So lernt künstliche Intelligenz

Macht KI die Finanzbranche intelligenter?

30.08.2018 von Ralf Ohlhausen
In diesem Artikel, dem ersten in einer Reihe über KI im Bereich Fintech und Bezahltechnologien, beleuchten wir, was KI ist, was es nicht ist und was das für uns als Branche und als Bürger in einer zunehmend digitalisierten Welt bedeutet.

Künstliche Intelligenz (KI). Woran denken Sie, wenn Sie diesen Begriff hören? Eine Maschine, die denkt, kommuniziert und sich verhält wie ein Mensch? Ein Computersystem, dass sich seiner selbst bewusst und in der Lage ist, aufgrund der eigenen interpretationen seiner Erfahrungen zu lernen?

Intelligente Maschinen benötigen kein stylishes Büro im Bankenturm. Kreditentscheidungen können auch im Keller getroffen werden.
Foto: Vasilyev Alexandr - shutterstock.com

Künstliche Intelligenzist in derFinanzbranche bereits weit verbreitet und gewinnt immer mehr an Bedeutung. Die überarbeitete Zahlungsdiensterichtlinie, PSD2, die am 13. Januar 2018 in Kraft getreten ist, soll zum Aufbau einer offenen Bankenumgebung beitragen und das Wachstum des digitalen Bezahlens fördern.
Vor dem Hintergrund eines stetig steigenden Zahlungsvolumens kann KI dabei unterstützen, effektiv vor Betrug zu schützen, und "Know-your-Customer(KYC)-Prüfungen" sowie Risikobewertungen durchzuführen, sowie andere notwendige Funktionen umzusetzen.

Ein Beispiel: Wenn eine gewisse Kategorie von Personen - etwa Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe oder Bewohner einer bestimmten Stadt – eher weniger bereitwillig eine Schuld zurückzahlen, so könnte eine KI diesen Umstand bei ihrem Risikomodell berücksichtigen. Das könnte nicht nur ein legales und soziales Problem bedeuten – es könnte schlichtweg falsch sein. Die KI könnte dabei eine entscheidende Information unberücksichtigt lassen, was dazu führen würde, dass sie eine Korrelation als Kausalität ansieht. Es ist überaus wichtig, dass solche Verzerrungen so weit es geht eliminiert werden.

Was meinen wir mit KI?

Kehren wir zurück zu unserer ursprünglichen Frage: Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff "künstliche Intelligenz" hören? Wenn Sie Science-Fiction-Fan sind, dann stellen Sie sich vermutlich eine Maschine wie Ava in dem Film Ex Machina oder Agent Smith in Matrix vor. Diese Art von KI, die nach wie vor nur rein theoretisch ist und lediglich in der Fiktion existiert, nennt sich Artificial General Intelligence (AGI).

Echte AGI müsste in der Lage sein, vernünftig zu schlussfolgern, auf eigenem Wissen und eigenen Erfahrungen basierend zu lernen und dies auf eine Art und Weise auszudrücken, die andere verstehen können. Und das Entscheidende: Es müsste auf das gesamte Aufgabenspektrum anwendbar sein, das auch Menschen bedienen, und nicht nur auf ein spezielles Gebiet begrenzt sein.

Aktuell sind wir noch weit davon entfernt, AGI zu entwickeln. Selbst wenn wir es schon könnten, hätte das Ergebnis sicher wenig mit dem zu tun, was wir aus Hollywood-Filmen kennen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ohne Selbsterhaltungstrieb und ohne Hormonsystem gibt es keinen Grund zu glauben, dass eine Form von künstlicher Intelligenz Menschen als Bedrohung ansehen oder sich aggressiv verhalten könnte.

