter den SAP-Linux-Migrationen zählt Unix zum häufigsten Ausgangs-Betriebssystem.

Da bei der Migration die gesamten produktiven Datenbestände eines SAP-Systems bewegt werden, handelt es sich um einen unternehmenskritischen Eingriff in den Produktivbetrieb. Verfahrensfehler können schwerwiegende Folgen haben, angefangen von Verzögerungen und einer Verschiebung des Produktivgangs über die instabile Systemkonfiguration zum Beispiel mit einem von SAP nicht getesteten Betriebssystem-Kernel bis hin zum Abbruch des Projekts oder der Freigabe inkonsistenter Systeme.

Strenger als Release-Wechsel

SAP verlangt daher, dass die Planung und Ausführung von einem von SAP hierfür zertifizierten Migrationsexperten begleitet werden. Er sollte auch bei technischen Komplikationen helfen können. So stellt Realtech in jüngster Zeit fest, dass zunehmend einzelne, sehr große Tabellen bereits auf der Seite des Quellsystems beschädigt sind, was eine Migration natürlich erschwert.

Interessanterweise schreibt ein Release-Wechsel, im Gegensatz zur Migration, keine speziellen Zertifizierungen der beteiligten Berater vor und beinhaltet ein weit weniger restriktives Prüfverfahren seitens der SAP. Und das, obwohl die fachlichen Auswirkungen und der Aufwand für einen Release-Wechsel deutlich größer sein können als bei einer Migration.

Ausschreibungen empfohlen

Haben Anwender ihre Wahl bezüglich der Zielplattformen (Linux, Datenbank und x86-Systeme) getroffen, empfiehlt ihnen Realtech aufgrund der großen Anbietervielfalt im Hardwarebereich ein anschließendes Ausschreibungsverfahren. Dies könne sich "extrem positiv" auf das Investitionsvolumen auswirken, zumal wenn eine Neubeschaffung im Rahmen einer Migration oder technischen Neuausrichtung ohnehin geplant beziehungsweise notwendig ist. Die Differenz zwischen den Kosten für den Aufbau einer Netweaver-Landschaft auf einer bestehenden proprietären Plattform und einer ausgeschriebenen neuen SAP-Systemlandschaft auf Basis von Linux kann bei gleicher oder erhöhter Redundanz enorm sein. Spöcker: "In der Regel erhöht sich die Leistungsfähigkeit der neuen Systeme bei hoher Stabilität um bis zu 60 Prozent."

Zwar seien die möglichen Kosteneffekte einer Linux-Migration stark von der Quellplattform und den Anforderungen an die neue Landschaft abhängig, die realistischen Einsparungen hinsichtlich der Hardwareinvestitionen beziffert Spöcker jedoch mit mindestens 20 Prozent. Die Kosten und der Aufwand für die Migration selbst sollen sich innerhalb kürzester Zeit amortisieren. Denn sogar wenn die IT-Landschaft komplex und das Migrationsprojekt somit aufwändig ist, bringen die zugehörige Hardwarelandschaft und die Vereinfachung beziehungsweise Optimierung des Systems im Rahmen der Migration große Einspareffekte.

Handelt es sich um eine völlig im Standard verbliebene Dreisystemlinie mit normalen Verfügbarkeitsanforderungen, wenig komplexen Schnittstellen, einer überschaubaren Drucklandschaft und Datenmengen unter 250 GB je System, bewegt sich der Aufwand für eine Migration normalerweise im Bereich von nur einigen Dutzend Personentagen (inklusive Schulungskonzept zum Know-how-Transfer in die betroffene SAP- und Server-Administration sowie Anpassungen der Betriebskonzepte). Die unterstützenden Migrationsberater sollten nach einer Sichtung der technischen Spezifika ein Festpreisangebot unterbreiten können. Ausnahmen seien lediglich sehr spezielle technische Anforderungen wie zum Beispiel Pilotprojekte oder die Umstellung eines MDMP-Systems (Behelfslösung von SAP zur Anzeige mehrerer internationaler Codepages in einem System) nach Unicode, die in der Regel aufwändig sind.

Nicht so einfach wie die Projektkosten sind die Betriebskosten einer SAP-Installation auf Linux zu messen. Ein Vergleich mit dem ursprünglichen Zustand hängt besonders vom verwendeten Quellsystem ab.

Betrieb schwer messbar

So sind zum Beispiel bei einer Migration aus einer bereits stark automatisierten Unix-Landschaft nach Linux nur geringe Effekte zu erwarten, zumindest was den Gewinn an täglich verfügbarer Zeit in der Basisadministration betrifft. Andererseits konnte Realtech bei einigen Kunden beobachten, dass bei einem Wechsel aus sehr schwach automatisierten Systemwelten Administrationsstellen frei und damit Personalkosten in relevantem Umfang gesenkt wurden.

Einen weiteren Beitrag zur Total Cost of Ownership (TCO) liefern die Stabilität und damit die Verfügbarkeit sowie die im Umfeld von Netweaver wichtige Flexibilität der Systeme. Zur Stabilität gibt es laut Realtech ein klares positives Feedback von nahezu allen Linux-Migrationskunden. Ob sich durch eine höhere Systemflexibilität Kosten im TCO-Bereich einsparen lassen, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Doch einige Indikatoren deuten darauf hin, dass Linux auch hier die Nase vorn haben könnte: Laut Spöcker sind flexibilisierende und den Administrationsaufwand senkende Ideen wie Single-Image-Boot und Adaptive Computing nicht ohne Grund im SAP-Linux-Lab entstanden. Linux bringe hierfür die besten Vorraussetzungen mit.