Marcel Schneider, Sun: "Unser Geschäft bleibt Technologie"

15.02.2005
Marcel Schneider, Geschäftsführer von Sun Microsystems in Deutschland, erläutert im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Bayer die neue Utility-Computing-Strategie.

Marcel Schneider, Geschäftsführer von Sun Microsystems in Deutschland.

CW: Wie sehen die Eckpunkte der aktuellen Sun-Strategie aus?

Schneider: Wir sind momentan dabei, unsere Strategie, die wir vor etwas mehr als einem Jahr definiert haben, weltweit umzusetzen. Dabei stehen drei Bereiche im Vordergrund: Komplexität reduzieren, Geschäftsanforderun-gen schnell in der IT umsetzen sowie Mobilität bei hoher Sicherheit.

CW: Wie setzt Sun das konkret um?

Schneider: In Deutschland hat Sun einen Lösungsvertrieb aufgebaut. Dabei orientieren wir uns nach zehn Industrien. Außerdem gibt es ein Architektur-Lösungs-Team, um unseren Kunden Referenzarchitekturen, so genannte "Practices" anzubieten. Dazu zählen Data Center Efficiency, Data Management, Web Services, Identity Management, Desktop and Mobility sowie Managed Services. Diese Strategie hat sich in Deutschland bereits ausgezahlt. Wir konnten im zurückliegenden Quartal ein zwei-stelliges Wachstum ausweisen. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

CW: Bedeuten die jüngsten Ankündigungen in Sachen Utility-Computing einen Wechsel der Sun-Strategie weg vom Technikanbieter hin zum Dienstleister?

Schneider: Aus unserer Sicht entwickelt sich die IT auf ein Utility-Computing-Modell zu. Das ist auch der Fokus von Sun. In der Vergangenheit haben die Kunden ihre Rechenzentren selbst gebaut. Dann sind sie dazu übergegangen, Best-of-Breed-Komponenten zu integrieren, was jedoch zu hohen Integrationskosten geführt hat. Der nächste Schritt war, Referenzarchitekturen, also bereits erprobte Architekturen, zu multiplizieren. Dieses Modell basiert auf Standards. Darauf folgt das selektive Outsourcing. Der letzte Evolutionsschritt ist das Utility-Computing. Strategisch richtet sich Sun eindeutig darauf aus.

CW: Auf welcher Evolutionsstufe steht Sun heute?

Schneider: Das Hauptgeschäft ist heute, Rechenzentren zu standardisieren und Referenzarchitekturen zu bauen. Das soll die Kosten reduzieren und die Komplexität aus der IT herausnehmen. Das Ziel ist, eine IT so aufzusetzen, dass die Geschäftsanforderungen möglichst schnell umgesetzt werden können.

"Outsourcing ist nicht unsere Kernkompetenz"

CW: Wie stehen Sie zum Thema Outsourcing, mit dem ein Teil ihrer Wettbewerber sehr erfolgreich ist?

Schneider: Ein Komplett-Outsourcing nach dem Motto, hier hast du für zehn Jahre meine IT, ist nicht mehr gefragt. Ich denke diese Zeiten sind vorbei. Der Trend geht eher in die Richtung, einzelne Teile auszulagern. Doch auch das selektive Outsourcing ist nicht unser Kerngeschäft. Unser Kerngeschäft bleibt Technologie. Jedoch greifen wir unseren Partnern in Outsourcing-Projekten unter die Arme. Wenn Sie sich ein Rechenzentrum wie eine Fabrik vorstellen, könnte Sun beispielsweise eine Produktionsstraße innerhalb dieser Fabrik betreiben. Es ist jedoch nicht unsere Kernkompetenz, ein ganzes Rechenzentrum zu verwalten und zu betreiben. Das werden wir auch nie tun.

CW: Das gilt auch für das Utility-Modell?

Schneider: Sun will die Architektur dafür bauen und liefern. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Grid-Netze und Utility-Datenzentren selbst betreiben werden.

CW: Wer wird das tun?

Schneider: Wir wollen hier mit den großen Dienstleistern wie beispielsweise EDS zusammenarbeiten?

