MIT PLANUNGS -TOOLS, die über den Leistungsumfang von ERP-Systemen hinausgehen, lassen sich Fertigungsprozesse effizienter steuern. „Wir gehen davon aus, dass die Auslastung unserer Anlagen infolge besserer Planung um fünf bis zehn Prozent gesteigert werden kann“, schätzt Thomas Germann, Geschäftsführer der Ortlinghaus GmbH aus Wermelskirchen. Das Unternehmen fertigt mit 70 Mitarbeitern Kupplungen, Lamellen sowie Bremsen und hat sich als R/3-Anwender für die Einführung der SAP-Lösung „Advanced Planning & Optimization“ (APO) entschieden. Mit dem neuen System könne man nun innerhalb eines Tages verlässliche Terminzusagen an Kunden kommunizieren. Gleichzeitig lasse sich eine realistische Wiederbeschaffung von Rohmaterial und Halbfertigwaren über alle Stufen
disponieren, so Germann.
ERP-Systeme planen mit idealen Bedingungen In dieser glücklichen Lage befinden sich Anwender, die sich lediglich auf die Bordmittel ihrer ERPSysteme verlassen, nur selten: Üblicherweise arbeiten Enterprise-Resource-Planning (ERP)-Programme nach dem Konzept des Material Requirement Planning II (MRP II). Damit lassen sich die Bedarfe an Material und Fertigungskapazität ermitteln. Anhand von statischen Plandurchlaufzeiten errechnet das System die Start- und Endtermine für die einzelnen Produktionsaufträge. Der MRP-IIAnsatz unterstellt jedoch die unbegrenzte Verfügbarkeit von Kapazitäten. Das hat zur Folge, dass Einflussgrößen wie die aktuelle Auslastung der Maschinen, Ausschussquote, Krankenstand von Bedienpersonal sowie Engpässe bei Zulieferern nicht berücksichtigt werden.
Um mit der tatsächlichen Situation Schritt zu halten und die Termintreue zu wahren, gleichen Anwender die Pläne mitunter manuell ab. Dies erweist sich jedoch angesichts des komplexen Zusammenspiels verschiedener Fertigungsstätten, Lieferanten sowie der Abhängigkeiten innerhalb des Produktionsplanes als schwierig. Teilweise nutzen Disponenten zur Feinplanung immer noch ein Blatt Papier oder eine Excel-Tabelle.
Restriktionen einkalkulieren
Mittelständische Unternehmen mit mehreren Produktionsstandorten und einem Distributionsnetz können ohne geeignete Software keine Transparenz in der Supply Chain schaffen“, so Ulf Gerkens, Manager Global Supply Planning bei Sennheiser Electronic aus Wedemark. Das Unternehmen nutzt hierzu das Modul „Production and Distribution Planning“ von dem inzwischen zu Peoplesoft gehörenden Hersteller J.D. Edwards. Als besondere Herausforderug betrachtet Gerkens die oft nur geringe Vernetzung zwischen Produktion und Vertrieb sowie heterogene IT-Systeme.
Viele Softwareanbieter haben die Konsequenzen aus den Schwachstellen von MRP II gezogen und entwickeln ausgefeiltere Planungswerkzeuge, die eng mit den ERPSystemen zusammenarbeiten. Diese Advanced-Planning-and-Scheduling (APS)-Lösungen erlauben eine Ablaufplanung von Fertigungsvorgängen unter Einbeziehung von Restriktionen (Constraint Based Planning), so dass etwa die aktuelle Maschinenbelegung und Verfügbarkeit von Material berücksichtigt werden können.
APS-Begriff wird missbraucht
Allerdings gibt es keine einheitliche Definition, was ein APS-System an Funktionen umfassen sollte. ERP-Hersteller wie SAP und J.D. Edwards verfolgen einen Komplettansatz. Sie bieten Anwendern Lösungen von der Absatz- bis zur Distributionsplanung an und konkurrieren dabei mit Herstellern wie i2 und Manugistics, die keine ERP-Programme vermarkten. Daneben konzentrieren sich Spezialisten wie die deutsche Wassermann AG vor allem auf die Planungssteuerung in Fertigungsbetrieben. Andere wiederum legen den Fokus auf Branchen, etwa die Prozessindustrie oder den Konsumgütersektor.
