Mammutkonsolidierung gegen Krise

15.09.2005 von Katharina Friedmann
Angesichts des zunehmenden Konkurrenzdrucks durch "Billig"-Carrier entwickelt das Luftfahrtbündnis Star Alliance eine einheitliche IT-Plattform für die 16 kooperierenden Fluggesellschaften.

Hier lesen Sie ...

  • warum die Star Alliance eine einheitliche IT-Plattform für ihre Mitglieder schafft;

  • welche Hürden das Luftfahrtbündnis dabei überwinden muss;

  • welche Kernfunktionen die künftige Common IT Platform abdecken soll;

  • welche Vorteile sich die Allianz von der Plattformkonsolidierung verspricht.

Seit Ende der neunziger Jahre wildern so genannte Low-Cost-Airlines in Kundensegmenten, die zuvor ausschließlich durch die klassischen Fluglinien wie Lufthansa, SwissAir und British Airways bedient wurden. Entsprechend zäh gestaltet sich das Geschäft für die Großen der Aviation-Branche: Sie stehen unter internem Kostendruck, müssen sich aber gleichzeitig im externen Wettbewerb mit den Billigfliegern behaupten.

Das Luftfahrtbündnis Star Alliance startet in eine gemeinsame IT-Zukunft.

"Economy of Scale" lautet eine Devise, nach der das Airline-Bündnis Star Alliance diesen Spagat meistern will. Seit ihrer Gründung im Jahr 1997 ist die weltweit operierende Allianz von fünf auf 16 Fluggesellschaften angewachsen und befördert jährlich nahezu 360 Millionen Passagiere. "Die Star-Alliance-Carrier haben eine erheblich höhere Komplexität zu bewältigen als die Billigflieger, müssen aber mit ihnen konkurrieren", erklärt Christoph Ganswindt, Senior Vice President und CIO bei Star-Alliance-Mitglied Lufthansa Passage Airline (LH), den Handlungsbedarf. Eine Anpassung der Kostenstrukturen sei aus diesem Grund unerlässlich.

Die bislang erzielte Produkt- und Service-harmonisierung innerhalb der Allianz beruht im Wesentlichen darauf, Flugstrecken, Vertrieb und Frequent-Flyer-Programme der einzelnen Partnergesellschaften optimal zu integrieren und zu koordinieren. Um das Rationalisierungspotenzial eines solchen Bündnisses noch besser auszuschöpfen, starteten die drei Star-Alliance-Mitglieder LH, United Airlines und Air Canada im Mai 2002 eine gemeinsame Initiative namens "Common IT-Platform" (CITP). Ziel des auf ein gutes Jahrzehnt angelegten Großprojekts ist es, die zentralen Kernfunktionen der Star-Alliance-Fluggesellschaften in den Bereichen "Reservierung", "Inventory- und Codeshare-Management", "Ticket-Management" und "Check-in/Flugabfertigung" künftig über eine gemeinsame Hard- und Softwareplattform zu betreiben.

"Es ist ein Unterschied, ob man jeweils für 50 Millionen oder - allianzweit - für 300 Millionen zu befördernde Passagiere ein System bereitstellt", bringt Ganswindt den Rationalisierungseffekt auf den Punkt. Ziel der Mammutkonsolidierung sei eine deutliche Straffung und Optimierung des Hard- und Softwarebetriebs - zum einen aus Kostengründen, zum anderen, um über einen verbesserten Kundenservice ein Differenzierungsmerkmal gegenüber anderen Luftfahrtallianzen zu schaffen.

Steckbrief

• Projektart: Entwicklung und Einführung einer einheitlichen Hard- und Softwareplattform für die Kernfunktionen der Star-Alliance-Fluggesellschaften.

• Branche: Luftfahrt.

• Zeitrahmen: Beginn im Mai 2002; voraussichtlicher Abschluss in zehn Jahren.

• Stand heute: Hat das Fachkonzeptniveau erreicht; Migration beim ersten Carrier in Vorbereitung.

• Dienstleister: Amadeus.

• Umfang: Für das gesamte Luftfahrtbündnis.

• Angestrebtes Ergebnis: Hohe Kosteneinsparungen durch optimierten Hard- und Softwarebetrieb und harmonisierte Prozesse zwischen den Fluggesellschaften; verbesserter Kundenservice.

• Herausforderungen: Die in Dynamik und Anforderungen stark heterogenen Heimatmärkte der kooperierenden Fluggesellschaften.

