Der Chef twittert von der Messe, die Personalchefin stöbert in Facebook nach Informationen über die aktuellen Bewerber, und die Abteilungsleiter füllen Wikis, um ihre Mitarbeiter immer auf dem neuesten Stand zu halten. So funktioniert die schöne neue Internet-Welt im Enterprise-2.0-Zeitalter, glaubt man den Web-Gurus. Aus ihrer Sicht gehört Web 2.0 schon zum alten Eisen. Ihre Visionen reichen längst darüber hinaus: Von semantischen Techniken, weitergehenden Sozialisierungs-Plattformen und virtuellen Welten ist die Rede.
Doch in Wirklichkeit geht alles viel langsamer. Social Media und Web 2.0 kommen nur zögerlich in der Unternehmenswelt an. Laut der Studie "Social Media Company Monitor 2009", die das Deutsche Institut für Kommunikation und Recht im Internet (Dikri) in Auftrag gegeben hat, räumten fast 70 Prozent der rund 350 befragten Geschäftsführer ein, wenig über Web 2.0 zu wissen. Jeder fünfte Manager gab an, den Begriff zwar bereits einmal gehört zu haben, aber nicht zu verstehen, was sich dahinter verbirgt. Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass auch die verschiedenen Tools eher zurückhaltend genutzt werden: 44 Prozent der Befragten verwenden keine Videoplattformen, mehr als drei Viertel führen keinen Blog, und über die Hälfte der Manager erklärte, auf absehbare Zeit keine Aktivitäten in Sachen Social Media zu planen.
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Dabei könnten Unternehmen bereits heute konkreten Nutzen aus dem Web 2.0 ziehen, sagen Experten und warnen die Firmenverantwortlichen davor, den Anschluss zu verpassen. Beispielsweise seien in der Consumer-Electronik-Branche solche Hersteller erfolgreicher, die sich aktiv mit Kunden und Nutzern vernetzten, um deren Erfahrungen und Ideen in den eigenen Entwicklungsprozess einzubinden. Einer Accenture-Studie zufolge erzielen diese Anbieter eine Gewinnmarge von elf bis 13 Prozent, im Vergleich zu fünf Prozent bei Herstellern, die ihr Innovations-Management auf herkömmliche Art und Weise abwickelten.
"Sich rein auf die Kreativität ihrer Entwicklungsabteilung und auf klassische Marktforschung zu verlassen reicht heute nicht mehr", sagt Nikolaus Mohr, Geschäftsführer Communication & High Tech bei Accenture. Verbraucher hätten heute mehr Auswahl denn je und seien immer weniger bereit, Kompromisse einzugehen: "Die Zeiten, in denen man den Anwender zu einem Gerät erziehen konnte, sind vorbei." Mohr hält es für schlau, sich mit Kunden und Ideengebern vernetzen und deren kreative Vorschläge einzusammeln. "Apple hat es allen vorgemacht", so der Accenture-Manager.
Accenture hat weltweit 5600 junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren zu ihrer IT-Nutzung befragt. Das sind einige Auszüge aus den Ergebnissen:
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In der Gruppe der 18- bis 27-jährigen betrachten es 37 Prozent bei der Wahl des Arbeitgebers als essenziell, dass ihr Arbeitsplatz mit neuester Technik ausgestattet ist.
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Rund 55 Prozent der Working Millennials nutzen im Arbeitsalltag Instant Messaging, um sich mit Kollegen, Partnern und Kunden in Echtzeit auszutauschen.
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45 Prozent der berufstätigen Millennials kommunizieren über Social Networks wie beispielsweise Facebook.
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Dabei halten sich 66 Prozent nicht an die IT-Sicherheitsrichtlinien ihres Arbeitgebers. Die Gründe reichen von Unverständnis bis Unwissenheit.
