Oracle drohen Integrationsprobleme

21.09.2005 von Martin Bayer
Die Konkurrenten warten auf Fehler Oracles und hoffen, von der Unruhe unter den Anwendern zu profitieren. Davon lässt sich der Datenbankspezialist aber nicht beirren und plant auch nach Siebel weitere Käufe.

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  • welche Pläne das Oracle-Management verfolgt;

  • wie die Konkurrenz auf den Milliarden-Deal reagiert;

  • warum den Anwendern unruhige Zeiten drohen.

Hat Oracle mit der Übernahme von Siebel mehr geschluckt, als das Unternehmen verdauen kann? Diese Frage wird auch zwei Wochen nach dem Deal kontrovers diskutiert. Octavio Marenzi, Chef des Beratungsunternehmens Celent, gehört zu den Skeptikern. Merger seien immer schwierig, je mehr Beteiligte jedoch dazukämen, desto problematischer werde es.

Dagegen ist Jim Shepherd, Analyst von AMR Research zuversichtlich, dass Oracle auch die Akquisition des Customer-Relationship-Management-Spezialisten (CRM) gut verdauen wird. Als Beleg führt er die Integration von Peoplesoft an, die reibungsloser vonstatten gegangen sei, als viele Experten es im Vorfeld vermutet hatten.

Oracle - der Jäger

Oracle hat in den vergangenen neun Monaten acht Softwareunternehmen übernommen und dafür fast 18 Milliarden Dollar ausgegeben. Nach einhelliger Meinung der meisten Analysten bleibt dem Datenbankanbieter keine andere Wahl, seinen Börsenwert zu steigern. Nur so könnten die geforderten Wachstumsraten erbracht werden, meint Richard Williams von Garban Institutional Equities. Der Datenbankbereich, obwohl nach wie vor für drei Viertel des Gesamtumsatzes verantwortlich, könne auf Dauer nicht mehr der Motor von Oracles Geschäften sein.

Nach dem Siebel-Deal haben die Oracle-Verantwortlichen die Messlatte hoch gelegt. Demnach soll in den kommenden fünf Jahren der Profit jährlich um 20 Prozent steigen. Diese Vorgabe ist ehrgeizig und dürfte insbesondere die Kunden, die zur Kasse gebeten werden, wenig erfreuen. Im zurückliegenden Geschäftsjahr 2005, das im Mai dieses Jahres endete, legte der Profit im Jahresvergleich um acht Prozent auf knapp 2,9 Milliarden Dollar zu.

Um den Ertrag weiter zu steigern, wird der neue Siebel-Eigentümer vor allem die Kosten drücken müssen. Das dürfte auch zu Lasten der Belegschaft gehen. Williams befürchtet, dass bis zu 2000 der insgesamt rund 5000 Siebel-Mitarbeiter ihren Hut nehmen müssen.

Die Konkurrenz

Bill Gates, Gründer und Chefentwickler von Microsoft: "Larry Ellison hat Konsolidierung vorhergesagt. Damit dies eintritt, sorgt er selbst dafür. Was für eine brillante Prognose."

Marc Benioff, CEO Salesforce. com: "Oracle hat die Siebel-Investoren aus ihrer Misere befreit. Wir tun dies bereits seit Jahren für die Siebel-Anwender."

Greg Gianforte, CEO Rightnow Technologies: "Siebel liefert den Kunden keine Werte. Sie sind es leid, lange Implementierungszeiten und einen unsicheren Return on Invest (RoI) in Kauf nehmen zu müssen."

Siebel - die Beute

Das Ende von Siebel als eigenständiges Softwareunternehmen sei nur eine Frage der Zeit gewesen, so die einhellige Meinung aller Marktbeobachter. Der CRM-Anbieter musste seit 2001 rückläufige Umsätze hinnehmen. Wettbewerber wie SAP, Oracle und auch die On-Demand-Anbieter Salesforce.com und Rightnow Technologies machten dem Platzhirsch im CRM-Revier zunehmend das Geschäft streitig. "Siebel hat die Zeichen gesehen und erkannt, dass es Zeit für einen Deal ist", meint Tom Dwyer, Analyst der Yankee Group.

Obwohl Firmengründer Thomas Siebel gute Miene zum Verkauf machte und den Deal als großartiges Ereignis pries, dürfte mit dem Verkauf an Oracle-Chef Lawrence Ellison der schlimmste Alptraum für den Chairman wahr geworden sein. Siebel hatte vor der Gründung 1993 jahrelang bei Oracle gearbeitet und sich in den Jahren danach mehrfach öffentlich vom weltweit zweitgrößten Softwarehaus distanziert.

Schließlich aber war es der Siebel-Gründer selbst, der den Verkauf gemeinsam mit Ellison bekannt gab. Vom Management rund um CEO George Shaheen war indes nichts zu sehen. Dass Tom Siebel künftig Larry Ellison unterstützen wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Ellisons Äußerung, er hoffe, Siebel noch einige Jahre im Unternehmen zu halten, wurde mit vielsagendem Schweigen quittiert.

