Berlin setzt bei Pannenhilfe auf IP-Technik

Notruf per VoIP

24.02.2010 von Adrian Schuster
VoIP und Notruf - das waren zwei Begriffe, die sich bis vor kurzem gegenseitig ausschlossen. Dass VoIP auch in sicherheitskritischen Umgebungen funktioniert, zeigt das Beispiel der notorisch klammen Bundeshauptstadt Berlin.
Mit Sicherheit unverzichtbar - Fluchtwege und Notrufstationen sind deutlich gekennzeichnet.
Foto: Cisco

Pioniercharakter hat ein IT-Projekt, das die Berliner Senatsverwaltung verwirklichte: Zum ersten Mal wurde mit dem Segen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eine Voice-over-IP-Anbindung von Notrufsäulen in Straßentunneln realisiert.

Ein Mut, der sich gelohnt hat: Der ADAC beurteilte beispielsweise den Autobahntunnel am Flughafen Tegel mit "sehr gut". Verkehrs- und Sicherheitstechnik, so der Automobilclub, seien auf neuestem Technikstand und ließen nichts zu wünschen übrig. Der Tunnel führt die A 111 unter dem Flughafengelände hindurch in Richtung Norden zur A 10. Die Verkehrsdichte ist hoch: Pro Tag werden etwa 90.000 Fahrzeuge gezählt.

Neben der optimalen Verkehrssteuerung hat auch die Sicherheit oberste Priorität in den Tunneln.
Foto: Print

Der nach 19-monatiger Grundsanierung wieder freigegebene Tunnel Flughafen Tegel ist nur einer von zwölf Berliner Straßentunneln, die mittlerweile per IP und VoIP vernetzt sind. Die Tunnel ergeben eine Gesamtlänge von 9,1 Kilometern und umfassen Streckenabschnitte von Bundesautobahnen und Landesstraßen. Das wohl bekannteste Beispiel für einen landeseigenen Tunnel ist der Tiergarten-Tunnel, der den gleichnamigen Park im Herzen der Hauptstadt auf einer Länge von knapp zweieinhalb Kilometern unterquert.

Ob Bundes- oder Landesstraße - in Sachen Steuerung, Verkehrslenkung und Sicherheit laufen alle Fäden in der gemeinsamen Tunnelleitzentrale Berlin (TLZ-BE) zusammen. Parallel hierzu werden die Daten der Verkehrsbeeinflussungsanlagen (VBA) zur Verkehrsregelungszentrale (VKRZ) in Tempelhof übertragen. In der TLZ-BE, in unmittelbarer Nähe zum A-111-Tunnel, flimmern rund um die Uhr Bilder von mehreren hundert Videokameras auf insgesamt 26 Monitoren. Im Ernstfall, etwa bei Brandverdacht, lässt sich ein Tunnel sofort ferngesteuert sperren.

Langfristiger Planungshorizont

Die Tunnel in Berlin sind ringförmig an die Leitzentrale Tegel angebunden.
Foto: Cisco

"Bis vor fünf Jahren war jeder Straßentunnel einzeln über separate Verbindungen an die Leitzentrale angebunden", erklärt Octavia Görlitzer, Projekt-Managerin bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die ursprüngliche Infrastruktur. Die Berliner Behörde ist verantwortlich für Planung, Betrieb und Wartung sowohl der landeseigenen Straßentunnel als auch von Bundesautobahnen, Letzteres im Auftrag der zuständigen Stellen des BMVBS. Rechtliche Grundlage sind die Richtlinien für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln (RABT), ein umfassendes Regelwerk, das kontinuierlich an technische Möglichkeiten und veränderte Anforderungen angepasst wird.

Um das ständig steigende Datenaufkommen der Berliner Tunnelanlagen effizienter zu managen und die RABT-Vorgaben umfassend zu erfüllen, wollte die Senatsverwaltung die historisch gewachsene Anbindungsinfrastruktur vereinheitlichen. "Uns schwebte eine Integrationsplattform vor, die langfristig Bestand hat", sagt Projekt-Managerin Görlitzer. "Vor allem sollte das Netz in der Lage sein, neue Aufgaben ohne nennenswerte Eingriffe an der Basisinfrastruktur zu übernehmen. In unserem Metier reicht der Planungshorizont nicht fünf oder sieben, sondern 20 Jahre."

Integration gefordert

Die Mitarbeiter der Tunnelleitzentrale haben alle Straßentunnel gut im Blick.
Foto: Cisco

Die eigentliche Ausschreibung des Projekts erfolgte dann durch das IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ), das als zentraler IT-Partner der öffentlichen Verwaltung Berlins fungiert. Besonderen Stellenwert hatten dabei Punkte wie Ausfallsicherheit, Integrationskraft und Zukunftsfähigkeit. Letztlich fiel das Votum zugunsten Ciscos aus. Rückblickend kommentiert Görlitzer das Ausschreibungsergebnis so: "Für Cisco sprachen verschiedene Gründe, so etwa das breitgefächerte Portfolio oder die Möglichkeit, alle benötigten Komponenten komplett aus einer Hand zu bekommen, einschließlich der Tools für Wartung und Betrieb." Last, but not least spielten bei der Entscheidung auch die Unterstützung offener Standards und Interoperabilität eine Rolle, um das Zusammenspiel mit bestehenden und künftigen Systemen zu ermöglichen.

