Netze konvergieren mit Applikationen und Prozessen

16.07.2007 von Klaus Walter und Christoph Beyer
Nach dem Einzug der IP-Telefonie in die Unternehmen ist Unified Communications der nächste logische Schritt.

Im Jahr 2003 veröffentlichte die ehemalige Gigagroup, heute Forrester Research, in einer Studie, dass nur fünf Prozent des Wissens in den Unternehmen in strukturierter Form und 15 Prozent in unstrukturierter Form personenungebunden vorliegen; 80 Prozent des Know-hows befinden sich in den Köpfen der Mitarbeiter. Doch mit zunehmender Globalisierung, der länderübergreifenden Zusammenarbeit in unterschiedlichen Zeitzonen sowie der immer stärkeren Diversifizierung der Wertschöpfungsketten in allen Branchen und Industriebereichen summieren sich die Defizite, die sich aus der mangelnden Wissensvermittlung ergeben. Der Problematik wird mit Portalprojekten begegnet: Unstrukturiertes Wissen soll abgebildet und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt werden. Primär wird das Ziel verfolgt, Geschäftsprozesse zu optimieren und zu beschleunigen. Anwender sollen beispielsweise den zu einem im ERP-System aufgezeigten Geschäftsprozess (strukturiertes Wissen) mit dem dazugehörigen Schriftverkehr in Verbindung bringen können. Die aufwändige Suche nach Unterlagen wäre somit obsolet.

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  • warum VoIP die Einführung einheitlicher Kommunikationsstrategien unterstützt;

  • welchen Einfluss Unified Communications auf die Geschäftsprozesse hat;

  • inwieweit global agierende Unternehmen kulturbedingte Unterschiede ihrer Mitarbeiter berücksichtigen müssen.

Die Erreichbarkeit der Mitarbeiter und der uneingeschränkte Zugriff auf Unternehmensinformationen sowie das Know-how der Angestellten und Geschäftspartner in der Wertschöpfungskette haben sich sogar zum Wettbewerbsvorteil entwickelt. So kommunizieren Manager laut dem Marktforschungsinstitut Sage Research heute im Schnitt mit sechs verschiedenen Endgeräten. Dennoch führen die schlechte Erreichbarkeit und nicht aufeinander abgestimmten Kommunikationsmethoden laut einer Forrester-Studie bei 27 Prozent der befragten Unternehmen zu Terminschwierigkeiten und einer deutlichen Verzögerung von Geschäftsabläufen.

Unified-Communications-Ansätze sollen Abhilfe schaffen. Es kristallisieren sich Strategien zur Integration und Verknüpfung der verschiedenen Geräte und Anwendungen wie Groupware heraus, dazu kommen Portalapplikationen über eine einheitliche Plattform. Ziel ist es, die Zusammenarbeit, Collaboration, über Ländergrenzen, Abteilungen und Wertschöpfungsketten hinweg zu vereinfachen und kosteneffizient zu steuern. Die Idee dahinter ist nicht ganz neu: Seit nahezu 20 Jahren werden die Vorzüge integrierter Kommunikation diskutiert, sie scheiterte aber zunächst an der Technik. Experten wie die Forrester-Analystin Elizabeth Herrell sehen Voice over IP (VoIP) als einen der Treiber zu einheitlichen Kommunikationsstrategien. Glaubt man den Prognosen, dass die Preise für IP-Telefonie in den nächsten Jahren fallen werden, könnte diese Entwicklung der integrierten Kommunikation weiteren Schwung verleihen.

Kurze Wege – Unified Communications in der Praxis

Zu den Technologien lassen sich in der Regel acht Kategorien zählen, darunter die Echtzeitkommunikation über Telefonate, Live-Conferencing, Messaging, Portalapplikationen und "Line-of-Business"-Applikationen wie ERP und CRM. Besonders zu berücksichtigen sind Verzeichnisdienste. Diese werden konsolidiert und Master-Directories aufgebaut, was aufgrund der dort gespeicherten Rechte und Rollen einen direkten Einfluss auf die Geschäftsprozesse hat.

Für den Einsatz von Unified Communications im Unternehmen bedeutet das beispielsweise, dass Daten aus unterschiedlichsten Ressourcen, Mitarbeitern und Teams virtuell über Portaltechnologien in Konferenzräumen zugänglich gemacht werden. Kurzum, den richtigen Teams werden zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Informationen zur Verfügung gestellt.

