Microsoft drängt zur Mietsoftware

28.03.2002 von Wolfgang Miedl
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bereits Mitte letzten Jahres hat Microsoft ein neues Lizenzmodell für seine Software eingeführt. Nach heftigem Protest von großen Anwendern wurden die Konditionen modifiziert und die Übergangsfrist bis Juli 2002 verlängert. Nach wie vor besteht allerdings großer Aufklärungsbedarf.

Microsofts neues Lizenzmodell „License 6.0“ hat im vergangenen Jahr in Anwenderkreisen große Unruhe ausgelöst - schließlich geht es im Kern um nicht weniger als die Abschaffung von Update-Lizenzen. Wer in Zukunft Software von Microsoft einsetzt, hat nur noch die Wahl, entweder bei einem notwendigen Release-Wechsel teure Vollversionen zu kaufen oder sich für eines von mehren Lizenzmodellen zu entscheiden, die optional mit dem Zusatz „Software Assurance“ ausgestattet sind. Gemeint ist damit keine Versicherung gegen Programmfehler, sondern lediglich die Garantie, jedes Software-Update von Microsoft beziehen zu dürfen, das innerhalb der Laufzeit des Lizenzvertrags erscheint. Für diese Update-Gewährleistung bezahlt der Kunde jährlich bei Desktop-Produkten 29 Prozent des Lizenzpreises zusätzlich, bei Server-Produkten 25 Prozent.

Auch Microsofts neues Lizenzmodell ist alles andere als einfach zu verstehen. Wer in absehbarer Zeit Altanwendungen erneuern will, darf die „Upgrade Advantage“-Optionen nicht übersehen. (Quelle: Microsoft)

Microsoft will zögernde Anwender ködern

Nach Einschätzung der Giga Information Group ist Microsofts wichtigstes Motiv für dieses neue Lizenzmodell die Ankurbelung der XP-Verkäufe. Denn noch arbeiten sehr viele Anwender mit Windows 95, 98 oder NT. Eine Umfrage von Giga/Sunbelt Ende 2001 hat ergeben, dass von 4500 befragten IT-Verantwortlichen weltweit noch 51 Prozent Windows 95 und 71 Prozent Windows 98 im Einsatz haben. Dieser Kundenkreis muss aufgrund der bald entfallenden Update-Möglichkeiten beim nächsten Softwarewechsel mit drastischen Mehrkosten rechnen. Das neue Lizenzprogramm bietet diesen Anwendern einen „Update-Schutz“: Mit dem Angebot „Upgrade Advantage“, das ebenfalls Bestandteil von License 6.0 ist, kann eine Reihe von Altanwendungen bis zum 1. August 2002 auf den neuesten Stand gebracht werden. In Verbindung mit Software Assurance ersparen sich Anwender, die in absehbarer Zeit neue Softwareversionen einführen wollen, unter

Umständen die Mehrkosten für Volllizenzen.

Hitzige Debatten hat die Frage ausgelöst, ob das neue Lizenzmodell für die Anwender unterm Strich höhere oder niedrigere Kosten bedeutet. Microsoft behauptet, dass etwa 20 Prozent der Anwender mehr bezahlen müssen, bei 80 Prozent sollen die Kosten entweder gleich bleiben oder sogar sinken. Einige Analysten nehmen aber an, dass der Softwarehersteller mit dem Ende der bisher üblichen Update-Politik eine Variante eliminiert, die für viele Anwender die preisgünstigste war. Hart trifft es vor allem Anwender, die nur selten einen Versionssprung vollziehen. Nach Berechnungen von Gartner können bei vierjährigen Update-Zyklen in Verbindung mit der Software Assurance Mehrkosten zwischen 68 und 107 Prozent entstehen. Guernsey Research fand in einer Studie heraus, dass Firmen, die zweijährige Update-Zyklen befolgen, mit Software Assurance 19 Prozent

Lizenzkosten sparen.

Die Crux für die Anwender liegt nun in der Frist, die Microsoft gesetzt hat. Bis zum 31. Juli 2002 müssen sich die Kunden entschieden haben, ob sie das neue Modell mitmachen und für bestehende Lizenzen eine Software Assurance abschließen, andernfalls wird beim nächsten Versionsprung, etwa auf die im Herbst anstehenden .NET-Server, der volle Lizenzpreis fällig. Dass die Auswirkungen für die Kunden durchaus gravierend sein können, signalisiert auch Microsoft auf seiner Website: Für „Kunden ist es derzeit besonders wichtig, auf das neue Lizenzmodell umzusteigen, um die bisher getätigten Investitionen zu sichern“. Im Klartext heißt das, dass unter Umständen enorme Kosten auf Unternehmen zukommen, die sich nicht mehr rechtzeitig für das neue Modell entscheiden.

Unternehmen müssen Altverträge prüfen

Dabei hat sich das Thema noch längst nicht überall herumgesprochen. Obwohl gerade große Unternehmen diesbezüglich nach Aussage von Microsoft regelmäßig informiert und auch geschult werden, sind nach den Erfahrungen der Giga-Analysten viele Kunden tatsächlich erst in letzter Zeit auf die Brisanz des Lizenzthemas aufmerksam geworden. Eine Vielzahl von ihnen hätten wegen noch laufender Lizenzverträge keinen Handlungsbedarf gesehen, so Giga-Analyst Thomas Mendel. Dabei sei es in der Branche durchaus üblich, Altverträge während der Laufzeit neu zu verhandeln. Laut Mendel sind „mittlerweile 90 Prozent der Großunternehmen aufgewacht und verhandeln trotz bestehender Altverträge neu mit Microsoft“.

Allerdings existiert erst ab etwa 5000 User ein Spielraum für individuelle Verhandlungen, darunter gilt die Preisliste. Für große Unternehmen bringen neue Gespräche im Idealfall drastische Kostensenkungen: Wer auch Services und Wartung von Microsoft bezieht, kann bei Verhandlungen durchaus Einsparungen im siebenstelligen Bereich herausschlagen. Daher stellt sich nach Ansicht von Mendel für solche Firmen auch nicht die Frage, ob mit Licence 6.0 höhere oder niedrigere Kosten entstehen. Für die ganz großen IT-Abteilungen steht vielmehr im Vordergrund, welche Lizenzvariante innerhalb von Licence 6.0 einen funktionalen Mehrwert bringt und ob man bereit ist, für diese Leistung mehr zu bezahlen.

Anwender haben Druck gemacht

Microsoft tut sich mit der Einführung der Software Assurance angesichts der Verwirrung am Markt sehr schwer. Allein der ursprüngliche Zeitrahmen war unrealistisch. So wurde der ursprünglich auf den 1. Oktober 2001 angesetzte Stichtag für das neue Programm zunächst auf den 28. Februar 2002 und schließlich auf den 31. Juli hinausgeschoben. Ebenso hat Microsoft die Einstiegsschwelle für die „Enterprise Agreement Subscription License“, das Volumenlizenzprogramm für große Kunden, von 500 auf 250 Lizenzen gesenkt. Dass diese Modifikationen vorgenommen wurden, liegt vor allem am Druck aus dem Anwenderlager. Sehr aktiv war hierbei der britische Industrieverband TIF (The Infrastructure Forum) mit Mitgliedern wie Lloyds und British Airways. Die Vereinigung, deren Unternehmen 2,2

Millionen Desktop-PCs und 52.000 Server einsetzen, hatte die britische Regierung aufgefordert, das Lizenzgebaren von Microsoft zu untersuchen - eventuelle Ermittlungen auf EU-Ebene standen im Raum. Immerhin gingen manche Unternehmen davon aus, dass die Umstellung auf Software Assurance Kosten in Höhe von fünf Millionen Euro verursachen könnte. Nachdem den Redmondern auch im Heimatmarkt USA ein scharfer Wind entgegen blies, wurden neben den Terminverschiebungen auch Preissenkungen verkündet.