Eine in den genannten Schlüsselbereichen vereinheitlichte IT-Infrastruktur berge beträchtliches Potenzial für eine Prozessharmonisierung zwischen den einzelnen Star-Alliance-Airlines. Darüber wiederum ließen sich mittel- bis langfristig weitere Kostenstrukturverbesserungen realisieren, so der Lufthansa-CIO.

Bislang kommunizieren die Star-Alliance-Partner über unterschiedliche Systeme oder Schnittstellen miteinander, die bei den einzelnen Fluggesellschaften erheblichen Entwicklungsaufwand verursachen. Das hat laut Ganswindt nicht nur hohe Kosten, sondern auch lange Projektlaufzeiten zur Folge. Entsprechend unübersichtlich seien die IT-Ressourcen, die etwa für die Implementierung neuer Anwendungen oder Funktionen zur Verfügung stünden.

Auch an anderer Stelle wirkt sich die technische Heterogenität negativ aus: So gibt es bis heute keine Gesamtsicht über die Produkte der Allianzpartner; die Buchungssysteme der einzelnen Fluggesellschaften bieten nur das jeweils eigene Produkt an; eine bestehende Reservierung lässt sich meist von keiner anderen Fluggesellschaft ändern, stornieren oder gar umrouten. Zudem führen die unterschiedlichen Funktionen in den IT-Systemen zu unnötig komplizierten Prozessen für die Anwender. Last, but not least könne die durch die heterogenen Systemwelten verlängerte Produkteinführungszeit mit der heutigen Dynamik im Luftfahrtmarkt nicht mehr Schritt halten, gibt Ganswindt zu bedenken.

Das soll sich ändern. Künftig sollen möglichst viele Allianzpartner auf einem weltweit mit sämtlichen Reiseportalen verbundenen Reservierungssystem arbeiten. So kann der Reiseagent von seinem System aus das Allianznetz in konsolidierter Form abrufen und erhält für seinen Kunden in kürzester Zeit eine Reiseplanung, die das gesamte Angebot der Star Alliance berücksichtigt - und zwar mit Preis.

Innerhalb eines Airline-Bündnisses bieten die Carrier nicht selten einen Flug mit eigener Flugnummer (Code) an, den dann ein anderes Allianzmitglied ausführt. Dazu müssen die kooperierenden Airlines ihre Flugpläne stets aktualisieren und miteinander synchronisieren. Erfolgt dies heute noch über weitgehend manuelle Verfahren mit hohem Personalaufwand, werden die Star-Alliance-Carrier ihre Flugdaten künftig im gleichen "Inventory" verwalten. Dieser Begriff bezeichnet eine Datenbank, die sämtliche Flugrouten, Preise sowie Informationen zur jeweils aktuellen Flugzeugauslastung beinhaltet. Auf diese Weise soll den Partnern jegliche Veränderung automatisiert und in Echtzeit zur Verfügung stehen.

Produktharmonisierung

Im Bereich Ticket-Management wiederum wird eine gemeinsame Softwareplattform die Produktharmonisierung hinsichtlich Buchungsklassen und zugehörigen Serviceangeboten erleichtern. Auch beim Check-in beziehungsweise der Flugabfertigung lassen sich über ein einheitliches System laut Ganswindt wesentliche Kostentreiber eliminieren und Prozessverbesserungen für den Kunden erzielen. Dazu ein Beispiel: Langfristig werden die Mitarbeiter einer Fluggesellschaft lediglich Schulung für ein einziges Check-in-System benötigen. Daher könnten die Star-Alliance-Mitglieder dann zum Einchecken verstärkt vor Ort befindliches Personal der Partner-Airline einsetzen. Als einen weiteren Vorteil führt Lufthansa-CIO Ganswindt mögliche Einsparungen bei der Flughafen-Infrastruktur für Gates und Check-in-Schalter an - schließlich müssten künftig nur Anforderungen an ein einheitliches System abgebildet werden.

Verhandelt, aber noch nicht getan

Vor rund drei Jahren haben die Vorstandsvorsitzenden der Star-Alliance-Partner Lufthansa, United Airlines und Air Canada grünes Licht für das CITP-Projekt gegeben. Inzwischen hat es das Fachkonzept-Niveau erreicht. "Diese Zeit haben wir gebraucht, um einen gemeinsamen Request for Proposal beziehungsweise ein Ausschreibungsverfahren zu definieren", beschreibt Ganswindt die bisherigen Aktivitäten.

