Retained Organisation

Lücke im Sourcing-Zentrum

07.06.2011 von Joachim Hackmann
Outsourcing 2.0, Best of Breed, Cloud Computing: Der Servicemix liegt im Trend und benötigt eine starke interne IT. Doch oft fehlt eine Retained Organisation.
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Der aktuelle Trend zum Multisourcing, zu Best-of-Breed-Ansätzen und auch zum Cloud Computing bringt neue Herausforderungen in der Provider-Steuerung mit sich. In klassischen Single-Sourcing-Modellen gab es zwar enge Abhängigkeiten zwischen den Partnern, aber auch weniger Schnittstellen zwischen Lieferant und Abnehmer. Doch heute stehen die Zeichen auf multilaterale Beziehungsgeflechte. Die Unternehmensberatung Detecon präsentierte auf der Bitkom-Veranstaltung "Entscheiderforum Outsourcing" in Bad Homburg eine Umfrage unter den eigenen Kunden, die die Verschiebung der Sourcing-Strategien eindrucksvoll belegt: 2005 wurden knapp drei Viertel aller Outsourcing-Deals mit nur einem Partner abgeschlossen. 2010 war es nur noch jeder dritte Auslagerungsvertrag. Das Multisourcing ist in 65 Prozent der Projekte Realität.

Dieses Next Generation Outsourcing (oder Outsourcing 2.0) erfordert eine neue, aufwendigere Konstruktion der internen IT, weil immer häufiger frühere Outsourcing-Abkommen in moderne, heterogene Bezugsmodelle überführt werden müssen. 2005 war der Transfer einer ausgelagerten IT vom alten zum neuen Provider laut Detecon die Ausnahme (acht Prozent). 2010 hatten 37 Prozent aller Beratungsmandate genau dies zum Ziel. Damit stehen immer mehr Unternehmen vor der Aufgabe, den reibungslosen Betriebsübergang vom abgelösten Partner zum neuen Dienstleister zu moderieren. Sie müssen ihren bisherigen Outsourcer zur Kooperation bewegen, obwohl der keine Aussicht auf künftige Geschäftsbeziehungen mehr hat, und zugleich den neuen beziehungsweise mehrere IT-Lieferanten auf die Aufgaben vorbereiten und den wichtigen Know-how-Transfer sicherstellen.

ProSiebenSat1: Interne IT ausgebaut

Andreas König, ProSiebenSat1: "Wir hatten anfangs sehr wenig eigene Leute für den IT-Umbau, so dass wir Personal aufbauen mussten"
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In diesem Spannungsfeld ist eine selbstbewusste, kompetente, erprobte, interne IT-Organisation erfolgsentscheidend. Leider ist die nicht selbstverständlich: Auslagerungsabkommen, die heute zur Ablöse oder Verlängerung anstehen, wurden oft unter strengem Kostendiktat verabschiedet. Eine fachlich, betriebswirtschaftlich und technisch versierte sowie personell gut besetzte Retained Organisation war nicht vorgesehen, um die ehrgeizigen Kostenziele nicht zu gefährden.

Entsprechende Erfahrungen hat auch der Medienkonzern ProSiebenSat1 gemacht. Vor drei Jahren wurden sämtliche IT-Aktivitäten an IBM ausgelagert, um mit Hilfe von Standards und Skaleneffekten die Ausgaben rigoros zu senken. Recht schnell hatten sich aber die Schwerpunkte verschoben: Heute zählen neben Kostenkontrolle und Flexibilität vor allem Schnelligkeit und Qualität zu den wichtigsten Orientierungspunkten. Unter der Leitung von CIO Andreas König wurden das bestehende Outsourcing-Verhältnis den neuen Prioritäten angepasst und wichtige Funktionen zurück ins Haus geholt. Governance, Projekt-Management, IT-Architektur, Business-Analyse sowie Reporting und Controlling erachtet König als strategische interne Aufgaben. "Den inhaltlichen Umbau unserer IT haben wir weitgehend selbst verantwortet. Allerdings hatten wir anfangs sehr wenig eigene Leute, so dass wir Personal aufbauen mussten", räumte der IT-Manager in seiner Keynote-Ansprache auf dem Kongress ein.

DZ-Bank: Mehr Partnervielfalt

Harald Merz, DZ Bank: „Die neue Sourcing-Strategie benötigt mehr Personal.“
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Das ist kein Einzelfall: Die DZ-Bank hatte ihre IT 2007 für die Dauer von drei Jahren an die Lufthansa Systems ausgelagert. Die Kranich-Tochter änderte später ihr Geschäftsmodell und zog sich aus der Bankenbranche zurück, an einer Verlängerung des Deals im Jahr 2010 hatte sie kein Interesse. Das nahm die Genossenschaftsbank zum Anlass, sich von ihrer Single-Vendor-Strategie zu verabschieden. Heute sind Atos Origin, T-Systems und GAD die wichtigsten IT-Partner, zudem werden Teilaufgaben wieder intern erledigt. "Durch die neu definierte Sourcing-Strategie wurde es erforderlich, das Personal aufzustocken", schilderte Harald Merz, Gruppenleiter IT-Controlling und -Provider-Steuerung bei der Bank, eine wichtige Erkenntnis aus dem Projekt.

