RFID - die Hoffnung der Branche

04.03.2005 von Karin Quack
Die Funkfrequenztechnik schwimmt auf dem Kamm der Hype-Welle.

Hier lesen Sie ...

  • was sich hinter dem Kürzel RFID verbirgt;

  • welche Einsatzgebiete die Unternehmen derzeit testen;

  • wer von der Funktechnik profitieren möchte;

  • weshalb nicht jeder Feldversuch Erfolg verheißt.

Hoppla, da waren ein paar Kollegen wohl etwas voreilig: In diesem Jahr wären die CeBIT-Eintrittskarten mit Funkchips ausgerüstet, die am Eingang berührungslos kontrolliert würden, so schrieben zahlreiche Online-Dienste. Die ursprüngliche Agenturmeldung ist leider nicht wahr, jedenfalls dementierte die Deutsche Messe AG heftig; aber sie ist zumindest gut erfunden: Die Funkfrequenzerkennung, englisch "Radio Frequency Identification" oder kurz: RFID, ist eines der heißen Themen auf der diesjährigen CeBIT. Und warum sollte die Messegesellschaft eigentlich nicht einsetzten, was die Veranstalter der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 definitiv planen und sogar ein (noch) zweitklassiger Verein wie der 1. FC Köln bereits praktiziert?

Papier- oder Plastikkarten sind ein ideales Medium für die RFID-Chips: Sie sind flach und

Für den besseren Durchblick - RFID-Chip aus einer Folie.
Foto:

trocken, vor allem aber werden sie von eintrittswilligen Menschen bereitwillig an das Lesegerät gehalten, so dass die Wahrscheinlichkeit von Erfassungsfehlern gegen null tendiert. Die Zentralbibliothek der Stadt Wien darf ebenfalls auf die aktive Mithilfe ihrer Leser hoffen, wenn sie ihnen anbietet, den Ausleihvorgang mit Hilfe der Funktechnik zu beschleunigen. Ähnliches gilt letztlich auch für die Gebäudetechnik des Flughafenbetreibers Fraport, der die Wartung aller in der internationalen Luftdrehscheibe installierten Brandklappen RFID-gestützt überwacht. Das Fraport-Projekt ist - dies sei nur am Rande erwähnt - eines der ersten Beispiele dafür, dass sich mit dieser Technik tatsächlich Geld sparen lässt.

Weder Sichtkontakt noch Berührung notwendig

Derart ideale Bedingungen findet die RFID-Technik allerdings nicht überall vor. Die um Antennen und teilweise auch eigene Stromerzeuger erweiterten Mikrochips und die zugehörigen Lesegeräte sollen langfristig das heute gebräuchliche Kennzeichnungssystem aus Strichcode und Infrarot-Scanner ersetzen. Die Funkfrequenztechnik hat eine Reihe von Vorteilen: Sie benötigt weder Sichtkontakt noch Berührung, so dass die auf Paletten, Kisten oder einzelnen Artikeln angebrachten Chips auf kurze Entfernungen ihre Nachrichten preisgeben, ohne ihre Position verändern zu müssen.

Funkchips können ganz unterschiedliche Formen annehmen. Beispielsweise lassen sie sich in transparente Folie integrieren.  Foto: Siemens AG

Zudem können RFID-Chips deutlich mehr und vor allem veränderbare Informationen aufnehmen. Das macht sie besonders für die Überwachung von Lieferketten interessant. Die Empfängerstationen lassen sich - beispielsweise in Form von Scanner-Toren - so platzieren, dass sie die darunter hindurch gefahrenen oder geschobenen Chips im Pulk auslesen.

An den neuralgischen Punkten der Supply Chain positioniert, erzeugen sie so einen unterbrechungsfreien Informationsfluss: Vom einzelnen Bestandteil bis zum vollständigen Artikel, von der Herstellung über das Distributionslager bis zur Supermarktkasse oder sogar dem heimischen Kühlschrank lassen sich aktuelle Informationen über Herkunft und Ziel, Beschaffenheit und Preis des Trägergegenstandes funken, sammeln und auswerten. Theoretisch entfällt damit jedes menschliche Eingreifen bei der Informationserfassung - und damit eine der häufigsten Fehlerquellen.

Die Lesegenauigkeit lässt noch zu wünschen übrig

Industrie und Handel glauben fest an diese Vision. Sie lassen sich auch dadurch nicht entmutigen, dass die ersten Feldtests nicht immer die gewünschte Lesegenauigkeit ergeben: Der Einfluss fremder Funkquellen, beispielsweise GSM-Sendestationen, eine metallhaltige Umgebung in Form von Blech- oder Stahl-Containern sowie flüssige Warenbestandteile führen teilweise zu nicht tolerierbaren Erfassungsfehlern.

