Im Jahr der Mathematik fand Bitkom-Präsident August- Wilhelm Scheer deutliche Worte: Mathematik-Kurse würden an den Hochschulen immer wieder dafür genutzt, vermeintlich nicht geeignete Studierende früh aus den Studiengängen "herauszuprüfen". "Überzogene und fachlich nicht notwendige Anforderungen an Mathematik-Kompetenzen sind ein Missbrauch, der beseitigt werden muss", forderte Scheer, der als Professor für Wirtschaftsinformatik und Gründer des Software- und Beratungshauses IDS Scheer beide Seiten kennt.
Sebastian Hager (Name von der Redaktion geändert) gehört zu denjenigen, die in Informatik "herausgeprüft" wurden. Seinen erzwungenen Wechsel zum Studium der Wirtschaftsinformatik, das er im Sommer mit dem Bachelor abschließen wird, bereut er nicht. Erlebte er die Informatik doch als zu fixiert auf die mathematischen Grundlagen. Natürlich bräuchte man ein mathematisches Grundverständnis, aber " in manchen Bereichen wird über das Ziel hinausgeschossen und Verständnisse im Grundstudium erwartet, die Mathestudenten zu Beginn ihres Hauptstudiums erst erlangen."
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Formeln wie Hieroglyphen
Wie viel Mathe braucht ein angehender Informatiker? An der Frage scheiden sich die Geister. Einerseits Hochschullehrer weisen immer wieder darauf hin, dass ohne gute mathematische Kenntnisse und der Fähigkeit, abstrakt und logisch zu denken, das Informatikstudium nicht zu schaffen sei. Roland Dreyer liest an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste in einem technischen Aufbaustudiengang physikalische Grundlagen und Elektrotechnik und sieht in den fehlenden Mathematikkenntnissen den Grund, warum viele Studenten scheitern: " Selbst einfachste Arithmetik-Aufgaben (Multiplikation, Division) machen erhebliche Schwierigkeiten. Formeln werden wie Hieroglyphen wahrgenommen. Schon die Umkehrung der Leistungsformel P=U^2/R ist eine unnehmbare Hürde, weil die Studenten mit "Wurzel ziehen" überhaupt nichts anfangen können."
Andererseits zweifeln viele Praktiker den Nutzen des mathematischen Wissens für Informatiker im Berufsalltag an. Zum großen Teil arbeiten Informatiker in Software- und Systemhäusern und in den IT-Abteilungen der Anwenderunternehmen. Letztere brauchen IT-Profis, die die Prozesse in den Fachabteilungen verstehen und sie mit entsprechenden Anwendungen verbessern. Algorithmen und Datenstrukturen tauchen da bestenfalls als Relationale Datenbanken und SQL oder XML auf – so die Erfahrung von Stephan Haux, der selbst Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Informatik studierte und heute als Product Manager beim Archivierungsspezialisten Iron Mountain Digital arbeitet. "Auch hier ist mehr die "Lesefähigkeit" und Virtuosität in der Fehlersuche gefragt, denn aktives Schreiben und Wohlgeformtheit, die im Studium gelernt wird", so Haux weiter. In seinen Augen vermittelt das Informatikstudium zwar theoretische Grundlagen, die aber in der Praxis wenig weiterhelfen: "Die dritte Normalform einer Relationalen Datenbank kann und wird niemand in einer wirklich genutzten Access-Datenbank mehr prüfen können, aber andere Kriterien haben Studenten hier nicht gelernt, um ein Datenmodell beurteilen zu können."
Wer alles auswendig lernt, scheitert
Theoretische, aber auch veraltete Studieninhalte schrecken viele Studenten ab. Sebastian Hagers Professoren wollten Ende der 90er Jahre zum Beispiel nichts von Java wissen und vermittelten lieber eine objektorientierte Programmiersprache namens Beta. Dass manche Lehrpläne selbst nach der Bachelor- und Master-Reform veraltet und praxisfern sind, gibt auch Elisabeth Heinemann zu. Die Professorin lehrt Schlüsselqualifikationen im Studiengang Kommunikationsinformatik an der Fachhochschule Worms. Hier hat man zum Beispiel schnell erkannt, dass SOA und Webservices mehr als ein Hype sind und in den Lehrplan aufgenommen. An der TU München etwa sind seit dem Jahr 2000 ein Drittel der Inhalte des Informatikstudiums ausgetauscht worden.