Eon: Früh starten

Edgar Aschenbrenner: „Ganz wichtig: Frühzeitig eine Retained Organisation installieren.“
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Erfahrene Consultants und Anwender raten dazu, vor dem Start des Auslagerungsprojekts eine Retained Organisation aufzubauen, um schon den Übergabeprozess gestalten und begleiten zu können. Zum überzeugten Verfechter einer selbstbewussten IT, die sowohl im Umgang mit den internen Kunden als auch mit externen Providern Anfragen, Bedarf, Lieferung und Probleme professionell bewerten, verwalten und koordinieren kann, zählt Edgar Aschenbrenner. Der CIO von Eon war zuvor Outsourcing-Chef bei HP Deutschland und hat in dieser Funktion die andere Seite einer Partnerschaft kennen gelernt: "Ich habe zu Hause eine lange Liste aller Fehler, die man im Outsourcing machen kann, und ich mache täglich mein Häkchen dort, wo wir Probleme umschiffen konnten. Ganz wichtig ist es, frühzeitig eine Retained Organisation zu installieren", betonte Aschenbrenner vor dem Auditorium. Der Energiekonzern hat seine gesamte IT im vergangenen Jahr an Hewlett-Packard und T-Systems übergeben und zugleich die interne Organisation grundlegend überarbeitet.

Schenker: Aufgaben der internen IT

Michael Picard, Schenker. „Die Retained Organisation ist unsere Lebensversicherung.“
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Die Aufgaben der Retained Organisation sind vielfältig. Die Mitarbeiter müssen nicht nur die Provider kontrollieren und steuern, sie sollten darüber hinaus mit den Fachbereichen kooperieren, um deren Bedarf und Probleme zu verstehen und zu bündeln. Um die IT weiterzuentwickeln, müssen die Experten den Markt beobachten und neue Entwicklungen für den eigenen Geschäftsnutzen bewerten können. "Ein guter Sourcing-Mix ist essentiell für die Gestaltung neuer IT-Landschaften", sagte Michael Picard, Head of Corporate IT-Management bei Schenker. " Wir nutzen alles, was uns im Kerngeschäft weiterhilft, auch Cloud Computing." Das Logistikunternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren die interne IT umgekrempelt und arbeitet nun mit einem zentralen Sourcing für die IT-Lieferanten. Rund zehn Prozent des Vertragsvolumens lässt sich Schenker die Provider-Steuerung im Data-Center-Betrieb kosten. "Das mindert das Einsparpotenzial", räumt Picard ein, aber: "Die Retained Organisation ist unsere Lebensversicherung. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Standardprozesse laufen."

Wo gibt es Sourcing-Manager?

Der Bedarf an fähigen Leuten wächst also. Doch nun rächen sich die Sünden der vergangenen Jahre, als Anwenderunternehmen viele IT-Kollegen im Zuge der aufs Sparen ausgerichteten Auslagerungsprojekte freigesetzt oder dem Partner übergeben haben. Viel zu lange haben es die IT-Verantwortlichen versäumt, eigene Mitarbeiter zu halten und zu schulen oder junge Kräfte einzustellen und in das Provider-Management einzuführen. Die Hochschulen bilden keine Studenten aus, die flugs zur Steuerung der Outsourcing-Partner einzusetzen wären. Fähige Provider-Manager gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Absolventen der Wirtschaftsinformatik scheinen derzeit noch am ehesten geeignet, die Lücke zu schließen, doch um diese Experten bemühen sich viele. Im Wettbewerb um IT-Kräfte müssen Anwenderunternehmen sich vor allem gegen die IT-Dienstleister behaupten.

"Der Fachkräftemangel wird in der IT-Branche eine Dimension erreichen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können", erwartet Detlev Hoch, Director bei den Unternehmensberatern von McKinsey. Ganze Sektoren und Aufgabenfelder ließen sich in wenigen Jahren nicht mehr besetzen und würden verwaist brachliegen, warnt der Berater. Für Unternehmen geht es also mehr und mehr darum, nicht nur die passenden IT-Services aus den umfangreichen Cloud-, Hosting-, Managed-Service- und Outsourcing-Angeboten zusammenzustellen, sondern vor allem die fähigen Mitarbeiter für das Sourcing-Management zu finden und langfristig zu binden.

Fragen an den Cloud-Provider

Cloud Computing wird langsam und unaufhaltsam zu einer weiteren Bezugsquelle für IT-Services. Weil die Dienste aus der Cloud aber häufig schnell und ohne lange Vorbereitung eingeführt werden sollen, sind sie in der Regel weniger gut geplant als Outsourcing-Deals. Um sich nicht auf juristisches Niemandsland zu begeben, rät Martin Braun, Rechtsanwalt für IT-Themen bei WilmerHale, den Anwendern ihren Providern folgende Fragen zu stellen: