Das Ende aller Medienbrüche?

Livescribe Pulse Smartpen im Test

21.07.2010 von Manfred Bremmer
Der Pulse Smartpen von Livescribe soll die Erstellung von Mitschriften revolutionieren. Die COMPUTERWOCHE hat geprüft, ob der elektronische Zauberstift seinem Slogan "Never miss a Word" gerecht wird.

Nicht nur Mitglieder der schreibenden Zunft müssen sich ständig mit Medienbrüchen herumschlagen. Auch wer hin und wieder Protokolle anfertigt oder den Inhalt von Gesprächen zusammenfasst, weiß, wie umständlich und antiquiert der Vorgang leider noch ist. So kommt bislang nur selten IT zum Einsatz: Wenn es schnell gehen muss oder darf, werden die kryptischen Mitschriften mühsam abgetippt und mit viel Fantasie in brauchbaren Text verwandelt. Ist Sorgfalt angebracht, zeichnet ein Recorder das Gespräch auf - anschließend wird der Inhalt unter endlosem Vor- und Zurückspulen zusammen mit den Notizen in einen Text verwandelt. In beiden Fällen ist der Vorgang suboptimal, da wichtige Inhalte oder kostbare Zeit verloren gehen.

Livescribe Pulse
Livescribe Smartpen Pulse
Der Livescribe Pulse Smartpen ist zwar leicht überdimensioniert, hat es jedoch in sich.
Livescribe Smartpen Pulse
So zeichnet der Stift nicht nur Gespräche über ein integriertes...
Livescribe Smartpen Pulse
...oder externes Mikrofon auf...
Livescribe Smartpen Pulse
Eine Infrarotkamera auf der Unterseite erfasst gleichzeitig die Notizen.
Livescribe Smartpen Pulse
Dank eines von Anoto entwickelten Spezialpapiers kann sich der Stift mittels eines Punkterasters orientieren und Sprach- und Schriftaufzeichnung synchronisieren.
Livescribe Smartpen Pulse
Zum weiteren Bearbeiten werden die Aufzeichnungen über eine Dockingstation auf die Desktop-Anwendung übertragen.
Livescribe Desktop
Dort erscheinen dann die Seiten zusammen mit dem Ton auf dem Bildschirm und können weiter verwendet werden.
Livescribe Pencast
So lassen sich die erfassten Inhalte als Pencast ablegen oder an andere Nutzer weiterleiten.
Livescribe Myscript
Optional steht ein OCR-System (Vision Objects MyScript) als Testversion zur Verfügung - und versucht, die handschriftlichen Notizen in Text umzuwandeln.
Livescribe Myscript
Bei etwas Übung und Sorgfalt sind die Ergebnisse selbst bei einer "Sauklaue" einigermaßen brauchbar.
Livescribe Website
Auf der Livescribe-Website befinden sich im (hierzulande noch nicht freigeschalteten) App Store bereits eine Reihe von Zusatzanwendungen...
Livescribe App Store
aufgeteilt in kostenlose...
Livescribe Smartpen App Store
und kostenpflichtige Anwendungen.
Livescribe Smartpen Display
Auf dem Stift selbst sind ein Taschenrechner, ein Klaviersimulator und das Demo eines Übersetzungsprogramms vorinstalliert.
Livescribe Smartpen Pulse
Für freie Entwickler stellt Livescribe außerdem ein SDK zum Bau von Java-Anwendungen bereit.

Abhilfe verspricht die Firma Livescribe mit dem Smartpen "Pulse". Dabei handelt es sich im Grund um einen überdimensionierten elektronischen Stift, der es allerdings auch in sich hat: Er zeichnet nicht nur Gespräche über ein integriertes Mikrofon auf, sondern erfasst gleichzeitig auch die mitgeschriebenen Notizen. Zu diesem Zweck ist der Stift am unteren Ende mit einer Infrarotkamera ausgestattet. Diese startet die Aufnahme, sobald die Spitze mit mindestens 0,7 Gramm Druck belastet wird. Aktuell bietet Livescribe den Stift mit 2 beziehungsweise 4 GB Speicher an, was 200 respektive 400 Stunden lange Tonaufnahmen ermöglichen soll. Für den integrierte Akku gibt der Hersteller eine Laufzeit von ein bis eineinhalb Wochen an.