So lassen sich Dokumente mittels E-Mail-Einladung in einer Web-Konferenz länder- und zeitzonenübergreifend bearbeiten. Zahlreiche Reisen werden überflüssig, da Mitarbeiter im virtuellen Team genauso zusammenarbeiten wie am digitalen Konferenztisch.

Durch die Integration der Telefonanlagen und Terminkalender in Presence-Management-Lösungen lässt sich die Verfügbarkeit von Mitarbeitern auf einen Blick erkennen. Die Ad-hoc-Kommunikation in verteilten Teams wird erst durch den schnellen Zugriff auf das zur Verfügung stehende Know-how möglich. Medieninhalte wie Texte, Grafiken, Audio- oder Videodateien können flexibel standort- und geräteübergreifend ausgetauscht werden. Es wird dafür gesorgt, dass die entsprechenden Mitarbeiter zur geplanten Zeit virtuell aufeinandertreffen und mit den richtigen Informationen versorgt werden.

Der Kunde im Fokus

So weit klingt die Theorie nach einer schillernden neuen Kommunikationswelt. Es bleibt aber abzuwarten, wie sich Unified-Communications-Ansätze in der Praxis umsetzen lassen. Derzeit diskutieren sowohl Systemintegratoren auf der Prozess- und Applikationsseite aber auch Hersteller von Routing- und Switching-Produkten sowie Carrier den Trend aus drei unterschiedlichen Perspektiven.

Im Mittelpunkt eines daraus entstehenden Dreiecks aus unterschiedlichen Erfahrungen und des differenzierten Know-hows der Anbieter steht der Kunde, der sich einheitliche Lösungen für eine effizientere Kommunikation wünscht.

Das Stichwort ist die Konvergenz zwischen Netz, Applikationen und Prozessen. Dabei bildet das IP-Netz eine Art Klebstoff, der Daten-, Video- und Sprachdaten verbindet. IP-Netze sind der Kern und die Basis von Unified-Communications-Strategien. Aktuelle Kundenprojekte belegen, dass sich global operierende Unternehmen für die integrierte Kommunikation rüsten: Netze werden zentralisiert und weltweit auf IP als Standard-Kommunikationsprotokoll migriert. Diese globale Harmonisierung muss für VoIP mit Quality of Services einhergehen, aber vor allem mit der Routing- und Switching-Technologie des Carriers abgestimmt sein. Eine Integration von weltweit standardisierten Softswitch-Technologien des Carriers zu gängigen Groupware-Anwendungen ist hier die notwendige Grundvoraussetzung. Auf den IP-Netzen bauen VoIP-Anwendungen, Instant Messaging (IM), Presence-Lösungen, E-Mail-Systeme mit entsprechenden Kalenderfunktionen sowie unterschiedliche Prozess- und geschäftkritische Anwendungen auf. Bei den Groupware-Applikationen handelt es sich meist um Standardsoftware.

Die Herausforderung wird künftig in der Verknüpfung von Unified Communications zu Front- und Backoffice-Applikationen liegen, die sich aus der Integration zentraler Geschäftsdaten mit dezentral gesteuerten Teams und Prozessen ergeben.

Laut Gartner werden sich künftig ganzheitliche, auf Prozesse zugeschnittene IT-Strategien durchsetzen, mit einem gesonderten Fokus auf Ad-hoc-Kommunikation und Zusammenarbeit. Übertragen auf die aktuelle Situation bedeutet dies, dass Groupware-Funktionen sich nicht nur auf E-Mail beziehen, sondern vielmehr um Instant-Messaging-, Web-Conferencing- und VoIP-Anwendungen ergänzt werden. Dieser Verschmelzung in kleinen Schritten wird von Marktbeobachtern viel Bedeutung beigemessen: Laut Radicati Group beziffert sich der Gesamtmarkt von Unified Communications allein auf der Seite der Service-Provider in den nächsten drei Jahren auf 19,8 Milliarden Dollar.

