Dynamics NAV und AX überarbeitet

Microsoft nimmt neuen Anlauf im ERP-Geschäft

09.09.2008 von Martin Bayer
Mit den neuen Releases NAV 2009 und AX 2009 aus der Dynamics-Reihe will Microsoft dem Geschäft mit Business-Software neuen Schwung geben. Damit dies gelingt, müssen jedoch Partner und Kunden für die von Grund auf erneuerten Lösungen begeistert werden.

Welche Rolle Business-Applikationen innerhalb der Microsoft-Philosophie spielen, darüber kommt so mancher Beobachter ins Grübeln. In den letzten Monaten bemühte sich der Konzern vor allem darum, im Internet-Geschäft Gas zu geben. Um die betriebswirtschaftlichen Lösungen war es dagegen still geworden. "Die Business-Software stellt für Microsoft einen strategischen Kernbereich dar", beteuert nun Jochen Wießler, Direktor Microsoft Business Solutions in Deutschland, zum Auftakt der diesjährigen Partnerkonferenz in München. Zwar würden die Dynamics-Lösungen einen vergleichsweise geringen Anteil zum Gesamtumsatz des Softwaregiganten beitragen. Dennoch seien die betriebswirtschaftlichen Anwendungen wichtig, weil sie das Lösungsportfolio abrundeten und zur Sicherung der Windows-Plattform beitrügen. Zu Dynamics-Familie, die Wießler hierzulande verantwortet, zählen die ERP-Produkte Dynamics NAV ("Navision") und AX ("Axapta") sowie die Kunden-Management-Lösung "Dynamics CRM".

Wießler versprach den rund 600 Partnern, die sich zum Launch der neuen ERP-Versionen im Kloster Fürstenfeld bei München versammelt hatten, Kontinuität. Microsoft werde seine Investitionen für die Weiterentwicklung der Software in den kommenden Jahren ausbauen. Dabei halte der Konzern an beiden ERP-Linien fest. Es gebe immer wieder Diskussionen über die Positionierung der ERP-Produkte und deren Überschneidung, räumte der Microsoft-Manager ein. Doch dies lasse sich bei kaum einem der großen Anbieter vermeiden.

Von einer Verschmelzung beider Linien könne keine Rede sein, auch wenn beide Produkte an manchen Stellen gleiche Codekomponenten verwenden. Die Angleichung beschränke sich auf das Frontend mit dem Rollen-basierenden Client. Das Backend der Softwarelinien unterscheide sich nach wie vor, und das sei auch notwendig, um die unterschiedlichen Anforderungen der Kunden erfüllen zu können. Wießler trat damit Spekulationen entgegen, Microsoft lasse mit der gemeinsamen Entwicklung das in der Versenkung verschwundene "Project Green" wieder aufleben. Mit diesem Vorhaben beabsichtigte der Konzern vor einigen Jahren, Business-Lösungen auf eine komplett neue und gemeinsame Codebasis umzustellen, um bestehende Applikationen abzulösen. Da das Vorhaben bei Partnern und Kunden einen Sturm der Entrüstung auslöste, änderte Microsoft seine Pläne jedoch schnell wieder.

ERP für Kleinfirmen war ein Flop

Es blieb nicht die einzige überraschende Wende in Microsofts ERP-Strategie. Ende August dieses Jahres strich der Konzern das erst kurz zuvor eingeführte "Dynamics Entrepreneur", mit dem in erster Linie Kleinunternehmen angesprochen werden sollten, aus seinem Programm. Der Konzern will diese Klientel künftig mit dem neuen Dynamics NAV 2009 bedienen. Schließlich benötigten auch Kleinunternehmen Branchenfunktionen und eine Integration in die Microsoft-Welt, erläuterte Wießler. Entrepreneur-Kunden erhalten kostenlos NAV-Lizenzen. Sie können ihren Datenbestand in das neue Produkt überführen. Wer die abgekündigte Software jedoch weiter einsetzen möchte, soll bis zum Februar 2013 Support erhalten.

Laut Jochen Wießler, Director Microsoft Business Solutions, laufen Gespräche mit Hosting-Partnern, um ERP-Funktionen on Demand anzubieten.

"Das Ganze ist nicht besonders glücklich abgelaufen", gibt Wießler zu. Vielleicht habe man die Marktumstände nicht gründlich genug analysiert. Mehr will der Microsoft-Manager zu dem Flop nicht sagen. Das Microsoft-Portfolio für Kleinunternehmen könnte jedoch in Bewegung bleiben. Nachdem bereits Robert Helgerth, Direktor für den Mittelstandsbereich bei Microsoft in Deutschland, gehostete ERP-Software für das Segment der Klein- und Kleinstfirmen in Aussicht gestellt hatte, bestätigte nun auch Wießler, dass es durchaus Überlegungen gebe, im Rahmen der Software-plus-Services-Strategie auch Business-Applikationen zur Online-Nutzung für diese Kundengruppen anzubieten. Erste Gespräche mit Hosting-Partnern liefen bereits. Möglicherweise folgt Microsoft also dem Beispiel der SAP. Bekanntlich setzen die Walldorfer mit dem Produkt "Business ByDesign" ebenfalls darauf, dass Mittelständler ihre Geschäftssoftware mieten statt kaufen. Ob das klappt, muss SAP aber erst noch beweisen.