Marcel Schneider im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Welchen Anteil der Architektur liefert Sun?

Schneider: Die Lösungsarchitektur beginnt beim Bau der Prozessoren. Einen Teil der CPUs bauen wir selbst, den anderen beziehen wir aus der Partnerschaft mit AMD. Sun investiert viel in die Chipentwicklung. Bei den künftigen Sparc-Prozessoren wird einiges in Sachen Multi-Core und Multi-Threading passieren. Eine weitere Komponente ist Solaris. Wir denken, Release 10 ist das beste Betriebssystem, das Sun in seiner 22-jährigen Firmengeschichte auf den Markt gebracht hat. Darauf bauen das Java Enterprise System (JES) und die Practices auf. Umrahmt wird das Ganze von einer Virtualisierungstechnik, die sowohl Prozessoren als auch Speicher mit einbezieht. Dazu liefern wir Managed Services an strategische Partner, die Outsourcing als ihr Kerngeschäft ansehen.

CW: Was sind die Vorteile für den Kunden?

Schneider: Mit dem Konzept des Utility-Computing wollen wir Rechenzentrumskapazität mit einem einfachen Preismodell anbieten. Zum Beispiel CPU-Leistung für einen Dollar pro Stunde. In einem x86-Umfeld betragen die Kosten im Vergleich rund 10 Dollar, für eine Hochverfügbarkeitsumgebung beispielsweise unter Sparc/Solaris etwa 100 Dollar, und für einen Mainframe zirka 1000 Dollar.

CW: Wie lässt sich dieser Preis realisieren?

Schneider: Heute liegt die durchschnittliche Auslastung im Rechenzentrum bei etwa 17 Prozent. Dieser Wert lässt sich mit Hilfe des Utility-Computing-Konzepts auf zirka 80 Prozent steigern. Das zugrunde liegende Prinzip entspricht dem Stromnetz. Ressourcen, die man in einer Region benötigt, können aus einem anderen Bereich über ein Grid-Netz bezogen werden. Der andere Faktor ist die Flexibilität, mit der sich dieses System betreiben lässt. Man muss sich nicht überlegen, welches Blech wo steht, weil alles virtuell verwaltet und verteilt wird, vergleichbar dem Stromnetz, das ja auch virtuell ist.

"Mit Utility-Computing lässt sich die Auslastung von Rechenzentren von derzeit 17 auf rund 80 Prozent steigern."

CW: Sun ist nicht der einzige Anbieter, der solche Überlegungen anstellt.

Schneider: Die Branche hat schon viel über Utility-Computing gehört. Auch von unseren Wettbewerbern wie Hewlett-Packard (HP) und IBM. Dort heißt es beispielsweise Computing-on-Demand. Das Konzept liest sich gut auf Powerpoint-Präsentationen. Richtig geliefert hat aber noch keiner.

CW: Woran liegt das?

Schneider: HP hat begonnen, sich von der eigenen Technologie zu verabschieden. Auch der letzte verbleibende Rest, den sie in der Itanium-Entwicklung noch in der eigenen Hand behalten hatten, wurde zuletzt an Intel abgegeben. In das eigene Betriebssystem wird ebenfalls nicht mehr investiert. Hier setzt HP künftig auf Linux und Microsoft als Partner. Außerdem besitzt HP keine eigene Middleware. Das bedeutet letztendlich, dass sich HP von einem Technik- hin zu einem Dienstleistungsanbieter wandelt. Das ist sicherlich eine Möglichkeit, sich im Markt aufzustellen. Aber es bedeutet einen strategischen Wechsel. IBM ist diesen Schritt schon vor zehn Jahren gegangen und hat den Hauptfokus auf das Dienstleistungsgeschäft gelegt.

"HP hat begonnen, sich von seiner eigenen Technologie zu verabschieden."

CW: Wobei IBM nach wie vor seine eigenen Prozessoren und Middleware entwickelt.

