M-Business: Potenziale für Mensch und Maschine

30.10.2001 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wer meint, Mobile Business habe etwas mit Videoübertragung via UMTS-Netz zu tun, liegt gründlich daneben. Heutige ortsunabhängig nutzbare Geschäftsanwendungen beschränken sich auf E-Mail-, Kalender- und manchmal auch auf Groupware-Funktionen. Den eigentlichen Wert mobiler Techniken erschließen sich die Unternehmen aber erst, wenn sie die Verfahren in prozessspezifischen Abläufen nutzbringend einsetzen.

Die immer wiederkehrende Diskussion um den neuen Mobilfunkstandard Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) und damit mögliche Mehrwertdienste hat die gesamte Aufmerksamkeit auf den Massenmarkt gelenkt, so dass Lösungen zur Unterstützung von Geschäftsprozessen kaum beachtet wurden.

„Bislang halten sich die Unternehmen noch auffallend zurück“, musste etwa Nicole Dufft, Senior Analyst bei Berlecon Research in Berlin, bei ihren Recherchen zu einer Studie erfahren. Nicht zuletzt die schlechten Erfahrungen im Business-to-Consumer-Umfeld hätten Unternehmen bislang abgeschreckt, sich in die mobile Welt vorzuwagen, so ihre These.

Dennoch gelangt die Berlecon-Analystin in der Arbeit „Mobile-Business-Lösungen zur Anbindung von Mitarbeitern“ vom Juli 2001 zu dem Schluss, dass Geschäftsanwendungen für den ortsunabhängigen Gebrauch zu den wichtigsten Wachstumssegmenten im mobilen Business zählen. Für das Jahr 2005 rechnet das Berliner Institut mit einem Marktvolumen von 1,5 bis zwei Milliarden Euro allein in Deutschland.

  

Markteinflüsse auf mobile Unternehmenslösungen

 

  

 

Denn gerade für Geschäftsprozess-unterstützende Applikationen sind die Anforderungen klar definierbar, der Mehrwert der mobilen Lösung kann vorab quantifiziert und beispielsweise in Form eines Return on Investment abgebildet werden, so die Auffassung der Berlecon-Expertin. Gestützt wird ihre Einschätzung durch die Studie „Mobilizing the Enterprise“ von Deloitte Consulting. Das Beratungshaus rechnet mit Einsparmöglichkeiten von bis zu 25 Prozent in einzelnen Bereichen, erzielbar aufgrund der „Mobilisierung“ unternehmensinterner Abläufe.

Klassische Anwendungen bevorzugt

Gerne angeführt wird in diesem Zusammenhang das Beispiel der Außendienstmitarbeiter: „Ein besonderes Potenzial ergibt sich im Marketing und Vertrieb. Hier können Mitarbeiter eine Kontakthistorie vom zentralen Rechner abrufen, Bestellungen vor Ort entgegennehmen und Produktverfügbarkeit überprüfen“, erläutert Dufft.

Konkret umgesetzt wurde ein solches Szenario beispielsweise von der Hamburg-Mannheimer Versicherungsgesellschaft. Die Hanseaten haben ein eigenes WAP-Portal eingerichtet, über das die Vertriebsmitarbeiter jederzeit alle gängigen Tarife abrufen können, die Berechnung der Versicherungskosten läuft wie gehabt auf einem Großrechner im Hintergrund. Die Nutzung dieses Service ist den Außendienstmitarbeitern freigestellt, die Verantwortlichen rechnen jedoch damit, dass sich in den nächsten drei Jahren ein Großteil der 25.000 mobilen Mitarbeiter für die Arbeit mit „Handymax WAP“ entscheiden wird.

  

Anbieterlandschaft

 

  

 

„Business-to-Employee“ nennt Martin Mähler von IBM Global Services derartige Anwendungen. Es wurde seiner Einschätzung zufolge in der Vergangenheit vernachlässigt, soll jedoch „durch mobile Techniken Aufwind bekommen“, so der Director Mobile E-Business Services bei IBMs Dienstleistungsarm. Keinesfalls sind dafür immer die öffentlichen Netze der Carrier erforderlich, denn mobile Anwendungen gibt es auch für Innendienstmitarbeiter, etwa in Hospitälern oder Fabrikhallen. Hier bieten sich die lizenzfreien, drahtlosen LAN-Installationen als günstigere Alternativen zu den GSM-Netzen der Carrier an.

Zurzeit beherrschen noch klassische Applikationen diesen Markt. In der Regel haben die Mitarbeiter unterwegs Zugriff auf ihre E-Mails, auf Gruppenkalender, Office-Pakete oder Aufgabenlisten. Ebendiese Funktionen stellt etwa die Allianz-Tochter Elvia, Anbieter von Reiseversicherungen, ihren rund 1000 Mitarbeitern im Außendienst via GSM-Netz zur Verfügung. Die Basis bildet das Groupware-Tool „Mobile Connect“ von Lotus.

„Das sind unternehmensweite Applikationen, die zur Verbesserung des Kommunikations- und Informationsflusses eingesetzt werden“, erläutert Berlecon-Analystin Dufft, „prozessspezifische Lösungen orientieren sich hingegen an den mobilen Abläufen in den Unternehmen.“ Neben dem Einsatz in Vertrieb und Marketing bietet sich die Nutzung von mobilen Techniken im Bereich Transport und Logistik an, etwa mittels ortsbezogener Dienste (Location Based Services), die das Flotten-Management effizienter gestalten.

