Klein- und Kleinstrechenzentren erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Das jedenfalls melden die Marktforscher von MarketsandMarkets in ihrem Marktreport "Mobile-Micro Data Centers Market by Rack Size & Applications - 2020". Demnach werden die weltweiten Ausgaben für Micro-Datacenter von umgerechnet 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2015 auf 5,6 Milliarden Euro 2020 steigen. Das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 29,8 Prozent. Dabei verstehen die amerikanischen Markforscher unter dem Begriff Micro-Datacenter Rechenzentren mit einer Größe von 5 bis 100 Rack Units. Als Anbieter nennen die Marktforscher unter anderem AST Modular (Schneider Electric), Canovate Group, Huawei, Panduit, Rittal, SGI, Zellabox und Dell.
Micro-Datacenter: Tresor für die IT
Der Name ist Programm: Unter Bezeichungen wie "Micro Datacenter" (Hitachi, Rittal) oder auch "Smart Bunker "(Schneider Electric/AST) bieten verschiedene Hersteller Komplettlösungen zur sicheren Unterbringung von kleineren IT-Infrastrukturen gemäß den geltenden Richtlinien für die Sicherheit und Verfügbarkeit von Rechenzentren an. Diese Lösungen bieten Schutz vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Feuer, Wasser, Staub und Rauchgasen und ermöglichen eine wirksame Zugangskontrolle.
Je nach Modell kann ein Micro-Datacenter (MDC) einen oder mehrere Systemschänke (Racks) für IT-Infrastrukturen beherbergen. Besonders prädestiniert für den Einsatz von MDC sind Berufsgruppen wie Anwälte, Ärzte und Kliniken, die besondere Anforderungen an die Sicherheit ihrer Systeme erfüllen müssen. Aber auch für andere Unternehmen, die plötzlich merken, dass ihre IT nicht den Anforderungen an die IT-Sicherheit entspricht, stellen Micro-Datacenter eine sinnvolle Alternative zu Planung und Bau eines Rechenzentrums dar.
Lösungen wie das Rittal Micro Data Center Level E können aufgrund ihres modularen Aufbaus auch um ein bestehendes, laufendes System in einem Systemschrank herum gebaut werden. Dazu wird zunächst der Schrank angehoben und die Bodenplatte darunter geschoben. Dann wird der Schrank abgesenkt und die Wände werden anschließen um den Schrank herum montiert. Der Unterschied zwischen Micro-Datacenter und Container liegt vor allem in der Schutzklasse.
Dazu Bernd Hanstein vom Anbieter Rittal, der sowohl Micro-Datacenter als auch Containerlösungen und Raum-in-Raum-Konzepte bis hin zu komplexen, individuell geplante Rechenzentren liefert: "Das Rittal Micro-Datacenter ist eine Art Tresor für die IT - mit systemgeprüfter Sicherheit. So wird beispielsweise ein Feuerwiderstand über 90 Minuten nach DIN 4102 (F90) eingehalten. Im Brandfall steigt die Innentemperatur des Micro-Datacenters innerhalb der ersten 30 Minuten nur um maximal 50 Kelvin und die relative Luftfeuchte bleibt bei kleiner gleich 85 Prozent. Darüber hinaus wiedersteht das Rechenzentrum Staub, Rauch sowie starkem Strahlwasser und bietet einen bis zu Widerstandsklasse 4 wählbaren Einbruchschutz, der in Anlehnung an DIN V ENV 1627 getestet wurde."
Breites Anwendungsspektrum
Im deutschsprachigen Raum setzen Unternehmen und andere Organisationen gerne auf Micro-Datacenter. Gerd Simon, Senior Analyst bei Crisp Research, sagt: "Studien, etwa vom Bitkom, haben gezeigt, dass allein in Deutschland tausende Unternehmen ihre gesamte IT in einem einzelnen Rack betreiben. Typischerweise ist ein solches Rack in einem einfachen Systemschrank untergebracht."