Schneider: Da stimme ich zu. IBM besitzt ein starkes Portfolio mit den eigenen Prozessoren und der Middleware. Außerdem verfügt IBM über eine gute Virtualisierungstechnik. Also könnte auch IBM Utility-Computing anbieten. Allerdings liegt deren Hauptfokus auf dem Outsourcing. Aus diesem Segment stammen die Profite. Utility-Computing im Sinne von Rechenleistung aus der Steckdose bedeutet jedoch eine ganz andere Dimension. IBM spricht über ein Minimum an Utility. Eine bestimmte Mindestmenge müsse ein Kunde beziehen, sonst bringe die gesamte Architektur gar nichts. Das ist aber nicht Utility: Wenn ich Strom beziehe, dann bezahle ich, und wenn ich keinen Strom beziehe, dann bezahle ich auch nichts.

CW: Es gibt also keine Reglementierungen in dem Sun-Modell?

Schneider: Nur Standards, Utility bedeutet Standard. Ich kann aus einer Steckdose 220 Volt beziehen, aber nicht 247,5 Volt. Der Preis von einem Dollar pro CPU-Stunde lässt sich nur halten, wenn auf der Plattform J2EE-Anwendungen, also Standardapplikationen laufen. Das ist jedoch ein positiver Nebeneffekt für die Kunden. Sie müssen beginnen zu standardisieren. Es geht nicht, eine nicht auf Standards basierende Applikation für diesen Preis zu beziehen.

CW: Sun kann mit diesem Modell doch nur Geld verdienen, wenn es ein entsprechendes Volumen im Markt gibt?

Schneider: Das ist sicher richtig. Unser Hauptvorteil ist jedoch, dass wir die Technik in der Hand behalten. Wenn einer unserer Wettbewerber - IBM schließe ich hier aus - sei es HP oder Dell ein Utility-Modell aufbauen wollten, müssten sie Technik einkaufen.

"Utility bedeutet Standard: Ich kann 220 Volt aus der Steckdose beziehen, aber nicht 247,5 Volt."

Das heißt, in der Wertschöpfungskette sitzt ein weiteres Glied, das mit verdienen möchte. IBM könnte es unter den gleichen Voraussetzungen wie Sun anbieten. Nur würden sie sich das eigene Outsourcing-Geschäft untergraben. Wenn Sie mit IBM über Outsourcing sprechen, sind Sie erst einmal wochen-, monate- oder jahrelang damit beschäftigt, die Rahmenbedingungen und mögliche Änderungen zu verhandeln: Was ist der Hardwareanteil, was ist der Serviceanteil und so weiter. All diese Fragen interessieren im Utility-Modell überhaupt nicht. Die Kunden bekommen IT-Leistung aus der Steckdose zu einem klar definierten Preis. Das ist transparent, flexibel und nachvollziehbar.

CW: IBM übernimmt mit seinen Outsourcing-Angeboten die gesamte IT inklusive der Applikationen. Diese Ebene fehlt Sun. Werden Sie Kooperationen mit den Applikationsanbietern suchen oder ist das Sache der Dienstleister, die die Rechenzentren betreiben sollen?

Schneider: Basis sind hier J2EE-Applikationen. Diese sollen in einem Application-Provider-Verfahren angeboten werden. Der Kunde bezieht nicht nur die Middleware, sondern natürlich auch die Applikation. Das ist aber im Grunde nichts Neues. Auch über Application Service Provider spricht man schon seit geraumer Zeit. Allerdings waren die vergangenen Jahre nicht gerade erfolgreich.

"Die schlimmsten Modelle sind die, bei denen Software nach Anzahl der Prozessoren abgerechnet wird."

CW: Was sind die Gründe dafür?

Schneider: Der Nutzen im Sinne einer Kostenreduzierung war nicht groß genug. Applikationen auszulagern hat sich nicht gelohnt, weil es in der Vergangenheit nicht gelungen war, die Kosten über eine stärkere Nutzung massiv zu reduzieren. Wenn man jetzt die aktuelle Auslastung von 17 Prozent den möglichen 80 Prozent gegenüberstellt, sieht das Bild anders aus.

