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Offshoring: Europäische IT-Dienstleister verlieren den Anschluss

13.06.2007
Was den Aufbau von Offshoring-Kapazitäten in Osteuropa und Asien angeht, sind IBM und Accenture den europäischen Anbietern weit davon geeilt. Laut Forrester Research können nur Capgemini und die Siemens-Tochter SIS einigermaßen mithalten.

Natürlich wissen auch die Forrester-Analysten, dass die Zahl der Mitarbeiter in Offshoring-Regionen allein wenig darüber aussagt, welchen Wert Dienstleister für ihre Kunden generieren. Doch die Marktforscher nehmen diese Zahl einfach mal als Ausgangspunkt für weitere, detailliertere Betrachtungen zum Thema und kommen dabei zu der Erkenntnis: Siemens IT Solutions and Services (SIS) und Capgemini beschäftigen unter den europäischen IT-Dienstleistern die meisten Mitarbeiter in Billiglohnländer. Bei der ehemaligen SBS sollen es 20 Prozent der gesamten Belegschaft sein, bei den Franzosen 18 Prozent. Kommen bei Capgemini allerdings die mit der Übernahme des indischen Dienstleisters Kanbay hinzugewonnenen Beschäftigten dazu, dann liegt das Unternehmen klar in Führung.

Unter den sechs großen europäischen IT-Servicekonzernen schafft bei der Quote der Mitarbeiter in Offshore-Regionen ansonsten nur Logica CMG die Zehn-Prozent-Marke (10,6). Getronics (5,1 Prozent) und Atos Origin (2,4 Prozent) liegen weit dahinter. Abgeschlagen landet T-Systems mit einem Offshoring-Anteil von 0,4 Prozent auf dem letzten Platz.

Laut Forrester wachsen indische und andere Offshore-Dienstleister in Europa derzeit um jährlich 30 Prozent. Dabei erwirtschaften sie nicht selten Profitmargen von über 30 Prozent - Werte, von denen die Europäer nur träumen können. In Reaktion auf den Angriff aus Fernost hätten sich die großen europäischen Anbieter ihrerseits entschieden, Offshore-Kapazitäten aufzubauen und so ihre weltweite Lieferfähigkeit zu verbessern und ihr Angebot zu verbilligen. Doch das sei nicht der einzige Grund: Wie in den USA verlangen inzwischen auch in Europa Kunden sowohl für Projekte als auch für Managed Services Low-cost-Komponenten aus Offshore-Regionen.

Die Erhebungsmethode

Um die Aktivitäten der Europäer angemessen bewerten zu können, hat Forrester diverse Daten eingeholt. Dazu zählt etwa der Maßstab und der Abdeckungsgrad von Global-Delivery-Aktivitäten. Die Marktforscher erhoben Zahl und Lokationen der Offshore-Niederlassungen, die Menge der dort beschäftigten Mitarbeiter sowie deren Sprachkenntnisse und technischen Fähigkeiten. Ebenso wurde das Angebot selbst sowie dessen Detaillierungsgrad unter die Lupe genommen. Dazu gehören beispielsweise die Implementierung und Wartung großer Softwarepakete, das remote Infrastruktur-Management oder auch Geschäftsprozess- und anderes Outsourcing. Ein weiterer Aspekt ist der Zustand und Reifegrad des weltweiten Delivery-Prozesses und der Organisation.

Dabei zeigte sich etwa, dass die Europäer in Sachen globaler Lieferfähigkeit abgeschlagen hinter den Indern zurückliegen. Die US-Konkurrenten IBM und Accenture sollen in Sachen Offshoring sogar einen Vorsprung von zwei bis drei Jahren haben. Big Blue beschäftigt den Forrester-Informationen zufolge 43.500 Menschen in Low-cost-Regionen, Accenture zirka 38.000.

Den Europäern - allen voran Capgemini – wird immerhin konzediert, seit 2004 Fortschritte in Sachen Global Delivery gemacht zu haben und das Tempo der laufenden Anpassungen hoch zu halten. Beispielsweise wollen Atos Origin und Getronics ihr Personal in Low-cost-Regionen bis 2008 verdoppeln – wenn auch von einer niedrigen Basis ausgehend. Die Zeit drängt, obwohl derzeit vor allem US-Unternehmen von ihren Dienstleistern Angebote mit Offshoring-Komponenten erwarten. Capgemini bedient deshalb vor allem die US-Kunden entsprechend, in Europa zählt der Dienstleister laut Forrester lediglich rund 50 aktive Kundenbeziehungen in denen Offshore- oder Nearshore-Bestandteile eine größere Rolle spielen.

So viele Beschäftigte stammen bei führenden IT-Dienstleistern Europas aus Billiglohnländern
So viele Beschäftigte stammen bei führenden IT-Dienstleistern Europas aus Billiglohnländern

Sowohl SIS als auch T-Systems haben in absoluten Zahlen zwar mehr weltweit zu unterstützende Kunden als Capgemini, allerdings laut Forrester in einem kleineren Maßstab und Umfang. Dagegen sollen die drei großen indischen Dienstleister Infosys, Tata Consultancy Services und Wipro jeweils zwischen 130 und 230 europäische Großkunden zählen, mit denen sie deutlich umfangreichere und globalere Abkommen unterhalten als es die europäischen Konkurrenten tun. Für die Europäer gebe es deutlichen Nachholbedarf.

Forrester stellt weiter fest, dass europäische IT-Dienstleister bislang kaum große, komplexe Projekte vollständig an ihre Offshore-Niederlassungen übertragen haben. Beispielsweise werde eine globale ERP-Implementierung mit einem Vertragswert in siebenstelliger Höhe derzeit so gut wie nie an die Experten in Billiglohnregionen abgegeben. Nur Capgemini könne eine substanzielle Zahl entsprechender Projekte vorweisen, bei den anderen großen europäischen Dienstleistern seien sie an einer Hand abzuzählen. Umgekehrt trügen die Offshore-Niederlassungen noch kaum mit innovativen Projektideen zum Erfolg der Unternehmen bei.

Die Analysten sehen Capgemini bis 2009 unter den europäischen Anbietern in Front, wenn es um überregionale Projekte geht. Insbesondere Kunden in Frankreich, Großbritannien und Niederlanden werde der Dienstleister erreichen – auch wenn die globale Abdeckung einer IBM vorerst nicht zu realisieren sei. Kunden, die in Europa und Osteuropa bedient werden möchten, könnten sich auch an Global-Delivery-Anbieter der zweiten Ebene wenden – dazu zählt Forrester beispielsweise Siemens und T-Systems sowie den spanischen Anbieter Indra Sistemas. Fehlende Möglichkeiten im Bereich der globalen Abdeckung könnten diese Anbieter teilweise durch technische Vorzüge ausgleichen. Als Beispiel nennen die Analysten Hosted-SAP-Services von T-Systems. (hv)