Ankuendigung auf der Lotusphere

Notes 4.0: Schoenheitsfehler trueben den positiven Eindruck

26.01.1996

Die Version 4.0 von Lotus Notes ist mit einer Fuelle neuer Eigenschaften und Moeglichkeiten ausgestattet. Hier sollen nur die wichtigsten Novitaeten mit ihren Konsequenzen fuer die Anwender vorgestellt werden.

Auf den ersten Blick praesentiert sich die Benutzeroberflaeche von Notes 4.0 ohne grosse Veraenderungen. Allerdings sind nun die Anwendungs-Icons gestapelt, das heisst, ueber ein Icon kann je nach Konfiguration auf verschiedene Kopien einer Datenbank zugegriffen werden. Das verhindert eine Ueberfrachtung des Bildschirms und erleichtert die mobile Nutzung sowie die Administration des Systems.

Die Menuefuehrung wurde zudem voellig ueberarbeitet, die Gliederung gestrafft und aufgabenorientiert gestaltet. Nach kurzer Umgewoehnungszeit erscheint die neue Ordnung durchaus logisch.

Am augenfaelligsten werden die Aenderungen beim Oeffnen von Datenbanken. Statt einer unabaenderlichen Listendarstellung wird nun eine modifizierbare Dreiteilung des Anwendungsfensters in Einstiegspunkte, Listendarstellung und Vorschau auf das aktuelle Dokumente angeboten. Dadurch kann der Benutzer Menge und Schwerpunkt der angezeigten Informationen frei bestimmen.

Bei der Bearbeitung von Dokumenten faellt auf, dass die Editiermoeglichkeiten verbessert wurden. Texteigenschaften wie Tabulatoren lassen sich nun einfacher gestalten. Darueber hinaus koennen Steuerungselemente wie versteckte Zeichen angezeigt und bearbeitet werden. Durch die vollstaendige Unterstuetzung von OLE 2.0 sind Windows-Daten sehr einfach einzubinden und "in place" zu bearbeiten.

Eine echte Neuerung der Notes-Benutzeroberflaeche stellt der Eigenschaften-Dialog dar. Einmal aufgerufen, zeigt und veraendert er kontextabhaengig alle relevanten Informationen zum aktuell selektierten Objekt. Der Eigenschaften-Dialog ersetzt verschiedene Notes-Dialoge, in denen die Informationen bisher ueber die Notes- Benutzeroberflaeche verstreut wurden. Als zentrale Koordinationsstelle erleichtert er nicht nur die Bearbeitung von Dokumenten, beispielsweise das Veraendern von Texteigenschaften, sondern auch die Entwicklung von Notes-Anwendungen.

Auf der Verwaltungsseite sticht der Administrationsdialog hervor, der die wichtigsten Verwaltungsaufgaben von Lotus Notes zusammenfasst. Neben den ueblichen Operationen wie dem Anlegen neuer Benutzer oder dem Verwalten von Zertifikaten vereinfacht das Werkzeug auch komplexere Aufgaben wie die Auswertung von Server- Statistiken.

Der Administrationsdialog ermoeglicht es, alle Server einer Notes- Installation von jedem berechtigten Arbeitsplatz aus zu warten. Aus der Ferne lassen sich so Server-Konfigurationsparameter setzen und Mail-Weiterleitungen verfolgen. Fuer komplexere, datenbankuebergreifende Aufgaben stehen spezielle Administrationsagenten zur Verfuegung, die Routineaufgaben automatisieren.

Diese Hilfsmittel senken den fuer Notes noetigen Administrationsaufwand deutlich. Unterstuetzt werden sie durch eine Reihe von Ueberwachungs- und Analysefunktionen. So laesst sich beispielsweise auf der Ebene der Netzprotokolle der Verbindungsaufbau zu einem anderen Server ueberpruefen. Bei bestimmten Ereignissen wie der Unterschreitung von Begrenzungen fuer freien Speicherplatz koennen Warnungen an die Administratoren abgesetzt werden.

Nach unterschiedlichen Kriterien analysierbar sind die Server-Log- Datenbanken, die saemtliche Server-Operationen aufzeichnen. Eine aehnliche Analyse laesst sich fuer jede Notes-Datenbank sowie saemtliche ihrer Kopien vornehmen. Alle diese Funktionen ermoeglichen es den Notes-Administratoren, Probleme schneller zu identifizieren und zu beseitigen.

Auch die mobile Nutzung von Notes-Clients ist mit der Version 4.0 erheblich einfacher geworden. Die unterschiedlichen Verbindungskonfigurationen, die einem mobilen Anwender zur Verfuegung stehen, lassen sich mit Hilfe der neu geschaffenen Lokationsdokumente verwalten. Netzwerk-, Modem-, Mail- und Replikationskonfigurationen muessen nicht mehr an jedem Standort muehsam von Hand geaendert werden, sondern sind durch die Auswahl der jeweiligen Lokation kollektiv umzustellen.

