Grundlage für Novell Enterprise Linux

OpenSUSE Linux 11.0 mit KDE 4 im Kurztest

31.07.2008 von Markus Franz
Das neue Major Release der Linux-Distribution OpenSUSE bringt eine Reihe von Verbesserungen für professionelle und private Nutzer. Die COMPUTERWOCHE hat die neue Distribution angetestet.

Viele Anwender und Fans haben sehnsüchtig auf OpenSUSE 11.0 gewartet - und es hat sich gelohnt. Die Linux-Distribution ist auf eine randvolle DVD angewachsen. Mit 4,4 GB kommen vier Desktops und zahlreiche Änderungen auf die Festplatte. Trotz immer größerer Konkurrenz durch Ubuntu gehört OpenSUSE immer noch zu den beliebtesten Distributionen weltweit. Zwar richtet sich OpenSUSE vor allem an Heimanwender mit professionellen Ambitionen. Doch das Paket dient zugleich als Grundlage für Novell Enterprise Linux auf dem Server und dem Desktop.

Die Installation: Neuer Look, neuer Prozess

Zum ersten Mal steht OpenSUSE in zwei Versionen bereit: Einerseits gibt es eine Live-CD mit den Desktops Gnome oder KDE, wie man es von Ubuntu kennt. Über dieses Medium lässt sich das Betriebssystem auch installieren. Die wesentliche größere Variante bildet die Installations-DVD, die mehr Software mitbringt. Jeder kann OpenSUSE kostenlos für 32-Bit, 64-Bit- oder PowerPC-Systeme herunterladen. Gleichzeitig gibt es wie gewohnt auch eine Boxed-Edition von Novell, die neben der DVD auch noch Handbücher und Support enthält. Für Einsteiger ist das sicher das bessere Angebot.

Eines fällt bei der Installation sofort auf: Die Oberfläche des Assistenten, der OpenSUSE auf dem Rechner einrichtet, wurde komplett neu gestaltet. Sie ist zwar immer noch ähnlich aufgeteilt wie in der Vorgängerversion, glänzt aber durch ein deutlich eleganteres Design. Nicht nur die Oberfläche wurde überarbeitet, sondern der gesamte Installationsprozess optimiert: Es gibt zahlreiche Änderungen unter der Haube, mit denen Novell die Bedienung für jeden Anwender vereinfachen möchte.

Software installiert in Rekordzeit

Dazu gehört vor allem, dass der Installer endlich an Geschwindigkeit zugelegt hat: Spielte der Vorgänger noch jedes Paket einzeln auf die Festplatte, gibt es nun eine abbildbasierende Installation: Abhängig vom gewählten Desktop schaufelt der Installer in Rekordzeit ein Grundsystem auf die Festplatte, um dann weitere Pakete darauf einzuspielen. Auch sind die Pakete selbst deutlich kleiner, da von bzip2- auf lzma-Kompression umgestellt wurde. Mit diesem Verfahren schließt OpenSUSE als erste Linux-Distribution zu anderen modernen Betriebssystemen wie Windows Vista auf, die ebenfalls mit Abbildern zur Installation arbeiten. Dieses Feature ist zwar standardmäßig aktiviert, kann aber auch jederzeit deaktiviert werden.

Hardware automatisch konfigurieren

Standardmäßig ist zudem die Option zur automatischen Konfiguration der Hardware aktiviert: Mussten Benutzer früher noch mit viel Mühe jede Komponente des Computers einzeln konfigurieren, erledigt der Installer diese Aufgabe nun, ohne einen einzigen Mausklick zu benötigen. Und das funktioniert richtig gut - im Test richtet der Assistent alles korrekt ein: Als Umgebung diente das Notebook Dell Inspiron 1525, das mit einem Intel Celeron 540 (1,86 GHz), 1GB Arbeitsspeicher und der üblichen OnBoard-Grafik sowie OnBoard-Wireless ausgestattet ist. OpenSUSE 11 erkennt als erstes Release sogar die Widescreen-Auflösung des Bildschirms zuverlässig.

Den einzigen Haken gab es beim Touchpad: Im Installationsassistent funktionierte noch alles korrekt. Beim ersten Start des Systems reagierte das Touchpad aber nur sehr träge - dann wieder zu schnell. Scrollen war überhaupt nicht möglich, ebenso kein vernünftiges Klicken. Nachdem das Gsynaptic-Tool im Kontrollzentrum gestartet wurde, ging nichts mehr: Das Touchpad reagierte nach der Benutzeranmeldung auf keine Aktion. Abhilfe schaffte erst das einmalige Anstecken einer externen USB-Maus. Damit ließ sich nicht nur über SAX2 das Touchpad neu konfigurieren. Auf wundersame Weise fanden auch die Mausbewegungen zu einem einheitlichen Verhalten.

