Netz-Outsourcing erlebt eine Renaissance

27.08.2003 von Gerhard Holzwart
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das gute, alte Wide Area Network (WAN) hat nicht ausgedient. Global aufgestellte Unternehmen haben wie eh und je das Problem der Standortanbindung. Die Auslagerung von Netzfunktionen hat deshalb unverändert Hochkonjunktur. Doch die Parameter im Markt ändern sich wieder. War Netz-Outsourcing in den letzten Jahren eher ein Commodity-Thema, haben es nun die Marketiers der großen Telcos wiederentdeckt.

Kenner der Szene erinnern sich: Anfang der 90er Jahre war Netz-Outsourcing erstmals in aller Munde: Die beginnende Liberalisierung der Datenkommunikationsmärkte, die (internationale) Expansion vieler Unternehmen sowie entsprechend verfügbare Technologien wie Glasfaser, ISDN, X.25 und Frame Relay sorgten dafür, dass das Thema en vogue war. Etablierte Carrier wie Deutsche Telekom und British Telecom (BT) lieferten sich mit Newcomern à la Colt oder Info AG eine Marketing-Schlacht um die Vernetzung der lukrativen Geschäftskunden inklusive des entsprechenden Netzbetriebs.

Für das Netz-Outsourcing sprechen die gleichen Gründe wie für alle übrigen Spielarten der Auslagerung: Unternehmen sind aufgrund des Kostendrucks und fehlender Ressourcen gezwungen, über das Thema nachzudenken. Gleichzeitig versprechen sie sich mehr Effizienz im Kerngeschäft.

Höhepunkt dieser (vorläufigen) Entwicklung war Mitte des vergangenen Jahrzehnts das Entstehen großer internationaler Joint Ventures wie Concert (AT&T, BT) und Global One (Deutsche Telekom, France Telecom, Sprint), die global aufgestellten Konzernen die standortübergreifende Sprach-Daten-Kommunikation aus einer Hand quasi schlüsselfertig anboten.

Wer erinnert sich an Concert und Global One?

Unternehmen wie Concert und Global One sind heute längst wieder Geschichte, aber der Bedarf an hochwertigen Netzdiensten ist unverändert vorhanden. Man muss jedoch, wie in der Frost & Sullivan-Studie "Enterprise Network Outsourcing: How can Carriers capture new opportunities?" zum Ausdruck kommt, diese Historie noch einmal bemühen, weil die Marktsituation gestern - wenn auch zum Teil unter völlig anderen Vorzeichen - heute wieder Einzug hält. Die wichtigste These der US-amerikanischen Marktforscher ist: Die großen Telcos, die sich in den letzten Jahren beim Thema Netz-Outsourcing oft mit der Rolle des "Subcontractors" großer Systemintegratoren zufrieden gegeben haben, drängen nun mit Macht in dieses Business zurück.

Belege dafür sind unter anderem schlagzeilenträchtige Abschlüsse, die BT und Deutsche Telekom in jüngster Zeit in Deutschland melden konnten. So gewannen die Briten zusammen mit CC Compunet die Ausschreibung des Bundesministeriums der Finanzen für ein neues IP-basierendes WAN, das die einzelnen Dienststellen der Bundesfinanzverwaltung verknüpfen soll. Während BT dabei die gesamten Datendienste erbringen und sich um das Netz-Management kümmern wird, liegt die Aufgabe von CC Compunet vor allem im übergreifenden Projekt-Management. Die Telekom-Tochter T-Systems ihrerseits konnte unlängst im Zusammenhang bei einem bestehenden Rahmenvertrag mit dem Daimler-Chrysler-Konzern stolz von einer Verlängerung des Abkommens um drei Jahre sowie einer "starken Erweiterung" berichten. Neben der Erbringung klassischer IT-Services wie dem Betrieb von Rechenzentren, Softwareentwicklung, Anwenderbetreuung und Wartungsdiensten geht es dort nach wie vor auch um die

Bereitstellung und die Administration einer WAN- und LAN-Infrastruktur.

Noch sind mehrere Anbieter im Boot

Für Frost & Sullivan-Analystin Marina Martin, Autorin der Studie, ist gerade das neue Netzprojekt des deutschen Fiskus typisch für das Netz-Outsourcing-Geschäft heutiger Prägung. Der entsprechende Bedarf bei den Anwendern sei, so die Expertin, in die allgemeine Outsourcing-Thematik eingebettet, in der Regel sei deshalb neben dem Netz-Provider mindestens noch ein weiterer Dienstleister mit im Boot. Neben grundsätzlichen Faktoren, die auch den Netz-Outsourcing-Markt treiben (siehe Grafik), gehe es heute längst nicht mehr nur um den isoliert zu betrachtenden und klar definierten Betrieb eines VPN oder WAN durch einen externen Dienstleister, sondern vermehrt um "hybride Anforderungen". Martin versteht darunter die zunehmende Konvergenz von Sprache und Daten, die eine völlig neue Qualität von Services erfordert, die zum Teil immer noch aufwändige WAN-LAN-Integration und insbesondere die Auslagerung kompletter Anwendungen an einen Service-Provider.

Letzteres ließe sich - je nach Standpunkt und Definition - auch unter den Begriffen Business Process Outsourcing (BPO) oder Application-Service-Providing (ASP) zusammenfassen. Doch für die Frost & Sullivan-Analystin spielt dies keine Rolle. Ist, so lautet ihre rhetorische Frage, die Auslagerung eines kompletten Call-Center-Betriebs an einen Carrier wie BT ein BPO- oder Netz-Outsourcing-Projekt? Antwort: beides - in Form einer Paketlösung. Laut Martin wird Netz-Outsourcing "derzeit kaum als reine Stand-alone-Lösung verkauft", sondern als Bestandteil eines komplizierten Beziehungsgeflechts aus unterschiedlichen Services wie WAN- und LAN-Betrieb, BPO sowie allgemeines IT- beziehungsweise Desktop-Management.

