Praxistest: Blackberry 8800

14.06.2007
Mit dem 8800 führt RIM seine moderne optische Linie konsequent fort: weg vom Plastiklook mit Spielzeugcharme, hin zu edlem Klavierlack mit verchromten Spielereien. Die elegante Optik wird auch nicht durch die eindrucksvollen Maße (107x50x14.5 mm) relativiert, die das Gerät in Verbindung mit schwergewichtigen 134 Gramm zu groß für die durchschnittliche Hemdtasche.

Lieferumfang / Verarbeitung

Im Gegenteil: analog zur Großraumlimousine verleihen sie dem Smartphone eine physische Präsenz, die die Blicke der Tischnachbarn anzuziehen weiß. Einziger Nachteil: jede Berührung bestraft der glänzende Protzbarren mit fettigen Fingerabdrücken. Der Spielraum des Akkudeckels am Rücken des Gehäuses macht aber deutlich, dass die Verarbeitung des 8800 nicht so glänzend ist, wie die Lackierung suggeriert. Kleine Details wie wackelige Seitentasten, die aus viel zu großen Gehäuseöffnungen ragen und die unregelmäßig gestanzte Einfassung für den miniUSB-Anschluss bzw. den Kopfhörerausgang hinterlassen einen wenig vertrauenserregenden Eindruck. Schlimmer noch: das edle Smartphone knarzt an allen Ecken und Enden, weil es aus vergleichsweise leichtem und biegsamem Material besteht.

Beim Display ist für den kanadischen Hersteller mehr klotzen als kleckern angesagt. Mit 2,5 Zoll Diagonale und 320x240 Pixeln Auflösung kommt das 8800 an Nokias Konkurrenzmodell E61i heran, schwächelt gegenüber dem Konkurrenten aus Finnland aber in puncto Farbtiefe, Helligkeit und Kontrast. Dennoch ist die glasklare Ablesbarkeit jederzeit gegeben, auch aus der Schrägperspektive verfälscht die Farbdarstelllung kaum; schade auch, dass das Display nicht transflektiv ausgelegt und daher unter starker Lichteinstrahlung nur schwer abzulesen ist. Mangels Standbyanzeige muss man seinen 8800 stets aktivieren, um sich beispielsweise über die aktuelle Uhrzeit zu informieren

In seiner Königsdisziplin überzeugt das QWERTZ-Smartphone auf ganzer Linie: mit dem 8800 lassen sich auch längere Nachrichten hervorragend tippen. Man mag über das Tastaturdesign streiten und die gedrängten Wackeltasten erfordern eine gewisse Eingewöhnungszeit. Ergänzt wird die QWERTZ-Tastatur von einem Bedienelement, das schon beim 8100 Pearl überzeugen konnte: ein leichtgängiger Trackball thront im Zentrum der Gehäusefront. In der Funktionalität mit einem Joystick bzw. 5-Wege-Navkey vergleichbar, gestaltet sich die Navigation durch die Menüs und die Ansprache von Funktionen mit ihm äußerst komfortabel.

Ausstattung

Auf unserem Vodafone-Testmuster des 8800 war als Navigationsssoftware die Offboard-Lösung des israelischen Navigationspezialisten Telmap installiert. Das Kartenmaterial befindet sich nicht auf dem Smartphone, sondern wird via GPRS von einem Server abgerufen. Dort erfolgt auch die Routenberechnung, die dann ans mobile Endgerät weitergeleitet wird. Die Routenplanung gestaltet sich nicht zuletzt dank der QWERTZ-Tastatur bequem und unkompliziert. Das System akzeptiert auch "unscharfe" Ziele ohne genauere Straßen- oder Postleitzahleneingabe und steuert in diesem Fall die jeweilige geographische Mitte an. Mit der GPRS-Verbindung nimmt die Routenberechnung zwischen 10 Sekunden (Berlin-Rostock) und 1 Minute (Berlin-Rom) in Anspruch. Jede berechnete Route berücksichtigt aktuelle Verkehrsinformationen, die man sich auch gesondert anzeigen lassen kann. Die Navigationsansicht ist zwar optisch mager (wahlweise Pfeil- oder 2D-Kartenansicht) aber übersichtlich. Alle relevanten Informationen werden seitlich eingeblendet und bei Dunkelheit kann man in die kontrastreichere Nachtansicht umschalten. Doch aufs Display wird der Nutzer ohnehin nicht allzu häufig schauen, sondern sich vielmehr auf eine angenehm modulierte Frauenstimme verlassen, die dank des kräftigen Lautsprechers auch in lauter Umgebung zuverlässig bis zu den Fahrerohren dringt. Von der Apotheke bis zum Postamt können zahllose Points of Interest abgerufen werden, die die Übersichtskarte mit kleinen Symbolen visualisiert. Beim Stöbern in den Karten fällt jedoch ein gravierendes Handicap ins Auge: jeden Kartenzoom und zahlreiche Scrollbewegungen bestraft das System mit Anfragen an den Navi-Server. Die fallen für sich genommen zwar kurz aus, alleine die Häufigkeit ihres Auftretens stellt die Geduld des Nutzers auf eine harte Probe.