Konkret hat Görlitzer die Integration bestehender Systeme im angrenzenden Land Brandenburg im Sinn, etwa bei der Archivierung verkehrstechnischer Daten in der Verkehrsrechnerzentrale Brandenburg (VRZ). Ebenso wichtig ist Integration am südlichen Hauptstadtrand, zum Beispiel auf der A 113 im Umfeld des künftigen Großflughafens Schönefeld. Über das aktuelle Verkehrsgeschehen in den nahegelegenen Tunneln Rudower Höhe und Altglienicke müssen Autofahrer rechtzeitig informiert werden, also schon jenseits der Berliner Stadtgrenzen. Eine spätere optionale Verknüpfung mit Brandenburger Signal- und Anzeigesystemen sollte also mit der Systemlösung realisierbar sein.

Präventiver Ausfallschutz

Beim Aufbau des Berliner Tunnel-Netzwerks konnte auf vorhandene Glasfaser- sowie Kupferleitungen entlang der Autobahntrassen zurückgegriffen werden. Den Kern der Infrastruktur bilden Cisco-Switches der Catalyst-6506-Reihe in der Tegeler Leitzentrale und in der Tunnelwarte Britz. In den Tunneln regeln Catalyst-4500- und Catalyst-3560- Switches den digitalen Datenverkehr. Redundanz und Ausfallschutz sind im Netz auf unterschiedlichen Ebenen implementiert: zum einen durch eine ringförmige Streckenführung zwischen Tegel und Britz, die den Datenpaketen bei Leitungsstörungen immer alternative Pfade eröffnet. Zum anderen sind die Core-Komponenten in sich redundant und folglich hochverfügbar konfiguriert.

Pannenhilfe per Voice over IP: Die Notrufsäulen in den Berliner Autobahntunneln.
Foto: Cisco

Als Generalunternehmer ist die Netfox AG für den Betrieb und die Überwachung des Netzes verantwortlich. Ferner organisiert das in Kleinmachnow ansässige Systemhaus beispielsweise den Fernzugriff diverser Partnerfirmen aus dem gesamten Bundesgebiet auf Basis einer Security Appliance, die aufgabenbezogen verschlüsselte VPN-Zugänge bereitstellt. Für die Senatsverwaltung hat dies laut Görlitzer den Vorteil, "dass wir es nur mit einem Ansprechpartner zu tun haben und die Verantwortlichkeiten klar geregelt sind".

Beim eigentlichen Monitoring kommt die Netfox-Eigenentwicklung "Colan" zum Einsatz. Das System wertet permanent Log-Informationen sämtlicher Netzkomponenten aus. Verdächtige Ereignisse oder kritische Systemzustände einzelner Komponenten lösen automatisch Alarmmeldungen an die zuständigen Mitarbeiter aus. Mögliche Störungsursachen werden erkannt, bevor es zu einer Beeinträchtigung im Netzwerk kommt.

Voice over IP unterirdisch

Insgesamt 9,1 Kilometer sind die zwölf Berliner Straßentunnel lang.
Foto: Cisco

Dass IP-Netze fast zu schade für den bloßen Datentransport sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dennoch gab es in Deutschland bislang keine einzige Voice-over-IP-Notrufsäule in einem Straßentunnel. "Den Verantwortlichen fehlte ganz einfach das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der gar nicht mehr so jungen Technik. Verständlich insofern, als diese Telefone unter keinen Umständen gestört werden dürfen", sagt Andreas Barsch, Geschäftsführer der Globits GmbH in Berlin. Als Unified-Communications-Spezialist saß das Unternehmen beim Berliner Tunnelprojekt mit im Boot. Schließlich ließen sich die Verantwortlichen beim Bund doch überzeugen. In den Tunneln Flughafen Tegel, Rudower Höhe und Altglienicke werden inzwischen IP-Notrufsäulen eingesetzt, die von einem Cisco Unified Communications Manager versorgt werden. Dieses System ist ebenfalls redundant installiert - einmal in der Tegeler Leitzentrale und einmal in der Tunnelwarte Britz. Schrittweise werden auch die diversen Tunnel-Betriebsstätten per IP angebunden und auf Voice over IP umgestellt. Vier von ihnen sind überdies drahtlos per WLAN vernetzt, so dass kostenfreie Mobiltelefonate auf großflächigem Gelände möglich sind.

"Generell können IP-Netzwerke nicht nur Sprache, sondern jede erdenkliche Spielart digitaler Informationen transportieren", kommentiert Barsch. Per IP lassen sich beispielsweise auch technische Sensoren und Stellglieder integrieren sowie Rauchmelder, Temperaturfühler oder elektronische Anzeigetafeln. Und natürlich auch die weiträumig verteilten Videokameras, deren Bilder auf den Monitoren in der Tegeler Leitzentrale flimmern. Diese Übertragungsmöglichkeiten sind bisher für die Anlagen der Bundesautobahnen in Berlin aber nicht vorgesehen.