IBM Rational

Nicht am Markt vorbeientwickeln

06.10.2009 von Stefan Ueberhorst
Nur ein winziger Bruchteil der heutigen Produktentwicklungen erlangt Marktreife und kann sich dann auch noch erfolgreich durchsetzen. Die IBM-Software "Rational Focal Point" soll hier gegensteuern.

Die Zeitfenster, in denen Unternehmen eine Innovation oder neue Technik erfolgreich am Markt platzieren können, werden immer kleiner. Nach wie vor gilt es, mit den richtigen Produkten zum richtigen Zeitpunkt auf den dafür wichtigen Märkten präsent zu sein. Was in der Theorie jedoch selbstverständlich klingt, erweist sich in der Praxis als äußerst komplex. Nur acht Prozent aller Projekte für neue Produkte erlangen Marktreife, und von diesen scheitern dann 83 Prozent, gibt Oliver Lucht von der IBM Software Group unter Berufung auf Studienergebnisse zu bedenken. Ursachen für dieses Problem seien die verfehlte Einschätzung der Marktbedürfnisse oder der zu späte Markteintritt.

Um hier gegenzusteuern, nennt Lucht vier Ziele:

Zur Unterstützung aller vier Maßnahmen führt IBM sein Produkt "Rational Focal Point" (RFP) ins Feld, dessen Funktionen vom fachlichen Anforderungs-Management über das Produkt-Management bis hin zum Produktportfolio- und IT-Portfolio-Management reichen. In dem datenbankbasierenden System werden Informationen über Produkte, Märkte, Wettbewerber, strategische Vorgaben, Marktanforderungen etc. gesammelt und miteinander in Verbindung gebracht. Entscheidend ist, so IBM, dass partielles Wissen, das in einzelnen Abteilungen wie Entwicklung, Marketing, Vertrieb oder Vorstand vorliegt, gebündelt und damit ein unternehmensweites Verständnis der Kundenbedürfnisse aufgebaut wird. Auf dieser Datenbasis erlaube es RFP, über Priorisierungs- und Analysefunktionen Entscheidungsvorlagen zu generieren, um so die Ausrichtung einer Produkt-Roadmap zu steuern. Laut Lucht erreicht man damit, dass Entscheidungen objektiv getroffen werden und nicht, wie es in der Praxis häufig anzutreffen ist, aus den Interessen oder dem Bauchgefühl Einzelner heraus.

Rational Focal Point - die Architektur

Die Systemarchitektur von IBM Rational Focal Point.

Weitere Kriterien für IBM bei der RFP-Entwicklung waren, dass sich Prozesse mit der Vergabe von dedizierten Verantwortlichkeiten hinterlegen lassen und die Möglichkeit gegeben ist, immer auf aktuelle Informationen zuzugreifen. Ebenso wollte man eine einfache Konfiguration der Software ohne Programmierkenntnisse zur Anpassung an Prozesse und Kundenbedürfnisse gewährleisten. Diese flexible Konfigurierbarkeit sei deshalb so wichtig, weil es im Produkt-Management keine festen Standards gibt. Meist wird in den Unternehmen ein firmenspezifischer Stage-Gate-Prozess oder ein Prozess in Anlehnung an das Pragmatic Marketing Framework praktiziert, weiß Lucht aus der Praxis.

RFP ist eine Web-Anwendung, die über einen Application Server (Tomcat oder Websphere) erreichbar ist. Alle Informationen, die von RFP verwaltet werden, sind in einer Datenbank (DB2, Postgres oder Oracle) strukturiert, einheitlich und revisionssicher abgelegt. Nutzer können auf die Anwendung über Web-Browser (Internet Explorer, Firefox) zugreifen. Durch diese Architektur wird ein weltweit verteiltes Arbeiten ermöglicht. Für externe Anwendungen gibt es eine Web-Services-Schnittstelle, über die Daten importiert beziehungsweise an Werkzeuge zum technischen Anforderungs-Management exportiert werden können. Da in RFP die zukünftige Ausrichtung eines Unternehmens abgelegt wird, bietet das System zudem ein Rollen- und Rechtekonzept an.

Arbeiten mit Rational Focal Point

Arbeiten mit RFP: der paarweise Vergleich von Innovationen.

Die Arbeit mit RFP beginnt mit einer Sammlung von Ideen zu neuen Produkten beziehungsweise zu möglichen Innovationen bestehender Produkte. Über das Web-Frontend geben die Beteiligten, sei es die Entwicklung, das Marketing, der Vertrieb oder der Kunde selbst, ihre Vorschläge ein. Das hat zur Folge, dass die Informationen nicht mehr verteilt und in unterschiedlichen Formaten vorliegen, sondern nun vom Produkt-Manager gesammelt, vereinheitlicht und verknüpft werden können.