Stimmen der Analysten

Rüdiger Spies, Analyst der Experton Group: Für Oracles Integrationsprojekt Fusion gibt es bislang keine erkennbare Linie. Zwar verspricht Oracle, die Siebel-Linien weiter zu pflegen und anzubieten. Die Kunden von Oracle-, Peoplesoft-, Retek- und Siebel-Systemen werden sich jedoch auf einige unangenehme Migrationen einstellen müssen.

Christian Glas, Analyst von Pierre Audoin Consultants (PAC): SAP wird Kunden, die die Kombination Siebel/SAP nutzen, gezielt ansprechen, um sie auf Mysap CRM zu migrieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird SAP sein "Safe-Passage"-Programm auf Siebel-Kunden ausweiten.

Fusion - Oracles Produktstrategie

Wie Oracles künftige Applikationslinie aussehen wird, liegt noch weitgehend im Dunklen. Nach der Peoplesoft-Übernahme hatten die Verantwortlichen Anfang des Jahres angekündigt, mit dem Projekt Fusion ein einheitliches Portfolio entwickeln zu wollen. Trotz Drängen seitens der Anwender, Einzelheiten zu diesem Vorhabens zu erhalten, sah sich der Softwareanbieter bislang außer Stande, Details zu liefern. Lediglich allgemeine Aussagen, die künftige Applikationsplattform werde auf Java und offenen Standards beruhen, waren aus der Konzernzentrale im US-amerikanischen Redwood Shores zu hören.

Ähnlich vage blieben bisher auch die Aussagen zur Zukunft von Oracles CRM-Software. Ellison kündigte lediglich an, dass die Siebel-Produkte im Zentrum der künftigen Lösungen für das Kundenbeziehungs-Management stehen sollen. Was aus den eigenen und übernommenen CRM-Produkten und denen der in den vergangenen Monaten übernommenen Softwarefirmen wird, vermochte er nicht zu sagen.

Indessen bemüht sich Oracle-President Charles Phillips, die Sorgen der Anwender zu zerstreuen. "Es wird Support-Varianten geben, die für immer gelten", betonte er im Vorfeld der Kunden- und Partnerveranstaltung Oracle Open World, die vom 19. bis 21. September in San Francisco stattfand. Außerdem werde kein Anwender gezwungen, auf die Fusion-Produktlinie umzusteigen, versicherte der Manager.

Die Konkurrenz lauert

Von der möglichen Verunsicherung der Siebel-Kunden möchte unter anderen Salesforce.com, Anbieter von On-Demand-CRM-Lösungen profitieren. "Oracle will um jeden Preis gegen SAP bestehen", resümiert Marc Benioff, CEO von Salesforce.com. Der einzige Weg dorthin führe über Firmenzukäufe. Allerdings verfüge Oracle mit der Akquisition von Siebel nun über einen Gemischtwarenladen an CRM-Produkten. "Aber wie erklärt ein Oracle-Verkäufer das seinen Kunden?"

"Wir betrachten dies als eine große geschäftliche Chance", hofft auch Greg Gianforte, CEO und Gründer des On-Demand-Spezialisten Rightnow Technologies. Für die alte Garde der Anbieter von Enterprise-Software sei die Konsolidierung der einzig verbleibende Weg, um Marktanteile zu erobern. Der Trend beim Softwarekauf gehe jedoch eindeutig in Richtung On-Demand. "Siebel hat den Wechsel zwar versucht, kam jedoch zu spät."

Mit Kommentaren zurückgehalten haben sich bislang die Verantwortlichen der IBM. Big Blue, das sich bereits vor Jahren aus dem Applikationsgeschäft verabschiedet hat und seitdem fast ausschließlich auf Infrastruktursoftware konzentriert, verliert mit Siebel einen weiteren wichtigen Applikationspartner. Im vergangenen Jahr hatte die Peoplesoft-Führung vergebens versucht, durch ein engeres Bündnis mit IBM die Übernahme durch Oracle abzuwehren.

Man werde auch künftig Siebel-Kunden mit IBM-Infrastruktur unterstützen, verlautete aus der Konzernzentrale in Armonk. Allerdings werden die Verantwortlichen auch andere Faktoren berücksichtigen müssen. So läuft beispielsweise Siebels On-Demand-Lösung ausschließlich mit IBMs Middleware-Stack "Websphere" und der Datenbank DB2. Experten gehen jedoch davon aus, dass Oracle die Hosting-Angebote langfristig auf die eigene Infrastruktur und Datenbank migrieren wird. Allerdings darf Oracle nicht zu rüde mit dem Rivalen umspringen. Mit über 60000 Endanwendern ist IBM einer der größten Siebel-Anwender weltweit. Microsoft als weiterer großer Siebel-Anwender hatte bereits vor einigen Wochen gemeldet auf die eigenen CRM-Lösungen zu wechseln.

Die Siebel-Übernahme bedeutet für Ellison nicht das Ende der Akquisitionsstrategie. Allerdings stünden derzeit keine größeren Übernahmen vom Kaliber Peoplesofts und Siebels an. Vielmehr solle in den nächsten Monaten mit gezielten Käufen das eigene Software-Portfolio technisch und branchenspezifisch ausgebaut werden.

Auch auf den Gängen von Oracles Open-World-Konferenz wird offen über die nächsten möglichen Opfer spekuliert. Heiße Favoriten sind der Middleware-Spezialist Bea Systems sowie der Data-Warehouse-Anbieter Informatica.