CW: Inwieweit müssen sich auch die Applikationsanbieter im Rahmen von Utility-Computing ein neues Preismodell überlegen?

Schneider: Das ist ein sehr wichtiger Punkt, auf den auch unsere Kunden immer wieder zu sprechen kommen. Die schlimmsten Modelle sind die, bei denen Software nach der Anzahl der Prozessoren abgerechnet wird. Wie will ein Kunde da kalkulieren? Er weiß ja nicht, wie viel Prozessorleistung er in den nächsten Monaten genau benötigt.

CW: Anbieter wie Oracle müssen also umdenken?

Schneider: Diese Modelle orientieren sich aus unserer Sicht nicht an den Bedürfnissen der Kunden. Darum favorisieren wir ein einfaches transparentes Modell. Das Java Enterprise System (JES) kostet 100 Dollar pro Mitarbeiter und Jahr. Das bedeutet variable Kosten: Wenn ein Unternehmen weniger Mitarbeiter hat, muss es auch weniger bezahlen. Außerdem ist das Modell klar kalkulierbar und transparent. Unsere Anwender werden nicht bestraft, wenn sie 500 neue Kunden auf ihrem Portal haben. Wir denken, dass viele Softwareanbieter diesen Weg gehen müssen.

CW: Wie kommt das JES im Markt an?

Schneider: Bislang haben wir 417.000 Lizenzen verkauft. Das Wachstum beträgt von Quartal zu Quartal ungefähr 20 Prozent. Wir planen außerdem neue Modelle, um unser Portfolio auszuweiten.

CW: Wie werden Suns Utility-Computing-Modelle aussehen?

Schneider: Es wird drei Varianten geben: Economy Class, Business Class und First Class. Das First-Class-Modell kommt beispielsweise bei Finanzdienstleistern zum Einsatz: Hier dürfen die Rechner für andere Kunden erst dann genutzt werden, wenn alle Spuren des vorangegangenen Nutzers beseitigt wurden. In der Economy Class lagern die Applikationen in so genannten Containern von Solaris. Das ist die große Neuerung des Betriebssystems Solaris: Das System lässt sich in bis zu 4000 Container unterteilen. Diesen Containern können jeweils dynamisch Ressourcen wie CPU, Memory und Input-/Output- (I/O-)Kapazitäten zugewiesen werden. Benötigt eine Applikation mehr Ressourcen, werden diese automatisch zugeteilt.

CW: IBM besitzt eine ähnliche Technik.

Schneider: Bei IBM heißen die Container LPARs (Logische Partitionen). Der große Unterschied ist jedoch: Mit jeder zusätzlichen LPAR wird das Betriebssystem stärker belastet. Man benötigt also einen gewissen Leistungs-Overhead, um das aufzufangen. Solaris kommt dagegen mit einer Reserve von rund drei Prozent aus, um mit 4000 Containern fertig zu werden. Wenn ich an einer Stelle Strom brauche, darf es nicht sein, dass an einer anderen Stelle das Licht ausgeht.

"Wenn ich an einer Stelle Strom brauche, darf es nicht sein, dass an einer anderen Stelle das Licht ausgeht."

CW: Wie weit ist Sun mit diesen Angeboten?

Schneider: Es gibt bereits konkreten Anwendungsszenarien: zum Beispiel die Monte-Carlo-Simulation an der Wall Street. Der Handel läuft von morgens um acht Uhr bis Nachmittags um vier Uhr. Danach steht eine Millionenschwere IT-Architektur ungenutzt herum. Betreibt man das Ganze als Utility, wird die Architektur in der Zeit von 16 Uhr nachmittags bis acht Uhr morgens für anderen Bedarf genutzt. Das ergibt einen Mehrwert in der gesamten Wertschöpfungskette. Ein anderes Beispiel sind Crash-Tests: Hier werden ebenfalls IT-Architekturen für mehrere Millionen Dollar aufgebaut. Dann testen die Hersteller sechs Wochen lang intensiv ein bestimmtes Modell und danach steht die Anlage ein Jahr ungenutzt herum, bis das nächste Modell folgt. In diesen Fällen sprechen wir mit den Kunden über eine Portierung auf ein Utility-Modell.