Die Art von künstlicher Intelligenz, die wir bisher kannten, wird "schwache KI" genannt. Anders als menschenähnliche Intelligenz (AGI) ist schwache KI auf eine bestimmte Aufgabe spezialisiert, die sie unendlich wiederholt und dabei ihre Effizienz und Effektivität so weit wie möglich optimiert. Eine schwache KI kann eine ausgebildete und multitaskingfähige menschliche Arbeitskraft nicht wirklich ersetzen.

Verschiedene Arten von KI

Früher wurde KI programmiert. Das heißt, es wurde clevere Software geschaffen, die Situationen analysiert und die überlegene Geschwindigkeit von Computern nutzt, um eine spezielle Aufgabe dann schneller zu lösen, als Menschen es könnten. Bekanntes Beispiel sind Schachcomputer.

Heute lässt man eine KI selbst lernen, anstatt ihr Dinge von Menschenhand beizubringen. Dieses so genannte "Machine Learning" hat zu den großen Fortschritten in letzter Zeit geführt und ist der Grund, warum KI jetzt in aller Munde ist. Eine Maschine trainiert sich also selbst, indem sie mit Daten gefüttert wird (Eingaben) und nur die gewünschten Ausgaben festgelegt werden. Ein Machine-Learning-Algorithmus erlaubt es einer KI Muster zu finden, die es ihr ermöglichen zukünftigen Eingabewerten den korrekten Ausgabewert zuzuordnen.

Wenn Sie beispielsweise einer KI beibringen wollen, Orangen von Birnen zu unterscheiden, so müssen Sie ihr einen Algorithmus geben, der ihr erlaubt die zwei Arten von vorgegebenen Objekten aufgrund ihrer Farbe und Form zu unterscheiden, und sie das dann mit tausend oder hunderttausend Objekten üben zu lassen und jedes Mal das Ergebnis bewerten, damit die KI "dazulernen" kann.

Eine Technik des Machine Learnings, die auf einem so genannten neuronalen Netzwerk beruht, ist Deep Learning. Wie der Name schon sagt, sind neuronale Netzwerke dazu da, ungefähr - wenn auch nicht genau – die Schichten von Neuronen in einem menschlichen Gehirn nachzuahmen. Das Netzwerk besteht aus Schichten von Knoten, wobei jeder Knoten für ein Neuron steht. Die Funktion eines Knotens besteht darin, einer Eingabe eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, darauf basierend, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Eingabe eine der gewünschten Ausgaben erzeugt. Jedes Neuron hat dabei einen Aktivierungsschwellenwert.

Wenn man nun ein neuronales Netzwerk zum Auffinden von Gesichtern auf Bildern entwickelt, könnte man zum Beispiel ein Eingabe-Neuron haben, das nach einem nasenförmigen Muster von Pixeln ungefähr in der Mitte einer größeren Gruppe von Pixeln sucht. Hat es gefunden, was es für eine Nase hält, würde das Neuron dieser Pixel-Gruppe einen "Nasenähnlichkeits"-Wert zuordnen. Als Programmierer könnte man 55 Prozent "Nasenähnlichkeit" als Schwellenwert festlegen.

Ist das Eingabe-Neuron für Nasen zu 55 Prozent oder mehr sicher, dass es sich hier um eine Nase handelt, spricht es an und gibt einen Wert zur nächsten Schicht weiter, um mitzuteilen "wir haben hier eine Nase". In Abhängigkeit davon, was die anderen Eingabe-Neuronen (diejenigen, die nach Mündern, Augen, Ohren und so weiter Ausschau halten) sagen, entscheidet das System, ob es sich um ein Gesicht handelt oder nicht. Die nächste Neuronenschicht kann nun damit beginnen, die Eingabe nach anderen Kriterien zu untersuchen.