Trotz der wachsenden Zahl von Anbietern ist das mobile Verfassen und Empfangen von E-Mails in Echtzeit nach wie vor eines der zentralen Features jedes Blackberrys. Einrichtung und Konfiguration des Push-EMail-Dienstes sind dementsprechend abhängig vom jeweiligen Netzbetreiber, bei unserem Vodafone-Testgerät gestaltete sich die Ersteinrichtung mit Hilfe des vorinstallierten Assistenten kinderleicht. Will man gänzlich auf eine neue E-Mail-Adresse verzichten oder neben seinem beim entsprechenden Netzbetreiber im Paket erhaltenen Postfach noch über eingehende Mails auf anderen Postfächern via Push-Funktion informiert werden, lässt sich dies direkt auf dem Blackberry oder komfortabler übers entsprechende Frontend des Blackberry Enterprise Servers einstellen: hier kann ein Email-Kollektor eingerichtet werden, der regelmäßig Nachrichten von anderen Postfächern abholt und sie in Echtzeit auf das 8800 beamt. Sobald eine neue Mail eintrifft, wird das Endgerät unmittelbar darüber informiert und aktiviert die kleine Multicolor-LED am Kopf des Gehäuses. Im Test vergingen zwischen dem Versand einer Mail und der Benachrichtigung auf dem 8800 selten mehr als fünf Sekunden. Neben E-Mails versteht sich das 8800 auch auf die "klassischen" Formen der mobilen Kommunikation wie SMS und MMS. Alle Nachrichten werden in einem zentralen Ordner abgebildet: Ein Klick auf die Nachrichtenzeile im Startbildschirm öffnet einen globalen Posteingang, der alle Mitteilungen in einer übersichtlichen Listenansicht präsentiert. Auch Attachments sind für das 8800 kein Problem: sowohl .doc, .xls, .pdf und .ppt-Dateien lassen sich auf dem Gerät betrachten, die Darstellung lehnt sich erfreulicherweise eng ans Original an.

Die Kontaktverwaltung orientiert sich an professionellen Businessansprüchen - hier spielt das 8800 analog zu allen Blackberry-Modellen in der Oberliga. Die Einträge lassen sich nach Vor-, Zu-, und Firmennamen sortieren und in beliebig viele Gruppen einordnen. Jedem Kontakt können mehrere Rufnummern, Post-, Web- und Mail-Adressen sowie Anruferbilder und Klingeltöne zugewiesen werden. Einziger Kritikpunkt ist die mangelnde optische Aufbereitung von Kontakten, die eine Abgrenzung von Informationen im Sinne einer besseren Übersichtlichkeit bewirken könnte. Analog zum Adressbuch entspricht auch der Kalender gehobenen Ansprüchen. Doch auch hier werden die Termine und Ansichten (Tages-, Wochen- Monats und Tagesplanungsansicht) in fadem Bürograu präsentiert. Speicherplatz für Termine ist reichhaltig vorhanden: das 8800 bietet intern ca 60MB, die mit microSD-Kärtchen beliebig erweitert werden können.

Praxistest: Blackberry 8800
Praxistest: Blackberry 8800
Praxistest: Blackberry 8800

Während Quadband-GSM weltweite Erreichbarkeit gewährleistet, sorgen ein moderner Bluetooth 2.0EDR-Port, der Übertragungen mit bis zu 2,1 Mbit/s ermöglicht und ein direkter MiniUSB-Anschluss im Nahbereich für die Kopplung an andere Geräte. Verbindungen mit dem Internet werden nur mit Hilfe des schleichend langsamen GPRS/EDGE-Standards hergestellt. Für den E-Mail-Empfang mag dies ausreichen, allen anderen Internet-Erlebnissen setzt das 8800 damit - der verführerisch großflächigen Displaydarstellung zum Trotz - natürliche Grenzen. Und dementspechend sind vom integrierten Browser auch keine Wunder zu erwarten. Zwar werden alle gängigen Webformate wie XHTML, WAP und sogar echtes HTML ünterstützt, doch vor allem die Ansicht von HTML-Seiten ist mit dem Blackberry-Browser grenzwertig. Musikalisch bietet das 8800 ein mit dem 8100 Pearl nahezu identisches Bild: die Features sind relativ zahlreich, der Bedienkomfort spärlich - Hersteller RIM sind hier die Business-Wurzeln deutlich anzumerken. Immerhin schluckt das Gerät neben dem obligatorischen MP3-Format auch anstandslos AAC/M4A- und WMA-Dateien. Installiert man Blackberrys Desktop Manager auf dem PC, können mit dem integriertem Media-Manager bequem und schnell Songs aufs Handy kopiert werden. Doch während der Medienplayer mit einer aufgeräumten Bedienoberfläche aufwartet, verliert der Nutzer in der Musikbibliothek schnell den Überblick: Anstelle einer Auflistung nach Album oder Interpret werden alle Tracks in einer monotonen Listenansicht aufgereiht. Vermisst haben wir auch eine Playlist-Verwaltung und einen Equalizer.