Ein "Replikator" steuert die Mail-Uebertragung und die Abstimmung der verschiedenen Datenbanken im Detail. Ohne den bisher notwendigen Programmieraufwand lassen sich jetzt Dokumentenuntermengen der jeweiligen Datenbanken selektiv replizieren. Die "Pass-Through-Server" ermoeglichen es mobilen Nutzern, ueber die Anwahl eines einzigen Servers saemtliche Notes- Server innerhalb eines Netzwerkes zu erreichen. Last, but not least verringert die "feldbasierte Replikation" die Kommunikationskosten, indem sie erlaubt, anstelle ganzer Dokumente nur die tatsaechlich geaenderten Felder zwischen den Systemen zu uebertragen.

Die Client-Funktionalitaet wird weiter durch lokale Zugriffssteuerung sowie Volltextindexierung im Hintergrund ergaenzt. Die verschiedenen Zugriffsebenen fuer Datenbanken gelten jetzt auch fuer lokale Replikate. Das vermindert die Moeglichkeiten fuer eine missbraeuchliche Nutzung lokaler Datenbankkopien und den dadurch erforderlichen Administrationsaufwand.

Zudem sind Notes-Clients nun in der Lage, selbstaendig eine Volltextindizierung lokaler Datenbankkopien vorzunehmen. Damit entfallen durch eine manuelle Indizierung hervorgerufene Inkonsistenzen zwischen Datenbankzustand und Volltextindex.

Verbessert hat Lotus die Moeglichkeiten der Anwendungsentwicklung. Innerhalb der Notes-Applikationen lassen sich Dokumente nun durch Sektionen unterteilen, die Detailinformationen nur bei Bedarf anzeigen. Wiederkehrende Designkomponenten werden in Formularen zusammengefasst, so dass sie gemeinsam gewartet werden koennen.

"Navigatoren" ermoeglichen eine grafische Darstellung von Einstiegspunkten in eine Notes-Anwendung. Dazu werden definierte "Hotspots" hinterlegt - ebenso wie Buttons, Aktionen oder Agenten mit programmierter Funktionalitaet. Buttons lassen sich dabei an beliebigen Stellen der Dokumente aufnehmen, Aktionen koennen ueber ein Menue oder eine Symbolzeile (Action-Bar) aufgerufen werden, und Agenten sind entweder ueber Menue oder aber zeitgesteuert nutzbar.

Diesen Designelementen ist gemeinsam, dass sie sich auf unterschiedliche Weise mit Anwendungslogik ausstatten lassen: ohne Programmieraufwand ueber einfache Ereignisse wie das Erzeugen von Kopien, ueber einfache Programmierung auf der Grundlage der Notes- Formelsprache oder ueber eine komplexe Programmierumgebung mit der neuen Sprache "Lotus Script".

Unter dieser Bezeichnung hat Lotus eine vollstaendig objektorientierte Entwicklungsumgebung vorgestellt, deren wichtigste Bestandteile ein integrierter Klassen-Browser, ein dynamischer Syntax-Checker, ein dynamischer Compiler sowie ein Debugger mit integriertem Inspektor sind. Die Programmiersprache ist kompatibel mit "Visual Basic" und ermoeglicht die transparente Nutzung von "OLE-Automation"-Anwendungen. Die Folge: Notes- Applikationen werden kuenftig mit viel mehr Funktionalitaet ausgestattet werden koennen.

Einige laestige Probleme wurden nicht beseitigt

Neu sind auch die Funktionen "anonyme Dokumente" und "Routing Slips" sowie die Behandlung von Replikationskonflikten. Die optionale Anonymisierung von Dokumenten ist nuetzlich etwa bei elektronischen Kummerkaesten oder bei einer Brainstorming- Datenbank. Routing Slips hingegen ermoeglichen eine rudimentaere Workflow-Funktionalitaet dadurch, dass sie automatisch Dokumente per Mail weiterleiten. Mit der Behandlung von Replikationskonflikten schuf Lotus die Moeglichkeit, die in replizierenden Systemen unvermeidlichen Inkonsistenzen automatisch zu beheben.

Auch Lotus kommt an einer Integration mit dem weltweiten Internet nicht vorbei (vgl. CW Nr. 51/52 vom 22. Dezember 1995, Seite 2). Notes 4.0 hat deshalb Zugriff auf das World Wide Web (WWW) - und zwar fuer den Notes-Anwender transparent. Der Zugang zum Web erfolgt nicht unmittelbar von den Clients aus, sondern ueber einen definierten Notes-Server, der die gewuenschte Web-Seite holt, in ein Notes-Dokument konvertiert und in einer zentralen Datenbank ablegt. Diese Datenbank dient als Cache, gleichzeitig aber auch als Medium fuer den Austausch von Informationen zu den einzelnen Web-Seiten. Dabei ist es nicht noetig, auf jeder Maschine das TCP/IP-Protokoll zu installieren. Die Kommunikation ueber eines der von Notes unterstuetzten Protokolle reicht aus. In der Zwischenzeit hat Lotus sogar weitergehende Entwicklungen zur Integration von Notes und WWW in Angriff genommen (siehe Kasten).

