Big Data, Automation und Internet of Things (IoT)

Operational Excellence in der Fertigung

06.02.2017 von Ankit Jamwal
Heute ist das Interesse an Big Data, Automatisierung und Internet of Things (IoT) groß. Kaum jemand in der Fertigungsindustrie spricht jedoch darüber, wie eine systematische Analytik sicherstellen kann, dass die angepeilten Business- und Wettbewerbsvorteile auch wirklich erzielt werden.

Big Data dreht sich um Daten, während IoT sich mit intelligenten Gegenständen und ihrer Vernetzung beschäftigt. Beide Welten – Big Data und IoT – verbinden sich derzeit zum „Industriellen Internet“, das Sensoren, Anwendungen und Technologien verwendet, um Daten von physikalischen Objekten oder anderen Quellen zu sammeln und zu analysieren. Mithilfe der Analyseergebnisse lassen sich dann die Operational Excellence verbessern, Kosten senken und in einigen Fällen auch neue Mehrwert-Services oder Umsatzquellen erschließen.

Um die Vorteile von Big Data, Automatisierung und Internet of Things (IoT) richtig zu nutzen, müssen Unternehmen erst ihre Organisation und die Geschäftsprozesse anpassen.
Foto: MOLPIX/shutterstock.com

In der Industrie fand die Optimierung von Produktionsprozessen bislang vor allem in der physikalischen Welt statt, sei es im Lean Management, der Optimierung der Lieferketten oder der Verbesserung der Produktion. Die damit verbundenen Maßnahmen und Kennzahlen sind alle auf Kosten zentriert, zum Beispiel auf Beschaffungs- und Produktionskosten oder Lagerkapazitäten.

Daten finden sich in der industriellen Produktion praktisch überall: in zahlreichen IT-Systemen wie ERP, PLM, MES oder SRM, in maschinellen Werkzeugen sowie in Tausenden von Tabellen, Arbeitsblättern und anderen Dokumenten. Auch außerhalb des eigenen Unternehmens reißt der Datenstrom nicht ab, er erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu Lieferanten einerseits und zu Abnehmern andererseits.

Datensilos aufbrechen

Doch sind diese Daten bei weitem nicht standardisiert und befinden sich in voneinander getrennten Organisations-, Prozess-, Daten- und System-Silos. Diese gilt es aufzubrechen, wenn es darum geht, die Daten automatisiert zu sammeln und damit die passenden Strategien für das Industrielle Internet zu implementieren. Wer dieses „Streamlining“ schafft und damit eine tiefere, umfassendere und vor allem smartere Analyse seines hybriden Ökosystems ermöglicht, für den eröffnent sich viele neue Business-Chancen und deutliche Vorteile im Betriebsablauf.

Trotz des aktuellen Hypes um Industrie 4.0 scheitern viele Unternehmen noch dabei, pragmatische Pilotprojekte mit dem Ziel des Industriellen Internets zu definieren, auszuwählen und zu priorisieren. Oder sie bauen ihre Strategien statt auf fundierten Business-Szenarien auf technischen Ressourcen auf.

Die folgenden sechs Praxisszenarien zeigen, wie industrielle Fertiger diese Herausforderung meistern können.

1) Ausschreibungen

Viele Produktionseinheiten in der Industrie fungieren als interne Lieferanten für das Produktmanagement, den Vertrieb oder Ausschreibungsprojekte. Im Rahmen des Business Developments und des Erstellens von Angeboten fordert der Vertrieb Kostenschätzungen aus der Produktion an. In Märkten mit starken Wettbewerbern müssen Durchlaufzeiten und die Preise für bestimmte Ausrüstungsgegenstände während der Angebotserstellung möglichst schnell zur Verfügung stehen, sonst droht der Verlust von wichtigen Aufträgen.

Um die Angebotserstellung zu beschleunigen, versucht die Produktion alle möglichen Daten über ehemalige Kosten von verschiedenen Betriebsstätten und zentralen Teams zu erhalten. Sie ist aber oft nicht in der Lage, diese Informationen für Angebote bei neuen Projekten zu verwenden. Daten zu Abschlussquoten des Vertriebs, Kundenwünsche, Protokolle vorheriger Angebote und ausgeführter Projekte sowie Produktbeschreibungen müssen miteinander kombiniert werden, um Angebote schneller und qualitativ besser zu erstellen sowie um Vorlaufzeiten zu reduzieren.

2) Analyse von Non Conformance Reports (NCR)

Die Produktion erfasst während des Betriebs kontinuierlich Daten über auftretende Abweichungen im Fertigungsprozess. Entsprechende Abweichungsberichte (Non Conformance Reports, NCR) dokumentieren, wenn ein Produkt, ein Prozess oder ein Vorgang von den definierten Standards abweicht. Sie dienen als Werkzeug, um wiederholt auftretende Fehler abzustellen.