CW: Gibt es Kunden, die das Modell bereits in der Praxis einsetzen?

Schneider: Wir haben ein Demo-Rechenzentrum aufgebaut. Hier gibt es bereits erste Kunden, die wir als Referenzen jedoch noch nicht nennen dürfen. Wir sprechen außerdem intensiv mit Service-Providern in Deutschland wie auch weltweit. Bei einem Preis von einem Dollar pro CPU-Stunde ist natürlich genug Spielraum vorhanden, um gegen IBM anzutreten.

CW: Aber macht dann nicht der Dienstleister, der das Rechenzentrum betreibt, das Geschäft?

Schneider: HP und IBM setzen auf Kundendurchdringung, also den Mehrwert durch Dienstleistung zu schaffen. Dell macht sein Geschäft durch eine effiziente Abwicklung, Standardprodukte in den Markt zu drücken. Suns Fokus liegt dagegen ganz klar auf der Technik. Wenn wir heute unsere Architekturen verkaufen, funktioniert dies nur über Partner, die den Mehrwert über die Gesamtlösung verkaufen.

CW: Die Anwender interessiert doch letztendlich nicht die Technik. Sie suchen eine Lösung. Warum fokussiert sich Sun nach wie vor so auf die Technik?

Schneider: Das stimmt: Die Technik ist im Grunde egal. Die Kunden interessieren sich nur für die Leistung und die Gesamtkosten. Da setzen wir auch an. Ein gutes Beispiel ist Solaris: Das System ist über die vergangenen 15 Jahre binärkompatibel geblieben. Das heißt die Applikation, die ein Kunde vor zehn Jahren gekauft hat, läuft auch heute noch auf dem aktuellen Solaris-Release. Das ist bei IBMs Unix-System nicht der Fall. Ein weiteres Beispiel ist das JES: Hier sind die einzelnen Bestandteile bereits vorintegriert. Beim Kunden würde diese Integration einen großen Teil des IT-Budgets fressen. Es ist für uns jedoch schwierig, das transparent zu machen. Sun bleibt der Lieferant für das IT-Kraftwerk, nicht der Betreiber. Aber wir müssen den Kunden klar machen, dass unser Kraftwerk dazu führt, dass sie bei uns nicht 500 Leute brauchen, um das Kraftwerk zu betreiben, sondern nur 200.

CW: Viele Anbieter versprechen heute eine effizientere Integration. Befürchten Sie, dass Ihnen beispielsweise die Applikationsanbieter auf der Infrastrukturebene künftig mehr Konkurrenz machen?

Schneider: Die wird es sicherlich geben. Anbieter wie SAP, Siebel oder Oracle verfolgen derzeit eine solche Strategie. Schlussendlich bleibt aber die Frage nach dem Herzstück in der Middleware - den Directories. Um Directories miteinander zu verbinden, hat man früher über Meta-Directories diskutiert, die jedoch eine unheimliche Komplexität in die IT gebracht haben. Sun hat hier mit der Übernahme von Waveset eine strategische Akquisition getätigt. Mit deren Identity-Management-Produkten können wir die verschiedenen Directories miteinander synchronisieren. Nicht als Meta-Directory sondern mit Hilfe von Connectoren. Von diesem Herzstück gibt es Schnittstellen zu anderen Systemen wie Netweaver oder Websphere.

CW: Diese Interoperabilität stellt also Sun zur Verfügung?

Schneider: Das ist unsere Aufgabe. Dazu zählt auch unsere Kooperation mit Microsoft. Microsoft ist Marktführer im Desktop-Umfeld mit Active Directory, Sun mit LDAP im Rechenzentrum. Unsere Kunden haben immer wieder gefordert, dass diese beiden Welten zusammenfinden. Das sind wir jetzt angegangen. Es funktioniert jedoch nur mit Schnittstellen zu den anderen Plattformen, weil die Welt leider nicht nur aus Sun besteht.

CW: Die Kooperation mit Microsoft gestaltet sich allem Anschein nach zäh. Wo liegen die Probleme?