Nach den Erfahrungen von Robert Roesgen, Supply-Chain-Management (SCM)-Spezialist beim Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) in Aachen, versuchen Hersteller mit sehr unterschiedlichen Angeboten, den APS-Begriff in Anspruch zu nehmen. Teilweise werden APS-Funktionen in MRPII- basierenden ERP-Lösungen versprochen. Um dies zu überprüfen, sollten Firmen erfragen, ob es sich nicht nur um APS-Funktionen handelt, sondern die Systeme tatsächlich nach dem APS-Konzept arbeiten und demnach mit mehreren beschränkten Kapazitäten (etwa Maschinenlaufzeiten, Personal und Material) planen können. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Datenhaltung: Es sollte in einem ERP/APS-Szenario nur eine stammdatenführende Applikation geben, und dies muss auch dann gewährleistet sein, wenn die APS-Module mit einer ERPUmgebung eines Drittanbieters gekoppelt werden. „Das erfolgreiche Zusammenwirken von APS- und ERP-System, die nicht vom gleichen Anbieter stammen, sollten
Anwender sich von Referenzkunden bestätigen lassen“, so Roesgen. Für die schwedische Softwareschmiede Intentia ist das Anbinden fremder ERP-Systeme gängige Praxis. Etwa 300 der APS-Kunden von Intentia nutzen auch das ERP-Produkt „Movex“, rund 200 hingegen ein Fremdprodukt.
Auch die unlängst von Peoplesoft gekaufte Firma J.D. Edwards Dabeliefert oft Kunden, die andere Warenwirtschaftsprodukte nutzen. Beispielsweise setzen viele deutsche APS-Kunden des amerikanischen Spezialisten für betriebswirtschaftliche Lösungen bei den ERP-Kernmodulen auf SAP R/3. J.D. Edwards hat die Funktionen im SCM-Produkt gebündelt, gleichwohl müssen Kunden nicht die komplette Suite erwerben, sondern können je nach Bedarf einzelne Module kaufen.
Sein APS-Know-how erwarb der Anbieter durch die Übernahme des amerikanischen SCM-Spezialisten Numetrix. Dieser unterscheidet eine langfristige (strategische), mittel- und kurzfristige Planung. Mit der Komponente „Strategische Netzwerkoptimierung“ können Unternehmen ihre langfristigen Investitionen entwerfen. Das Tool soll beispielsweise dabei helfen, Entscheidungen über den Standort einer Betriebsstätte zu treffen. Die „Produktions- und Distributionsplanung“ dient der mittelfristigen Festlegung von Produktion, Einkauf und Distribution. Oft wählen die Anwender hier einen Planungshorizont von drei bis sechs Monaten. Die Kurzfristplanung deckt das Modul „Production Scheduling“ ab. Dazu zählt etwa die Belegung von Fertigungsmaschinen, wobei das Werkzeug die Reihenfolge von Aufträgen bestimmt beziehungsweise die Losgrößen optimiert.
Die Software „Order Promising“ errechnet die Lieferzeit eines herzustellenden Produkts. Sie kombiniert hierzu die drei Funktionen Available-to-Promise (ATP), Capable- to-Promise (CTP) und Profitable- to-Promise (PTP). Die ATPKomponente kalkuliert die Produktverfügbarkeit hinsichtlich des Lagerbestands und der Liefersituation. CTP ermittelt die Machbarkeit eines Auftrags unter Berücksichtigung der Kapazitätsauslastung. PTP schließlich soll den Gewinn steigern.