Immer öfter jedoch erkennen Unternehmen, dass solche Installationen die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich Datenschutz und -sicherheit sowie der Verfügbarkeit von Systemen und Anwendungen nicht ausreichen. Betroffen sind Unternehmen aller Größenordnungen. Dazu Analyst Simon: "Bei einigen Unternehmen steckt die komplette IT-Infrastruktur in einem oder einigen wenigen Racks, andere unterstützen nur einen bestimmten Teil damit. Dabei reden wir sowohl über die technische IT, also beispielsweise die Steuerung von Maschinen und Anlagen in der industriellen Fertigung, als auch über kaufmännische oder administrative IT in Unternehmen und Behörden."
Sicherheitsdenken treibt die Nachfrage an
Die Auslöser für das gestiegene Sicherheitsbewusstsein und die Beschäftigung mit dem Micro-Datacenter-Konzept sind unterschiedlich, diese Erfahrung macht auch Bernd Hanstein, Hauptabteilungsleiter Produktmanagement IT bei Rittal: "Zum einen erleben wir, dass Kunden konkret durch das neue IT-Sicherheitsgesetz motiviert werden, ihre eigene IT-Infrastruktur auf den Prüfstein zu stellen. Aber natürlich zeigen auch die Berichte über Unternehmen und Behörden mit Problemen in der IT-Sicherheit Wirkung. Schließlich können Server nicht nur gehackt, sondern auch schlichtweg gestohlen werden - auch wenn man darüber verständlicherweise eher selten in der Presse liest." Hinzu kommt das steigende Bewusstsein einer zunehmenden Abhängigkeit der Unternehmensprozesse von einer funktionierenden IT. Dazu Gerd Simon: "Im Banking-Bereich kann etwa der Ausfall einer Trading-Applikation für wenige Sekunden bereits Millionenschäden verursachen. Natürlich ist das ein Extremfall, aber wenn bei einem Automobilzulieferer die Fertigungssteuerung oder bei einem Logistikunternehmen die Lagerverwaltung nur für eine Stunde nicht verfügbar ist, liegen die Schäden auch schnell im fünf- bis sechsstelligen Bereich." Außerdem wird der Trend zur sicheren Unterbringung von IT in einem Micro-Datacenter seiner Einschätzung nach durch den Umstand befördert, dass die neue Rechenzentrumsnorm DIN EN 50600 künftig auch die Betreiber von Rechenzentren - unabhängig von der Größe der Infrastruktur - in die Haftung nimmt.
Redundanz ist wichtigster Sicherheitsfaktor
Um das Risiko von Systemausfällen und die damit verbundenen Schäden zu minimieren und gleichzeitig den Datenschutz zu verbessern, suchen auch die Betreiber kleinerer IT-Infrastrukturen immer häufiger nach neuen Möglichkeiten, ihre IT abzusichern.
Dabei spricht vieles für den Betrieb eines Micro-Datacenters, so Rechenzentrumsexperte Simon: "das A und O einer sicheren IT-Infrastruktur ist Redundanz, denn nur dadurch lässt sich die rechnerische maximale Ausfallzeit eines Systems auf maximal 1,6 Stunden pro Jahr oder weniger begrenzen. Dazu ist Redundanz auf allen Ebenen erforderlich, nicht nur bei Servern und Storage. Redundante Systeme für Klimatisierung, Stromversorgung, und Verkabelung sind mindestens genauso wichtig. Und natürlich braucht man außerdem eine Zugangssicherung sowie einen wirksamen Schutz vor Feuer, Wasser und im Industriebereich auch vor Staub und Schmutz. Mit einem Micro-Datacenter lassen sich diese Anforderungen am einfachsten, schnellsten und kostengünstigsten erfüllen."