Der überarbeitete Konfigurationsassistent lässt aber immer noch die Freiheit, um LVM oder RAID für das System einzurichten. Wer alles optimal kontrollieren möchte, kann die automatische Konfiguration auch abschalten. dann versucht OpenSUSE zwar weiterhin, das richtige Modell zu erkennen und schlägt eine passende Konfiguration vor, diese kann aber bis ins Details angepasst werden.

Endlich: keine Probleme mit GSM und UMTS

Die angenehme Erkennung aktueller Hardware setzt sich auch im Betrieb fort: OpenSUSE unterstützt nun GSM-Datenverbindungen über Handys oder UMTS-Boxen. Früheren Versionen bereiteten insbesondere die UMTS-Boxen Probleme: Viele melden sich nicht nur als Modem, sondern auch als Massenspeicher, auf dem die Treiber (natürlich nur für Windows) enthalten sind, am System an. Das Modem bleibt so durch Linux so unerkannt. OpenSUSE 11.0 überzeugt hier aber im Test: Nachdem eine T-Mobile Web'n'Walk-Box Micro (entspricht Huawei E220) angesteckt wurde, erschien im NetworkManager in Gnome ein Eintrag "Auto GSM network connection" direkt über den verfügbaren WLANs. Ein Klick darauf genügt, um mit HSDPA-Geschwindigkeit mobil ins Internet zu gehen. OpenSUSE unterstützt diese komfortable Möglichkeit auch für einige UMTS-Karten im ExpressCard-Format.

Von Gnome bis KDE: alles topaktuell

Wie immer ist OpenSUSE auf dem aktuellsten Stand: KDE 4.04, Gnome 2.22, X.org 7.3, der Linux-Kernel 2.6.25.5 sowie glibc 2.8 und GCC 4.3 sind in die aktuelle Version eingezogen. Enthalten ist aber auch noch KDE 3.5.9, da es gegenüber KDE 4 als stabiler gilt. Der schlanke XFCE-Desktop, aktualisiert auf Release 4.4.2, macht das ausgeglichene Bild komplett.

Linux-Desktops: die Qual der Wahl

Bei der Wahl des Desktops gilt es aber, genau zu überlegen: Gnome bietet die stabilste Umgebung und ist für Linux-Neulinge sicher am einfachsten zu bedienen. Mit Evolution, OpenOffice.org und Firefox sind Applikationen enthalten, die sehr gut mit dem Desktop verzahnt sind und daher ein rundes Bild abgeben. KDE ist dagegen etwas schwieriger zu bedienen, schneidet aber in einigen Spezialfällen - zum Beispiel beim Umgang mit Bluetooth oder der Unterstützung von Handys und MP3-Playern - etwas besser ab.

Das OpenSUSE-Projekt weist darauf hin, dass KDE 3 derzeit noch "stabiler und ausgereifter" sei. Wer bei der Installation das aktuelle KDE 4 wählt, muss mit weniger Stabilität auskommen - auch wenn die Neuerungen beim Dateimanager, Browser und Audio-System bestechend sind. KDE 3 wird von OpenSUSE-Community als die stabilste Variante von KDE ausgezeichnet. Standardmäßig gibt OpenSUSE als einzige Distribution keiner Umgebung den Vorzug: Weder Gnome noch KDE ist vorausgewählt.

Virtualisierung inside: Xen oder VirtualBox

Mit VirtualBox können Benutzer auch andere Betriebssysteme unter OpenSUSE laufen lassen.

Mit Xen 3.2.1 und VirtualBox 1.5.6 sind auch aktuelle Lösungen zur Virtualisierung Bestandteil von OpenSUSE. Insbesondere VirtualBox erfordert aber einiges Nacharbeiten, damit die Installation auch läuft: Der Kerneltreiber liegt zwar nach der Installation auf der Festplatte, muss aber manuell eingebunden werden. Für alltägliche Arbeiten haben die Entwickler Firefox 3.0 und OpenOffice 2.4 beigelegt. Auffällig am neuen OpenSUSE ist, dass die Designer auch bei den Splash-Screens zugeschlagen haben: Gimp, OpenOffice und viele andere Anwendungen haben einen einheitlichen dunkelgrauen Startbildschirm erhalten.

Überarbeitet: die Paketverwaltung

Viele Anwender wechselten nicht zuletzt deshalb zu anderen Linux-Distributionen, weil in Vorgängerversionen von OpenSUSE eine mangelhafte Paketverwaltung enthalten war. Mit OpenSUSE 11.0 hat Novell dieses Manko ausgemerzt: Die Softwareverwaltung in der Distribution wurde radikal verändert. Statt der gewohnten XML-Dateien, die Metadaten für rpm (yum) enthalten, gibt es nun das neue wörterbuchbasierende SOLV-Format. Dadurch reduziert sich die Größe des Paketdepots auf etwa ein Drittel - was zu spürbar besserer Leistung führt.