Welche Informatikfakultät ihre Lehrpläne modernisiert hat und welche alten Wein in neuen Schläuchen anpreist, muss jeder Student selbst herausfinden. Informationsquellen gibt es viele, Studienberatungen, Internet-Auftritte der Hochschulen, Hochschulrankings und nicht zu vergessen einschlägige Foren auf Plattformen wie Studi VZ, Xing oder meinProf.de. Dennoch entschieden sich viele relativ ahnungslos für ein Informatikstudium, hat Heinemann beobachtet. "Viele glauben mit der Studienwahl schon ihr Ziel erreicht zu haben. Sie haben den Unterschied zwischen Schule und Studium nicht realisiert und verstehen das Studium als Dressurakt. Aber auswendig Lernen reicht nicht." Statt dessen fordern Hochschullehrer logisches Verständnis ein. Heinemann: "Wie man den Sprachaufbau eines deutschen Satzes mit Subjekt, Prädikat und Objekt verstehen muss, muss man auch ein relationales Datenmodell und das Schema dahinter verstehen." Wer das Schema hinter dem Faktum erkenne, bringe gute Voraussetzungen für die Informatik mit.
Die Gefahr der lukrativen Nebenjobs
Um ein Informatikstudium bis zum erfolgreichen Abschluss durchziehen zu können, sind auch großes Durchhaltevermögen, Eigenmotivation und vor allem eine hohe Belastbarkeit notwendig. Denn viele Studenten jobben, um sich ihr (gebührenpflichtiges) Studium finanzieren zu können und tun sich schwer, die richtige Balance zwischen Lernen und Arbeiten zu finden. Gary Fritz, der seit vier Jahren an der TU Darmstadt Informatik studiert, steckt mitten drin im Dilemma. Er arbeitet
als Softwareentwickler freiberuflich und bei einer Firma in Schwalbach und ist Werkstudent bei Lufthansa Technik. Erschwerend komme hinzu, dass sich im Hauptstudium viele Veranstaltungen zeitlich überschneiden, was die ursprünglich freie Wahl der Fachgebiete einschränke. "Der Stundenplan ist kaum tragbar. Einige Veranstaltungen muss man schwänzen", gibt Fritz zu.
Meist ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Informatikstudenten mehr in der Firma als im Hörsaal anzutreffen sind und schließlich das Studium abbrechen. Helmut Müller (Name von der Redaktion geändert) hat das vor 20 Jahren getan und dennoch den Aufstieg vom Softwareentwickler über den Projektleiter bis hin zum Vertriebs-Manager geschafft. Er warnt vor dem Glauben, Informatik sei statisch und ein krisenfester Beruf: "Was man heute lernt, ist im IT Bereich morgen schon veraltet. Da man sich ohnehin ständig weiterbilden und weiterentwickeln muss, sollte man dem Ausbildungsgang keinen zu großen Stellenwert beimessen. Nur wer flexibel war und ist, konnte die Veränderungen in der IT wie das Wachsen und Platzen der dot.com-Blase oder den Trend zum Outsourcing in Billiglohnländer und die damit verbundenen Herausforderungen meistern."
Warum ist Informatik so schwer?
Wir haben unsere Leser gefragt, warum so viele Informatikstudenten ihr Studium abbrechen. Viele haben uns geantwortet. Hier einige Meinungen in Auszügen:
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"Der Fehler lag schon im Ur- Beginn, als man verkappte und im eigenen Studium weniger erfolgreiche Mathematiker als Professoren für diese neue Studienrichtung eingesetzt hatte und die Lehrpläne mehr oder weniger einem abstrakten Mathematikstudium glichen."
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"Die theoretische Ausrichtung macht das Studium nicht nur sehr viel schwerer als in anderen Ländern, vor allem führt es zu falsch ausgebildeten Informatikern. Für die Studenten führt die Ausbildung zu großem Frust, denn die Vorstellung von den eigentlich sehr schönen Berufsfeldern der Informatik wird in den vier Semestern Lineare Algebra und anderen abgespacten Theoriekursen bitter enttäuscht."
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"Ein großes Problem ist, dass sich Informatikstudenten relativ einfach viel Geld (aus der Sicht eines Studenten) verdienen können, wenn sie sich autodidaktisch in einigen Bereichen Wissen angeeignet hat (z.B. PHP, MySQL, CSS, Java, AJAX, o.ä.). Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich immer weniger Zeit fürs Studium nehmen."
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"Heute hat jeder Gymnasiast einen PC und arbeitet auch damit. Dann ist er baff erstaunt, wenn er auf der Uni mit Java, Compiler-Technologie und ähnlichem konfrontiert wird."
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"Mathematik beziehungsweise Fächer mit hohem Mathematikanteil wie Statistik oder theoretische Informatik werden als "Siebfächer" missbraucht, um die Studentenanzahl wieder der Studienplatzanzahl anzugleichen und einen gewissen Eltitestatus zu rechtfertigen ("Bei uns schaffen es nur die Besten...")"
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"Schwierig für Studenten ist, dass der Fachbereich Informatik sehr breit angelegt ist – Mathematik, Physik, Elektrotechnik, Systemanalyse Kybernetik, Nachrichtentechnik. An vielen Hochschulen gibt es keine Regelstudienpläne, und die Studenten verlieren den Überblick darüber, welche Grund- und Aufbauscheine sie zu welchem Zeitpunkt erledigen müssen um einen Abschluss in Regelstudienzeit zu schaffen."
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