Einsatzleitsystem hilft bei der Verbrechensbekämpfung

Münchner Polizei ist mit Zeus im Bunde

07.02.1997

Polizeieinsätze bedeuten die Notwendigkeit, schnelle, präzise Entscheidungen zu treffen; Menschenleben können davon abhängen. Die Polizei München hat ein neues Einsatzleitsystem in Betrieb genommen, das den Beamten ihre tägliche und nächtliche Arbeit erleichtern soll. Sonja Hübner* beschreibt die Funktionsweise.Eine blinkende Lampe in der Notrufaufnahme des Polizeipräsidiums München zeigt an, auf welcher Leitung der Anruf ankommt. Einer der sechs Beamten an den Aufnahmeplätzen der Einsatzleitzentrale nimmt ihn an. Sachlich und ruhig spricht er mit dem aufgeregten Anrufer. Unterstützt wird er dabei vom neuen Einsatzleitsystem "Zeus" (Zentrales Einsatz- und Unterstützungs-System).Zeus löste am 13. Oktober des vergangenen Jahres das aus den frühen 80er Jahren stammende Vorläufersystem "Cebi" (Computerunterstützte Einsatzleitung, Bearbeitung und Information) ab. Cebi hatte sich in den letzten zehn Jahren bei zirka 2,3 Millionen Einsätzen bestens bewährt, war hardwareseitig jedoch inzwischen veraltet. Ersatzteile ließen sich nur noch schwer beschaffen, die Software verursachte großen Wartungsaufwand und wurde vom Hersteller nicht mehr gepflegt. "Hinzu kam, daß Cebi als letztes Großrechnerrelikt im Polizeipräsidium inzwischen zu viele personelle, räumliche und finanzielle Ressourcen band", ergänzt Joachim Rummler, für Zeus zuständiger Projektleiter.

Auf die ausgereifte Funktionalität des alten Systems wollten die Münchner allerdings nicht verzichten. Schließlich ist die Arbeit der etwa 100 Beschäftigten gekennzeichnet durch Rund-um-die-Uhr-Dienst in vier Schichten, Verantwortung für das Leben gefährdeter Menschen und die Notwendigkeit, schnell die richtige Entscheidung zu treffen - egal, ob es sich um einen Ehestreit, einen Verkehrsunfall, einen Bankraub, den Brand in einem U-Bahnwagen, den Selbstmord eines Kollegen oder lediglich um einen Fehlalarm handelt.

Jährlich erreichen etwa 550000 Notrufe aus dem gesamten Vorwahlgebiet 089 die Münchner Polizei. Zehn Telefonleitungen stehen für die Nummer 110 bereit; zudem laufen in der Einsatzleitzentrale zirka 1500 über Standleitungen angeschlossene Alarmgeber zusammen. 1995 fuhr die Münchner Polizei mehr als 200000 Einsätze aufgrund von Hilferufen oder Alarmmeldungen.

Bei der Suche nach einem Nachfolgesystem für Cebi legte das Projektteam der Polizei zudem großen Wert darauf, daß Standardhardware und -Betriebssysteme zum Einsatz kommen, das System relativ problemlos mit Fremdanwendungen kommunizieren kann (zum Beispiel mit der BS2000-Umgebung beim Landeskriminalamt und mit den Unix-Applikationen der Feuerwehr) und die Arbeitsplätze über die Benutzer definiert, ergonomisch gestaltet sowie intuitiv zu bedienen sind.

Im Herbst 1994 gab es auf dem Markt aber kein lauffähiges System, das mit akzeptablen Antwortzeiten bis zu 1200 Einsätze pro Tag, 120 Funkwagen, 61000 Objektdatensätze (Banken, Kaufhäuser, Behörden, gefährdete Personen, öffentliche Einrichtungen, Konsulate, Schulen, S-Bahnhöfe etc.), 60000 Aliasnamen für Straßen und Plätze (beispielsweise Stachus für Karlsplatz), 140000 Hausnummern im Stadtgebiet, 2154 unterschiedliche Funkrufzeichen und 6000 münzfreie Notruftelefone handhaben konnte. Also wurde das System als Projekt ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt die Daimler-Benz-Tochter Debis. Sie entwickelte Zeus ab April 1995 innerhalb von 18 Monaten auf der Basis ihres Baukastensystems "Felis" (Flexibles Einsatzleitsystem Innere Sicherheit). Bestandteil von Zeus ist unter anderem das kartografische System "Geoplan", das auf dem geografischen Informationssystem der Hamburger Firma Pafec basiert. Die Verbindungslösung zu Inpol, dem Informationssystem der deutschen Polizei, stammt von der Unicon GmbH aus Karlsruhe.

Und so sieht die Arbeit mit Zeus aus: Die Beamten in der Notrufannahme geben alle Informationen, die sie vom Anrufer erhalten können, in einen der sechs Aufnahmeplatzrechner ein. Das System unterstützt sie dabei durch Plausibilitätsprüfungen und die Bereitstellung relevanter Informationen: Es meldet beispielsweise, ob der genannte Ort in München existiert, ob die Ortsangabe eindeutig ist und ob zu diesem Ort schon eine Meldung vorliegt.

Auf einem zweiten Bildschirm zeigt das maßstabsgetreue Karteninformationssystem Geoplan den Ort der Meldung - wenn nötig, jede einzelne Garagenein- oder verborgene Hausdurchfahrt. So können die Beamten gezielt nachfragen, solange der Anrufer noch am Apparat ist.