Telefonfunktionen / Ausdauer

In Anbetracht der optisch dürren, ja geradezu knochentrockenen Menüoberflächen fällt es schwer, das Betriebssystem des 8800 - nach wie vor eine Eigenentwicklung von RIM auf Java-Basis - ins Herz zu schließen. Aber bei einem Handy für den professionellen Geschäftseinsatz ist nicht Emotion, sondern Funktion ausschlaggebend und diesbezüglich macht sich die langjährige Spezialisierung des kanadischen Herstellers positiv bemerkbar. Das System bietet (abgesehen vom Hauptmenü) ein hohes Maß an Übersicht und kann via Themes und Ausblendfunktionen gut an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Die Startseite bietet je nach Theme-Auswahl einen Überblick über aktuelle Ereignisse, Termine oder eingegangene Mails. Die statisch festgelegte Aufteilung hinkt im Komfort allerdings den aktiven Standby-Screens von S60- oder Windows Mobile hinterher. Weder Shortcuts für häufig benötigte Anwendungen noch der Status im Hintergrund laufender Programme werden hier angezeigt.

Praxistest: Blackberry 8800

Zu den wenigen Vorteilen, die ein sperriges Smartphone-Gehäuse bietet, gehört der reichlich verfügbare Raum für eine kräftige Antenne. Tatsächlich kann das 8800 in puncto Empfangsqualität viele Punkte sammeln: mit diesem Handy ist man auch in schwach abgedeckten Gebieten noch gut erreichbar. Netzwechsel - der Gang in die U-Bahn ist ein klassischer Fall dafür - stellen ebenfalls keine Herausforderung dar und werden schnell und reibungslos bewältigt. Auch die Sprachqualität ist durchweg positiv, der Gesprächspartner wird klar und natürlich wiedergegeben. Dazu gesellt sich ein eindrucksvoller Lautsprecher, der klares Freisprechen auch bei hoher Lautstärke ermöglicht. Dem Akku kommt das Riesengehäuse ebenfalls zugute, im Gegensatz zu kleineren Smartphones kann RIM ohne Rücksicht auf die Maße eine kräftige 1400mAh-Komponente einbauen, die für recht ansehnliche Ausdauerwerte sorgt. Trotzdem schleicht sich ein Schmunzeln ins Gesicht, wenn der Hersteller seinem Produkt eine StandBy-Zeit von 22 Tagen bescheinigt. Diesen Wert kann man allenfalls als astronomisch bezeichnen, bei mäßiger Nutzung informiert das 8800 maximal 6 Tage über eingehende E-Mails.

Fazit

Trotz zahlreicher Konkurrenten umgibt einen Blackberry nach wie vor die Aura des "echten" professionellen Business-Tools. Aus technischer Perspektive betrachtet fehlen ihm einige Grundlagen dafür; weder mit Organizer und Push-E-Mail, noch mit seinem GPS-Chip kann sich das 8800 deutlich von der Konkurrenz absetzen, einzig die hervorragenden Telefonfunktionen und die lange Akkulaufzeit stechen hervor. Das kompromisslos funktionale aber grafikarme Betriebssystem ist dagegen Geschmackssache, es richtet sich vor allem an den Business-Professional und dürfte viele Durchschnittsnutzer eher abschrecken. Zweifellos ist das Image eines Blackberry mittlerweile entscheidend. Dem entsprechend sind die klotzigen Dinosaurier-Maße des 8800 bewusst von Hersteller RIM kalkuliert. Aber man kann die Perspektive auch umdrehen: aus klobig und schwer wird eindrucksvoll und wichtig - immerhin ziert der prestigeträchtige BlackBerry-Schriftzug die glänzende Gehäusefront wie ein Porsche-Emblem. Wer sein Smartphone überwiegend im Arbeitsleben verwendet und darüber hinaus gern zeigt, wer er ist, kann beim 8800 vorbehaltlos zugreifen.

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