Microsoft schmiedet am Windows für das Web

08.11.2005 von Frank  Niemann
Mit "Windows Live" und "Office Live" will der Konzern seine Desktop-Dominanz auf das Web ausdehnen.

Microsoft arbeitet daran, das bisherige Softwaregeschäft mit Web-Diensten zu ergänzen und kleine Firmen zu erreichen. Kernstück der Strategie ist es, für Windows- und Office-Anwender zusätzliche Online-Angebote bereit zu stellen. Die Betonung liegt auf "zusätzlich", denn keineswegs sollen die Web-Angebote den klassischen Verkauf von Softwarelizenzen ablösen. Gates und Co. verlangt es nach weiteren Einnahmenquellen aus dem Netz. Attraktive Dienste sollen Surfer anlocken und so die Werbeumsätze steigern. Die Idee ist nicht neu, denn der Erfolg von Internet-Firmen wie Yahoo und Google beruht darauf, reichhaltige Funktionen für E-Mail, Instant-Messaging, Suche und Nachrichten zur Verfügung zu stellen. Microsoft setzt nun noch eins drauf und bietet zusätzlich Funktionen im Web, die bislang nur in seinen PC-Programmen zu finden waren.

Hier lesen Sie ...

  • was Microsoft mit Windows Live und Office Live vorhat;

  • wie sich Microsoft gegen Google und Salesforce.com aufstellt;

  • wie sich die Konzepte mit dem klassischen Softwaregeschäft vertragen;

  • welche Features die Live-Dienste bieten;

  • für welche Kunden diese Angebote gedacht sind.

Unter Windows Live (eine Betafassung hat der Konzern verfügbar gemacht) fasst Microsoft bestehende Web-Angebote wie Suche (Desktop und Internet), E-Mail ("MSN Hotmail"), Instant-Messaging, das Online-Anmeldesystem "Passport" und Sicherheitsfunktionen zusammen. Letztere beinhalten Virenschutz, Spyware, Spam- und Phishing-Abwehr sowie Backup.

Personalisierbare Website mit Erweiterungsoption

Anwender greifen über eine personalisierbare Website auf Windows Live zu. Sie können Art und Umfang der Inhalte beeinflussen, RSS-Feeds einbinden sowie Funktionsbausteine ("Gadgets") für E-Mail und Wettervorhersage auswählen. Im Gegensatz zum klassischen Hotmail verwendet Microsoft für die E-Mail-Funktion auf Live.com die Technik Ajax (Asynchronous Javascript and XML), mit der sich dynamische Web-Oberflächen bauen lassen.

Live-Features auch im MSN-Portal

Microsoft betreibt mit MSN.com schon lange ein Portal, das mit "My Yahoo" und dem Suchdienst Google nebst dessen zahlreichen Zusatzfunktionen in Wettbewerb steht. Bislang konnte das Web-Angebot jedoch weder mit Funktionen und Reichweite noch mit Werbeeinnahmen an die Rivalen heranreichen. Nach Angaben eines Firmensprechers sollen die Funktionen von Windows Live auch via MSN-Site zugänglich sein - der Anwender kann wählen, ob er die "pure" Live.com-Umgebung nutzen möchte oder das Portal. Windows Live lässt sich über Gadgets erweitern. Anwender oder Firmen können selbst mittels eines "Gadget SDK" eigene Bausteine entwickeln und einbinden.

Werbefinanzierung und Subskriptionen

Ray Ozzie und Bill Gates wollen neue Umsatzquellen mit Online-Diensten erschließen. Zusätzliche Funktionen sollen Windows und Office ergänzen.

Größtenteils sollen die Microsoft-Dienste durch Online-Anzeigen finanziert werden. Für höherwertige Angebote sollen Kunden Gebühren zahlen. Beispielsweise wird der Sicherheitsdienst "Safety Center" kostenfrei sein, das Security-Paket "One Care" hingegen nur für zahlende Abonnenten zugänglich sein. In Sachen Werbung setzt das Unternehmen nicht wie bisher auf Partner, sondern auf das selbst entwickelte "Ad Center".

Office-Erweiterungen für Teamarbeit

Im Gegensatz zu Windows Live kann Microsoft noch keine Betaversion von Office Live zeigen, will dies aber Anfang 2006 nachholen. Die Offerte soll aus mehreren Paketen bestehen. Sie richtet sich an kleine Firmen, die eine Website, E-Mail-Konten sowie Collaboration-Funktionen wünschen. Ferner gibt es kostenpflichtige Dienste zum Verwalten von Kunden, Projekten und Dokumenten. "Office Live Collaboration" umfasst ferner Methoden, um via Web sowohl mit den eigenen Mitarbeitern als auch mit externen Anwendern zu kommunizieren und beispielsweise über die gemeinsame Plattform Schriftstücke auszutauschen. Für den Dateiaustausch kommt Technik der übernommenen Firma Groove Networks zum Einsatz. Microsoft greift hierbei auch auf die hauseigene Sharepoint-Technik zurück. Die Dienste sollen auf PCs und auf mobilen Endgeräten nutzbar sein.

Eine enge Anbindung der Live-Dienste an die Outlook-Software hat Microsoft bereits skizziert. Wie diese Web-Dienste mit Word und Excel zusammenspielen, steht noch nicht fest. Generell wird der Konzern einem Sprecher zufolge die klassischen Office-Programme getrennt voneinander vermarkten. Eine enge Verzahnung oder Bündelung der Live-Angebote mit der bestehenden Software würde von den Kartellhütern argwöhnisch beäugt werden.

