Office-System-Softwarebrücken sind nur die eine Perspektive:Gateways oder Standards - das ist immer noch die Frage

19.02.1988

"Brückenköpfe zwischen den Systemen" war Titel einer IDC-Studie, die der EDP-Deutschland-Report Ende letzten Jahres für den bundesdeutschen Markt der Bürokommunikationssysteme herausgebracht hat. Ulf Beyschlag von Softlab, München, empfand den Inhalt als ärgerlich, weil am Markt vorbei interpretiert und wesentliche Alternativen außer acht gelassen wurden.

Die Kernaussage der Studie, so wie sie in dem Report dargestellt ist, ist folgende: In den Jahren 1985-1988 wird der Markt für Office-System-Gateways oder Softwarebrücken gewaltige Zuwachsraten verzeichnen. Diese Systeme bieten als spezifisch Neues die Möglichkeit, zwei vollkommen inkompatible Systeme zu verbinden. Sie dienen der Übertragung von Dokumenten oder "elektronischer" Post von einer Anwendung zur anderen. Durch die zunehmende Anzahl von Anbietern müssen auch zunehmend unterschiedliche Standards unterstützt werden.

Office-System-Gateways werden somit als die Zukunftsperspektive für die Verbindung heterogener Bürosysteme dargestellt.

Eine solche Aussage kann nicht ohne Widerspruch hingenommen werden. Eine sehr, sehr wichtige Alternative wird hier vollkommen außer acht gelassen: die Verwendung einheitlicher Kommunikationsverfahren, die von allen Bürosystemen verwendet werden.

Nicht immer sind die Unterschiede zwischen beiden Alternativen leicht verständlich. Vertriebsleute von Herstellern nutzen konsequent diese Situation aus. Auf die Bemerkung eines Kunden, daß das angebotene System doch nicht mit den existierenden kompatibel sei, wird zwischen den jeweiligen Systemen ein Kasten gezeichnet, der mit Linien die unterschiedlichen Systeme miteinander verbindet. Dieser Kasten wird als Gateway bezeichnet und als Lösung aller Probleme "verkauft". Der Kunde staunt und schweigt.

Der in der Studie benutzte Begriff "Softwarebrücke" folgt derselben Philosophie. Eine Brücke verbindet zwei getrennte Welten und erlaubt den reibungslosen Austausch. Wenn aber nun auf der einen Seite der Brücke eine Eisenbahnlinie und auf der anderen Seite eine Straße den Zugang darstellt, sind auf der Brücke noch erhebliche zusätzliche Installationen erforderlich, um einen Austausch überhaupt zu ermöglichen. Selbst wenn dies erfolgt ist, ist ein effizienter Austausch nicht zu erreichen.

Diesem Bild mit den beiden unterschiedlichen Brückenzugängen entspricht viel eher die Problematik der Anbindung unterschiedlicher Bürosysteme. Heutige Bürosysteme sind zumeist sehr komfortabel. Ihre Funktionalitäten ähneln sich zum Teil, in vielen Funktionalitäten unterscheiden sie sich jedoch stark. Der Teufel liegt hier im Detail.

Will man diese Systeme miteinander verbinden, so gelingt das mit Gateways recht gut für die gemeinsamen Funktionalitäten. Die anderen Funktionalitäten bleiben auf der Strecke. Darüber hinaus muß ich mir als Benutzer genau merken, mit welchem Kommunikationspartner ich in welcher Form Dokumente und Nachrichten austauschen kann. Dies hängt vom DV-System meines Partners ab. Kann das das erstrebenswerte Ziel sein? Selbst eine aufwendige Betreuung durch Fachpersonal kann die Benutzer nicht vor Frustrationen schützen.

Die Qualität eines Gateways hängt somit in erster Linie vom Grad der Kompatibilität der zu verbindenden Systeme ab. Hinzu kommt natürlich die Qualität der Realisierung. Traditionelle Knackpunkte sind: die Adressierung der Partner, Übermittlungsbestätigungen, Dokumentenformate und für den Betrieb des Gateways Wartung und Zuverlässigkeit.

Die IDC-Studie prognostiziert einen schnell wachsenden Markt, wodurch die Gateway-Preise rasch sinken werden. Unter Berücksichtigung der geschilderten Probleme ist damit kaum zu rechnen.

Der Druck zur Verbindung unterschiedlicher Bürosysteme ist jedoch sehr groß. Hier ist der Studie Recht zu geben. Zum Glück gibt es aber nicht nur Gateways als Lösung, sondern auch die Verwendung internationaler Standards.

Internationale Standards wie X.400 (Message Handling Systems), ODA (Office Document Architecture) und andere sind heute keine Zukunftsmusik mehr, sondern stabil und zum großen Teil als Produkte verfügbar. Auf der CeBIT '88 wird es sowohl eine X.400-Demonstration als auch eine ODA-Demonstration mehrerer Hersteller geben.

Der Vorteil der Verwendung internationaler Standards liegt in erster Linie darin, daß die sie implementierenden Systeme alle auf der Basis einer gemeinsamen Funktionalität zusammengeschlossen sind. Diese Funktionalität spiegelt sich dann in allen angeschlossenen Bürosystemen wider. Dies führt zwangsweise zu einer gewissen Angleichung der Implementierungen. Eine solche Angleichung auf einen gemeinsamen Nenner macht natürlich nur dann Sinn, wenn der Standard durch eine niedrige Funktionalität nicht zum Flaschenhals der Bürokommunikation wird. Die obengenannten relevanten Standards sind glücklicherweise sehr reich an Funktionen und bieten die Möglichkeit der Anpassung an zukünftige technologische Entwicklungen.

Eine Verbindung von Bürosystemen auf der Basis von internationalen Standards ist somit prinzipiell einer Gateway-Lösung vorzuziehen. Dies haben nicht nur viele Anwender und die Europäische Gemeinschaft, sondern auch die Hersteller erkannt. Vor etwa zwei Jahren war noch die Frage: IBM oder OSI? Heute ist die Antwort: IBM und OSI! IBM erläutert bei jeder Gelegenheit dem Anwender, daß OSI und die damit. verbundenen internationalen Standards die empfohlene Anbindung von Nicht-IBM-Systemen an IBM-Systeme darstellt. SNA ist dann die Empfehlung zur Kommunikation innerhalb der homogenen IBM-Welt. Die anderen Hersteller gehen in ihren Aussagen noch viel weiter.

Somit geht es heute nur noch übergangsweise darum, irgendwelche Brücken mit Gateway-Funktionalität zwischen Bürosystemen zu bauen. Überall entstehen statt dessen Flugplätze, auf denen die Flugzeuge starten und auf kürzestem Weg mit höchster Leistung jedes beliebige Ziel ansteuern.