Mischt der Cell die Branche auf?

16.02.2005 von Ludger Schmitz
Der von IBM, Sony und Toshiba entwickelte Prozessor kann weit mehr als angegeben. Die drei Firmen haben auf der International Solid State Circuits Conference in San Francisco die neue CPU "Cell" vorgestellt, dabei aber noch einige Details im Unklaren gelassen. Der Cell ist ein Multicore-Chip, der aus einem Prozessorkern nach der 64-Bit-Architektur Power und acht speziellen Prozessorkernen für schnelle Fließkomma-Berechnungen besteht. Insgesamt sind auf dem 221 Quadratmillimeter großen Chip 234 Millionen Transistoren vereint.

Große Investitionen

Der Prozessor wird in Silicon-on-Insulator-Technik mit einer Strukturbreite von 90 Nanometern hergestellt. Noch in diesem Jahr soll die Pilotproduktion in IBMs Chipfabrik in East Fishkill auf 300-Millimeter-Wafern anlaufen. Sony beteiligt sich an den neuen Anlagen mit 325 Millionen Dollar. Später wird die Produktion auf 65 Nanometer Strukturbreite umgestellt. Allerdings dürfen auch Sony und Toshiba den Chip in eigenen Fabriken herstellen, für beliebige eigene Produkte verwenden und frei vertreiben.

Sony und Toshiba wollen den Prozessor in High-Definition-Fernsehern (HDTV) und -Aufzeichnungsgeräten verwenden. Außerdem wird er das Herzstück der Sony-Spielekonsole "Playstation 3". Doch die technischen Eigenarten des Cell legen auch ganz andere Verwendungszwecke nahe.

Der Cell wird mit 4,6 Gigahertz getaktet und soll die zehnfache Leistung heutiger Spitzenprozessoren für PCs bringen. Bei geringeren Anforderungen wird der Chip partiell abgeschaltet, um die Wärmeentwicklung zu reduzieren. Dem Power-Kern ("Processor Unit", PU) sind auf dem Prozessor 512 KB Level-2-Cache zugeordnet, die weiteren acht Prozessorkerne ("Synergistic Processing Units", SPUs) verfügen exklusiv über jeweils 256 KB lokales Memory.

Die PU kann zwei Threads gleichzeitig abarbeiten. Sie und die SPUs sind über einen Direct Memory Access Controller (DMAC) untereinander und mit On-Chip-Controllern für externen Arbeitsspeicher verbunden. Das Konsortium verwendet hier Beschleunigungstechniken, die es von Rambus in Lizenz genommen hat. Über den DMAC erfolgt auch das I/O, und zwar mit der enormen Geschwindigkeit von 6,4 Gigabit pro Sekunde. Der Chip hat Techniken für das Digital-Rights-Management implantiert, eine Konzession an die Interessen des Medienkonzerns Sony.

Die Architektur des Prozessors orientiert sich an der Idee von Softwarezellen. Demnach arbeiten die SPUs relativ kleine Programmteile unabhängig voneinander ab. Der Power-Kern dient dabei quasi als Controller. Allerdings lassen sich die SPUs auch in beliebiger Weise in Reihe schalten, wenn es um größere Befehlssätze geht. Die Cell-CPU ist mithin virtualisiert. Das bietet nach IBM-Angaben die Möglichkeit, gleichzeitig mehrere Betriebssysteme auf ihr zu fahren. Und weil der Prozessor kompatibel zur Power-Architektur ist, dürfte es nicht schwer sein, AIX und Linux für ihn anzupassen.

Weil der Cell dank der acht SPUs auf einen hohen Durchsatz bei Fließkomma-Berechnungen kommt, ist er überall dort zu erwarten, wo es um dreidimensionale Berechnung geht. Dies ist die klassische Domäne der Supercomputer, die vor allen Dingen für aufwändige grafische Berechnungen, beispielsweise in der Geowissenschaft oder in der Simulation, verwendet werden. Tatsächlich spricht auch IBM von einem "Supercomputer auf einem Chip". Ein mit Cell-Servern gefülltes Rack soll es auf 16 Teraflops bringen. Darüber hinaus könnte der Cell auch bei grafischen Highend-Workstations (CAD, CAE) deutliche Vorteile bringen.

Doch die hohe Geschwindigkeit am I/O und bei der RAM-Adressierung sowie die flexible Schaltbarkeit der SPUs zu Koprozessoren machen den Cell-Chip auch allgemeiner für bestimmte Server interessant. Datenbanken müssten von dem hohen Durchsatz profitieren. Der Risc-Architektur steht also Konkurrenz ins Haus.

Probleme für Intel und AMD

Auch bei Intel und AMD wird man sich Gedanken machen. Dass IBM den Leistungsvergleich mit PC-Prozessoren zieht, deutet keineswegs auf eine Cell-Positionierung in diesem Segment hin. Der normale Desktop benötigt so viel Rechenpower nicht. Aber Intel und AMD haben beachtlichen Erfolg bei Clustern. Mit wenigen geclusterten Cell-Servern lässt sich die gleiche Leistung erzielen wie mit Hunderten x86-basierenden Knotenrechnern.

Und Cell-Server dürften sehr preisgünstig auf den Markt kommen. Denn die Massenproduktion für die Playstation 3 und andere Unterhaltungselektronik wird den Prozessor billig machen. Die Cell-Architektur hat das Zeug, den Computermarkt aufzumischen.