So weit sei man bisher in der Aviation-Branche noch nie gekommen, klärt der IT-Chef auf. Zwar habe es in der Luftfahrt in den vergangenen zehn Jahren vergleichbare Versuche gegeben - diese seien jedoch erfolglos geblieben. Typische Stolpersteine auf dem Weg zur Umsetzung sind laut Ganswindt meist die in ihrer Dynamik und ihren Anforderungen sehr heterogenen Heimatmärkte der einzelnen Fluggesellschaften. So sei es schwierig, angesichts der verschiedenen Prioritäten der Unternehmen den Fokus auf ein und dasselbe Ziel lange aufrecht zu erhalten: "Wir setzen uns hier an einen Tisch und tun so, als wären wir ein Unternehmen. Dabei haben wir sehr unterschiedliche Probleme zu bewältigen." Doch sei die innere Logik dieses Vorhabens so signifikant, dass sich die Verhandlungen mit Sicherheit zu einem positiven Ende führen ließen und dabei gleichzeitig eine Win-Win-Situation für sämtliche Beteiligten hergestellt werden könne.

Nach Aussagen von Ganswindt sind lediglich etwa 15 Prozent der Gesamtfunktionalität innerhalb des Airline-Bündnisses so individuell, dass sie nicht zu harmonisieren wären. Bereiche, in denen sich auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten offenbaren, habe sich das zu Spitzenzeiten 120-köpfige Projektteam gesondert vorgeknöpft, um dort eine Harmonisierung herbeizuführen. Auch in Zukunft sei nicht auszuschließen, dass sich Themenblöcke etwa aufgrund unterschiedlicher Rechtsräume nicht aufeinander abstimmen lassen, fährt Ganswindt fort. "Wichtig ist nur, dass die künftige IT-Plattform in der Lage ist, diese abzubilden."

Best-of-Breed-Ansatz

Die neue Plattform soll sich aus den für den jeweiligen Einsatzzweck am besten geeigneten Technologien zusammensetzen. "Dabei wird es sich um ein buntes Spektrum von modernen Middleware-Techniken bis hin zu dem klassischen, gut zwanzig Jahre alten IBM-Betriebssystem TPF handeln", erläutert der Lufthansa-CIO den geplanten Best-of-Breed-Ansatz. Das Management einer solchen Mixtur - zusammen mit der Sicherstellung einer 99,95-prozentigen Verfügbarkeit der Systeme - sei eine Aufgabe, der nur wenige Provider gewachsen seien.

Entsprechend zäh gestalteten sich die Verhandlungen mit potenziellen Dienstleistern und Anbietern. Nach gut eineinhalb Jahren ist die Frage nach dem Lieferanten für die Common IT Platform der Star Alliance nun geklärt: Den Zuschlag erhielt der spanische Global- Distribution-Systems-Anbieter (GDS) Amadeus. "Die Plattform sollte von einem Airline-unabhängigen Betreiber zur Verfügung gestellt werden", so lautet die offizielle Begründung für die Entscheidung zuungunsten der Lufthansa-Tochter Lufthansa Systems (LHS).

Kommerzielle Aspekte waren bei der Provider-Wahl allerdings nicht minder ausschlaggebend: Laut Ganswindt liegt das maximale Einsparpotenzial für große, von den etablierten Reservierungssystemen stark abhängige Carrier primär in den Synergien zwischen der künftigen Plattform und dem Reservierungsanteil dieses Systems.

Leer soll die LHS allerdings nicht ausgehen: So will die Lufthansa, die demnächst als erstes Star-Alliance-Mitglied Modul für Modul auf die neue Plattform umsteigen wird, den Großteil der anstehenden Migrationsarbeiten an ihre IT-Tochter vergeben. Die dabei gesammelten Erfahrungen könnten dem IT-Dienstleister darüber hinaus ein attraktives Folgegeschäft bei anderen Star-Alliance-Mitgliedern eröffnen, gibt sich Ganswindt zuversichtlich. Des Weiteren plane die Fluggesellschaft, im Rahmen des umfangreichen Konsolidierungsprojekts den Betrieb ihrer sämtlichen 520 Client-Server an LHS auszulagern.