Gleichzeitig wird nun zypp als grafische Oberfläche für die Paketverwaltung verwendet. Mit PackageKit steht zudem eine Schnittstelle bereit, die von vielen Systemverwaltungswerkzeugen (auch Novell ZenWorks) angesteuert werden kann. Schon zum Erscheinen der Distribution gibt es auch eine ganze Reihe an Community-Repositories, die neben der Software auf DVD oder CD zahlreiche andere Programme enthalten. OpenSUSE kann nun komfortabel mit solchen externen Quellen umgehen. Nützlich wird das zum Beispiel, wenn man sich für KDE 4 eine eigene Paketquelle anlegt. Dann erhält man automatisch immer die neueste Version des Desktop.

Auch wenn die Softwareverwaltung mit Yast recht ähnlich aussieht, wurde sie optisch runderneuert und fügt sich besser in das neue Gesamtkonzept von OpenSUSE ein. Yast zur Systemverwaltung gibt es nun sogar in zwei Ausgaben: Die Qt-Version ist für KDE ausgelegt. Dagegen integriert sich die Gtk-Version am besten in den Gnome-Desktop. Unangenehm fällt immer noch auf, dass die Softwareverwaltung in Yast ständig die Paketquellen aktualisiert. Das kostet unnötig Zeit.

Unnötige Schwäche: Sicherheit

Die Zielgruppe von OpenSUSE wird bei einem Blick auf die Sicherheit des Systems nochmals deutlich. Für den Einsatz in sensiblen Unternehmensbereichen sollten Interessierte besser ein Enterprise Linux kaufen. Zwar startet die Firewall in OpenSUSE 11.0 automatisch, jedoch ist Novells hauseigene Sicherheitserweiterung AppArmor standardmäßig deaktiviert.

Gleichzeitig untergräbt Novell ein Grundkonzept von Linux: Nur der Systemadministrator kann Änderungen am Kern der Installation durchführen. Im neuen OpenSUSE ist aber zunächst standardmäßig das Kennwort des Admin identisch mit dem Kennwort des ersten Benutzers, der während der Installation angelegt wurde. Ein einfacher Dialog wie in den Vorgängerversionen, in denen das Admin-Kennwort separat festgelegt werden kann, wäre hier wünschenswert gewesen. Im Yast gibt es nun auch noch einen Assistenten, der das Sudo-Verhalten für einzelne Benutzer detailliert regelt. Einerseits bedeutet das im Einzelfall mehr Komfort. Andererseits aber unterminiert es die Sicherheit des Systems in den meisten Fällen.

Eine weitere Unart hat OpenSUSE von den Linux-Schwestern Mandrake und Ubuntu übernommen: Der bei der Installation angelegte Benutzer wird - auch wenn ein Kennwort für diesen festgelegt wurde - ohne besondere Anmeldung beim Starten des Computers angemeldet. Verlässt man sich auf diesen Schutz, kann das unangenehme Folgen haben: Der Rechner steht hochgefahren bereit und jeder hat Zugriff auf die Benutzerdokumente.

Der Desktop: KDE 3 oder 4?

KDE 3.5.9 ist eine stabile Desktopumgebung, die sich über Jahre bewährt hat. Wie alle Desktops auf OpenSUSE hat Novell deren Aussehen vereinheitlicht. Damit ist ein Wechsel oder permanenter Parallelbetrieb problemlos möglich. Vom Bootloader Grub über den Splash Screen und von Applikationen bis hin zum Login-Fenster - alles erscheint einheitlich. OpenSUSE gibt sich hier als angenehm integrierte Distribution.

Auf den ersten Blick unterscheidet KDE 3 nur wenig von KDE 4. Viele Anwendungen in OpenSUSE wurden auf KDE 4 portiert, laufen aber weiterhin auch auf KDE 3 oder stehen als Backport dafür zur Verfügung. Man kann daher erwarten, dass mit dem Erscheinen von KDE 4.1 die alte 3er-Serie aus der Distribution verschwinden wird - spätestens mit OpenSUSE 11.1.

Wer seine KDE-3-Einstellungen und Optionen unter KDE 4 weiter verwenden will, kann diese in den meisten Fällen konvertieren: Im Test hat der komplett überarbeitete Browser die Lesezeichen aus dem alten Konqueror ohne Probleme verarbeitet. Ebenso einfach ging der Import der maildir-Dateien in KMail sowie das Überspielen von Newsfeeds aus Akregator. Der neue Dateimanager wird dem Anwender schnell zum Freund: Dolphin ist deutlich bequemer und auch ein wenig schneller als der Vorgänger aus KDE 3.