Ein paar Wermutstropfen trueben den Genuss der neuen Notes-Version. Die maximale Groesse einer Notes-Datenbank wurde zwar auf 4 GB verdoppelt, aber das duerfte die speicherplatzhungrigen Notes- Anwender noch lange nicht zufriedenstellen. Allerdings basiert die Mail-Weiterleitung in Notes 4.0 auf dem Konzept des "Single Message Store", so dass Nachrichten an mehrere Benutzer nicht unnoetig kopiert werden.

Viele kleinere Probleme und Anachronismen aus den 3.x-Versionen wurden in 4.0 behoben. Einige grundlegende Aergernisse sind jedoch geblieben. So werden nach wie vor persoenliche Ansichten und nun auch Folder in der lokalen Datei "desktop.dsk" gespeichert, wodurch eine ortsunabhaengige Nutzung von Notes in einem lokalen Netz nur mit hohem Installations- und Administrationsaufwand moeglich ist.

Auch die Anwendungsentwicklung weist noch ein paar Mankos auf. Lotus Script laesst sich nur datenbankbezogen einsetzen. Eine Automatisierung fuer jeden Arbeitsablauf ist nicht moeglich, da beispielsweise Scripts nicht durch die Smart Icons der Benutzeroberflaeche gestartet werden koennen. Dort lassen sich nach wie vor lediglich Formeln verwenden.

Fuer Reservierungs- und Buchungsanwendungen ist es unabdingbar, dass sich Dokumente innerhalb eines lokalen Netzes sperren lassen. Aber das ist in Notes 4.0 ebensowenig vorgesehen wie die Nachbildung eines Sperrmechanismus durch Lotus Script.

Die Migration zur neuen Notes-Welt sollte schrittweise verlaufen, ausgehend von den Server-Systemen. Lotus unterstuetzt zwar gemischte Umgebungen, doch wird der Notes-Einsatz fuer solche Welten nicht empfohlen. Insbesondere von einer Verwendung von 4.0- Clients in Verbindung mit 3.0-Servern raet der Anbieter ab.

Mit Notes 4.0 hat Lotus einen raumgreifenden Schritt gemacht. Das perfekte Groupware-System ist aber auch die neue Version noch nicht. Der grosse Wurf geriet etwas zu kurz.

*Michael Wagner ist Berater und freier Autor in Muenchen.

Notes 4.0 versus MS Exchange 4.0

Zwischen Notes und dem potentiell schaerfsten Konkurrenten "Microsoft Exchange" (zur Zeit noch im Betastadium) zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Exchange verfuegt mit einem auf den Standards X.400 und X.500 basierenden Messaging sowie einer modularen Architektur ueber die modernere Infrastruktur. Notes hat bei der Anwendungsentwicklung die Nase vorn. Hier lassen sich groessere Anwendungsteile auf der Ebene von Makro- und Script- Programmierung realisieren, waehrend bei Microsofts "E-Forms Formular Mechanismus" in vielen Faellen auf Visual-Basic- oder C++- Programmierung zurueckgegriffen werden muss. Fuer harte Faelle stellt aber auch Notes Visual-Basic- und C++- APIs zur Verfuegung. Dadurch, dass die Notes-Dokumente sich auf das Wesentliche beschraenken, wird aber immerhin die uebergangslose Nutzung von Notes-Anwendungen im WWW moeglich. Microsoft wird es bei der geplanten WWW-Integration von Exchange - mit dem in der Entwicklung befindlichen "Internet Information Server" - deutlich schwerer haben.

Kurz & buendig

Am 22. Januar 1996 wurde Notes 4.0 offiziell freigegeben. Fuer die COMPUTERWOCHE ist das Anlass, die neuen Funktionen des Produkts von einem unabhaengigen Groupware-Spezialisten analysieren zu lassen. Michael Wagner hat alle hier besprochenen Features ausprobiert. Dabei kam er zu dem Schluss, dass Lotus viele Schritte in die richtige Richtung unternommen hat, in einigen Punkten jedoch hinter den Erwartungen der wachsenden Anwendergemeinde zurueckgeblieben ist.

Notes und das World Wide Web

Kaum waren die Details von Notes 4.0 bekannt, kuendigte Lotus bereits die naechste Entwicklungsstufe an. Im fuer diesen Sommer vorgesehenen Release 4.1 will der Anbieter die Server- Funktionalitaet mit dem Zusatzprodukt "Inter Notes Web Publisher" sowie dem HTTP-Protokoll des WWW verschmelzen. Dieser Kunstgriff soll zur vollstaendigen Transparenz zwischen Notes und WWW fuehren. Notes-Datenbanken koennen dann durch automatische Konvertierung von jedem Web-Browser aus betrachtet werden, und ueber Formulare lassen sich sowohl die Volltextindexierung als auch die Anwendungslogik im Web verwenden. Damit sind Notes-Eigenschaften wie die Replikation auch fuer verteilte Web-Informationen nutzbar. Lotus will sich mit diesem Entwicklungsschritt nicht nur der wachsenden Konkurrenz durch die unternehmensinterne Nutzung des Internet ("Intranet") erwehren, sondern sich gleichzeitig in das Spitzenfeld der Anbieter von Web-Werkzeugen katapultieren.