Diplomatisch ist anders. Bärbel Meiborgs Mitarbeiter bei Hewlett-Packard (HP) nehmen ihrer Chefin gegenüber jedenfalls kein Blatt vor den Mund. "Als Führungskraft wird mir offen signalisiert, dass man sich etwa als Alternative zu HP auch einen Wechsel zu einem Mittelständler oder ein längeres Sabbatical vorstellen könnte", erzählt die PC Country Category Managerin PPS Germany. Meiborg macht sich nichts vor: "Die Hemmschwelle, das Unternehmen zu verlassen, ist eindeutig gesunken. Da spielt die junge Generation mit offenen Karten."
Dies gilt nicht nur bei HP, sondern überall in der Branche. Die Loyalität zum Arbeitgeber steht derzeit vielfach auf dem Prüfstand. Statt als jahrelange Treue dem Unternehmen gegenüber interpretieren junge Mitarbeiter den Begriff heute ganz anders. "Loyalität wird heute als Treue gegenüber einem Projekt oder Team verstanden", sagt Nelly Riggenbach Hasler, Director Western Europe der Marktforschungsgesellschaft Universum Communications. Ist ein Projekt abgeschlossen oder wechselt eine geschätzte Führungskraft, folgten nicht selten Abgänge von Kollegen, beobachtet die Marktforscherin. Man sehe heute ganze Teams zur Konkurrenz wechseln.
Bloß keine Hierarchien
Die Generation Y - also die Geburtsjahrgänge nach 1980 - lehnt Zwänge und Hierarchien oft ab. Selbstverwirklichung steht bei ihnen ganz oben auf dem Wunschzettel. "Man möchte einen Sinn in der Arbeit sehen, und Langeweile im Job ist ein Killerkriterium", sagt Riggenbach Hasler. Die von Ungeduld getriebene Generation investiere viel und fordere viel.
Finden sich die Herausforderungen nicht (mehr) im eigenen Team, wird ein anderes gesucht. Mit dem Internet aufgewachsen, bewegt sich die Generation parkettsicher im Web 2.0. Soziale Netzwerke werden professionell in die Jobsuche eingespannt - und in die Bewertung des aktuellen Arbeitgebers auch. Für Vorgesetzte birgt dies eine doppelte Gefahr: Wenn die Sache schiefläuft, verlieren sie nicht nur einen guten Mitarbeiter, sondern auch ihren guten Ruf.
Gerade in der IT sind lockere Beziehungskisten schon heute an der Tagesordnung. Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelte, arbeiten 7,8 Prozent aller Branchenbeschäftigten derzeit ohne festen Vertrag als freie Mitarbeiter - rund viermal so viel wie im bundesdeutschen Branchenschnitt.
Loyalität zur Firma nimmt ab
Unverbindliche Arbeitsverhältnisse sind en vogue. Dabei hat die Bindungsunlust längst nicht nur den Nachwuchs befallen. Auch erfahrene IT-Kräfte fühlen sich dem Arbeitgeber nicht mehr so verbunden wie in früheren Jahren. Das unterstreicht die Studie "Universum Professional Survey 2012", die 663 IT-Professionals nach ihren Wechselabsichten befragte. Satte 59 Prozent von ihnen haben sich im Ablauf des verstrichenen Jahres um einen neuen Job beworben. 17 Prozent intern, 26 Prozent extern, und weitere 15 Prozent haben auf ihren aktuellen Posten gewechselt.
Ein derart starker Wechselwille kann Vorgesetzten arge Kopfschmerzen bereiten - Meiborg nicht. Loyalität, so die HP-Managerin, sei heute zwar schwieriger zu erreichen als früher, aber nicht unmöglich. Als Vorgesetzte setzt sie nach eigenen Angaben "auf Fairness, Feedback und Förderung" ihrer Mitarbeiter. Ganz praktisch heißt das: Ein Teammitglied, das eine Passage ihrer Präsentation vorbereitet hat, soll nicht zusehen müssen, wie die Chefin dafür die Lorbeeren erntet. Er oder sie darf den Part des Vortrags stattdessen selber halten. "So etwas motiviert mehr als manche Gehaltserhöhung", ist sich Meiborg sicher.
Althergebrachte Statussymbole wie Extrazahlungen oder Eckbüros ziehen heute weniger, um Leute bei der Stange zu halten. Meiborg wird stattdessen öfter um ihre Unterstützung in Sachen Work-Life-Balance gebeten - oder um eine Auszeit für eine lang geplante Traumreise.
Damit ist sie nicht allein. Als Mittel, die die persönliche Loyalität zum Job fördern, liegen Gehaltserhöhungen und Benefits abgeschlagen nur auf Rang fünf, wie eine internationale Umfrage des Personaldienstleisters Kelly Services belegt, der 134.000 Personen in 29 Ländern befragt hat. Gerade mal neun Prozent aller Befragten empfinden mehr Geld als Treuekatalysator. Dagegen gelten abwechslungsreiche Tätigkeiten den Befragten mit 47 Prozent als weitaus wichtigster Faktor für ihre Loyalität.
Chefs entscheiden nicht mehr allein
Das beobachtet auch Tonio Hess, Senior Business Partner bei Telefónica Germany in München. Mit Hierarchien können die Digital Natives seiner Ansicht nach wenig anfangen. "Inhaltlich spannende Aufgaben sind ihnen wesentlich wichtiger", so der Personaler. Dazu gehöre unter anderem eine hohe Eigenverantwortlichkeit. Um ihnen diese bieten zu können, hat Telefónica seine Arbeitsdoktrin grundlegend umgestellt. Früher bereiteten Teammitglieder für ihre Vorgesetzten verschiedene Entscheidungsszenarien vor, aus denen der Chef dann eine Alternative auswählte. Heute erarbeiten sie die Aufgaben und entscheiden dann selbständig, welche Alternative verfolgt wird.
