Outsourcing und die sieben Mythen

19.06.2007
Es war einmal ein Unternehmen, das wollte IT-Dienste auslagern, um Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern. Doch dann kam alles anders als gedacht.

Outsourcing, speziell die Variante in fremde Länder ("Offshoring"), erfreut sich auch in Deutschland einer gewissen, wenn auch eingeschränkten Beliebtheit. Der hiesige Markt kann vom Volumen und der Reife nicht mit dem angelsächsischen Sprachraum mithalten, doch haben alle Regionen eines gemeinsam: Die Fehler, die beim Outsourcing gemacht werden, lassen sich übertragen. Dies hat zumindest den Vorteil, dass deutsche Anwender nicht in die gleichen Fettnäpfchen treten müssen wie ihre Leidensgenossen in Großbritannien und den USA.

Die Wissenschaftler Phanish Puranam und Kannan Srikanth von der London Business School (Website) haben hochrangige Konzern-Manager in Europa und den USA für eine Studie nach ihren Erfahrungen mit dem Auslagern von Diensten befragt. Der Schwerpunkt lag auf der Finanzdienstleistungsindustrie. Gegenüber dem "Wall Street Journal" haben die Wissenschaftler ihre Erkenntnisse zum Outsourcing und Offshoring in "Sieben Mythen" zusammengefasst, die gefährlich für den Erfolg von Auslagerungsprojekten sein können.

1. Alles wird gut

Erfolgskriterien für ein Outsourcing-Vorhaben sind in der Regel die Effizienz (Kosten), die Effektivität (Verbesserungen) sowie die Flexibilität (Anpassungsfähigkeit) – wobei jeweils das Anwenderunternehmen vor und während des Outsourcings als Maßstab dient. Das Problem hierbei sei, dass Anwender häufig davon ausgehen, innerhalb eines Projekts gleich in allen drei Bereichen zu profitieren. Hinzu kommt, dass die Dienstleister nur wenig unternehmen, um die Kunden von diesem Irrglauben abzubringen. Tatsächlich ist es so, dass Verbesserungen in einem Bereich in der Regel zu Abstrichen bei zumindest einem anderen Ziel führen. Die Wissenschaftler raten daher, die Ziele des Outsourcings im Vorfeld zu priorisieren und das Ergebnis innerhalb der Organisation auch zu verkünden. Wenn die Beteiligten unterschiedliche Wünsche haben, sei ein Outsourcing-Projekt noch vor Beginn in höchster Gefahr.

2. Dienstleistungen sind wie Strom

Viele Unternehmen gehen davon aus, dass es beim Outsourcing keine oder nur geringe Reibungsverluste (Transaktionskosten) gibt. Die schlechte Nachricht: Zwischen der Beschaffung von Dienstleistungen und dem Einkauf von Druckerpapier gibt es Unterschiede. Allein die Suche nach dem passenden Partner sowie die Vertragsgestaltung gehen ins Geld. Auch der Übergang und die Synchronisierung der Arbeiten seien Posten, die nicht zu vernachlässigen sind - ganz zu schweigen von den Ausgaben, die zu Beginn der Flitterwochen gar nicht absehbar waren, sondern erst im Laufe der Beziehung "völlig unerwartet" angefallen sind.

3. Bombensichere Verträge

"Länger ist besser" gilt stets für die an der Vertragsgestaltung beteiligten Juristen, jedoch nur selten für Auftraggeber und Dienstleister. Die Wissenschaftler berichten von einem Vertrag einer britischen Behörde, der 1.200 Seiten umfasste, "um den Lieferanten zu kontrollieren". Um die Einhaltung des Vertrages zu kontrollieren und eventuelle Ansatzpunkte für eine Neuverhandlung zu finden, wurde ein spezieller Jurist angeheuert. Die Autoren der Studie bezeichnen die Tendenz, sich für jede Eventualität wappnen zu wollen, als Zeitverschwendung. Im Vertrag gehe es darum, die Rollen und Aufgaben der Parteien zu beschreiben und einen Prozess zu definieren, um Veränderungen umzusetzen.

Hinzu kommt, dass eine übertrieben intensive Vertragsgestaltung die Beziehung zwischen den Beteiligten schon in der Beta-Phase des Projekts belastet. Abgesehen davon kann bei einem derartigen Vertragskonvolut von Flexibilität keine Rede mehr sein: Wenn Veränderungen anstehen, müssen häufig neue Verträge abgeschlossen werden, weil sich die ursprüngliche Übereinkunft beim besten Willen nicht mehr anpassen lässt. Und welcher Manager hat die Zeit und die Muße, 1.200 Seiten zu lesen und zu verstehen, um sich über geeignete Maßnahmen Gedanken zu machen?

