Ex-SAP- und Ex-Baan-Manager diskutieren

Quo vadis, ERP?

07.04.2009 von Frank Niemann
Wie entwickeln sich ERP-Systeme weiter? Darüber diskutierten eine Reihe von Experten auf der Fachkonferenz "Sapientia - Alternativen für SAP-Anwender" in Berlin, darunter Jan Baan, Gründer des gleichnamigen ERP-Herstellers, und Paul Wahl, ehemaliger Chef von SAP USA.

Für ERP-Software haben Unternehmen große Summen ausgegeben und tun es noch weiterhin. Hat sich die Investition gelohnt? Ja und nein. ERP-Lösungen wurden entwickelt, um die internen Prozesse eines Unternehmens zu steuern. "Allerdings wurden oft nur einzelne Abteilungen in die Softwareprozesse eingebunden. Selten wurden ganze Unternehmen von ERP-Programmen durchdrungen", so Jan Baan. Der Mitgründer des ERP-Spezialisten Baan (heute Infor) ist jetzt CEO des niederländischen BPM-Anbieters Cordys (siehe "Cordys entwirt SOA-Prozesse").

Haben sich die ERP-Investitionen gelohnt?

ERP-Applikationen lösten in den 90er Jahren viele Einzelsysteme in den Unternehmen ab. "Zuvor nutzten Firmen für die Buchhaltung, Auftragsbearbeitung und den Einkauf unterschiedliche Software. Mit diesem Ansatz konnten viele Betriebe ihre Abläufe straffen und Geld sparen", erklärt Paul Wahl, Ex-Chef von SAP USA und später Chief Operating Officer des inzwischen zu Oracle gehörenden CRM-Anbieters Siebel. Allerdings seien die Anwendungen schlecht dafür geeignet, heutige Wertschöpfungsnetze zu unterstützen. Dazu zählen die Geschäftsverflechtungen zwischen Lieferanten und Kunden. Daher hätten Unternehmen jetzt große Schwierigkeiten, ihre ERP-Applikationen an die sich ständig ändernden Anforderungen beispielsweise im Kunden-Management und in der Lieferkettensteuerung anzupassen (siehe "SAP und Oracle kämpfen um Vorherrschaft im SCM-Markt").

Unflexible ERP-Software behindert Prozessanpassungen

"Veränderungen lassen sich auch deshalb nicht so leicht vornehmen, weil die ERP-Funktionen fest mit den Unternehmensabläufen verbunden sind", gibt Norbert Gronau zu bedenken. Er ist Professor an der Universität Potsdam und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government.

Was Firmen dabei hemmt, ist neben anderen Faktoren unflexible Technik. "Noch heute sind die ERP-Lösungen im Kern nicht wirklich modern, sondern nutzen Verfahren, die schon viele Jahre alt sind", meint ERP-Veteran Baan. "ERP-Software wurde bisher so entwickelt, dass es gut ist für den Hersteller", so Wahl. Den Ärger mit den Upgrades habe man den Anwendern überlassen. Ganz anders die Software-as-a-Service-Anbieter: Sie könnten die Systeme einer großen Anzahl von Nutzern aktualisieren, ohne dass die davon etwas mitbekämen.

Moderne ERP-Technik gibt es - auf Powerpoint

"Neue ERP-Architekturen existieren zwar, meist aber nur auf Powerpoint", sagt Gronau. Gleichwohl entwickeln manche Anbieter SOA-fähige, modulare Lösungen. Doch die modernen Konzepte setzten sich nicht so leicht durch, weil der Wandel sowohl für den Anbieter als auch den Anwender schmerzhaft sei. "Bestehende ERP-Software lässt sich kaum in Richtung SOA umbauen. Das läuft dann eher auf einen Neuentwurf heraus", bestätigt Helmuth Gümbel, ERP-Kenner und Managing Partner von Strategy Partners, die These Gronaus.

CRM bald im App Store von Apple?

Geht es nach Wahl, wird den Anbietern jedoch nichts anderes übrig bleiben, als kräftig in neue Lösungen zu investieren. "Druck für Veränderungen kommt von außen. Firmen wie Amazon.com bieten IT-Leistungen zur Miete an. Vielleicht gibt es künftig eine CRM-Applikation im Appstore von Apple." Druck müssten aber auch die CIOs in den Unternehmen ausüben. Sie seien gezwungen, eine immer komplexere IT-Landschaft mit immer weniger Budget zu betreiben (siehe "Wertbeitrag der IT").

Mehr zum Thema ERP, SCM und SCM

Umfangreiche Anpassungen innerhalb einer ERP-Lösung heutiger Prägung sind nach Baans Überzeugung nicht mehr sinnvoll und zeitgemäß. "ERP-Anwender sollten ihre Prozesse stabil halten und die Individualität ihrer Prozesse über BPM-Werkzeug bewerkstelligen. Abläufe modifiziert man nicht im ERP-Kern, sondern in einer übergeordneten BPM-Engine." Eine nicht zufällige Äußerung, stellt doch die von Baan geleitete Firma eben solche BPM-Software her.

Middleware prägt den ERP-Markt

Gümbel glaubt, dass der ERP-Markt in Zukunft stark von Middleware geprägt sein wird: "Anwender benötigen eine Middleware, um das entstandene Softwarechaos zu beherrschen." Trotz ihres Verhaus aus unterschiedlichen Softwareprodukten müssten Firmen in der Lage sein, den Forderungen nach IT-Governance und Compliance nachzukommen. Mit der Wahl einer Middleware könnten sich Unternehmen zwar aus der Abhängigkeit von einem ERP-Anbieter befreien. Doch dann bestehe die Gefahr, künftig stattdessen vom Middleware-Lieferanten abhängig zu sein. "Gut dran sind Firmen, die trotz Abhängigkeiten Komponenten austauschen können."

Auf der ERP-Suche?

Bei der Suche nach einem passenden ERP-System hilft Ihnen der ERP-Matchmaker von Trovarit und der COMPUTERWOCHE.

Baan sagt voraus, dass Cloud-IT die ERP-Branche nachhaltig verändern wird. So recht glauben mag das Gronau nicht und kritisiert die marketing-lastige Diskussion: "Es wird kein Google-ERP oder iPhone-ERP geben, wohl aber wandlungsfähigere Applikationen. Die Anwender werden das einfordern."

ERP-Experten unter sich

Während der Fachkonferenz Sapientia diskutierten folgende ERP-Experten miteinander:

  • Paul Wahl, früherer SAP Marketing Manager und CEO SAP America, danach COO bei Siebel

  • Jan Baan, früher CEO von Baan und heute CEO von Cordys

  • Professor Norbert Gronau, Universität Potsdam, wissenschaftlicher Leiter des am Potsdamer Lehrstuhl angesiedelten Center for Enterprise Research (CER)

  • Heinz Steffen, Finanzanalyst und Partner, fairesearch

  • Helmuth Gümbel, Founder and Managing Partner, Strategy Partners International

  • Bernd Seidel, IT-Journalist aus München und Moderator.