Netviewer

Netviewer: Kleines deutsches Unternehmen ganz groß

13.10.2005 von von Wolfgang
Echtzeitkommunikation ist derzeit ein Hype-Thema in der Softwareindustrie, Konferenzen von Desktop zu Desktop versprechen mehr Effizienz und geringere Reisekosten. Mit der jungen Netviewer GmbH mischt ein deutsches Unternehmen auf dem europäischen Markt ganz vorne mit.

Das Jahr 2001 galt nicht unbedingt als ein günstiges Jahr für Firmengründungen. Im Gegenteil, es ging in die Annalen ein als Endstation des Internet-Hypes und Beginn einer anhaltenden Rezession. Inmitten dieses plötzlichen Niedergangs und der wirtschaftlichen Depression schmiedeten aber auch einige Unentwegte an neuen, erfolgversprechenden Geschäftsideen. Einer von ihnen war Andreas Schweinbenz, der als Mitgründer der Karlsruher Internet-Firma Netpioneer seit 1996 reichlich Erfahrungen in der New Economy sammeln konnte. Mitte 2000 beschäftigte ihn die Frage, welche Möglichkeiten der visuellen Online-Kommunikation es gibt, um mit Kollegen Online-Konferenzen abzuhalten. Seine Recherchen ergaben zunächst, dass sich in diesem Metier etliche Hersteller tummelten - allen voran die 1996 gegründete US-Firma Webex als Markführer im Bereich Real Time Communication (RTC). Daneben war auch Microsoft längst in diesem Markt präsent - das Tool „Netmeeting“ war damals auf jedem Windows-PC vorinstalliert.

Vordergründig betrachtet erschienen somit die Rahmenbedingungen als nicht gerade ermutigend für jemanden, der sein eigenes Geld in diesen Markt zu investieren gedachte. Schweinbenz jedoch hatte genau hingesehen und in diesem Segment eine kleine, aber vielversprechende Lücke entdeckt: Was den bis dato verfügbaren Tools für die PC-zu-PC-Kommunikation nämlich fehlte, war das letzte Quäntchen Einfachheit, jene „Ease of Use“, die in der IT so oft den Unterschied macht zwischen einem ungern genutzten Mittel zum Zweck und einem boomenden Spitzen-Tool. „Ich war davon überzeugt, dass die Idee des gemeinsamen Fernzugriffs auf Desktops noch längst nicht ausgereizt war und das Potenzial zum absoluten Renner hatte, sofern man die noch existierenden Hürden beseitigen würde“, schildert Schweinbenz seine damaligen Überlegungen.

Obwohl sich ein Jahr später mit der platzenden Dotcom-Blase Untergangsstimmung breit machte, ließ er sich nicht von seiner Idee abbringen und legte im Juni 2001 mit dem ersten Produkt „one2one“ den Grundstein für die Netviewer GmbH. Die Software verfolgt ein relativ einfaches Grundprinzip - sie macht es möglich, Windows- Anwendungen oder den gesamten Desktop über das Internet mit anderen Person zu teilen, um Vorführungen oder Konferenzen mit mehreren Teilnehmern abzuhalten.

Im IT-Support und im Helpdesk waren solche Werkzeuge damals bereits sehr verbreitet, weil jede ferngesteuerte Hilfe den Vor-Ort-Besuch beim Anwender überflüssig macht und bares Geld spart. Obwohl der Desktop-Support-Markt bereits dicht besetzt mit etablierten Tools war, schaffte es one2one, sich durch einige Besonderheiten von der Konkurrenz zu differenzieren. Ein wichtiger Punkt war dabei der installationslose Einsatz. Während die meisten Fernsteuerungsprodukte auf jedem PC im Unternehmen installiert werden mussten, lässt sich das Netviewer-Produkt ad hoc einsetzen. Dazu braucht der Hilfesuchende lediglich nach telefonischer Anweisung das kleine Programm von der Netviewer-Site herunterzuladen, und schon kann sich der Helpdesk-Mitarbeiter auf den PC des Anrufers aufschalten und ihm helfen. Eine zweite große Weiterentwicklung stellte die Firewall-agnostische Datenanbindung dar. Mit Hilfe des Web-Protokolls HTTP kann one2one im Gegensatz zu vielen etablierten Tools jede Firmen-Firewall ohne zusätzliche Konfiguration passieren und bietet sich somit als universeller, ortsunabhängiger Client an. Als dritter bedeutender Faktor kam schließlich noch der geringe Datenumfang der Netviewer-Client-Software in Verbindung mit dem Gratis-Download ins Spiel.

Schwarze Zahlen

So gelang es Schweinbenz, schnell neue Zielgruppen jenseits der tradionellen IT-Support-Klientel zu erschließen. „Unsere ersten großen Erfolge konnten wir schon nach wenigen Monaten im Bankensektor erzielen, denn die Finanzbranche suchte schon seit längerem nach einem einfachen Hilfsmittel zur Echtzeitunterstützung ihrer Online-Banking-Kunden“, beschreibt der Karlsruher Unternehmer die damalige Situation.