4. Papier ist geduldig

Das andere Extrem zu Punkt 3: Statt eines Vertrages wird lediglich eine Absichtserklärung ausformuliert. Hier geht es vornehmlich um die gemeinsame "Vision" und die Ausprägungen der neuen Partnerschaft, nicht jedoch um langweilige Details. Zwar kann eine Absichtserklärung bereits rechtliche Konsequenzen haben, doch bildet sie keinen Billig-Ersatz für einen "echten" Vertrag. Gerade weil häufig in Absichtserklärungen auf Details verzichtet wird, können Anwender hinterher den Dienstleister nur schwer in die Pflicht nehmen, da der Interpretationsspielraum groß ist – und umgekehrt. Kommt es zum Prozess, ist die Beziehung zerrüttet.

Der explizite Verzicht auf einen Vertrag ist in jedem Fall ein nobles Ziel in der Beziehung zum Dienstleister – Vertrauen ist schließlich der Anfang von allem. Unterschiedliche Interessen, etwa der geplante Vertragsabschluss des Dienstleisters mit einem Wettbewerber des Auftraggebers, sorgen für Spannungen. In einem Vertrag können sich Service-Provider und Klienten von Risiken, Belohnungen und Interessen gegenseitig in Kenntnis setzen. Zwei Binsenweisheiten: Irgendwann muss man immer für juristischen Beistand zahlen, und auf dem Mittelweg – in diesem Fall der virtuelle Punkt 3.5 – lässt sich bequem spazieren.

5. Selbst Schuld!

Die Verteilung der Risiken zwischen Kunden und Lieferanten ist ein steter Quell des Ärgers. Bei Anwendern herrscht oft die Einstellung vor, dass der Dienstleister grundsätzlich eine größere Verantwortung (Schuld) trägt als die IT-Abteilung, die zuvor mit der Aufgabe betraut war. Das kann unter Umständen korrekt sein, doch berechtigt es nicht zu der Überzeugung, dass der Service-Provider stets allein an allem Schuld ist. Das Risiko lässt sich nicht vollständig auslagern. Ein Automobilhersteller, der die Entwicklung und Produktion von Sicherheitsgurten herausgegeben hat, kann sich bei technischen Problemen nicht mit dem Verweis auf die vermeintliche Inkompetenz seines Lieferanten komplett aus der Pflicht stehlen – schließlich hat er den Auftrag gegeben, die Spezifikationen gesetzt und die (getesteten) Gurtsysteme verbaut.

Bei jeder Leistung werden Fehler gemacht. Der Vertrag soll nicht dazu dienen, unrealistische Regressforderungen durchzusetzen, sondern beiden Seiten einen Weg aufzeigen, wie im Falle eines Problems gehandelt wird. Ziel muss es sein, Herausforderungen gemeinsam zu meistern, ohne auf dem alten Grundsatz zu beharren: Partnerschaft – der Partner schafft.

6. Nach mir die Sintflut

"Ist die Arbeit erst einmal in Indien, hat der Auftraggeber damit nichts mehr zu schaffen. Verantwortung und Kontrolle werden ausschließlich auf den neuen Partner übertragen, der sich um den Prozessablauf und seine Optimierung kümmern darf. Dafür gibt es gutes Geld." Hier kommt ein gutes Argument gegen Outsourcing zum Tragen: "Ich möchte meine Prozesskompetenz nicht vollständig aus der Hand geben." Eben dieses gilt es auf jeden Fall zu vermeiden. Wer die Zügel schleifen lässt, muss sich nicht wundern, wenn die Pferde (des Dienstleisters) eines Tages die Richtung vorgeben. Auftraggeber müssen sich die Frage stellen, ob sie ihren Mitarbeitern vergleichbare Rechte und Freiräume einräumen würden, wenn die Aufgabe noch von der eigenen IT-Organisation geleistet wird. Eine ausgelagerte Tätigkeit sollte ebenso wenig "aus den Augen, aus dem Sinn" sein wie ein interner Job.

7. Hopp oder Topp

Fast immer ist bereits das erste Outsourcing-Vorhaben von überwältigendem Erfolg gekrönt – vom Lernerfolg. Anwender und ihre Kontaktpersonen lernen, miteinander zu kommunizieren, sich gegenseitig zu koordinieren und Fehler zu erkennen. Diese Erkenntnisse lassen sich dann für den zweiten, dritten oder vierten Outsourcing-Vertrag nutzen. Wer nach ersten negativen Erfahrungen die Flinte ins Korn wirft und zu einem Verfechter des Insourcings wird, für den hat sich das Experiment in der Tat nicht gelohnt. Die Autoren der Studie haben eine einfache Gleichung aufgemacht: Je mehr Erfahrung mit dem Outsourcing, desto größer ist die Chance auf einen Erfolg. Ausnahmen bestätigen nicht nur die Regel, sondern natürlich auch sämtliche Binsenwahrheiten und Mythen. (ajf)

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