Schneider: Wir haben hier natürlich die Situation, wie es in vielen Partnerschaften der Fall ist, dass es auch Wettbewerb gibt. Auf der einen Seite sind wir Partner, auf der anderen Seite harte Wettbewerber. Für diese Konstellation läuft die Zusammenarbeit hervorragend. Wer gedacht hat, jetzt umarmen sich Sun und Microsoft und alles läuft wie am Schnürchen, hatte vielleicht eine zu hohe Erwartungshaltung. 24 Ingenieure arbeiten tagtäglich an der Interoperabiltät beider Welten. Aus unserer Sicht ist es nicht wichtig, wenn sich Scott McNealy und Steve Ballmer treffen. Das entscheidende ist, dass es auf der Arbeitsebene gut funktioniert.

CW: Welche Aufgaben liegen noch vor Ihnen?

Schneider: Die Partnerschaft ist auf zehn Jahre angelegt. Für diese Zeit sind Meilensteine definiert, die wir langfristig nicht öffentlich kommunizieren, sondern erst dann, wenn es um Marktreife geht. Wir wollen keine Ankündigungen machen, die erst in einem Jahr kommen, sondern möglichst zeitnah umgesetzt werden.

CW: Stimmt denn Ihr Fahrplan noch?

Schneider: Momentan sind wir im Zeitplan.

"Jeder neue Microsoft-Virus bedeutet Rückenwind für uns und Solaris."

CW: Weiterer Wettbewerb erwächst Sun auch aus dem Open-Source-Lager. Wie beurteilen sie die zunehmende Konkurrenz von Linux-Betriebssystemen für Solaris?

Schneider: Wir positionieren Solaris gegen Red Hat und Suse. Wir positionieren das System nicht gegen Linux, weil Linux eine gute Sache ist. Der Kunde kann selbst entscheiden welchen Mehrwert er vom Lieferanten des Source Codes in Anspruch nehmen will. Das ist genau das gleiche Geschäftsmodell wie bei Red Hat und Suse. Unser Vorteil ist jedoch, dass Sun gerade im Enterprise-Umfeld durch seine Erfahrung einen eindeutigen Mehrwert bieten kann. Ein Beispiel ist Trusted Solaris, das einen hohen Sicherheitsstandard bietet. Angesichts der aktuellen Sicherheitssituation mit exponentiell steigenden Gefährdungen durch Viren und Würmer kann da weder Linux noch Microsoft mithalten.

CW: Können Sie Microsoft nicht im Rahmen der Kooperation ein paar Nachhilfestunden in Sachen Sicherheit geben?

Schneider: Gerade unter dem Gesichtspunkt Sicherheit haben wir einen massiven Wettbewerbsvorteil gegenüber Microsoft. Die haben natürlich eine gewaltige Marketing-Maschiene, unser Vorteil ist jedoch die bessere Technik. Microsoft versucht, mit seinem System von der Desktop-Welt in die Server-Welt zu gelangen - mit allen positiven und negativen Konsequenzen. Eine negative Folge sind Sicherheitsprobleme. Sie sind architekturbedingt, auch wenn Microsoft immer sagt, das liege an der weiten Verbreitung. Sicher motiviert das mehr Hacker. Die Löcher stecken jedoch im System. Jeder neue Microsoft-Virus bedeutet aber Rückenwind für uns und Solaris.

CW: Welche Vorteile hat Solaris gegenüber den Linux-Derivaten?

Schneider: Suse und Red Hat verfügen nicht über wichtige Enterprise-Funktionen, weil sich die Community primär um Consumer-Funktionen Gedanken macht. Wir bringen das beste aus zwei Welten zusammen. Sun hat Solaris bezüglich des Geschäftsmodells zu Open Source gemacht, möchte aber auch, dass die Community das System weiterentwickelt. Außerdem bieten wir die Enterprise-Funktionalität, die heute aus Sicherheits-, Auslastungs- und Performancegründen gebraucht wird.

CW: Wie würden Sie das Verhältnis von Sun zur Open-Source-Community beschreiben?