Blick in die Glaskugel

Unumstritten sind die Synergien und die Vorzüge, die sich aus den verknüpften Kommunikationswegen ergeben. Deckt man aber die zusätzlichen Möglichkeiten wie Instant-Messaging-Anwendungen am Arbeitsplatz auch über die Wertschöpfungsketten und Unternehmensgrenzen hinweg ab, dann sollten auch die neuen Wege für Viren und Würmer nicht vergessen werden. Da über IM übertragene Schädlinge nicht wie bei E-Mail bereits auf dem Gateway am Rand des Unternehmensnetzwerks abgefangen werden können, gehört der Schutz der User-Desktops zu den wichtigsten Maßnahmen. Der Wildwuchs von IM-Clients und das damit verbundene Sicherheitsrisiko ist IT-Administratoren bekannt. Daher drängen sich unternehmensweite Richtlinien auf, um den Umgang mit den Kurznachrichten zu definieren. Unter anderem sollte darin auch definiert sein, welche Daten überhaupt per IM übertragen werden dürfen, ob und in welchem Umfang eine Überwachung und Protokollierung stattfindet.

Die Herausforderung im Kleinen hat jedoch einen weitaus größeren Rahmen: Je mehr Kommunikationskanäle gebündelt werden, umso komplexer wird es, die Rechtskonformität bei der Bereitstellung, Archivierung, dem Abruf und der Verteilung der Inhalte aus allen Kommunikationsprozessen zu gewährleisten. Compliance und Unified Communications sind jedoch kein Widerspruch, wenn die Unified-Communications-Strategie in eine unternehmensweite zentrale Sicherheitsstrategie eingebunden ist.

Dass der Trend eindeutig zu integrierten Strategien und Lösungen geht, belegt unter anderem die im Januar dieses Jahres veröffentlichte Gartner-Studie "A Framework for Unified Communications". Dieser zufolge wirkt sich die integrierte Kommunikation positiv auf die Produktivität der Mitarbeiter, der Teams und des gesamten Unternehmens aus. Die verschiedenen Kommunikationsmethoden werden gesteuert, verwaltet und integriert. Erreicht wird dies zum einen durch die Bereitstellung integrierter Unified-Communications-Frameworks für alle Mitarbeiter sowie die Konvergenz und Integration verschiedener Medien, Netze, TK-Systeme und Unternehmensanwendungen. Zum anderen spielt die konsolidierte Steuerung dieser Systeme eine entscheidende Rolle. Ein umfassendes Vertrauen in die integrierte Kommunikation wird zunächst jedoch die Ausnahme bleiben. Vielmehr könnten sich Unified Communications-Strategien wie der Einsatz von VoIP-Anwendungen entwickeln: sukzessive und anfänglich in Kombination mit traditionellen Kommunikationsmethoden wie der Festnetztelefonie beispielsweise. Da der Erfolg von Unified Communications letztlich immer von der Akzeptanz und Nutzung der Mitarbeiter abhängt, ist es ratsam, Projekte Schritt für Schritt anzugehen.

Gegenwärtig scheint es, als wäre das Management des gesamten Sprach- und Datenverkehrs über WAN, LAN und per Fernzugriff von mobilen Geräten die Herausforderung einer Unified-Communications-Strategie. Von den Vorzügen der nahtlosen und integrierten Kommunikation können Unternehmen profitieren, wenn die Strategie an den unternehmensspezifischen Geschäftsvorgängen ausgerichtet ist. Unterschiede in der Zusammenarbeit, die oftmals auch kulturell bedingt sind, fassten Frost & Sullivan, Verizon Business und Microsoft in ihrer Studie "Meetings around the world" im letzten Jahr zusammen: In den USA wird relativ viel allein gearbeitet, E-Mails werden anstelle des telefonischen Kontaktes bevorzugt, während Europäer Teamwork schätzen und häufiger den persönlichen Kontakt suchen. Angestellten im asiatisch-pazifischen Raum hingegen ist der konstante Kontakt während des Arbeitstages wichtig, folglich ziehen sie den Telefonkontakt und Instant Messaging E-Mails vor. Solchen kommunikationskulturellen Unterschieden muss die Unfied-Communications-Strategie Rechnung tragen. Erste Projekte belegen bereits jetzt, dass anstelle einer Standardlösung von der Stange nur der individuell erarbeitete und analysierte Ansatz zum Ziel führt. Die Erfahrungen aus der Praxis untermauern die Theorien der Analysten, die unisono in der gerade beginnenden Kommunikationskonvergenz rosige Zukunftsperspektiven sehen. (mb)