Unangenehm sind im Test einige Abstürze aufgefallen: Diese kamen meist recht unerwartet, wenn zahlreiche Eigenschaften in den Systemeinstellungen geändert wurden. Ein Neustart der grafischen Oberfläche brachte jedoch keine Probleme oder gar Datenverlust. Ebenfalls noch nicht funktionsfähig ist die Flash-Unterstützung im neuen Konqueror: Das liegt aber mehr an KDE selbst und nicht an OpenSUSE.

Gnome 2.2: stabile Alternative zu KDE

Legte (Open)Suse noch vor einigen Jahren klar den Fokus auf den KDE-Desktop, ist Gnome mit OpenSUSE 11.0 vollständig gleichberechtigt in der Novell-Welt angekommen: Der Desktop wirkt angenehm aufgeräumt und ist im bunten Grünblau gehalten, das man überall in OpenSUSE findet. Das Startmenü ist fast identisch mit dem in KDE 3 und 4. Hier hat Novell ganze Arbeit geleistet und ein einheitliches Look & Feel geschaffen.

Gnome wird aufgrund der Beliebtheit von Ubuntu weltweit am häufigsten eingesetzt. Daher fühlen sich Firefox, OpenOffice und Evolution naturgemäß etwas besser unter Gnome an. Diese Projekte stehen dem Desktop näher. Ähnlich wie in KDE wurden die Einstellungen von Gnome in einem Kontrollzentrum gebündelt.

Trotz der gewohnten Stabilität ließ sich im Test nicht sinnvoll mit Bluetooth arbeiten. Unter Gnome gibt es dafür keine guten und stabilen Applikationen, die den Dateiaustausch oder andere Dienste konfigurieren können. Schwammig ist auch der Zugriff auf Netzwerk-Server über den Dateimanager Nautilus, der in einigen Fällen sehr lange für eine SFTP-Verbindung brauchte. Unverständlich ist, dass in OpenSUSE das Gnome-Pendant zum Remote Desktop unter KDE - das Paket tsclient - nicht standardmäßig mitinstalliert wird. Nur damit ist ein reibungsloser Zugriff auf Microsoft Terminal Services über das Remote-Desktop-Protokoll (RDP) möglich.

Enttäuschend: der Multimedia-Support

Für Menschen, die gerne mit Musik und Filmen arbeiten, ist die Multimedia-Unterstützung auch in OpenSUSE 11.0 enttäuschend. Einige selbst aufgestellte Regeln der Entwickler verhindern es, dass Plugins oder Codecs in die Distribution einziehen, die nur unter einer eingeschränkten Lizenz verfügbar sind. Zwar kann jeder Anwender ohne Probleme Audio-CDs oder Flash-Filme abspielen. Schon bei MPEG-Filmen muss er aber weitere Codecs installieren. Ärgerlich ist dabei, dass in Gnome die Fehlermeldungen dazu nicht einmal richtig übersetzt wurden.

Als Anwendungen für Multimedia stehen Banshee, Amarok, Totem, Kaffeine, zahlreiche Brennprogramme und andere Tools bereit. Wer auf volle Multimedia-Unterstützung nicht verzichten will, sollte im OpenSUSE-Wiki die Anleitung lesen: Dort wird eine Paketquelle bereitgestellt, mit der sich die betreffenden Pakete in einem Rutsch nachinstallieren lassen. Dann spielt OpenSUSE auch verschlüsselte DVDs ab oder kann mit Win32-Codecs umgehen.

Fazit

Mit OpenSUSE 11.0 hat Novell eine runderneuerte Distribution vorgestellt, die gut gelungen ist. Heimanwendern dürften die einheitliche Oberfläche und der neue Installer Spaß machen. Im professionellen Einsatz überzeugen die neue Softwareverwaltung und Kleinigkeiten wie die exzellente UMTS-Unterstützung. Mit KDE 3 und 4 sowie Gnome und einigen alternativen Desktops haben Benutzer die Wahl. Gleichzeitig können sie auf das umfangreiche Softwareangebot auf der Installations-DVD und den externen Repositories zurückgreifen.

Zwar hat die Sicherheit in einigen Punkten etwas gelitten. Trotzdem aber ist OpenSUSE 11.0 eine sichere Plattform für Arbeit und Multimedia im privaten Umfeld oder für Entwickler. Wie jedes Punkt-0-Release offenbart das System aber immer noch einige Fehler. Mancher Anwender wird also vielleicht noch auf OpenSUSE 11.1 warten, das im Herbst erscheinen soll. In jedem Fall bleibt es spannend, was Novell mit dem nächsten Enterprise Linux auf der guten Grundlage von OpenSUSE macht.