Kopfmonopole sind out - die Zukunft gehört den Teams
Darüber hinaus sollten sich die Verantwortlichen in den Unternehmen auch intern den Herausforderungen von Social Media und Web 2.0 stellen. Praktisch alle Entscheidungsträger befassen sich derzeit intensiv mit diesen Themen, berichtet Harald Kiehle, Director of Strategy & Marketing bei IBM in Deutschland. "War die Arbeitswelt in der Vergangenheit mehr auf das Individuum konzentriert, auf das Bewahren von Informationen, wird sie in Zukunft wesentlich teamorientierter funktionieren. Weg vom Kopfmonopol hin zu kollaborativen Strukturen." Das hat Folgen für die Zusammenarbeit. Kiehle zufolge fragen sich mittlerweile etliche Konzerne, ob E-Mail überhaupt noch eine passende Kommunikationsplattform darstellt. So wie Instant Messaging, Twitter, Facebook und Blogs das private Kommunikationsverhalten beeinflussen, so werden diese Techniken auch den Informationsaustausch in Unternehmen verändern.
Laut Kiehle gilt es, eine Brücke zu schlagen zwischen den "Digital Natives", die mit dem Computer groß geworden, und den "Digital Immigrants", die erst im Berufsleben mit dem Computer in Berührung gekommen sind. Die Älteren brauchten die Sicherheit, dass ihre Erfahrung und soziale Kompetenz nach wie vor gefragt seien. Die Jüngeren erwarteten Akzeptanz, was ihre pragmatische und radikalere Tool-Nutzung angehe.
Am Ende sind es aber die Digital Natives oder Millennials, die Unternehmen in Zukunft fordern. Sie werden die IT am Arbeitsplatz massiv verändern, sind sich die Experten von Accenture sicher. Beispielsweise erwarte diese Generation, dass ihr Arbeitsplatz von Haus aus mit neuester Technik und aktuellsten Tools ausgestattet sei. Zudem kümmerten sich die jungen Mitarbeiter in aller Regel wenig um Sicherheitsbestimmungen. "Den veränderten Umgang der Millennials mit Technik können Unternehmen nicht ignorieren", sagt Gary Curtis, oberster Technologiestratege von Accenture. Firmen, die sich nicht darauf einstellten, würden qualifizierten Nachwuchs abschrecken und riskierten damit ihre Innovationsfähigkeit. "Die Unternehmen erwartet ein Balanceakt", sagt Curtis. "Sie müssen den Erwartungen der Millennials entgegenkommen, ohne ihre IT-Sicherheit zu gefährden und die Bedürfnisse älterer Mitarbeiter zu vernachlässigen."
"Dem Internet eine Seele geben"
"Es hat sich innerhalb eines Jahres sehr viel getan im Bereich Social Software und Collaboration", zieht Mark Gilbert, Research Vice President von Gartner, Bilanz. Immer mehr Menschen nutzten Plattformen wie Facebook und Twitter. Das habe zu einem ernsthaften Dialog über Social-Software-Plattformen im Geschäftsleben geführt. Frank Schönefeld, Chief Technology Officer (CTO) der T-Systems Multimedia Solutions GmbH, warnt: "Die Evolution des Web ist also noch lange nicht zu Ende." Vor allem neue technische Möglichkeiten würden die Entwicklung antreiben. Mit den Massen an mobilen Geräten werde das Web ungefähr auf das Fünffache anwachsen: von rund 1,1 Milliarden Computern auf etwa fünf Milliarden Internet-fähige Endgeräte. Dazu kämen noch Billionen Sensoren beispielsweise in Autos und Haushaltsgeräten. "Alle Gegenstände des persönlichen Lebens und der realen Welt werfen demnach einen digitalen Schatten."
Dieser Schatten fällt mittlerweile auch auf so altehrwürdige Institutionen wie die katholische Kirche. Erst vor kurzem appellierte Papst Benedikt XVI. an seine Priester, Blogs und Online-Videos stärker zur Evangelisierung zu nutzen. Das Internet solle Teil der Priesterausbildung werden. Ein Priester müsse dem "Kommunikationsstrom des Internets eine Seele geben".