Bei der Bedarfsplanung helfen die Algorithmen von „Demand Management“, das sich aus „Demand Forecast“ und „Demand Consensus“ zusammensetzt. Während das Forecast-System Vorhersagen zum erwarteten Bedarf trifft, erlaubt es das Consensus-Programm, die Prognose mehrerer Firmen oder Standorte zusammenzuführen und daraus eine konsolidierte Bedarfsvorhersage zu erstellen. Sowohl das eigene als auch fremde ERP-Systeme koppelt J.D. Edwards über den „Supply Chain Business Modeller“ an. Damit legt der Anwender fest, welche Informationen aus dem Bestandssystem in die APS-Datenbank kopiert werden sollen. Wie J.D. Edwards vermarktet auch SAP seine APS-Lösung über das SCM-Produkt („Mysap Supply Chain Management“). Die Planungsfunktionen sind in der Softwarekomponente „Advanced Planning & Optimization“ (APO) zusammengefasst. Im Gegensatz zu J.D. Edwards entwickelten die Walldorfer ihr APS-Produkt jedoch selbst.
Eigenentwicklung von SAP
APO wird über das „Core Interface“ mit R/3 verbunden, und zwar typischerweise mit den Modulen „Sales & Distribution“ (SD), „Materials Management“ (MM), „Production Planning“ (PP) sowie dem „Logistics Execution System“ (LES). Der Datenaustausch mit R/3 vollzieht sich dabei über Remote Function Call (RFC) auf BAPIs. Die zur Planung erforderlichen Stamm- und Bewegungsdaten werden repliziert; APO verfügt über einen eigenen Applikations- Server nebst Datenbank.
Planungsinformationen lädt das APS-System in einen Live Cache im Arbeitsspeicher des Servers. Eine enge Kopplung mit R/3 ist erforderlich, um zeitnah Aussagen treffen zu können. Legt ein Anwender im SD-Modul einen Kundenauftrag an, lässt er sich von der Capable-to-Promise-Funktion im APO den Liefertermin errechnen. Daraufhin kann er einen entsprechenden Planauftrag erzeugen.
BDE-Systeme einbinden
Mit der APO-Komponente „Production Planning/Detailed Scheduling“ (PP/DS) erstellt der Nutzer den Produktionsplan. Zudem stößt dieses Modul die Produktionsaufträge in R/3 an. Statusmeldungen aus der Fertigung werden an APO übermittelt. Entsprechende Daten liefern Systeme zur Betriebsdatenerfassung (BDE) sowie die Maschinenleitstände. Oft gelangen die Statusdaten aus den Werkstätten jedoch via ERP an die Planungskomponente, da Firmen ihre BDE bereits vor der APO-Einführung mit R/3 gekoppelt haben.
Vor kurzem hat SAP die Version 4.0 von APO freigegeben. Eine Neuerung betrifft die Available-to- Promise-Berechnung. Diese berücksichtigt nun auch Bestände, die sich gerade auf einem Transport befinden. Musste der Anwender bislang zwecks höherer Planungsgenauigkeit nach Anlieferung der Waren eine erneute ATP-Kalkulation vornehmen, ist dies laut Hersteller nun nicht mehr erforderlich. Das Feature wurde speziell von Firmen aus der Konsumgüterindustrie nachgefragt, die ihre Läger von ihren Lieferanten befüllen lassen (Vendor-Managed-Inventory).
Doch nicht alle SAP-Anwender benötigen den gesamten Funktionsumfang von APO. Einige Firmen, denen die Engine der Walldorfer zu mächtig ist, haben sich beispielsweise für die APS-Lösung „Schedule++“ von OR Soft Jänicke aus Merseburg in der Nähe von Halle entschieden. Im Gegensatz zum SAP-Produkt verfügt dieses APSWerkzeug über keine eigene Datenhaltung, sondern bezieht die erforderlichen Informationen direkt aus dem ERP-System. Die Software lädt die Daten in den lokalen Speicher des PC. Somit liegt der Live Cache auf dem Client und nicht, wie bei APO, auf dem Server. „Dieses Konzept erlaubt eine schnelle und einfache APS-Implementierung“, erläutert Wilmar Mögling, stellvertretender Geschäftsführer der ebenfalls in Merseburg ansässigen Firma SBM, die mit Schedule++ Projekte realisiert. Neben der SAP-Kundschaft haben sich auch Anwender der ERP-Systeme von J.D. Edwards und Ordat von SBM helfen lassen.