Auf dieser Basis erfolgt dann im zweiten Schritt die Priorisierung. RFP unterstützt diese Phase mit der Erstellung von Entscheidungsvorlagen, die auf objektiven Kriterien (erwarteter Umsatz oder erwartete Kosten) sowie auf subjektiven Kriterien (Design oder Marktrelevanz) beruhen. Insbesondere für die subjektiven Kriterien bietet das System eine eigene Sicht an, in der Innovationen paarweise verglichen werden können. Dabei sorgt ein intelligenter Algorithmus dafür, dass nicht alle rechnerisch möglichen Paare miteinander verglichen werden müssen.

Arbeiten mit RFP: die Visualisierung einer priorisierten Liste von Innovationen mit definierten Kriterien.

Durch paarweises Vergleichen können zum einen Kriterien betrachtet werden, die sich nicht auf dedizierte Zahlenwerte beschränken lassen. Zum anderen hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass das Ergebnis aus einer Liste mit einer wirklichen Reihenfolge besteht. Da immer wechselnde Paare miteinander verglichen werden, ist es kaum möglich, dass Innovationen nach der Priorisierung den gleichen Rang haben.

Für die Visualisierung der Entscheidungsvorlagen bietet RFP spezialisierte Sichten an. In diesen werden die Ergebnisse eines paarweisen Vergleichs mit den zahlengestützten, objektiven Kriterien kombiniert. Darüber hinaus lassen sich verschiedene Szenarien darstellen, indem man zum Beispiel die Gewichtung der Kriterien ändert. Interessant ist auch das Erstellen von Szenarien, in denen untersucht wird, welche Auswirkungen das Herausnehmen von Innovationen hat. Sie dienen dem Zweck, einen geeigneten Kompromiss zwischen den gewählten Kriterien wie Aufwand, Risiko, Einnahmen und strategischen Vorgaben zu finden. Durch diese speziellen Funktionen und Sichten haben Produkt-Manager die Möglichkeit, aus der Menge an Innovationen diejenigen herauszufiltern, mit denen das Unternehmen seine Marktziele am besten erreichen kann.

Grobkonzeption und Umsetzung

Arbeiten mit RFP: die Analyse von verlinkten Daten, hier Marktprobleme zu Produkten.

Die am höchsten priorisierten Innovationen werden im nächsten Schritt im Rahmen einer Grobkonzeption mit weiteren Daten angereichert, etwa einem detaillierten Business-Plan, Marketing-Plänen oder mit weiteren Strukturierungen der technischen Anforderungen. In dieser Prozessphase ist es laut IBM üblich, die Innovationen anhand mehrerer Marktanforderungen zu beschreiben, die dann später an die Entwicklung übergeben werden können.

Arbeiten mit RFP: personenbezogenes Dashboard mit Kennzahlen für ein Produktportfolio.

Dem Grobkonzept folgt die Planung der Umsetzung. Das Produkt-Management macht hier die Vorgaben für Start- und Endedatum und schätzt den Personalbedarf ab. Das nachfolgende Projekt- und Ressourcen-Management übernehmen die beauftragten IT-Abteilungen. IBM Rational entwickelt hierfür unter der Bezeichnung "Focal Point for Project Management" ein eigenes Werkzeug, das voraussichtlich in diesem Herbst erscheint und auf der Jazz-Plattform basiert.

Schließlich geht es noch um das Lifecycle-Management eines Produkts. Dafür sind verschiedene Kennzahlen nötig, die in RFP aus den vorhandenen Informationen generiert oder über eine Synchronisation aus anderen Werkzeugen bezogen werden. Die Software bietet für diesen Prozessschritt die Möglichkeit, rollen- und personenbezogene Dashboards zu erstellen, um nur die jeweils relevanten Informationen anzuzeigen.

Ist Focal Point richtig gefüllt, dann kennen Sie:

  • Die Anforderungen Ihrer wichtigsten Kunden;

  • die wichtigsten Anforderungen bestimmter Absatzmärkte;

  • die von Kunden besonders oft gewünschten Innovationen;

  • das technische oder unternehmerische Risiko einer Anforderungsentwicklung im Vergleich zu den erwarteten Marktvorteilen;

  • die (geplanten) Neuerungen der Konkurrenz, und wie Sie mit Ihrem Produktportfolio darauf reagieren können;

  • Innovationen, die direkte Wettbewerbsvorteile bringen.