Fokus auf Mittelstand

Das größte Potenzial für Geschäftssoftware sehen die Microsoft-Verantwortlichen jedoch oberhalb der Kleinbetriebe, im Mittelstand, stellt Rüdiger Meyer klar. Er verantwortet den Bereich Industry Strategy & Business Development. Deutschland ist nach den Zahlen des Marktforschungsunternehmens IDC weltweit der zweitgrößte ERP-Markt mit einem Umsatz von rund 3,2 Milliarden Euro. Davon entfielen rund zwei Milliarden Euro auf den Mittelstand. Speziell dieses Segment wachse jährlich zweistellig. Die Microsoft-Verantwortlichen rechnen sich gute Chancen aus, weiter vom Wachstum zu profitieren. Viele mittelständische Firmen benötigten neue ERP-Software, behauptete Kirill Tatarinov, Corporate Vice President für den Geschäftsbereich Microsoft Business Solutions. Andere Anbieter wie SAP und Oracle seien jedoch nicht in der Lage, ein mittelstandsgerechtes Softwareangebot auf den Tisch zu legen. "Das ist die Chance für Microsoft."

Einfache Bedienung soll ERP-Kunden überzeugen

Der rollenbasierende Client soll vom Anwender leicht zu bedienen sein und wenig Schulungen erfordern. Er bildet das Frontend für Dynamics NAV und AX.

Punkten will der weltgrößte Softwareanbieter vor allem durch einfach zu bedienende Programme. Dies sei der wichtigste Unterschied zu den Produkten des Wettbewerbs, betonte Tatarinov. Die neuen Frontends berücksichtigen, dass Mitarbeiter im Unternehmen jeweils verschiedene Rollen einnehmen. Entsprechend werden dem Nutzer Funktionen und Inhalte präsentiert, und zwar in einer Oberfläche, die sich eng an das bekannte Office-Interface anlehnt. So soll sich der Nutzer ohne großen Lernaufwand schnell zurechtfinden. Dem weltweit für die MBS-Sparte verantwortlichen Manager zufolge lässt sich das neue NAV-Release außerdem leicht implementieren und anpassen. Mit Hilfe von Web-Service-Technik könnten außerdem fremde Applikationen und Daten ohne großen Aufwand in Microsoft-Produkte integriert werden.

Generationswechsel bei Dynamics NAV

Der Softwarekonzern setzt dabei ganz auf die eigene Infrastruktur. Beispielsweise beruht NAV 2009 auf einer .NET-basierenden dreischichtigen Architektur, in der die Business-Logik von der Datenbank getrennt ist. Daten speichert das System im SQL Server von Microsoft. Die veraltete zweischichtige Technik sowie die proprietäre Datenbank "C/Side" werden zwar unterstützt. Der neue, rollenbasiernde Client funktioniert damit aber nicht. Die Umstellung auf die neue Technik machte Microsoft zu schaffen: Eigentlich sollte das neue NAV-Produkt schon Ende vergangenen Jahres auf den Markt kommen.

Auch Dynamics AX 2009 setzt in weiten Teilen auf die aktuelle Microsoft-Technik, beispielsweise die "Windows Presentation Foundation" für die Visualisierung von Daten, SQL-Technik für Ad-hoc-Reporting und die "Windows Workflow Foundation", um Prozesse in der Software abzubilden.

Mit den 2009er-Versionen - vor allem bei NAV - macht Microsoft in Sachen Technik einen großen Schritt nach vorne. Allerdings müssen Partner sowie Kunden dies erst einmal verdauen. Daraus machen die Microsoft-Verantwortlichen auch keinen Hehl. Hierbei vollziehe sich ein Wechsel von transaktionsorientierten zu prozessorientierten ERP-Systemen.

Anwender sollen diesen Weg schrittweise gehen können, verspricht Microsoft-Manager Wießler: "Wir dürfen bestehende Kunden nicht überrollen." Beispielsweise soll sich im NAV-Umfeld bestehende Technik gemeinsam mit neuen Funktionen nutzen lassen. Viele Microsoft-Kunden setzen derzeit noch ältere Navision-Versionen ein und haben mehr als einmal durchklingen lassen, mit ihrer Software zufrieden zu sein. Migrationsprojekte planen sie daher nicht.

Dynamics NAV 2009

  • Die Microsoft-Verantwortlichen heben für Dynamics NAV 2009 vor allem den rollenbasierten Client hervor. In einem "Rollen-Center" lassen sich je nach Nutzerprofil bestimmte Aktivitäten, Daten und Kommunikationskanäle zusammenstellen. Die Auswahl erfolgt wie in Microsoft Office über Dialog-Boxen, in denen verschiedene Menüpunkte aktiviert und deaktiviert werden können. Verschiedene Rollen sind bereits im System vorkonfiguriert.