Doch insbesondere die großen Handelsketten, allen voran Wal-Mart, Metro Group und Tesco, rechnen auf lange Sicht mit enormen Einsparpotenzialen - zumindest dann, wenn es ihnen gelingt, alle Partner entlang der Lieferkette in die funkgestützte Informationskette zu integrieren. Deshalb verpflichten die beiden Handelsgiganten einen Teil ihrer Lieferanten heute schon darauf, wenigstens Paletten und Kisten mit den Chips zu versehen. Die wiederum machen derzeit gute Miene zum fehlenden Business-Case: Um den Vorgaben ihrer Großkunden auf die Schnelle entsprechen zu können, haben sich einige entschieden, ihre Lieferungen erst kurz vor dem Verladen zu kennzeichnen, was ihnen selbst im Prinzip keinerlei Nutzen einbringt.

Intelligente Regale sorgen für Nachschub aus dem Lager

Andere Unternehmen sind vorerst zufrieden, wenn sie ihre internen Prozesse mit Hilfe der Funktechnik beschleunigen. An den Produkten angebrachte Funkchips erleichtern die Inventur, weil das Personal nicht mehr jedes Stück einzeln aufnehmen muss. Ergänzt durch "intelligente", sprich: mit Scannern ausgerüstete Regale sind die "Tags" - in einer vernetzten IT-Umgebung - sogar imstande, Nachschub aus dem Lager zu bestellen, wenn die Ware einmal knapp wird.

Fertigungsunternehmen wie Airbus und Volkswagen wollen mit Hilfe der Funküberwachung den Verbleib ihrer teuren Werkzeuge oder Werks-Container sicherstellen. Und dem Rasierklingen-Hersteller Gillette geht es beim RFID-Einsatz vor allem darum, die Diebstahlsquote zu senken.

Die Beraterzunft scharrt bereits mit den Hufen

Um solche Business-Vorteile zu erzielen, ist mehr notwendig als Chips, Lesegeräte und Etikettendrucker - dazu muss die Funktechnik in ein IT-System eingebettet sein. Es kann aus den gesendeten Daten die relevanten Informationen herausfiltern, sie zueinander und zu anderen geschäftskritischen Systemen - beispielsweise der Materialwirtschaft, der Bedarfsplanung und dem Supply-Chain-Monitoring - in Beziehung setzen sowie die entsprechenden Aktionen einleiten. Die Beraterzunft scharrt bereits mit den Hufen, um die Unternehmen auf den rechten RFID-Weg zu bringen.

Auch die großen IT-Hersteller wittern Morgenluft. Branchenriesen wie IBM, SAP, HP und Sun Microsystems offerieren Consulting, Software und Integrationsdienstleistungen - quasi RFID aus einer Hand. Andere haben das Four-Letter-Word zumindest in ihr Marketing-Repertoire übernommen. Die Chiphersteller von Infineon über Hitachi und Philips bis zu einer Reihe bislang unbekannter Player setzen ein Gutteil ihrer Wachstumshoffnungen auf den neuen Markt.

Marktbeobachter überschlagen sich in ihren Prognosen

Was Wunder, wenn sich die Marktbeobachter in ihren positiven Voraussagen überschlagen! Kürzlich veröffentlichte das US-amerikanische Unternehmen In-Stat eine Prognose, wonach die mit den Funketiketten erzielten Einnahmen von 300 Millionen Dollar im vergangenen Jahr auf 2,8 Milliarden Dollar im Jahr 2009 klettern werden. Ihre britischen Kollegen von IDTechex haben errechnet, dass im Jahr 2008 weltweit mehr als 60 Milliarden "Tags" verkauft sein werden. Das Gesamtvolumen des RFID-Marktes im deutschen Handel wird sich nach Angaben von Soreon Research in den kommenden drei Jahren von 106 Millionen auf mehr als eine halbe Milliarde Euro verfünffachen.

Solche Prognosen gehen davon aus, dass der Preis für die Funkchips in den kommenden Jahren drastisch sinken wird - von derzeit etwa 40 auf vielleicht zehn Cent pro Stück. Damit würde es sich lohnen, sie auch auf eine Zahnpastatube zu kleben. Zu den Voraussetzungen für den massenhaften Einsatz der RFID-Technik zählen aber auch technische Verbesserungen hinsichtlich der Lesegenauigkeit und damit der Prozessgeschwindigkeit.

Die weltweite Standardisierung der gespeicherten Informationen in Form des "elektronischen Produkt-Code" (EPC) ist bereits in Angriff genommen - durch das Industriekonsortium EPC Global, zu dem sich sowohl IT-Hersteller als auch große Anwenderunternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen zusammengefunden haben. Zu den heiklen Themen gehört allerdings noch die Einigung auf eine einheitliche Funkwellen-Bandbreite - insbesondere mit den Japanern. Und last, but not least sind auch die Datenschutz-Bedenken verschiedener Verbraucherschutz-Organisationen zu zerstreuen. (qua)

RFID-Aussteller IBM zeigt unter anderem eine Reihe von RFID-Anwendungen an seinen Demopunkten in Halle 1. SAP residiert in Halle 4 und demonstriert dort unter anderem die Airbus-Lösung. Sun Microsystems hat seinen Hauptstand in Halle 1. Die Hersteller von RFID-Lesegeräten ballen sich in der Halle 6. Psion Teklogix demonstriert einen kompletten RFID-Prozess in Halle 6 am Stand B44.