Die Software rückt in den Vordergrund

Lernen aus dem Blackberry-Debakel

02.08.2012 von Bashyam  Anant
Umdenken tut Not: Immer häufiger sind Innovationen bei der Software die Vorraussetzung für den Erfolg von Hardwareherstellern.
Research in Motion hat erst spät die Signale erkannt und wirbt nun um die Unterstützung von Entwicklern.

RIM (Research In Motion) hat kürzlich einen Prototyp der neuen Blackberry-Hardware und -Software vorgestellt. Damit hofft das Unternehmen, die Smartphone-Verkäufe weltweit wieder anzukurbeln. Es scheint, als ob die bisherige Konzentration von RIM auf die Blackberry-Hardware sich als Irrweg erweisen könnte: Das Blackberry ist gegenüber dem iPhone von Apple und den diversen Android-Modellen ins Hintertreffen geraten, denn diese lassen sich mit Software-Apps viel stärker individuell an die Anforderungen der Benutzer anpassen und erschließen gleichzeitig neue Einnahmequellen.

Anwendungen tragen aber nicht nur zur Differenzierung der Mobiltelefone bei. Sie selbst machen einen zehn Milliarden Dollar schweren Markt aus. RIM hatte daran bislang kaum einen Anteil. Ironischerweise hat das ursprüngliche Blackberry dabei seinen sagenhaften Erfolg einer Anwendung zu verdanken: dem E-Mail-Dienst. Die frühere Hochburg des Blackberry als Gerät, das bevorzugt in Unternehmen eingesetzt wird, wurde ebenfalls vom iPhone eingenommen: Heute ist das iPhone das Aushängeschild von "Bring Your Own Device"-Programmen, mit denen IT-Abteilungen ihren beruflichen Anwendern ermöglichen, persönliche Geräte für den Zugriff auf Unternehmensdaten und -anwendungen zu nutzen. Die Funktionen spezialisierter Devices - beispielsweise des Blackberry - werden von universellen Geräten - wie dem iPhone - einfach mit abgedeckt. Der Grund sind die Anwendungen, ein Punkt, auf den später noch eingegangen wird.

Dies hat auch RIM erkannt und bemüht sich, den Rückstand aufzuholen. Unter anderem möchte die Company Anwendungsentwickler mit Garantien über 10.000 Dollar für seine neue Blackberry10-Plattform interessieren. Es scheint an der Zeit zu sein, dass Hersteller aus anderen Branchen der Tatsache Beachtung schenken, dass der Erfolg der Hardware zunehmend von Anwendungen abhängt. Viele Hersteller verfahren bislang nach der Devise "Stahl schafft Werte. Software ist nur Beigabe." Diese Devise ist nicht nur überholt. Sie ist der Sargnagel für den geschäftlichen Erfolg.

Den Wert der Software erkennen

Wie verhalten sich also zukunftsorientierte Gerätehersteller? Ganz einfach: Sie erkennen den Wert der Software und verfolgen innovative Ansätze, um diesen Wert zu schöpfen. Ein Beispiel im TK- und Netzwerkbereich ist der Femtozellen-Hersteller Ubiquisys. Eine Femtozelle ist eine kleine Funkzelle, mit der Mobilfunkbetreiber auch schwierig erreichbare Orte erschließen können - zum Beispiel innerhalb von Gebäuden. Hierzu wird das Mobilfunknetz in ein Breitbandnetz eingebunden, sodass die Verbindung aus dem Mobilfunknetz unterbrechungsfrei übergeben werden kann - beispielsweise an das Breitbandnetz eines Gebäudes.

Für den Erfolg von Ubiquisys war die Softwarestrategie entscheidend. Ubiquisys hat die Steuerungslogik der Femtozelle von der zugrundeliegenden Hardware entkoppelt und einen Software-Stack erstellt, der bestimmte Funktionen ermöglicht: Spektrumsoptimierung, ein selbstorganisierendes Femtozellenraster, Content Caching, Videoanpassung und Software-Lifecycle-Management. Ubiquisys ist damit in der Lage, Funktionsmerkmale zusammenzustellen und abzustimmen, um Produkte für unterschiedliche Marktsegmente zu liefern, beispielsweise im privaten, geschäftlichen oder ländlichen Bereich.

Darüber hinaus ist eine differenzierte Preiskalkulation möglich. So kann man beispielsweise eine Femtozelle kaufen, die acht oder 16 gleichzeitige Mobilfunkverbindungen unterstützt - ohne die Hardware zu ändern. Ein softwarebasiertes Konzept ermöglicht zudem die Integration einer Femtozelle in einen Breitbandrouter. Das spart dem Kunden Platz, Administrationsaufwand und Energiekosten. Ein für bestimmte Zwecke vorgesehener Router wird so zu einer Breitbandplattform, die Softwarefunktionen zur Verfügung stellt, unter anderem Femtozellen. Kurz gesagt: Dank einer softwarebasierten Produktstrategie kann Ubiquisys Einnahmen maximieren, indem das Unternehmen Produktvarianten schnell und kostengünstig entwickelt.

Ubiquisys und ähnliche Hersteller verdeutlichen drei Stufen des softwaregesteuerten Veränderungsprozesses der Gerätehersteller:

1. Hersteller entkoppeln die Geräteintelligenz von der darunter liegenden Hardware. Garmin und Magellan haben etwa die Funktionen zur Standortbestimmung von ihren proprietären Geräten entkoppelt und als Apps bereitgestellt, die vergleichbare Funktionen auf einem Smartphone bieten. Im Telekom- und Netzwerkbereich entkoppeln Unternehmen wie Vyatta und Riverbed Technologies ihre Routing- und Sicherheitsfunktionen von der Hardware. So stellen sie reine softwarebasierte Lösungen bereit, die "provisioniert, lizenziert, fakturiert und nach Bedarf skaliert werden können und das Netzwerk zu einer Anwendung machen" . Nordictrack, ein Hersteller von Laufbändern, hat die Steuerungslogik seiner Laufbänder auf eine Software umgestellt, die auf einem Android-Tablet läuft.