Desinteresse und Unwissenheit bezüglich des Lizenzthemas herrschen offenbar im mittelständischen Bereich vor, vielfach wissen die Anwender hier noch nichts von den einschneidenden Änderungen durch License 6.0. Hinzu kommt, dass die Neuerungen zum Teil an den Bedürfnissen kleinerer und mittlerer Unternehmen vorbeigehen. Vor allem die Komplexität der Lizenzvereinbarungen macht den Verantwortlichen zu schaffen, so Alexander Fischer, DV-Leiter Basis in der Papierfabrik August Köhler in Oberkirch: „Microsoft schafft es immer wieder, aus den Lizenzvereinbarungen individuelle Doktorarbeiten für die jeweiligen Unternehmen zu machen.“ Zwar steht Fischer aufgrund der Firmengröße und eines Migrationsprojekts auf Windows XP/Office XP nun kurz vor Abschluss eines Enterprise-Agreement-Vertrages. Aber auch hier fehlt Fischer die Transparenz. Am liebsten wäre es ihm, er würde die Lizenzen einzeln

erwerben. Microsoft rät er, „einfach mal bei SAP vorbeizuschauen oder die Modalitäten seiner eigenen Wartungsverträge zu übernehmen“.

Licence 6.0: Microsoft hat im Mai letzten Jahres unter dem Namen „Licence 6.0“ ein neues Lizenzmodell vorgestellt. Die Frist für kostengünstige Übergangsprogramme endet am 31. Juli 2002. Danach gibt es beispielsweise keine Software-Updates mehr. Microsoft verspricht mit dem Modell eine Vereinfachung und mehr Transparenz für Kunden. Neu sind unter anderem integrierte Angebote für Lizenzen, Services und Support, Web-basierendes Lizenz-Management und die Wahl zwischen Kauf-, Miet- und Leasingmodellen. Vor allem für große Unternehmen lohnt es sich, vor Ablauf der Frist die bestehenden Lizenzverträge zu prüfen. Neuverhandlungen mit Microsoft können in vielen Fällen zu Kostenersparnissen führen (www.microsoft.com/germany/lizenzierung/.

Desinteresse beim Mittelstand

Noch kaum Notitz vom neuen Microsoft-Programm hat Bärbel Nissen genommen, die beim Evangelischen Christophoruswerk Duisburg eine IT-Abteilung mit 150 Dektops und acht Servern verantwortet: „Ich habe zwar schon die eine oder andere Broschüre gesehen, aber für uns ist ohnehin alles uninteressant, was in Richtung Mietsoftware geht.“ Nissen ist schon froh, eine komplette Migration auf Windows 2000 erfolgreich hinter sich gebracht zu haben, an permanenten Updates - etwa auf Windows XP - hat sie kein Interesse. Zwar ist die IT-Leiterin mit ihrer Microsoft-Plattform zufrieden, bei einem kompletten Schwenk des Herstellers in Richtung Mietsoftware würde sie aber den Umstieg auf Alternativen wie Linux vorziehen.

Dass die Lizenzbotschaft im Mittelstand auch vier Monate vor Ablauf der Übergangsfrist noch nicht angekommen ist, das lässt auch eine neue Promotion-Aktion von Microsoft vermuten. Mit einer Upgrade-Aktion für Office XP und Windows XP für 69 Cent pro Tag auf der Basis der „Open Subscription License“ und einer Vertragsdauer von drei Jahren soll dieser Klientel der Einstieg in die „Vertragsgebundene Lizenzierung“ schmackhaft gemacht werden.

Spannend dürfte sein, ob Microsoft in der Folge der neuen Lizenzstrategie auch die Release-Politik ändern wird. Bereits jetzt führt der Hersteller als Argument für das neue Modell ins Feld, dass zukünftig noch häufigere, aber weniger einschneidende Updates kommen werden. Die Vermutung, dass damit eventuell die bisher kostenlosen Service-Packs verschwinden werden, wollte eine Microsoft-Sprecherin jedenfalls nicht dementieren. In letzter Konsequenz würde das bedeuten, dass Anwender in Zukunft um wie auch immer geartete Mietlizenzen nicht mehr herumkommen werden und so der von Spöttern vielfach zitierten „Microsoft-Steuer“ noch stärker unterworfen wären.