Open Source - die zweite Generation

08.02.2006 von Wolfgang Herrmann
Eine neue Klasse von Startups drängt in den Markt für Business-Anwendungen. Ausgestattet mit Wagniskapital und erfahrenen Führungskräften, fordert sie die etablierten Hersteller heraus.

Sie heißen Alfresco, Pentahoe, Intalio oder Zimbra. Und sie könnten die neuen Stars der Open-Source-Szene werden. Daran glauben zumindest US-amerikanische Wagniskapitalgeber. Linux, Apache, PHP und MySQL - in den Augen so mancher Venture Capitalists (VCs) ist das kalter Kaffee. Die wirklich heißen Startups beschäftigen sich mit Themen wie Enterprise-Content-Management (ECM), Business Intelligence (BI) oder Custo-mer-Relationship-Management (CRM). Dafür stehen die Vertreter einer neuen Generation, für die die Branche auch schon ein neues Schlagwort kreiert hat: Open Source 2.0.

Hier lesen Sie …

  • wie Open-Source-Startups neue Märkte erobern;

  • warum immer mehr Wagniskapitalgeber in die Neugründungen investieren;

  • wie Anwender davon profitieren können.

Carlo Velten, Experton Group: "Mehr als 100 Open-Source- Firmen wurden in den letzten zwei Jahren gegründet."
Foto: Qitera

Mehr als 100 Open-Source-Firmen wurden in den vergangenen 24 Monaten gegründet, schätzt Carlo Velten vom Marktforschungs- und Beratungshaus Experton Group. Etwa 300 Millionen Dollar Venture Capital flossen in deren Erst- und Zweitrundenfinanzierungen. In den nächsten zwei Jahren werde das Investitionsvolumen auf 500 Millionen Dollar steigen. Im Vergleich zu den Milliardeninvestments der etablierten Hersteller klingt das nach einer überschaubaren Summe; doch gemessen an den raren Finanzengagements früherer Jahre sei das Volumen durchaus bemerkenswert: "Im Durchschnitt sind das fünf bis zehn Millionen Dollar in der Erstrunde, und das für Unternehmen, die im Grunde nichts anderes tun, als Open-Source-Software neu zu verpacken und dafür Services anzubieten."

Regional sind die Firmengründungen einseitig verteilt. Die meisten Startups entstehen in Nordamerika, deutsche Anbieter wie Collax bilden die Ausnahme. Nach Veltens Einschätzung gehen die VCs von einer schlichten These aus: IT und IT-Management sind zu teuer. Open-Source-Startups ermöglichen zum Teil drastische Einsparungen und bieten damit auch den Geldgebern im Hintergrund eine aussichtsreiche Perspektive.

Die finanzierten Firmen zeichneten sich durch Eigenschaften aus, die bei den Startups der Jahre 1997 bis 2001 ("Generation Open Source 1.0") nur schwach ausgeprägt waren, erläutert der Experton-Mann. "Anbieter Open-Source-basierender Lösungen richten ihre Produktentwicklung und das Marketing mittlerweile streng an den Anforderungen der Kunden aus." Die Geschäftsmodelle konzentrierten sich auf den kombinierten Vertrieb von Lösungen und Services, deren Qualität mittlerweile den üblichen Marktstandards entspreche. Dazu gehöre auch ein professionelles Produkt-Management. Der Großteil der Open-Source-Firmen habe seine Release- und Update-Zyklen den in der Branche akzeptierten Modellen angepasst und informiere frühzeitig über Produktneuerungen und Rollouts.

Customer-Relationship- Management

Klassische Business-Anwendungen wie ERP oder CRM spielten in der Open-Source-Welt bislang nur eine Nebenrolle. Mit den Startups der zweiten Generation wächst das Angebot und die Nachfrage.

Die gestiegene Professionalität kommt nicht von ungefähr. In vielen der neuen Startups haben branchenerfahrene Management-Teams das Sagen. Zu den prominentesten Beispielen gehört Sugar CRM, Anfang 2004 gegründet von drei ehemaligen Managern des CRM-Spezialisten Epiphany. Nach gut einem Jahr hatten John Roberts, Clint Oram und Jacob Taylor knapp 19 Millionen Dollar Venture Capital eingesammelt. Mit rund 350 000 Downloads der quelloffenen Software und mehr als 300 Kunden für die kommerziellen Versionen inklusive Support avancierte Sugar CRM zu einer der erfolgreichsten Unternehmensanwendungen auf Open-Source-Basis.