Hoher Aufwand für die Allianz

Die Verwirklichung des Konzepts bedeutet für die einzelnen Fluggesellschaften der Star Alliance einen ernormen Logistikaufwand. Da es laut Ganswindt nach der Einführung der gemeinsamen Plattform auch weiterhin individuell von den Airlines betriebene Systeme geben wird, gilt es für die Partner, im Zuge des hauseigenen Migrationsprojekts mehrere hundert Datenschnittstellen anzupassen und zu synchronisieren. Bei der Lufthansa beispielsweise ist derzeit ein Team von sechs Mitarbeitern damit beschäftigt, Anzahl und Art der Schnittstellen zu eruieren, die von dieser Migration betroffen wären. "Für uns bedeutet das, dass wir in Summe rund 250 Datenschnittstellen zwischen Systemen anpassen müssen", so Ganswindt. Darüber hinaus seien die weiterhin betriebenen Systeme selbst sowie während der Projektlaufzeit neu implementierte Softwareapplikationen mit dem CITP-Projekt zu synchronisieren.

LH fungiert als CITP-Pionier

Die Lufthansa wird in der zweiten Hälfte 2006 mit dem Umstieg auf die Common IT Platform beginnen - zunächst mit dem Reservierungssystem: "Der Buchungsbereich weist weltweit bereits den höchsten Standardisierungsgrad auf - demnach ist das kein Hexenwerk mehr", erklärt Ganswindt. Folgen werden das Codeshare-Management, anschließend das Inventory und dann die Module für Ticketing und Electronic Ticketing. Zuletzt soll im zweiten Halbjahr 2007 das Check-in-System migriert werden. Dort fallen nach Angaben des CIOs aufgrund der mangelnden Vereinheitlichung noch die meisten Vorarbeiten an. Auch für den frisch gebackenen Technologiepartner Amadeus sei hier der größte Teil der Entwicklungsarbeit zu leisten. Ende 2007 soll die LH-Gesamtmigration abgeschlossen sein. Das Star-Alliance-Mitglied United Airlines beabsichtigt, seine Systemwelt im Zeitraum von Mitte 2007 bis Ende 2008 auf die CITP überführen. Danach können nach und nach auch die anderen Star-Alliance-Partner auf die gemeinsame Plattform wie die Air Canada migrieren.

Für neue Star-Alliance-Mitglieder wird der CITP-Umstieg nicht obligatorisch sein. Allerdings verpflichtet sich ein Carrier beim Beitritt, seine Systeme so zu adaptieren, dass diese in den verschiedensten Bereichen - auf einem Star-Alliance-Standard basierend - mit den anderen Fluggesellschaften kommunizieren können. "Angesichts der wirtschaftlichen Kennzahlen wird sich ein Neuzugänger künftig gut überlegen, ob er seine alten Systeme anpasst oder nicht lieber gleich auf die Common IT Plattform migriert", prophezeit Ganswindt. Dennoch sei damit zu rechnen, dass einzelne Carrier aufgrund von Marktprioriäten oder der eigenen wirtschaftlichen Lage ihre Entscheidung zeitversetzt treffen, so der IT-Chef. Immerhin bewegen sich die Migrationsaufwände allein für die Lufthansa im zweistelligen Millionenbereich.

Ein Langzeitprojekt

In Anbetracht der Tatsache, dass allianzweit insgesamt rund 50 000 Personen im Umgang mit den neuen Systemen geschult werden müssen, ergibt sich eine Projektlaufzeit, die weit über den üblichen Zeitrahmen hinausgeht. Bedenken, dass das Langzeitprojekt mit den Jahren hier und da grundsätzlich ins Stocken geraten könnte, hat der Lufthansa-CIO jedoch nicht: "Flugzeuge bauen und Flugzeuge fliegen ist etwas Langwieriges - so vergehen beispielsweise vom Beginn der kommerziellen Verhandlungen für den Airbus 380 bis zu seinem LH-Jungfernflug gut sechs Jahre. Die Luftfahrtindustrie hat demnach Übung darin, über lange Zeiträume hinweg den Fokus auf bestimmte Projekte zu halten." Ein Hilfsparameter sei die nicht zuletzt für diese Zwecke gegründete, durch die Partner finanzierte Star Alliance Service GmbH, die das Projekt unterstütze und in ihrer Koordinationsfunktion für einen reibungslosen Informationsfluss zwischen den Fluggesellschaften sorge. Derzeit rechnet die Star Alliance mit einer maximalen Projektlaufzeit von zehn Jahren. Ganswindt ist angesichts des hohen Benefits einer gemeinsamen Plattform für die Allianz jedoch zuversichtlich, dass es schneller gehen wird. So geht er für die Lufthansa von Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich aus.