  • Erweitert hat Microsoft darüber hinaus die Reporting-Funktionen. Mit Hilfe grafischer Elemente wurde vor allem die in der Vergangenheit meist nur rudimentär vorhandene Visualisierung der Daten verbessert. Der Datenaustausch mit Fremdapplikationen läuft über standardisierte Web-Services.

  • Die Anwendung basiert auf einer neuen Dreischichtarchitektur, in der die Business-Logik von der Datenbank getrennt ist. Grundlage ist der SQL Server. Microsoft zufolge ist jedoch ein gemischter Betrieb der alten zweischichtigen Technik im Rahmen der neuen Lösung möglich, um eine schrittweise Migration zu ermöglichen.

  • Dynamics NAV 2009 ist ab dem 1. Dezember in Deutschland verfügbar. Die Software richtet sich an Anwenderunternehmen bis etwa 1000 Mitarbeiter. Der Hersteller bietet die Applikation als horizontales ERP-Release an, das allein durch Partner seine Branchenausprägung erfährt. Derzeit gibt es rund 350 Branchenlösungen für NAV.

  • Im kommenden Jahr will Microsoft weitere Länderversionen auf den Markt bringen und zusätzliche Funktionen beispielsweise für den Bereich Mobility anbieten.

  • Im Jahr 2010 soll mit "Dynamics NAV 7" das nächste Release folgen, mit dem die Architekturmodernisierung endgültig abgeschlossen werden soll. Außerdem sind damit weitere Business-Funktionen und der Ausbau der Software-plus-Services-Strategie geplant.

Partnerfirmen von Microsoft wiederum müssen sich mit den neuen Releases befassen und sie dem Kunden schmackhaft machen. Doch nicht nur durch die Technik wachsen die Herausforderungen für Microsoft und seine Partner. "Der Mittelstand erwartet branchenspezifische Lösungen", sagt Microsoft-Manager Meyer.

Partner müssen Branchenfokus schärfen

Dynamics AX 2009 verfügt über erweiterte Funktionen, um ERP-Prozesse über mehrere Firmenstandorte hinweg zu steuern.

Gerade in Sachen Branchenprofil gebe es noch Nachholbedarf, mahnt Meyer: "Bei vielen Partnern ist noch Potenzial vorhanden, sich durch eine schärfere und klarere Branchenfokussierung besser im Markt zu positionieren." Doch auch Microsoft will seinen Teil dazu beitragen, das Dynamics-Geschäft stärker zu pushen. Ab Oktober dieses Jahres soll ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag in eine Kampagne fließen, um die Marke Dynamics bekannter zu machen.

Für den Softwareanbieter wird viel davon abhängen, dass die Partner bestehende Branchenlösungen auf die neue Applikationsversion migrieren und neue Branchenfunktionen dazuentwickeln. Das bedeutet Aufwand, räumt Wießler ein, eröffne aber auch zusätzliche Möglichkeiten. Der Microsoft-Manager verknüpft das Schicksal des Softwarekonzerns im ERP-Geschäft auf Gedeih und Verderb mit dem seiner Partner: "Wir leben und wir sterben zusammen."

Dynamics AX 2009

In Dynamics AX 2009 hat Microsoft eigenen Angaben zufolge rund 400 neue Features integriert, beispielsweise aus den Bereichen Supply-Chain-Management (SCM) und Human Resources (HR).

Die ERP-Software ist tief in bestehende Microsoft-Infrastrukturtechnik wie Sharepoint, Workflow- und Presentation-Foundation sowie Visual Studio und Microsoft Unified Communication integriert.

Über die Software können Firmen ein Shared Service Center betreiben, um Prozesse in einem verzweigten Firmennetz zentral zu steuern.

Verbessert haben sich Microsoft zufolge auch die Skalierbarkeit und die Performance. Durch 64-Bit-Technik habe sich das Transaktionsvolumen um 200 Prozent erhöht. Mit Hilfe des SQL Server 2008 könne die Datenbankgröße der Business-Applikation um 40 bis 60 Prozent verringert werden.

Wie NAV 2009 bietet auch das neue AX-Release einen rollenbasierenden Client, der eine einfachere und flexiblere Nutzung der Business-Software ermöglichen soll.

Dynamics AX 2009 ist ab sofort verfügbar. Die Applikation richtet sich an Unternehmen mit bis zu 7500 Mitarbeitern.

Anders als bei NAV 2009 liefert der Hersteller mit AX 2009 bereits eine gewisse Branchensausprägung mit, die durch die Partner weiter verfeinert werden sollen. Integriert sind Funktionen für die Bereiche Professional Services, Handel, Prozess- und Auftragsfertigung sowie Großhandel und Distribution. Im kommenden Jahr sollen Funktionen für den öffentlichen Sektor dazu kommen.

Darüber hinaus hat der Hersteller für 2009 weitere Länderversionen beispielsweise für Brasilien, China und Indien angekündigt.

2010 soll mit "Dynamics AX 6" das nächste Release folgen. Schwerpunkte sind aus Microsoft-Sicht dabei eine weitere Vereinfachung der Software sowie der weitere Ausbau der Funktionalität. Mit einfließen sollen Industrie- und Prozesserfahrung. Auch für AX plant Microsoft zusätzliche Software-plus-Services-Szenarien.