Enterprise-Content-Management

Weit weniger bekannt ist die im Juni 2005 entstandene Firma Alfresco. Mitgründer und CTO des auf ECM spezialisierten Unternehmens ist John Newton. Er gehörte schon zu den Gründern des ECM-Anbieters Documentum, der zwischenzeitlich von EMC übernommen wurde. Alfresco-CEO John Powell sammelte als COO von Business Objects Erfahrungen. Ein anderer Newcomer aus dem vergangenen Jahr ist Pentahoe. Mit einer quelloffenen Business-Intelligence-Lösung will das Unternehmen aus Orlando im US-Bundesstaat Florida den etablierten Anbietern Paroli bieten. Zur Führungscrew gehören ehemalige Manager von SAS, Lawson, Hyperion und Oracle.

Bereits seit dem Jahr 2003 aktiv ist Zimbra, früher unter dem Namen Liquid Systems bekannt. Als Open-Source-Alternative zu kommerziellen Collaboration-Produkten wie "Notes/Domino" von IBM oder Microsofts "Exchange" positioniert das kalifornische Unternehmen seine "Zimbra Collaboration Suite". Chief Technology Officer Scott Dietzen war zuvor Technikchef bei Bea Systems.

Open-Source- Startups (Auswahl)

Enterprise-Content-Management. Gegründet 2005

Business-Process-Management. Gegründet 1999.

Reporting. Gegründet 2001

Business Intelligence. Gegründet 2005.

Customer Relationship Management. Gegründet 2004.

Collaboration. Gegründet 2003.

"Open Source wandert den Software-Stack hoch", kommentiert Matthew Langham vom Paderborner IT-Dienstleister S&N. Nach dem Hype um das Linux-Betriebssystem, Datenbanken und Entwicklungsplattformen entständen nun "konkrete Lösungen für Business-Probleme". Zwei Wellen kennzeichneten diese Entwicklung: Einerseits etablierten sich Spezialanbieter wie Alfresco oder die kalifornische Funambol, die eine Middleware-Plattform für die Mobilfunkbranche offeriert. Andererseits träten Dienstleister wie Spikesource oder Sourcelabs auf den Plan, die Kunden einen kompletten Softwarestack anböten.

Spikesource-Chefin Kim Polese vergleicht die Open-Source-Bewegung mit einem Baumarkt. Unternehmen, die ihre IT-Entwicklungen selbst in die Hand nehmen wollen, könnten sich darin bedienen. Nach dieser Diktion vertreibt ihre Company eine Art Open-Source-Baukasten mit entsprechenden Services. Langham sieht in solchen fertigen Lösungen den wichtigsten Nutzen quelloffener Software für kleine und mittlere Betriebe. In Großunternehmen stießen die Themen Integration und Content-Management auf das größte Interesse.

Kostenvorteile

Die Open-Source-Community wirbt seit jeher mit der Offenheit und Anpassbarkeit der Systeme. Trotzdem geht es in den Nutzenbetrachtungen von Unternehmen meistens um potenzielle Kostenersparnisse, beobachtet Velten. Diesen Vorzügen ständen indes Nachteile gegenüber: "Ein Restrisiko bleibt für die Anwender." Niemand könne vorhersagen, wie es beispielsweise mit Sugar CRM weitergehe, sollten Closed-Source-Hersteller ihre Patente als juristische Waffe einsetzen: "Für ein Unternehmen mit 3000 CRM-Usern ist das Risiko möglicherweise zu hoch." Eine andere Gefahr ergebe sich aus der Logik der VC-Branche. Wenn das Geschäft nicht läuft, machen die Finanziers den Laden schnell wieder dicht. Im überhitzten VC-Markt gehört das zum Alltag. Velten: "Viele Startups werden sang- und klanglos verschwinden."

Dennoch rollt der Zug weiter. Die Open Source Business Conference 2005 in San Francisco markierte bereits einen Meilenstein in der Kommerzialisierung quelloffener Software. Für die diesjährige Veranstaltung (14. bis 15. Februar) haben sich eine ganze Reihe neuer Companies angesagt. Aus einem Pool von mehr als 150 potenziellen Open-Source-Startups geben die Veranstalter rund 20 Newcomern ein Forum, darunter Bitrock, Continuent, Logicalware und Splunk. Vielleicht wird sich die Softwarebranche schon bald auch an diese Namen gewöhnen müssen.