Nachdem entschieden wurde, dass es sich um ein Gesicht handelt, könnte die zweite Neuronenschicht in dem Netzwerk nun die Werte mit einer Datenbank bekannter Individuen vergleichen, und so versuchen herauszufinden, um wessen Gesicht es sich handelt. Dieser Prozess wird durch alle Neuronenschichten hindurch wiederholt, bis die Werte an die Ausgabeschicht weitergegeben werden, die das Endergebnis der Außenwelt mitteilt ("Ja, es ist ein Gesicht und ich bin mir zu 90 Prozent sicher, dass es Roberts Gesicht ist").

Dass dies keine Zukunftsmusik mehr ist, kann ganz leicht per Smartphone bewiesen werden, das mittlerweile auch schon erstaunlich viel KI beinhaltet. Fragt man Siri oder einen anderen Sprachassistenten nach Bildern mit Bäumen, werden nicht nur Internetbilder, sondern auch eigene, auf dem Smartphone befindliche Fotos mit Bäumen angezeigt.

Das Trainieren einer solchen KI fördert häufig interessante Verzerrungen in den Daten zutage. Wenn sich beispielsweise in den Trainingsdaten die meisten Gesichter und damit auch die Nasen oben links in einem Bild befinden, könnte die KI diese Tatsache in sein Identifizierungsmodell übernehmen. Das wiederum würde dazu führen, dass das System Nasen in anderen Bildbereichen nicht erkennt.

Es gibt auch noch andere KI-Modelle. In dem Neuroevolutions-Model wird eine Reihe von schwachen KIs entwickelt, um ein spezielles Problem zu lösen. Diejenige, die der Lösung am nächsten kommt (selbst wenn das nicht besonders nah ist), wird als Basis für die nächsten KI-Generationen verwendet, von denen sich alle kaum merklich von der Elterngeneration und untereinander unterscheiden. Wieder wird die mit dem besten Ergebnis als Basis für die nächste Generation ausgewählt. Dieser Prozess wiederholt sich so lange, bis eine brauchbare KI herausgekommen ist. Darwin im Schnelldurchgang!

Wenn Unternehmen heute behaupten, ein KI-gestütztes Produkt zu haben, so sprechen sie im Allgemeinen entweder vom Machine Learning oder vom auf neuronalen Netzwerken basierenden Deep Learning.

Was kann KI für uns tun?

Zunächst einmal: wenn zur Ausübung eines Jobs Urteilsvermögen, Geschicklichkeit und die Lösung vielfältiger zusammenhängender und komplexer Aufgaben erforderlich sind, dann können die KIs, die wir heute kennen, keine Arbeitskraft ersetzen. Was KIs allerdings können: Sie können die zeitraubenden und monotonen Aufgaben eines Jobs erledigen.

UBS hat kürzlich das Arbeitsaufkommen nach der eigentlichen Transaktion automatisiert. Eine KI erledigt nun das, wofür ein Händler 45 Minuten benötigt, innerhalb von zwei Minuten. Dem ganz ähnlich, hat Google eine medizinische KI entwickelt, die in der Lage ist, Bilddaten von Patienten treffsicher auf das Vorhandensein von Krebs zu scannen – eine Aufgabe, für die Ärzte fünf oder sechs Stunden benötigen. Beide Entwicklungen erlauben ausgebildete Fachkräfte, sich auf komplexere Aufgaben zu konzentrieren, aber sie ermöglichen es Organisationen auch weniger umfangreich ausgebildete Kräfte zu engagieren.