Trickreiches Spezialpapier

Auf dem Livescribe-Block befinden sich neben den Anoto-Punkten eine Reihe von Steuerelemente.
Foto: Livescribe

Damit nicht genug, kommt auch noch ein mit Hilfe des von Livescribe patentierten Dot Positioning System generiertes Spezialpapier zum Einsatz. Dieses enthält 900.000 winzig kleine Punkte und hilft dem mit einem ARM-Prozessor ausgestatteten Smartpen (unter anderem), Sprach- und Schriftaufzeichnung zu synchronisieren. Setzt man also den Stift auf eine bestimmte Stelle des Skripts, kann man den genau zu dieser Zeit aufgenommenen Text anhören - sinnvoll bei kryptischen oder kaum lesbaren Mitschriften. Die Anoto-Technik ermöglicht aber auch neue Wege bei der Menüsteuerung: So kann der Nutzer etwa verschiedene Funktionen ansteuern, indem er den Stift auf einem (selbst gemalten oder vorgedruckten) Kreuz in Längs- und Querachse bewegt. Auf dem Livescribe-Block befinden sich außerdem eine Reihe von Steuerelementen (Aufnahme, Lautstärke, Bookmark etc.) bis hin zu einem kompletten wissenschaftlichen Taschenrechner. Einfache Gleichungen in Grundrechenarten löst der Smartpen aber auch auf Handschrifteingabe.

Foto: Livescribe

Zum weiteren Bearbeiten und Archivieren werden die Aufzeichnungen über eine per USB angeschlossene Dockingstation auf die Desktop-Anwendung übertragen. Dort erscheinen die Seiten dann zusammen mit dem dazugehörigen Ton auf dem Bildschirm und können weiter verwendet werden. Optional steht ein OCR-System zur Verfügung ("Vision Objects MyScript for Livescribe", 30 Dollar, einmonatige Testversion), um die handschriftlichen Notizen in Text umzuwandeln. Der erfasste Text-Ton-Mitschnitt kann aber als "Pencast" abgelegt, in ein PDF konvertiert oder anderen zur Verfügung gestellt werden. Dazu stehen jedem Nutzer als Web-Komponente ein "My Livescribe Account" mit 500 MB Webspace zur Verfügung.

Der Nutzer kann die Pencasts anderen zur Verfügung stellen.
Foto: Livescribe

Die kürzlich bereitgestellte Version 2.2 der Livescribe Desktop Software ermöglicht es außerdem, Notizen direkt an einen anderen Nutzer zu senden - dieser kann den Pencast (Schrift und Sprache) dann in seinen Livescribe Desktop importieren. Dort hat er die Möglichkeit, die Notizen zu archivieren, zu durchsuchen oder mit der OCR-Software weiter zu verarbeiten - so als wäre es seine eigene Notiz. In Kürze will Livescribe außerdem eine iPhone- und iPad-App zum Nutzen der Pencasts anbieten.

Es gibt einige Zusatzanwendungen, die sich zum Teil bereits auf dem Stift befinden oder aus dem Livescribe App Store (in Deutschland noch nicht verfügbar) geladen werden können. Zu den fest installierten Programmen zählen etwa ein Taschenrechner, ein Klaviersimulator sowie das Demo eines Übersetzungsprogramms.

Überzeugender Praxiseinsatz

Stark Aufdrücken zwecklos: Die Aufzeichnung der Schrift übernimmt eine Infrarotkamera auf der Unterseite.
Foto: Livescribe

In der Praxis zeigte sich der Livescribe Pulse überraschend gut nutzbar, lediglich das Gewicht war mit 36 Gramm etwas gewöhnungsbedürftig. Außerdem waren bei der Aufnahme leichte Kratzgeräusche des Stifts zu hören - zunächst, bis sich der Nutzer ins Gedächtnis rief, dass das Geschriebene primär zur Orientierung dient und dann entsprechend schwächer aufdrückte. Wem das Umdenken dennoch schwer fällt: Abhilfe schafft auch das für größere Räume mitgelieferte 3D-Aufnahme-Headset.

