Ring frei

Nvidia Tegra versus Intel Atom

25.06.2009 von Michael Schmelzle
Der neue Tegra-Chip soll zum dicken Fisch im Hause Nvidia werden. Mit seiner Hilfe sollen Netbooks ab 150 Euro möglich werden, die HD-Videos ruckelfrei abspielen mit Akkus, die tagelang halten.

Die Besonderheit am Nvidia Tegra ist, dass er auf der Fläche von einem Kaugummistreifen ein gesamtes Computersystem zusammenbringen kann. Zentrale Komponenten wie CPU, Grafikkern, Speicher, Bild- und HD-Video-Prozessor sowie die Leitungen für wichtige Schnittstellen wie HDMI und USB finden alle Platz auf einem einzigen Modul. Besonderen Wert haben die Ingenieure von Nvidia beim Tegra-Modul auf einen minimalen Stromverbrauch gelegt. Es gibt zum Beispiel beim Tegra einen Prozessor von ARM, der ausschließlich für das Energie-Management da ist. Dieser schaltet einzelne Funktionsbereiche sofort aus, wenn sie vom System gerade nicht benötigt werden.

Mit dem Tegra den ganzen Tag mobil

Mit dem Tegra will Nvidia das Versprechen einlösen, das Intel für die Atom-Plattform zugesagt hat. Sehr lange Akku-Laufzeiten, die Mobilität für den ganzen Tag garantieren. Was Nvidia dem Tegra zutraut, kling viel versprechend: So soll etwa ein Tegra-Gerät für die Wiedergabe von hoch aufgelösten Videos nur 0,3 Watt benötigen. Ein Netbook auf Atom-Basis zieht dafür circa 30 Watt aus dem Akku, bräuchte also rund hundertmal soviel Energie.

Unglaublich ausdauernd: Nvidia Tegra im Vergleich zu Intel Atom und Qualcomm Snapdragon

Geradezu unglaublich klingt die Herstellerangabe, dass ein Tegra-Netbook bis zu 25 Tage Musik abspielen kann, bis es wieder an der Steckdose auftanken muss. Ein vergleichbares Atom-Netbook hält laut Nvidia nur fünf Stunden durch. Allerdings findet sich in der Fußnote zu diesen Angaben der Hinweis, das Nvidia die Messungen mit einem 1-Watt-Display durchgeführt hat. Da der Bildschirm bei Netbooks zu den Hauptstromfressern gehört, sind die Herstellerangaben von Nvidia also mit Vorsicht zu genießen.

Spottbillig: Tegra-Netbook ab 150 Euro

Tegra-Netbook: Vorserienmodell Vivid des Auftragsfertigers Pegatron

Ein weiterer Vorteil des kompakten Tegra-Moduls: Es erlaubt nicht nur sehr kleine mobile Geräte, sondern lässt sich auch kostengünstiger produzieren als Systeme, die die Atom-Plattform von Intel nutzen. Allein schon der Rohstoffeinsatz ist bei einem Atom-Gerät viel größer, da die Intel-CPU eine Hauptplatine mit Chipsatz plus Arbeitsspeicher benötigt. Entsprechend soll ein Netbook auf Tegra-Basis - Nvidia spricht hier lieber von einem Smartbook - bereits ab 150 Euro in den Handel kommen.

Für 0 Euro: Ebenso wie Intel mit den Atom-Netbooks will auch Nvidia bei den Telekommunikations-Unternehmen große Stückzahlen absetzen. Für Ihren neuen Mobilfunkvertrag könnte also bald auch ein Tegra-Netbook den Lockvogel spielen. Nvidia verhandelt deswegen weltweit mit namhaften Telekommunikations-Firmen, für Deutschland steht aber noch kein Vertragspartner fest.

Und das ist nur der Anfang: Laut Nvidia-Fahrplan soll der nächste Tegra bei gleichem Verbrauch die 4fache Leistung bieten

Neben Netbooks soll der Tegra auch in Smartphones und Multimedia-Player eine Heimat finden. So hat beispielsweise Microsoft im Podcast Zune Insider 24 bestätigt, das der Zune HD auf Tegra setzt. Und Tegra soll auch der immer noch "virtuellen" Produktklasse Mobile Internet Device (MID) Leben einhauchen. Und das ist erst der Anfang. Der Tegra-Fahrplan sieht vor, dass der Nachfolger bei gleicherm Stromverbrauch die vierfache Leistung bringt - sagt Nvidia. Doch zunächst sollten erst einmal die Vorseriengeräte mit dem Ur-Tegra die Serienreife erlangen. Was Sie im Herbst 2009 erwarten dürfen, offenbaren die Prototypen taiwanesischer Auftragsfertiger in der nachfolgenden Bildgalerie.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation PC-Welt. (pah)

Nvidia Tegra im Detail

Nvidias 10 Cent: Die Kernkomponente der Plattform, der namensgebende Grafik-Prozessor Tegra

Das Tegra-Modul von Nvidia umfasst drei Hauptfunktionseinheiten. Als CPU fungiert der RISC-Prozessor ARM11. Der ARM11 ist also keine x86-CPU wie der Intel Atom und unterstützt deswegen auch nicht Windows XP und Vista. Für Tegra-Geräte sind derzeit die beiden Betriebssystemen Windows Mobile und Google Android vorgesehen. Das heißt, Sie können mit Ihrem Tegra-Netbook das breite Spektrum von XP- und Vista-Software nicht nutzen.

Von ARM stammt auch der Steuerungschip ARM7, der hauptsächlich für das Energie-Management zuständig ist. Den namensgebenden Grafikprozessor Tegra kommt von Nvidia. Er basiert auf dem komplett neu entwickelten Grafikkern Geforce ULP (Ultra Low Voltage). Laut Nvidia soll die 3D-Leistung des Tegra für flüssige Bildraten mit dem Urgestein Quake reichen. Das 1996 von den Shooter-Spezialisten Id Software veröffentlichte Spiel stellt im Vergleich zu modernen Titeln aber auch nur geringe Hardware-Ansprüche.

Nvidia Tegra 600 und 650

Nvidia Tegra 600 und 650: Technische Daten im Vergleich

Den Grafikprozessor Tegra gibt es in zwei Versionen. Die wichtigsten Unterschiede zwischen Tegra 600 und 650 liegen im Grafikchip-Takt von 600 respektive 750 MHz sowie den integrierten De- und Encodern für HD-Videos: Der Tegra 600 unterstützt nur die 720p-Auflösung, der Tegra 650 auch 1080p. Das Tegra-Duo decodiert die beiden gängigsten HD-Formate H.264 sowie VC-1, die Encodierung erfolgt ausschließlich in 720p in H.264.

In den beiden Tegra-Chips enthalten ist auch ein Audio-Chip, der die Formate AAC, AMR, MP3 und WMA beherrscht, eine 2D-Engine für die Bildausgabe auf bis zu zwei Monitoren sowie ein Bildsignal-Prozessor, der Fotos bis zu einer Auflösung von zwölf Megapixel verarbeiten kann. Auf dem Tegra-Modul befindet sich auch zwei 166 MHz schnelle DDR-SDRAM-Chips des Typs Hynix H5MS1G32MFP-J3M. Sie fungieren als Arbeitsspeicher und fassen 2 x 32 MB. Als Massenspeicher für System-nahe Programme dient ein Flash-Chip, der laut Nvidia ebenfalls 32 MB groß sein soll.

Hardware-Beschleuniger des Nvidia Tegra

Hardware-Beschleunigung für Flash: Nvidia arbeitet beim Tegra eng mit Adobe zusammen

Der Tegra-Chip von Nvidia setzt auf Hardware-Beschleunigung. Das gilt insbesondere für Applikationen, die beim Surfen im Internet wichtig sind. Eine Schlüsselrolle spielt gerade bei Video-Streams aus dem Web Adobe Flash. Laut Nvidia ist Flash bereits in über 80 Prozent der Top-100-Websites integriert. Deshalb haben Nvidia und Adobe beim Tegra eine strategische Partnerschaft vereinbart, um die Hardware-Beschleunigung für Flash zu optimieren. Wir konnten uns bei einer Live-Demonstration davon überzeugen, dass der Tegra Flash-Streams ruckelfrei abspielt. Das galt auch für die Hardware-beschleunigte Wiedergabe von HD-Videos. Ein von der Apple-Website gestarteter Kino-Trailer lief auf dem Tegra-Gerät ebenfalls flüssig.

Fazit: Nvidia Tegra

Tablet-PC zum erschwinglichen Preis: Mobinnova Mabo mit Nvidia Tegra (Vorserienmodell)

In ein paar Jahren fährt Tegra die Hälfte des Nvidia-Umsatzes ein. Das glaubt zumindest Nvidia-Boss Jen-Hsun Huang, der kürzlich auf einem Analysten treffen diese kühne Behauptung äußerte, um den Stellenwert der Tegra-Plattform für das Unternehmen zu unterstreichen. Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was Nvidia über den Tegra behauptet, könnte Huang recht behalten: Preisgünstige Mobile Internet Devices (MIDs), Smartphones und Netbooks ab 150 Euro, die mit einer Akkuladung tatsächlich den ganzen Tag durchhalten - egal ob Sie HD-Videos schauen, im Internet surfen, PDFs lesen und Texte schreiben - haben das Potential zum Verkaufsschlager.

Ob der Tegra die vollmundigen Versprechen von Nvidia erfüllen kann, wird sich ab Oktober 2009 zeigen. Dann sollen die Geräte auf den Markt kommen. Hält der Tegra, was Nvidia verspricht, ist Intel in punkto Mobilität mit dem Atom nicht mehr konkurrenzfähig. Mit Pineview will Intel zwar Ende 2009 eine sparsamere und kompaktere Atom-Plattform vorstellen. So klein und so stromsparend wie der Tegra ist Pineview wegen der x86-Kompatibilität allerdings nicht. Was sich im ultramobilen Bereich der Smartphones und MIDs als KO-Kriterium erweist, dürfte dem Atom hingegen bei Netbooks zugute kommen. Denn:

Statt gewohntem Windows-Desktop erwartet Sie bei Tegra-Netbooks eine stark abgespeckte, aber intuitive Benutzerführung

Tegra-Geräte sind keine vollwertigen Windows-PCs. Das gilt vor allem im Hinblick auf die vertraute Software, mit der Sie tagtäglich unter Windows XP und Vista arbeiten. Nicht jeder mag sich auf die mobilen Versionen von Word , Excel und Co. umstellen, wenn er mit seinem Tegra-Netbook unterwegs ist. Ganz zu schweigen von den lieb gewonnenen PC-Programmen, für die es keine mobile Version oder Alternative gibt. Und auch der Datenabgleich zwischen dem PC zu Hause und dem Tegra-Netbook dürfte auch nicht immer reibungslos verlaufen.

Wenn also auf Ihrem Netbook Windows XP oder Vista sowie in Kürze Windows 7 laufen soll, sind Sie auf den Intel Atom angewiesen, als exotische Alternative kommt noch der VIA C7 in Frage. Doch was die Netbook-Plattform von Intel betrifft, bietet Nvidia mit dem Ion inzwischen eine bessere Lösung für die Atom-CPU an. Der Test des Nettop Acer Aspire R3600 Revo verrät, warum Nvidia mittlerweile auch hier die Nase vorn hat.

(PC-Welt)