Zwar lassen sich Server, Storage und Netzwerkkomponenten durchaus auch in herkömmlichen Systemschränken sicher betreiben - aber eben nur, wenn diese in geeigneten, speziell gesicherten Räumen stehen. Ein normaler Büroraum mit Sprinkleranlage beispielsweise schützt zwar vor Feuer, aber das Löschwasser gefährdet seinerseits die IT-Systeme. Und die "Ertüchtigung" von Räumen ist nicht nur teuer und langwierig. Hinzu kommt, dass die damit verbundenen Investitionen bei einem Umzug verloren sind, während ein Micro-Datacenter in der Regel einfach abgebaut und an einer anderen Stelle wiederaufgebaut oder gleich als Ganzes auf einer mobilen Plattform installiert und transportiert werden kann. Mit letzterem Verfahren lassen sich beispielsweise auch Baustellen und Veranstaltungen mit einer sicheren agilen IT-Infrastruktur versorgen.
Backup für Patientendaten
Ein weiteres typisches Anwendungsszenario für Micro-Datacenter ist die Bereitstellung von Backup-Kapazitäten für besonders schützenswerte Teile größerer IT-Infrastrukturen. Beispielsweise setzt das Klinikum Oberlausitzer Bergland für die höchste Verfügbarkeit seiner IT-Prozesse und Patientendaten an den Standorten Zittau und Ebersbach auf insgesamt sieben Micro Datacenter von Rittal. "Wir haben hohe Anforderungen an die physische Sicherheit unserer IT-Infrastruktur", sagt Romain Seibt, Leiter Abteilung IT bei der Managementgesellschaft Gesundheitszentrum des Landkreises Görlitz. "Ein großes Rechenzentrum mit Sicherheitsraum hätte aber unseren Kostenrahmen gesprengt."
Mit einem Micro Datacenter als Backup-Lösung an zwei Standorten verfügt der Klinikbetreiber über eine Lösung, die exakt auf seine Bedürfnisse passt und jederzeit flexibel erweiterbar ist. Die sogenannten IT-Sicherheitssafes in einer Vierer- und einer Dreier-Verkettung sorgen nicht nur für die Absicherung der IT-Prozesse, sondern gewährleisten den Schutz vor physischen Gefahren wie Feuer, Wasser, Staub, Rauchgasen oder Fremdzugriff. So stehen den rund 800 Ärzten, Schwestern, Pflegern und dem medizinisch-technischen Personal die Patientendaten bei Bedarf zuverlässig zur Verfügung.
Für eine künftige Erweiterung bei wachsendem Bedarf wurden an beiden Standorten Reserveschränke vorgesehen. Die Überwachung einer einwandfreien Funktionsweise im Safe übernimmt eine Monitoring-Software. Das System alarmiert bei zu hoher Temperatur, Feuchtigkeit oder Fremdzugriff. Im Brandfall reagiert eine Brandmelde- und Löschanlage. Die Stromverteilung erfolgt intelligent durch eine Stromverteilungsleiste sowie ein Stromverteilungssystem."
Kronjuwelen bleiben im Haus
Aufgrund der beschriebenen Vorteile wird das Konzept des Micro-Datacenter nach Einschätzung von Gerd Simon auch im Zeitalter des Cloud-Computing für viele Firmen eher an Attraktivität gewinnen als verlieren. Denn, so Simon: "Auch wenn viele Unternehmen immer mehr Daten in die Cloud verlagern - für ihre "Kronjuwelen" setzen die meisten von ihnen auch künftig auf eine Infrastruktur im eigenen Haus." Eine ganz neue Interpretation des Begriff "Micro-Datacenter" liefert unterdessen IBM in einer Pressemitteilung zur CeBIT 2016. Dort heißt es: "Aus dem IBM Labor wird der weltweit erste 64-bit Micro-Datacenter-Prototyp zu sehen sein, nicht größer als ein Smartphone ist." Damit dürfte dann endgültig klar sein: Im Datacenter ist Micro das neue Mega. (hal)