Das übergreifende Ziel besteht darin, Abweichungen so weit wie möglich zu reduzieren, damit keine mangelhaften Produkte oder Ausrüstungen beim Kunden ankommen. Ein weiteres Element ist die Verwendung standardisierter Anordnungen, um die Umsetzung von Abweichungsberichten direkt auf der Produktionsebene zu beschleunigen. Die Technologien des Industriellen Internets können dabei helfen, Daten über Abweichungen zu analysieren, Verbindungen zwischen unterschiedlichen Abweichungen herzustellen und zukünftige Abweichungen vorherzusagen, um sie abzumildern oder sogar ganz zu vermeiden.

3) Optimierung der Betriebsauslastung

Sales & Operations Planning (S&OP) gehört zum Kern eines Fertigungsunternehmens. Es ist nicht nur das Instrument des Managements zur Umsetzung der Geschäftsziele, sondern auch ein Steuer- und Kontrollsystem, das den strategischen Businessplan und das operative Tagesgeschäft im Unternehmen integriert.

S&OP setzt den Rahmen, damit der tägliche Betrieb und die monatlichen Produktionspläne mit den langfristigen Geschäftszielen übereinstimmen und damit Produktion, Lieferanten und Kunden miteinander in Einklang stehen. Je nach Lebenszyklus eines Produkts wird im Rahmen von S&OP definiert, wie hoch die Auslastung der Produktion in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten ausfallen wird.

Festzulegen, welches Produkt ein Unternehmen wo herstellen wird, ist die Basis für die Auslastung der einzelnen Produktionsstätten. Diese Entscheidung wirkt sich auf die betriebliche und finanzielle Performance aus. So können die unterschiedlichsten Gründe und Einschränkungen auftreten, die es notwendig machen, die Produktion von einer Betriebsstätte zu einer anderen zu verlegen – unter Umständen auch während der schon angelaufenen Produktion.

Um hier im Sinne einer optimalen Produktionsauslastung die Zielkonflikte zu verstehen und auszubalancieren, benötigen Unternehmen eine Strategie des Industriellen Internets. Daten über bisherige Auslastungen, industrielle Präsenz, durchgeführte Projekte, Kundenverhalten oder Änderungen im Umfang der Produktion sind alles Informationen, die dabei helfen können, die Produktionsauslastung zu optimieren.

4) Optimierung der Produktion

Innerhalb der Fertigung gibt es Konzepte der vorbeugenden Instandhaltung und zustandsabhängigen Wartung (CBM – Condition based maintenance and monitoring). Bei diesen Konzepten ist noch viel Luft zur Verbesserung. Einfache, an Maschinen angebrachte Sensoren genügen oft, um Initiativen des Industriellen Internets oder der „Smart Factory“ voranzubringen und zu beschleunigen.

Dank der Verwendung drahtloser Verbindungen und Werkzeugen des „Big Data Processing“ ist es heute einfacher und billiger, aktuelle Performancewerte zu sammeln und die Abnutzung der eingesetzten Geräte und Maschinen zu überwachen. Wenn zum Beispiel bekannt ist, dass ein wichtiges Werkzeug nur bei bestimmten Temperaturen und Vibrationsstärken optimal arbeitet, können Sensoren anzeigen, wenn kritische Schwellen überschritten werden, um Ausfällen oder Störungen vorzubeugen.

Wenn kritische Teile der Ausrüstung ihren Dienst versagen, kommt die Produktion schnell in Zeitverzug, sodass sich Produkte verspäten und Vertragsstrafen drohen. Big Data und das Internet of Things können dabei helfen, die Effektivität der gesamten Anlagen zu verbessern, Ausfälle zu minimieren und die vorbeugende Instandhaltung weiter zu optimieren.

5) Lieferanten und Supply Chain

Mithilfe des Industriellen Internets können sich Fertigungsunternehmen in Echtzeit ein besseres Verständnis ihrer Lieferketten-Informationen verschaffen. Wenn sie die Produktionsstätten mit den Lieferanten verbinden, erhalten alle Beteiligten Einblick in gegenseitige Abhängigkeiten, in den Materialfluss und die Phasen der jeweiligen Produktionszyklen.

Ins Internet of Things eingebettete Systeme können so konfiguriert werden, dass sie Standortverfolgungen, die Fernüberwachung von Lägern und Berichte über die Bewegung von Produkt(teilen) entlang der Lieferkette ermöglichen. Darüber hinaus können sie Lieferinformationen aus ERP-, PLM- und anderen Systemen sammeln, aufbereiten und in diese wieder einspeisen.

Der Zugang zu Echtzeitinformationen macht es möglich, Probleme zu identifizieren, noch bevor sie auftreten, Lagerkapazitäten zu verkleinern und sogar den Eigenkapitalbedarf zu senken.

6) Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Umweltschutz

Die Aspekte Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Umweltschutz sind entscheidende Faktoren für den Betrieb von Produktionsstätten. Kennzahlen zu Verletzungs- und Krankheitsraten, Fehlzeiten, Beinahe-Unfällen oder Beschädigung und Verlust von Eigentum werden im täglichen Betrieb kontinuierlich erhoben. Diese Messungen fließen in eine Unzahl von Systemen, Tabellen oder E-Mails ein und sind sporadisch Teil von Berichten bei Überprüfungen seitens des Managements oder bei Audits.

Im Ergebnis haben die verzögert bereitgestellten Indikatoren nur noch selten Relevanz und Ursachenanalysen sind entsprechend limitiert. Eine zielführend definierte Strategie des Industriellen Internets und der damit verbundenen Analytik kann hier nachhaltig helfen, die wichtigsten Probleme im Bereich Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Umweltschutz zu identifizieren und zu adressieren.

Obwohl heutzutage ein Bewusstsein für die CO2-Bilanz von Unternehmen besteht, gibt es wenige kosteneffiziente Messsysteme und Managementwerkzeuge, die den Energieverbrauch optimieren. Die Anwendung von IIoT (Industrial Internet of Things) und die Automatisierung von Emissionskontrollen, zum Beispiel durch Systeme der Heiz- und Klimatechnik oder Smart Grids, senken Kosten. Miteinander vernetzte Energielösungen können die hohen Preise der Hauptnutzungszeiten vermeiden und berechnen, welche Verbrauchsszenarien am wirtschaftlichsten sind. Auch Wetterdaten und -vorhersagen helfen dabei, den eigenen Energieverbrauch zu verstehen, besser zu planen und dadurch die Produktionskosten erheblich zu senken.

Risiken und Stolpersteine

Die skizzierten Anwendungsfälle spiegeln einen pragmatischen Ansatz für Industrieunternehmen wider, mit dessen Hilfe sich erste Schritte in Richtung Big Data, Datenanalytik, Automatisierung, Industrie 4.0 und Industrielles Internet of Things gehen lassen. Nutzen stellt sich damit schnell ein: zum Beispiel eine verbesserte Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter, sinkende finanzielle Risiken, weniger Ausfallzeiten, höhere Qualität in Prozessen und Produkten oder kürzere Durchlauf- und Lieferzeiten. Doch genauso wichtig ist es, sich die damit verbundenen Herausforderungen und Risiken vor Augen zu führen:

• Mangelnde Priorisierungen und Beschränkungen seitens des Budgets

• Fehlendes Verständnis im Unternehmen, geschäftlichen Nutzen zu definieren und zu erzielen

• Mangelnde Regelungen bezüglich des Zugangs zu sensiblen Daten und ihrem Schutz vor Diebstahl oder Missbrauch

• Schlechte Systemintegration über unterschiedliche IT-Anwendungslandschaften hinweg

• Nach dem Sammeln all der verschiedenen Daten ist es nötig, diese auch zu analysieren und Empfehlungen auszusprechen. Hierbei ist es erfolgsentscheidend, über Mitarbeiter mit den passenden Kompetenzen zu verfügen.

• Finden der passenden Lieferanten mit dem notwendigen technischen Know-how einerseits und starken analytischen Fähigkeiten andererseits.

• Das Industrielle Internet steht für ein neues, sich weiter entwickelndes Ökosystem der Datenanalytik. Es ist keine singuläre Technologie, sondern ein Set sich überlappender Technologien. Deshalb werden Unternehmen höchstwahrscheinlich verschiedene Lösungen der Datenanalyse sowie unterschiedliche Datenmanagementsysteme verwenden. Die Herausforderung besteht darin zu entscheiden, welches System das jeweils richtige ist, bzw. die verschiedenen Systeme miteinander zu verbinden.

Doch wie beginnen? Um die eigene Strategie in Richtung Industrielles Internet ans Laufen zu bringen, empfiehlt sich ein Innovationsworkshop, der die relevanten Entscheider und Beteiligten zusammenbringt. In vier Stunden ist es möglich, die entsprechenden Konzepte zu erklären und vorzustellen, welche Maßnahmen andere Unternehmen der Branche bereits ergriffen haben.

Anschließend steht ein Brainstorming bezüglich des Wertversprechens für das eigene Unternehmen an: Welches Geschäftspotenzial lässt sich erschließen? Ein bis zwei Pilotprojekte am Anfang genügen, um den Nutzen anhand konkreter Praxisbeispiele zu demonstrieren. Besonders Erfolg versprechend sind Projekte, bei denen die Businessanforderungen am höchsten und die meisten Daten verfügbar sind.

Industrieunternehmen sollten umgehend analysieren, wie das Industrielle Internet ihre Produktion und ihr gesamtes Business voranbringen kann. Zudem sollten sie genügend Ressourcen, Partner und Infrastruktur bereitstellen, um die notwendigen Schritte zu gehen. Denn falls sie dies versäumen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie in ihren Märkten und gegenüber ihrem Mitbewerb zurückfallen. (mb)