Geht statt eines telefonischen Notrufs eine Meldung per Alarmgeber in der Zentrale ein, prüft der Beamte zunächst durch telefonischen Rückruf, ob der Alarm "echt" ist. (Bei den 2205 Alarmmeldungen, die 1995 ausgelöst wurden, war das nur 36mal der Fall.) Dann gibt er die Nummer des Alarmmelders ins System ein. Automatisch wird das Einsatzformular auf dem Bildschirm durch die zugehörigen Orts-, Gebäude- und Personendaten ergänzt.

Ob Notruf oder Alarm - in beiden Fällen wird ein "Einsatz" angelegt und vom System automatisch an einen der vier Einsatzleitplätze geschickt, die den Polizeidirektionen (je eine pro Himmelsrichtung) zugeordnet sind.

Ein Beamter nimmt den Einsatz an und schickt die benötigten Fahrzeuge - Funkwagen, Motorräder oder Hubschrauber etc. - auf den Weg. Entweder läßt er sich dazu einen Einsatzvorschlag vom System machen, oder er entscheidet selbst, welches das geeignete Einsatzmittel ist. "Das Denken nimmt uns nämlich auch das beste DV-System nicht ab", erläutert Projektleiter Rummler.

Sobald der Beamte am Leitplatz die Einsatzmittel eingegeben hat, werden auf der Bildschirmmitte die Einsatznummer, das Stichwort und das Rufzeichen des ersten Funkwagens dargestellt. Außerdem gibt das System Hinweise auf erforderliche Maßnahmen, nennt beispielsweise alle Personen oder Organisationen, die benachrichtigt werden müssen.

Über Funk erteilt die Einsatzleitung nun Anweisungen an die ausgewählten Einsatzwagen. Mit Hilfe des Funkmeldessystems (FMS) können die Streifenwagen bis zu 1400 Kurztelegramme pro Stunde an die Zentrale senden. Aus diesen Meldungen gehen Informationen wie der jeweilige Einsatzstatus hervor. Daraus ermittelt Zeus nun beispielsweise, welches Fahrzeug für einen weiteren Einsatz in Frage kommt.

Eine dritte Gruppe von Arbeitsplätzen dient der Einsatzunterstützung. Die dort tätigen Beamten versorgen ihre Kollegen vor Ort mit dem Wissen, das diese für ihren Dienst benötigen. Dazu zählen beispielsweise Abfragen beim Verkehrszentralregister in Flensburg oder beim Zentralrechner des Bundeskriminalamts. Auch die Übersicht über abgeschleppte Fahrzeuge wird hier geführt.

Als entscheidende Verbesserungen im Vergleich zu Cebi empfinden die Münchner Beamten heute die grafische Bedienungsoberfläche und das Karteninformationssystem, aber auch die "Express"-Maske an den Unterstützungsplätzen. Dort werden per Funk alle Daten eingegeben, die ein Polizist bei der Überprüfung von Fahrzeugen oder Personen feststellt. Sein Kollege am Unterstützungsplatz kann dann bis zu sieben Überprüfungen gleichzeit starten. Trifft eine Antwort ein, gibt er sie - ebenfalls über Funk - an den Kollegen vor Ort weiter.

Zur Akzeptanz des Sytems trug die leichte Erlernbarkeit bei. Die Umschulung der computererfahrenen Beamten und Beamtinnen vom alten IBM-Mainframe auf das neue Client-Server-System dauerte gerade mal neun Stunden.

Auch die bayerischen Steuerzahler haben Grund zur Freude: Für Hard- und Software der im Ethernet verbundenen Workstations - einschließlich unterbrechungsfreier Stromversorgung, Rückfallstufenkonzept und doppelt ausgelegtem LAN - mußte das bayerische Innenministerium nur einen Bruchteil der rund 20 Millionen Mark berappen, die Cebi 1986 gekostet hatte.

Die Polizei München ist nicht das erste deutsche Präsidium, das sich ein modernes Einsatzleitsystem zugelegt hat. Kürzlich erst nahm die Polizei Hamburg eine ebenfalls Unix-basierende Installation mit vergleichbarer Zielsetzung in Betrieb. Die Hamburger entschieden sich jedoch - statt eines Baukastensystems und des Prototyping-Ansatzes - für die klassische Form eines DV-Projekts mit Grob- und Feinspezifikation.

Mittlerweile zeigen sich auch die Polizeipräsidien anderer Bundesländer interessiert an Zeus. Gegen eine weitere Verbreitung des Systems hätte Rummler nichts einzuwenden, im Gegenteil. Seiner Ansicht nach wächst auf diese Weise der Anreiz für den Systemlieferanten, die Programmpflege auch in Zukunft ernst zu nehmen.

DIE TECHNIK

- Client-Server-System mit Sparcstations von Sun Microsystems,- Betriebssystem: Solaris 2.5.1.,- Programmiersprache: C++,- Datenbank-Server mit 128 MB Speicher und Disk-Array,- Relationale Datenbank: Sybase 10.0.2,- Schnittstellen-Rechner mit 64 MB Speicher,- LAN: 10Base-T-Ethernet, teilweise Lichtwellenleiter, FDDI-Backbone,- 27 Arbeitsplätze: sechs Aufnahmeplätze, vier Leitplätze, 17 Arbeitsplätze für die Einsatzunterstützung.

*Sonja Hübner ist Fachjournalistin in Stuttgart