Carrier entdecken ihre wahre Cashcow

Die Analystin legt jedoch in der Studie explizit dar, dass sich - wie eingangs erwähnt - die Verhältnisse im Markt mittelfristig wieder ändern dürften. So hätten sich die Carrier nach dem Scheitern ihrer auf den globalen Sprach-Daten-Verkehr fokussierten Joint Ventures hauptsächlich auf die vermeintlichen Wachstumsmärkte Internet-Access sowie Mobilfunk konzentriert - und dabei die Vermarktung ihres Geschäfts mit klassischen WAN-Services entweder kleineren Tochterunternehmen oder weitgehend Partnern wie IBM Global Services, EDS oder Accenture überlassen. Jetzt aber entdeckten viele der großen Telcos, was "ihre wahre Cashcow" ist.

Die künftige Vertragsgestaltung und die Organisation großer Outsourcing-Projekte könnte deshalb der Frost & Sullivan-Expertin zufolge "spannend" werden. Die Big Player der Telco-Szene seien wieder stärker geneigt, "eigene Kundenbeziehungen" aufzubauen, weil dies mittel- und langfristig mehr Umsatz und Rendite im Netz-Outsourcing-Geschäft verspricht. Nur mit der "Generalunternehmerschaft" für alle Netzservices lasse sich, so Martin, das eigene Portfolio "umfassend vermarkten". Für die Telcos bedeute dies aber, dass sie stärker als bisher über die klassischen Ressourcen eines Systemintegrators verfügen müssen - unter anderem in puncto Roll-Out-Kapazität, Consulting und Implementierung. Ein möglichst breit angelegtes Portfolio also, über das momentan innerhalb der Carrier-Szene nur die Deutsche Telekom mit ihrem Ableger T-Systems verfügt.

Grundsätzlich geht die Frost & Sullivan-Expertin von einer weiteren Fragmentierung des Outsourcing-Markts unter dem Best-of-Breed-Ansatz aus. Einerseits würden zwar die Konturen einzelner Outsourcing-Facetten wie BPO, Desktop-Management und/oder Netzauslagerung zunehmend schwammiger, was sich auch an den zum Teil überlappenden Angeboten der klassischen Systemintegratoren und großen Netz-Provider erkennen lässt. Gleichzeitig lassen aber immer mehr Anwender bereits ihre IT-Infrastruktur und ihre Applikationen von unterschiedlichen Dienstleistern betreuen - und würden in Zukunft auch ihre Netze wieder verstärkt "direkt an die Spezialisten" geben.

Anwender halten sich an die TK-Carrier Netz-Outsourcing ist komplex

Der Begriff Netz-Outsourcing umfasst heute alle Spielarten im Bereich Video-, Daten- und Sprachvernetzung inklusive Hard- und Software, physischer Leitungen und Personal. Hinzu kommen aufgrund etablierter Technologien wie Mobility und Remote Acess entsprechende Integrationsanwendungen. Auf der Basis vorher definierter Wertschöpfungsketten lassen sich unterschiedliche Skaleneffekte mit einem oder mehreren Dienstleistern erzielen.

Alte Herausforderungen

Vielfach wird auch heute noch das Problem der Integration von WANs und LANs unterschätzt. Gerade hier ist aber ein Feld, wo die klassischen Telcos glänzen können. Das Managen von Daten, Sprache und Bildern innerhalb einer Netzinfrastruktur war und ist ihre Kernkompetenz. Oft müssen dabei auch Altsysteme - sei es im Sprach- oder Datenbereich - angepasst und integriert werden.

Gleiche Regeln

Auch beim Netz-Outsourcing gilt: Die Auslagerung beziehungsweise formelle Übergabe eigener Ressourcen an einen Dienstleister spart in den meisten Fällen Geld, verringert die Risiken, sichert zeitgemäßes technologisches Know-how und schafft mehr Flexibilität für das Kerngeschäft. Genau umrissene Service-Level-Agreements (SLAs) sind jedoch unabdingbar. Als typische Vertragslaufzeiten werden drei bis fünf Jahre angesehen.

Der Markt

Mit Prognosen zum Marktumfang hält sich Frost & Sullivan zurück. Die einzelnen Facetten von Netz-Outsourcing sind zu unterschiedlich, demzufolge auch die Größe und das Auftragsvolumen der Projekte. Hinzu kommen unterschiedlich lange Vertragslaufzeiten. Frost & Sullivan-Analystin Martin hält jedoch die Prognose des European Information Technology Obeservatory (Eito), die für 2003 von einem weltweiten Marktvolumen bei reinen Netzservices von über 2,25 Milliarden Euro ausgeht, für "zu niedrig".

Die Anbieter

Die alten Protagonisten der Szene werden auch die neuen sein. Will heißen: Deutsche Telekom, BT, Telefonica, Telecom Italia, AT&T, MCI, Equant, Cable & Wireless, Infonet und Colt. IT-Dienstleister wie IBM, EDS oder Computer Sciences Corp. (CSC), die in letzter Zeit oft auch die "Prokura" bei Netz-Outsourcing-Projekten hatten, werden diese sukzessive wieder abgeben müssen. Carrier wie BT und MCI dringen ihrerseits verstärkt in bis dato eher klassische Domänen der Systemintegratoren wie Desktop-Management vor.