Damit dieser Paradigmenwechsel klappt, mussten alle Beteiligten umdenken. Mitarbeiter müssen sich ab sofort als inhaltliche Partner ihrer Vorgesetzten verstehen, Führungskräfte als "People-Manager, die den Rahmen für ihre Mitarbeiter vorgeben und Entscheidungskompetenz an sie abgeben", so Hess.
Weiterer wichtiger Loyalitätsmotor ist die Flexibilität. "Die Generation Y will nicht mehr tagtäglich im Büro sitzen, sondern auch mal im Englischen Garten, im Café oder zu Hause arbeiten", sagt Hess. Vertrauensarbeitszeit, Home Office und mobiles Arbeiten gehören daher längst zum Standardrepertoire vieler IT-Firmen. Statt der Anwesenheitskultur gilt eine Ergebniskultur. Egal, wann die Mitarbeiter arbeiten: Hauptsache, sie liefern - pünktlich und zuverlässig.
Auf dieses Prinzip setzt auch Unisys Deutschland in Sulzbach bei Frankfurt. "Die Loyalitätskurve ist heute nicht mehr konstant, sondern variiert je nach persönlicher Arbeits- und Lebenssituation", sagt Rudolf Kühn, Geschäftsführer der Unisys Outsourcing Services. Unisys will seinen Leuten so viele Freiheiten wie möglich geben. Das Home-Office-Konzept etwa ermöglicht ihnen, bei passenden Tätigkeiten alles von zu Hause aus zu erledigen. Die Firma stattet das Arbeitszimmer dafür mit DSL-Anschluss und dem gesamten Equipment aus.
Ein geschickter Schachzug. Denn wer nach seinem eigenen Bio- (und Familien-)Rhythmus arbeiten kann, dankt es seinem Arbeitgeber. "Home-Office-Mitarbeiter", so Kühn, "spüren das Vertrauen, das das Unternehmen in sie setzt." Im Gegenzug legten die Homeworker eine "deutlich höhere Loyalität" an den Tag als ihre Kollegen in den Unisys-Büros.
Flexibilität erhöht also die Loyalität. Davon ist auch HP überzeugt. Das Talent-Management der Firma etwa bietet jungen Potenzialträgern viele Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten an unterschiedlichsten Arbeitsstellen einzubringen - über Abteilungs- und Landesgrenzen hinaus. Der Gedanke dahinter: Die Talente können sich je nach Fähigkeiten und Interessen einbringen, ihre jeweiligen Teams profitieren.
Fluktuation ist Unternehmensalltag
Doch Vorsicht: Das Modell funktioniert nur, wenn alle mitziehen - und ziehen lassen. Denn damit die Ypsiloner ihre Freiheiten ausleben können, muss auch die Generation der Vorgesetzten ein gerüttelt Maß an Flexibilität beweisen. "Gute Leute innerhalb der Firma ziehen zu lassen gehört zu meinem Job", sagt HP-Managerin Meiborg. Keine Führungskraft könne sich mehr darauf ausruhen, wenn sie ein gutes Team zusammen hat. Die Teamleiterin tröstet sich mit dem Gedanken, dass Förderer junger Talente wieder neue Talente anziehen. "Eine stetige Fluktuation ist heute kein Zeichen von Schwäche", so Meiborg, "sondern schlicht Unternehmensalltag."
"Die Generation Y will Arbeit als persönlichen Gewinn erleben"
Anders Parment, Berater für Employer Branding und Assistant Professor an der Business School der Universität Stockholm, forschte als einer der Ersten über die um 1980 Geborenen. Seine These: Die Generation Y stellt viele Verhältnisse und Vorstellungen, die als selbstverständlich galten, in Frage und zwingt Firmen zum Umdenken.
CW: Ticken die Berufseinsteiger heute anders als frühere Generationen?
PARMENT: Ja. Die Generation Y lebt ihr Leben emotionaler als frühere Jahrgänge. Die jungen Leute versuchen, ihr Leben zu maximieren.
CW: Wie soll das gehen?
PARMENT: Wirtschaftlich sind sie recht gut abgesichert. Daher stellen sie höhere Ansprüche an den Job als frühere Generationen. Arbeit wollen sie als persönlichen Gewinn erleben.
CW: Die gute alte Selbstverwirklichung also?
PARMENT: Jein. Selbstverwirklichung bezieht sich für sie nicht nur auf das eigene Ich, sondern auch auf das Netzwerk des Ichs, also auf Umwelt und Gesellschaft, in der sie sich erleben. Daher hinterfragen sie auch Umweltaktivitäten von Arbeitgebern und deren Engagement im Bereich Corporate Social Responsibility kritisch, aber konstruktiv.
CW: Wie können Firmen bei dieser Generation punkten?
PARMENT: Wenn sie sich auf die Ansprüche der jungen Leute einstellen, können sie Wettbewerbsvorteile im Recruiting erringen. Wichtig ist aber vor allem eine transparente und ehrliche Ansprache. Durch ihr breites Netzwerk on- und offline durchschaut die Generation Y schnell, wenn Unternehmen ein Engagement nur vortäuschen.