2. Die Entkopplung der Gerätelogik von der zugrunde liegenden Hardware ermöglicht es in einem zweiten Schritt, ein Ökosystem aus Anwendungen aufzubauen. Ein softwaregesteuertes Networking, wie von Vyatta und Riverbed gezeigt, macht die Einrichtung eines "App Store for Networking" möglich. Routing, Switching, Firewall, Load Balancing und WAN-Optimierung stehen damit als Apps zur Verfügung, die auf Standardservern miteinander kombiniert und aufeinander abgestimmt werden können. Im vertikalen Markt der industriellen Automatisierung entkoppeln Hersteller wie Cognex die Bildverarbeitungs-Funktionen von der zugrundeliegenden Hardware, um ein offenes Ökosystem von Geräten und Anwendungen in der Fertigung zu schaffen, das nach dem Plug & Play-Prinzip kombinierbar ist.

3. Die allgegenwärtige Anbindung von Geräten an das Internet ermöglicht Modelle nach dem Konzept "Hardware plus Software plus Services". Ford bietet mit seinem Sync-Dashboard-System personalisierte Verkehrsmeldungen und Berichte zum Fahrzeugzustand an. Hierzu werden Daten mit den Fahrzeugen ausgetauscht.

Zudem arbeitet Ford mit einem Autoversicherer zusammen, um die Fahrleistung nachzuverfolgen und weiterzumelden, damit gegebenenfalls. eine bessere tarifliche Einstufung erfolgen kann. Die Laufbänder von Nordictrack übertragen Trainingsdaten an eine Cloud-basierende Anwendung, mit der man individuelle Trainingsprogramme erstellen und auf das eigene Laufband herunterladen kann sowie die Möglichkeit hat, gegen andere Läufer anzutreten.

Diese intelligenten Services erschließen zusätzliche Einnahmequellen über den ursprünglichen Verkauf von Hardware und Anwendungen hinaus. Ein Hersteller medizinischer Geräte erwirtschaftet derzeit 60 Prozent seiner Umsätze mit Geräten und 40 Prozent mit Dienstleistungen. Diese Verteilung soll durch Entwicklung Internet-fähiger und initiativer Wartungsdienste für Krankenhäuser umgekehrt werden. Es ist keine Überraschung, dass Mobilfunkbetreiber wie Verizon in Richtung Machine-to-Machine-Services expandieren: Verizon hat Hughes Telematics übernommen und sich so in den Markt für Automotive Infotainment und mobile Gesundheitsdienste eingekauft.

Anforderungen für ein softwaregesteuertes Geschäftsmodell

Geräteherstellern winken attraktive Umsatzsteigerungen durch Umstellung auf ein softwaregesteuertes Geschäft. Es bleibt allerdings die Frage nach dem richtigen Weg dorthin zu klären. Nach unserer Erfahrung werden Gerätehersteller bei der Umstellung auf ein softwaregesteuertes Geschäftsmodell vor folgende Anforderungen gestellt:

1. Schutz des geistigen Eigentums. Was für Softwarehersteller eine Selbstverständlichkeit ist, ist für Gerätehersteller noch Neuland. Das gilt insbesondere für diejenigen, die das Konzept "nur Software, keine Hardware" verfolgen, wie Vyatta.

2. Geschäftsmodelle überdenken. Hier geht es darum, wie Kunden Produkte einsetzen und dafür zahlen wollen. Ein softwaregesteuertes Geschäft zeichnet sich durch enorme Flexibilität aus: Try-Before-You-Buy, Abomodelle, Freemium-Modelle, Pay-By-Use, Dauerlizenzen usw. In einer aufschlussreichen Meldung hat Google Play (Androids App-Store-Pendant) die Einführung von Abo-Geschäftsmodellen angekündigt, damit "Entwickler das In-App-Billing nutzen können, um monatliche Abos aus ihren Apps heraus zu verkaufen. Alle Abos erneuern sich automatisch für jede App, für jedes Spiel und für jede Art von Aboprodukt. Die Entwickler legen einfach den Preis und das Abrechnungsintervall fest. Google Play übernimmt dann die Kauftransaktionen - ebenso wie für andere In-App-Produkte und App-Käufe".

3. Automatisierung des gesamten Software-, Geräte- und Berechtigungs-Lifecycle aus der Perspektive des Endanwenders heraus. Diese Lifecycle-Prozesse umfassen Softwareinstallation, Gerätebereitstellung, Softwareaktivierung, Abomanagement, Softwareupdates, Upgrades und sonstige Änderungen an den Berechtigungen. Internet-Connectivity ist eine wesentliche Voraussetzung für Firmware-Updates und Software-Updates zusätzlich zu Uploads/Downloads, die das Kernstück intelligenter Services sind.

Auf dem Weg zu einer zunehmend softwaregesteuerten Welt werden diejenigen Hersteller hinter ihre Wettbewerber zurückfallen, die ihre Chancen nicht erkennen, Umsätze und Kundenzufriedenheit zu steigern. Wie heißt es so schön: "Wer nicht vorsorgt, hat das Nachsehen." Mit Blick auf die Schwierigkeiten von RIM ist das ein Rat, den jeder Hersteller intelligenter Geräte beherzigen sollte, der nicht bereits eine Strategie für unsere heutige softwarezentrische Welt entwickelt hat. (mb)