Unlängst ging das Unternehmen eine Entwicklungskooperation mit dem Münchner ERP-Anbieter Soft M ein. Schedule++ soll die „Soft M Suite“ um ein Planungswerkzeug ergänzen. Dieses wird künftig wie ein Windows-Client auf die Business-Software zugreifen. Eine entsprechende Schnittstelle entwickeln beide Firmen derzeit. Sie soll Ende dieses Jahres auf den Markt kommen. Eine elegantere Anbindung tut Not, denn bisher nutzen Soft-M-Kunden für den Datenaustausch mit dem APSTool eine Datei.
Da Anwender unter Umständen mehrere Schedule++-Installationen koppeln müssen, etwa dann, wenn das Planungswerkzeug an verschiedenen Standorten eingesetzt wird, benötigen sie ein übergeordnetes Programm, das die Planungsläufe koordiniert. Eine spezielle Ausprägung von Schedule++ erlaubt es dem Supply-Chain-Koordinator, die einzelnen Planer zu überwachen, um Konflikte zu vermeiden. Zudem kann der Koordinator Alternativen simulieren. Beispielsweise lässt sich so durchspielen, ob es das Unternehmen günstiger kommt, eine Baugruppe in einer anderen Betriebsstätte zu fertigen.
APS inklusive
Ähnlich wie OR Soft stützt sich auch das APS-Modul der „Navision“- Software (vormals „Attain“) von Microsoft Business Solutions auf die Datenhaltung im ERP-System. Die Planungsfunktionen sind Bestandteil der ERP-Software.Jeder Kunde erhält zwar das APSSystem, zahlt aber nur dafür, wenn er es auch tatsächlich einsetzt. Sowohl die ERP- als auch die APSDaten speichert Navision in der zentralen Datenbank, wobei die Planungsinformationen durch Statusfelder kenntlich gemacht sind. Für ATP- sowie CTP-Prüfungen schreibt die Business-Software die jeweils erforderlichen ERP-Daten in spezielle Simulationsdateien. Auf diese Weise wird das ERPSystem nicht über Gebühr durch Planungsläufe belastet.
Problem: Datenqualität
So gut die APS-Produkte auch sein mögen: Wenn ihnen keine sauberen ERP-Daten zur Verfügung stehen, nutzt die beste Planung wenig. Sowohl Hersteller als auch Berater stellen fest, dass hier bei Benutzern noch einiges im Argen liegt. So stehen manche Anwender vor dem Problem, die Planungsund Realisierungsdaten anderer Standorte nicht mit der erforderlichen Schnelligkeit zu erhalten. Doch selbst wenn alle Informationen vorliegen, reicht zum Teil die Datenqualität nicht aus. George Berkhof, Senior Solution Consultant SCM bei J.D. Edwards, weiß von einem Projekt zu berichten, in dem das Unternehmen zunächst das ERP-System ausmisten musste, da beispielsweise im Distributionsmodul Einzelprodukt und Palette verwechselt wurden. Nach Expertenmeinung hapert es teilweise deshalb an aussagekräftigen ERPInformationen, weil es für das Daten- Management in der Finanzbuchhaltung und im Personalwesen gesetzliche Vorschriften gibt, im Bereich Produktionsplanung hingegen nicht. So manches
APS-Projekt beginnt aus diesem Grund damit, zunächst die vorhandene ERPInstallation auf Vordermann zu bringen. „In Einzelfällen erkennen Firmen dann, dass sie eigentlich keine APS-Lösung benötigen, sondern bereits mit einem sauber aufgesetzten ERP-System zum Ziel gelangen“, bemerkt FIR-Experte Roesgen. Marktbeobachter rechnen dennoch mit einer zunehmenden Nachfrage nach APS-Funktionen. Viele Firmen haben eingesehen, dass für sie ein umfangreiches Supply-Chain-Management nicht Frage kommt. Vom APS-Ansatz erhoffen sie sich dagegen eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden ERP-Umgebung. (ue/uk)