Ohne Übung (und Sorgfalt) bringt die Schrifterkennung kaum brauchbare Ergebnisse.
Foto: Vision Objects

Bei der anschließenden Aufgabe, auf Basis von Schrift- und Tonaufzeichnung einen brauchbaren Text zu erstellen, erwies sich der Smartpen als äußerst nützlich: So arbeitet man sich am Bildschirm oder direkt am Livescribe-Block durch die notierten Stichworte - ist etwas unverständlich oder lückenhaft, startet man durch Mausklick (am PC) oder Stiftdruck einfach die Wiedergabe des Gesprächs.

Im zweiten Anlauf lieferte die OCR-Software dann aber brauchbare Resultate.
Foto: Vision Objects

Die Schrifterkennung konnte indes nur sporadisch genutzt werden. So scheiterten sowohl das im Stift integrierte System wie auch die als Zubehör angebotene Software "MyScript" von Vision Objects zunächst beim Entziffern des Gekritzels - warum sollte es der Anwendung auch anders ergehen als vielen Kollegen und manchmal sogar dem Autor selbst?. In einem zweiten Anlauf, wo bewusst auf Schönschrift geachtet wurde, stieg die Trefferquote aber deutlich, so dass mit etwas Übung durchaus brauchbare Ergebnisse zu erzielen sind.

Thema mit Variationen

Interessant war, dass sich während des Tests zahlreiche Ideen für weitere Einsatzszenarien - nicht nur im journalistischen Umfeld, sondern etwa auch in Vertrieb oder Lagerhaltung - entwickelten. Wie Florian Schultz, General Manager Emea bei Livescribe, gegenüber der COMPUTERWOCHE erklärte, sei das Unternehmen momentan jedoch kaum in der Lage, selbst in diese Richtung weiterzuentwickeln und Nischenlösungen zu entwerfen. In diese Bresche könnten jedoch Systemhäuser und andere Partner springen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit für Entwickler, mit Hilfe eines SDK Anwendungen für den Stift zu schreiben und im dazugehörigen Online-Shop anzubieten.

(Demo-)Software macht den Smartpen zum Musikinstrument oder Übersetzer.
Foto: Livescribe

Das Ergebnis einer solchen Entwicklung demonstriert der Hersteller im Menüpunkt Piano: Hier wird der Nutzer aufgefordert, mit neun vertikalen und zwei horizontalen Strichen eine einfache Tastatur auf den Block zu zeichnen. Im Anschluss kann er darauf klimpern, Instrumenten- und Rhythmusauswahl inklusive. Spannend könnte auch die als englischsprachiges Demo bereitgestellte Übersetzerfunktion werden: Man schreibt ein Wort auf, und der Stift übersetzt es in die gewählte Sprache (Spanisch oder Mandarin), inklusive Aussprache. Leider gibt es diese Funktion bisher nur als Demo mit nur wenigen Einträgen.

Fazit: Arbeitsgerät mit viel Potenzial

Nicht nur für Studenten und Journalisten: Für den Livescribe Smartpen gibt es zahlreiche Anwendungsszenarien.
Foto: Livescribe

Dem Livescribe Pulse gelingt auf Anhieb etwas, was in der heutigen technikverliebten Zeit selten ist - die Außenwelt in Erstaunen zu versetzen. Doch der Stift ist weit mehr als nur ein Gadget, sondern ein wertvolles Arbeitsgerät mit enormen Potenzial. Sollte es dem Hersteller gelingen, Größe und Preis weiter zu reduzieren (Livescribe selbst peilt für den Massenmarkt einen Preis von rund 50 Dollar an), könnte das Gerät schon bald - wie einst der Taschenrechner - zur Standardausrüstung von Schülern, Studenten, Journalisten und anderen Berufsgruppen werden.

Doch man könnte sogar noch weiter spekulieren: Genauso wie denkbar ist, dass die Intelligenz des Smartpen in ein via Bluetooth angebundenes Smartphone wandert, könnte der Stift selbst mit einem GSM-Modul versehen zum Handy werden - zum Wählen wird die Rufnummern einfach auf ein Papier geschrieben.

Technische Daten

  • ARM9-Prozessor

  • 96 x 18 OLED-Display

  • Kopfhörerbuchse für 3D-Aufnahme-Headset

  • 2 oder 4 GB NAND-Speicher (mehr als 200 bzw. 400 Stunden Audioaufnahme)

  • 300mAH-Litium-Akku (nicht auswechselbar)

  • 155 mm lang, 14 bzw. 16mm dick

  • 36 Gramm schwer

    Preis: rund 140 Euro