Roundtable über Künstliche Intelligenz (KI)
Diskussionsrunde über KI
Über Künstliche Intelligenz tauschen sich Anfang Juni auf Einladung der Computerwoche fünf Experten aus. Das Foto zeigt Thomas Uhlemann (Eset), Harald Gröger (IBM), Tom Ruban (Juniper Networks), Stefan Gössel (Reply), Moderator Heinrich Vaske (Computerwoche), Autorin Christiane Pütter (Computerwoche) und Tom Becker (Alteryx).
Tom Ruban, Juniper
Tom Ruban, VP Europe, Middle East and Africa bei Juniper Networks: „Oft geht es damit los, dass Entscheider auf einer Konferenz eine interessante Anwendung sehen und sich überlegen, wie das zu ihrem Unternehmen passt. Die Frage nach den Tools stellt sich erst später.“
Tom Becker, Alteryx
Tom Becker, General Manager Central&Eastern Europe bei Alteryx: „Die Fachabteilungen müssen mit Use Cases spielen können! Unternehmen brauchen einen gewissen Grad an Experimentierfreude. Zum Glück gibt es Labs. Innovationen sind ja nicht jeden Tag erfolgreich!“
Thomas Uhlemann, Eset
Thomas Uhlemann, Security Specialist bei Eset Deutschland: „Wer die Datenqualität nicht hochhält, produziert trotz der besten Datenmanagement-Tools ,Garbage in, Garbage out‘. Schon das spricht für die neue Datenschutzgrundverordnung.“
Harald Gröger, IBM
Harald Gröger, Executive Client Technical Specialist bei IBM: „Wenn die ethischen Fragen nicht geklärt sind, nimmt der Markt KI nicht an. Wir kennen alle die Frage vom selbstfahrenden Auto, das das Leben des Fahrers retten muss – oder das eines Kindes.“
Stefan Gössel, Reply
Stefan Gössel, Partner bei Reply: „Die Initiative zu KI-Projekten ergibt sich oft aus einem Wunsch oder einem Schmerz im Fachbereich. Trotzdem sehen wir auch Initiativen aus der IT, weil die sich als Enabler positionieren will. Aber das scheitert, wenn der Fachbereich nicht eingebunden wird.“

Wenn ein Job aber hauptsächlich vorhersehbare und monotone Tätigkeiten umfasst, selbst wenn diese als Facharbeit angesehen werden, so ist es möglicherweise an der Zeit herauszufinden, wie sicher der Job in fünf Jahren noch sein wird. In Kombination mit der sich weiter entwickelnden Robotertechnologie ist KI jetzt bereits in der Lage, viele Facharbeiter aus dem handwerklichen Bereich zu ersetzen, und auch viele Akademiker sind nicht mehr sicher.

In Bangladesch ist die Zahl neuer Jobs in der Bekleidungsindustrie von 300.000 pro Jahr im Jahr 2008 auf nur 60.000 in diesem Jahr gesunken, obgleich 81 Prozent der Exporte des Landes auf diese Branche entfallen. Zumindest ein Teil dieses Defizits ist auf die Einführung von Robotertechnik und KI-basierte Nähmaschinen zurückzuführen. Sie arbeiten schneller als Menschen, ohne Pausen und ohne Fehler. Eine Entwicklung, die vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten wurde.

Wieviel Künstliche Intelligenz verträgt der Finanzmarkt?
Foto: Andrey_Popov - shutterstock.com

Dieser Wandel lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr vermeiden. Wir müssen unser Bestes geben, um diese Entwicklung zu verstehen und uns für das Kommende zu rüsten. Nur so können wir die Probleme reduzieren und die Vorteile maximieren. Ganz ähnlich ist es in der Bezahlbranche. KI verspricht mehr Effizienz und zudem, mit der enormen Zunahme des Bezahlvolumens fertig zu werden, die für die nahe Zukunft erwartet wird. Doch wir müssen diesen Vorteil dem Risiko gegenüberstellen, dass schlecht konstruierte oder gewichtete Algorithmen unerwünschte Konsequenzen haben könnten – sowohl für Unternehmen als auch für die Verbraucher.

Im einem folgenden Beitrag lesen Sie, auf welche Weise die Bezahlindustrie gegenwärtig KI einsetzt und was das für Unternehmen, für Einzelne in der Branche und für die Verbraucher bedeutet.

Teil 1:Macht KI die Finanzbranche intelligenter?

Teil 2: Mehr Sicherheit durch KI

Teil 3: Das Ende der manuellen Prozesse