Schneider: Sun ist nach der University of Berkeley der zweitstärkste Unterstützer der Open-Source-Szene. Wichtig ist, dass wir in dem ganzen Entwicklungsprozess auch an die Interessen unserer Kunden denken. Dazu gehört die Binärkompatibilität: Auch wenn neue Funktionalitäten hinzukommen, muss gewährleistet sein, dass alte Applikationen weiter auf den neuen Versionen des Betriebssystems laufen. Das ist eine der Herausforderungen für Red Hat und Suse. Kunden, die vor zwei Jahren begonnen haben, ihre Server-Landschaften auf Linux umzustellen, haben heute unterschiedliche Derivate im Einsatz. Mit den dazugehörigen Wartungsverträgen sind die Kosten in die Höhe geschossen. Sie haben zwar den Source Code gratis bekommen, aber die Betriebskosten sind explodiert. Das kann es nicht sein.

CW: In der Vergangenheit ist es Sun selten gelungen, Kapital aus seinen Technologien zu schlagen. Wie wollen Sie mit dem weiteren Technikfokus die wirtschaftliche Talfahrt stoppen?

Schneider: Wir sprechen hier von einem Weg. Zwar können wir heute schon Utility-Computing anbieten. Trotzdem wird in den kommenden Monaten nicht die gesamte Industrie darauf umschwenken. Das ist ein Prozess. In der heutigen Phase ist es wichtig, dass sich die neuen Produktgruppen positiv entwickeln, wenn wir über das aktuelle Geschäft und das der kommenden Quartale sprechen. Ein Fokus liegt hier auf der Partnerschaft mit AMD in Sachen Opteron-Prozessoren. Es gibt nach wie vor viele Kunden, die Server kaufen. In nächster Zeit werden einige neue Produkte in diesem Umfeld kommen, weil wir wissen, dass morgen noch nicht der Großteil der Kunden beim Utility-Computing angelangt sein wird.

CW: In welchen Zeiträumen plant Sun hier?

Schneider: Wir gehen davon aus, dass viele Kunden innerhalb der nächsten zwölf Monate bereits etwas als Utility beziehen werden, allerdings noch nicht die Geschäftskritischen Bereiche ihrer IT. Es ist noch etwas früh, eine Prognose zu wagen, wie viel Prozent der heutigen IT künftig über Utility bezogen wird. Das lässt sich wahrscheinlich in zwölf Monaten genauer beziffern. Wir rechnen jedoch damit, dass es sehr schnell gehen wird.

CW: Derzeit machen nach wie vor die Server den Löwenanteil des Sun-Geschäfts aus. Doch gerade hier wird es zunehmend schwieriger. Im Lowend-Bereich schrumpfen die Margen und der Absatz von Highend-Rechnern lahmt. Was tut Sun, um diese Geschäfte wieder anzukurbeln?

Schneider: Sie können bei Dell Server um 20 Prozent günstiger einkaufen. Dafür brauchen Sie aber 50 Administratoren mehr, die ihre Systeme betreiben. Unsere Philosophie lautet, die Komplexität zu reduzieren. Wenn Sie die Zahl der Administratoren und den Integrationsaufwand für Sun-Architekturen gegenüber Microsoft-Umgebungen betrachten, dann entdecken Sie hier die relevanten Kosteneinsparungen. Wir sind früher mit einem sehr technischen Ansatz zu unseren Kunden gegangen und haben versucht unsere Produkte über die Features zu verkaufen. Doch das interessiert die Kunden nicht. Sie wollen Kosten senken, ihren Umsatz steigern und bestimmte Anforderungen erfüllen. Diese Themen werden wir künftig adressieren.

CW: Wie erklären Sie das den Kunden?

Schneider: Das einzige Problem ist, dass wir weniger Geld für Marketing haben, weil wir mehr in die Technik investieren. Jedes Mal wenn ich am Flughafen bin, sehe ich riesige Anzeigen für IBMs Websphere. Doch was Kunden damit kaufen sind viele Berater und Systemintegratoren. Zugegebenermaßen ist Websphere ein tolles Produkt. Doch sie brauchen Leute, die das Ganze integrieren. Unsere Philosophie sieht dagegen so aus, dass die Produkte von Haus aus integriert sind. Sie brauchen dafür keine 70.000 Manntage.