One2one schien hierfür wie geschaffen, da es den Bankmitarbeitern innerhalb kürzester Zeit einen Desktop- Kontakt zum anfragenden Kunden ermöglicht. Bereits im November 2001 schrieb Netviewer schwarze Zahlen, im folgenden Frühjahr gewann die Firma den ersten Preis beim Startup-Wettbewerb, den die Sparkassen, McKinsey, „Stern“ und ZDF in Baden-Württemberg veranstaltet hatten. Ende 2002 zählten die Badener sechs Mitarbeiter, aber nachdem 2003 in New York eine Tochterfirma sowie in London und Melbourne Niederlassungen eröffnet wurden, schloss man dieses Jahr bereits mit 21 Kollegen ab. 2004 verdoppelte Netviewer die Zahl seiner Beschäftigen auf 40, im Sommer 2005 waren es 80. Auch der Umsatz stieg in dieser Zeit regelmäßig pro Jahr um 120 bis 130 Prozent.

London, New York, Melbourne

Der Funktionsumfang der Software wurde in der Zwischenzeit kräftig ausgedehnt, ihrem Prinzip Einfachheit halten die Karlsruher aber die Treue. Neben one2one gibt es noch die etwas erweiterte Version „one2meet“, die für Konferenzen mit mehreren Personen gedacht ist. Ausgehend davon bestimmen vier Anwendungsszenarien die Strategie des Unternehmens. Neben dem genannten Supportsektor bildet der Vertrieb eine wichtige Zielgruppe, da sich hier mit virtuellen Präsentationen Reisekosten einsparen lassen. E-Learning hat sich als drittes Netviewer-Standbein etabliert, die Bandbreite reicht hier von firmeninternen Schulungen mit rund zehn Teilnehmern bis hin zu Webinars mit 100 Teilnehmern.

Den vierten Bereich umschreibt Schweinbenz mit „Daily Business“ - das ist der große Hoffnungsträger und gleichzeitig das am schwersten zu adressierende Marktsegment. Gemeint sind damit die vielen individuellen Szenarien im geschäftlichen Alltag, in denen ein Kollaborationswerkzeug die Arbeit erleichtern könnte. Als typisches Beispiel dafür zitiert Schweinbenz gerne einen bekannten deutschen Autohersteller: „Die Mitarbeiter in der Financials-Abteilung setzten Netviewer dazu ein, um Excel-Tabellenblätter gemeinsam mit Kollegen zu erörtern und Szenarien durchzuspielen. Obwohl jeder dieser Kollegen die Datei aus dem Firmennetz in sein Excel laden könnte, hat sich der geteilte Zugriff auf eine Kopie als praktischer erwiesen.“

Einen weiteren Schlüssel zum Erfolg sehen die Karlsruher unterdessen in Allianzen mit anderen Softwareherstellern. Viele Anbieter von Business-Software wollen ihre Produkte um Kollaborationsfunktionen erweitern, und Netviewer kann diese Lücke als kostengünstige Erweiterung füllen. Als einen der ersten Partner gewannen die Karlsruher das deutsche Unternehmen Mindjet, das seit Jahren mit dem populären Mindmap-Tool „Mindmanager“ am Markt ist. Mindmanager-Anwender können den kostenlos integrierten Netviewer-Client dazu nutzen, über das Internet gemeinsam mit Kollegen Mindmaps zu erstellen und zu besprechen. Die Konferenzmöglichkeiten sind aufgrund der Lizenzvereinbarung mit Mindjet funktional auf Mindmanager beschränkt. Jedoch dürften viele derart angefütterte Anwender - so das Kalkül von Netviewer - sich später auch für den vollen Funktionsumfang von one2meet interessieren und den Freischaltcode für die Vollversion kaufen.

Hier entstehen Arbeitsplätze

Um weiter auf solidem Wachstumkurs zu bleiben und noch stärker investieren zu können, hat sich Schweinbenz mittlerweile einen strategischen Investor ins Boot geholt:„Durch Venture-Kapital sind wir nun in der Lage, ohne Risiko mehrere Aktivitäten gleichzeitig zu betreiben, um beispielsweise das Produkt, den Vertrieb und die Internationalisierung auszubauen.“ Nicht zuletzt setzt man das externe Geld gegenwärtig auch ein, um die Belegschaft weiter aufzustocken - noch in diesem Jahr wird die Mitarbeiterzahl von 80 auf 120 steigen. Schweinbenz blickt optimistisch in die Zukunft: „Wahrscheinlich schaffen wir es in diesem Jahr, in Europa Marktführer zu werden. Und für die Zukunft lautet unser Ziel ganz klar: Wir wollen auf jeden Desktop.“

* Der Autor WOLFGANG MIEDL ist freier Journalist aus Erding bei München. [wolfgang@schulze-miedl.de]