Automobilhersteller wagen sich vor

Die Automobilbranche tastet sich derzeit mit einer Kombination aus den klassischen mobilen Anwendungen und ortsbezogenen Services in das Mobile Business vor. Die Pläne von Audi, Opel und VW sind auch deswegen beachtlich, weil sie einerseits den Massenmarkt adressieren, zugleich aber auch neue Servicemöglichkeiten für das Kerngeschäft ihrer Partner eröffnen. Den Endkunden bedienen die Autobauer, indem sie ihre Fahrzeuge mit Bildschirmen, Browser und Internet-Zugang via GSM-Netz ausstatten. So lassen sich unterwegs E-Mails lesen, Office-Anwendungen nutzen und Nachrichten empfangen. Ortsbezogene Informationen betreffen Restauranttipps, Wetter- und Staumeldungen oder Hinweise, wo sich die nächste Tankstelle befindet.

Doch damit haben die Ingenieure die Möglichkeiten der ortsbezogenen Dienste noch nicht ausgeschöpft, denn immerhin sind Autos mittlerweile „rollende IT-Systeme“, so IBM-Manager Mähler. Zusammen mit Audi arbeitet IBMs Dienstleistungstochter an einer Lösung für die Ferndiagnose von Fahrzeugen. Weil die aktuellen Autos mittlerweile nicht mehr ohne Prozessoren und Programme zu bewegen sind, lassen sich manche Probleme sogar mittels Software-Updates beheben.

Opel kündigte außerdem auf der Internationalen Automobilausstellung 2001 in Frankfurt am Main an, neue Dienste einzurichten, mit denen Werkstätten auf betriebsrelevante Daten von Fahrzeugen zugreifen und den Fehlerspeicher unabhängig vom Ort des Autos auslesen können. In Verbindung mit einem Bildschirm im Wageninneren ließen sich so neue Dienstleistungen zur Kundenbindung entwerfen, etwa indem man den Fahrer auf die nächste Inspektion hinweist.

Auch dieses Szenario wurde bereits mit einem Etikett versehen. „Wir sehen ein enormes Potenzial im Business-to-Machine-Umfeld“, sagt etwa IBM-Manager Mähler und verweist auf das oftmals belächelte Beispiel einer Miele-Waschmaschine mit Internet-Anschluss. Die Idee, Haushaltsgeräte mit Kommunikationsmöglichkeiten auszustatten, ermöglicht es den Herstellern, Kontakt zu ihren produzierten Gütern zu halten, auch nachdem sie die Läden verlassen haben. Miele möchte etwa die zusätzlichen Netztechniken nutzen, um neue Dienstleistungen für die Kunden zu entwickeln. Abseits der Haushaltsgeräte ergeben sich etwa Möglichkeiten, Zählerstände zu übermitteln, Sicherheitsanlagen zu prüfen sowie Getränke- oder Zigarettenautomaten zu verwalten.

  

Umsatzprognose:

Beim wachsenden Geschäft mit mobilen Lösungen entfällt sehr viel Geld auf Integrationsaufgaben.

 

Für derartige Anwendungen gilt es allerdings, die eingehende Datenflut auch nutzbar zu machen. Die Geschäfts- beziehungsweise Prozessabläufe müssen darauf ausgerichtet werden, die eingehenden Informationen auszuwerten und Aktivitäten auszulösen. Dementsprechend werden im Rahmen eines Mobile-Business-Vorhaben immer Integrationsprojekte gestartet, ein gefundenes Fressen für die Großen der Dienstleistungsbranche. Doch nicht immer müssen es maßgeschneiderte Lösungen von T-Systems, Siemens Business Services (SBS) oder Accenture sein.

Ein typisches Problem beim Einsatz von Servicemitarbeitern besteht etwa darin, die Zeiterfassung effektiv zu gestalten. Üblich ist es, dass die Arbeitszeit vor Ort bei Kunden in ein Formular eingetragen wird und die Daten später manuell in das IT-System übertragen werden. IBM Global Service arbeitet mit Partnern daran, diesen Medienbruch zu vermeiden.

Eine Standardlöung zur Zeiterfassung gibt es aber auch von der Reengineering Softwaredesign (RS) AG in Potsdam. Deren Lösung „Mobiletime“ ist eine WAP-Anwendung, die per Handy oder Handheld zu bedienen ist. Bei Bedarf ist die Software auch als Mietlösung erhältlich.

Ein Hemmschuh für die mobilen Services sind derzeit noch die begrenzten Möglichkeiten der Endgeräte. WAP-Anwendungen auf dem Handy zu bedienen ist immer noch alles andere als komfortabel, hier müssen die Handy- und Handheld-Hersteller noch erheblich nachbessern. Allerdings sind auch die Anwendungsentwickler gefordert: „Für mobile Endgeräte mit ihren begrenzten Eingabe- und Darstellungsmöglichkeiten können gut konzipierte WAP-Lösungen absolut ausreichen“, meint Berlecon-Mitarbeiterin Dufft, IBM-Manager Mähler fordert hingegen Eingabemöglichkeiten durch Spracherkennung.

Beide Experten sind sich einig, dass die erforderliche Netztechnik bereits vorhanden ist, denn für sämtliche beschriebenen Szenarien sind die Bandbreiten der heutigen GMS- und GPRS-Installationen völlig ausreichend. Das heißt aber auch, dass die Netzbetreiber mit ihren teuren UMTS-Lizenzen zumindest bei Geschäftsanwendungen nichts zu gewinnen haben.