"Mit Websphere kaufen die IBM-Kunden Berater und Systemintegratoren."

CW: Wer treibt die neue Sun-Philosophie? Scott McNealy gilt eher als technikverliebt. Hält COO Jonathan Schwartz zunehmend die Fäden in der Hand?

Schneider: Zwischen die beiden passt kein Blatt Papier. Beide laufen synchron und ergänzen sich perfekt. Scott McNealy als Visionär und Jonathan Schwartz, der auf das Geschäft achtet. Unsere Technik war schon in den vergangenen Jahren gut, nur haben wir zu wenig daraus gemacht. Jonathan Schwartz wird das in die Hand nehmen. Die Kombination beider Persönlichkeiten ist das, was Sun voran bringt.

CW: Mit welchen persönlichen Erwartungen fahren Sie in diesem Jahr nach Hannover?

Schneider: Wir verfolgen in diesem Jahr ein neues Konzept auf der CeBIT. So werden wir verstärkt Kunden auf unserem Stand haben. Die Show soll in den Hintergrund treten. Wir wollen Referenzen vorstellen. Durch die Berichte der Kunden von ihren Erfahrungen mit Sun-Produkten erwarten wir uns, massiv an Glaubwürdigkeit gewinnen.

CW: Welche Themen werden im Mittelpunkt ihres Messeauftritts stehen?

Schneider: Im Mittelpunkt werden unsere Gesamtlösungen stehen. Ein Thema wird Identity-Management sein. Das hat sich auch in zahlreichen Gesprächen mit CIOs herauskristallisiert. Ein anderer Schwerpunkt ist RFID. Auch hier werden wir Gesamtlösungen zeigen, also nicht nur die Komponenten, die von Sun stammen.

CW: Was sind die Trendthemen auf der diesjährigen CeBIT?

Schneider: Ein großes Thema ist auf jeden Fall Sicherheit.

CW: Machen aus Ihrer Sicht Großmessen noch Sinn, oder werden kleinere Events auf lange Sicht interessanter?

Schneider: Wir beobachten das natürlich von Jahr zu Jahr. 2004 hatten wir eine so gute Resonanz, dass wir uns auch in diesem Jahr entschieden haben, wieder auf die CeBIT zu gehen. Aber wir werden auch 2005 die Resonanz messen und die Kunden befragen, welchen Mehrwert sie aus dem Messebesuch gezogen haben. Das ist eine rein rationale Entscheidung. Es hat nichts mit Image zu tun. Sollte das Feedback negativ ausfallen, könnten wir auch den Entschluss fassen, im nächsten Jahr nicht auf die CeBIT zu gehen.

CW: Die CeBIT gilt auch als Branchenbarometer. Wo sehen Sie derzeit die größten Chancen, aber auch Probleme und Risiken für den IT-Standort Deutschland?

Schneider: Die Komplexität rund um IT wird sich weiter verringern. Das könnte ein Risiko für die damit verbundenen Arbeitsplätze sein. Auf der anderen Seite werden wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Wenn man sich nicht mehr um die Komplexität der IT Gedanken machen muss, können sich die Leute um andere, wichtigere Dinge kümmern.

CW: Wie bewerten sie die Rahmenbedingungen für den IT-Standort Deutschland?

Schneider: Die Initiativen wie beispielsweise E-Government sind richtig. Hier geht es darum, Kosten zu senken und damit Steuergelder effizienter einzusetzen. Dass Arbeitsplätze in Nearshore- und Offshore-Länder abgezogen werden, hat natürlich auch mit den Rahmenbedingungen zu tun. Ich denke, dass sich die Bundesregierung intensiv Gedanken darüber macht, diese Bedingungen wieder zugunsten von Deutschland zu ändern. Dazu gehört beispielsweise auch das Betriebsverfassungsgesetz. Hier sind Reformen notwendig.