Outlook-Daten mit der Web-Plattform abgleichen

Die Kunden sollen beispielsweise in der Lage sein, ihre in Outlook vorgehaltenen Kontakte, Aufgaben und Termine in die Web-Dienste zu integrieren. Im Web stehen dann Funktionen bereit, die über die lokal installierte Software hinausgehen und diese möglichst einfach ergänzen sollen. Beispielsweise erfordert das Arbeiten in Teams über Firmengrenzen hinweg bisher Server-Produkte von Microsoft oder Drittherstellern. Diese anzuschaffen und zu betreiben können sich vor allem kleine Firmen kaum leisten. Mit den Live-Plattformen lockt der Softwarekonzern solche weniger finanzkräftigen Anwender mit Dienstleistungspaketen, die den Geldbeutel weit weniger belasten. Auf diese Weise will sich das Softwarehaus neue Käuferschichten erschließen.

Noch kaum Business-Funktionen

Von hier aus ist es eigentlich nur noch ein kleiner Schritt, solchen Kunden die Möglichkeit zu bieten, auch betriebswirtschaftliche Aufgaben mit Web-Services zu bewältigen. Wie das geht, haben Firmen wie Salesforce.com im Bereich Customer-Relationship-Management (CRM) vorgemacht. Analysten hatten im Vorfeld der Ankündigungen mit einer Gegenoffensive Microsofts in Richtung Salesforce.com, Netsuite, Rightnow und andere Softwarevermieter gerechnet, doch die blieb weitgehend aus. Office Live wird nach bisherigem Stand zwar nützliche, aber simple Funktionen für Reisekostenabrechnung, Projektverwaltung und Leistungsverrechnung von Arbeitszeiten bieten.

Warum Microsoft "Live" geht

  • Google, Salesforce.com und andere stellen vermehrt Softwarefunktionen im Internet zur Verfügung, für die Microsoft-Programme und Betriebssysteme nicht erforderlich sind.

  • Microsoft versucht, stärker am Umsatz mit Online-Werbung beziehungsweise Internet-Suche teilzuhaben. Das MSN-Portal allein reicht da offenbar nicht aus.

  • Der Konzern will neue Kundenschichten erreichen, zum Beispiel kleine Firmen, die sich Server-Produkte nicht leisten können oder wollen.

  • Ergänzende Web-Dienste für Office und Windows sollen Bestandskunden binden, sie rascher zu einem Upgrade bewegen und ihre Kaufentscheidungen beeinflussen.

  • Web-Dienste sorgen im Vergleich zum schwankenden Lizenzgeschäft für kontinuierliche Einnahmen.

Keine Kannibalisierung des klassischen Geschäfts

Microsofts Potenzial, im Markt für Web-Dienste mitzumischen, ist angesichts der installierten Basis gewaltig. "Mit Live kannibalisiert Microsoft nicht das eigene Softwaregeschäft, sondern erschließt sich neue Umsatzquellen mit Werbeeinnahmen und Abonnements", meint Charlene Li, Analystin bei Forrester Research. Dennoch muss das Unternehmen sich erst das Vertrauen der kleinen Firmen erarbeiten. Das betrifft beispielsweise den Datenschutz.

Unklar ist etwa, welche Rolle Microsofts Partner einnehmen sollen, die bisher die Produkte unter das Volk gebracht haben. Schließlich geht der Softwarekonzern über die Live-Angebote eine direkte Beziehung zum Kunden ein.

Ein weiteres Problem: Um Windows und Office Live zu nutzen, benötigen Firmen aktuelle Versionen der Software. Statistiken zeigen, dass sich Anwender jedoch nur schwer von Upgrades überzeugen lassen, wenn sie nicht unbedingt erforderlich sind.

Drittens schläft auch die Konkurrenz nicht. Google wird seine Strategie, kostenlose Dienste zur Verfügung zu stellen, um damit Werbegelder zu erlösen, fortsetzen. Zudem animiert das als Innovator im Web angesehene Unternehmen Entwickler, seine offenen Schnittstellen zu nutzen, um eigene Produkte mit Google-Diensten zu koppeln. Microsoft hat dieses Image nicht. Dem Vernehmen nach sollen Microsofts Live-Schnittstellen auf XML basieren und offen gelegt werden.

Unlängst gab Google Pläne bekannt, Programmierer anzuheuern, die das mit Microsoft-Produkten konkurrierende quelloffene Open Office verbessern sollen. Hintergrund ist eine Partnerschaft mit Sun, aus dessen "Star Office" das Open-Source-Projekt entstammt. Allerdings sprechen beide Firmen (noch) nicht von Softwarediensten, wie sie Microsoft plant.

Versuche, Unternehmen Web-basierende Zusatzdienste anzubieten, hatte Microsoft schon vor Jahren mit dem Portal "Bcentral" unternommen, das ein Experiment blieb. Gescheitert war der Konzern auch mit dem Vorhaben, Software als Service über die hauseigene .NET-Technik zu etablieren. Die ".NET My Services", auch unter "Hailstorm" bekannt, verschwanden noch vor der Vollendung in der Versenkung.