IBM-Anwenderkongreß zeigt, daß das mittlere Management am schwierigsten zu motivieren ist:

Konstruktion noch wie zu Kaisers Zeiten

29.01.1982

Ohne CAD-System unterscheidet sich das Konstruktionsbüro unserer Tage in seinen Arbeitsmitteln fast gar nicht von dem des Jahres 1910, sieht man einmal von so "gewichtigen" Innovationen wie der Mechanik des Reißbrettes oder der Art des Zeichenpapiers ab. Diese Anmerkung - sie war auf einem IBM-Anwenderkongreß in Garmisch-Partenkirchen zu hören - verdeutlicht, wie groß in den Konstruktionsbüros der Nachholbedarf inzwischen geworden ist. Doch bringt das Computer Aided Design unterm Strich wirklich Nutzen, oder fressen vielleicht ganz neue Probleme den Rationalisierungseffekt wieder auf?

Überraschungen kann es bei der Einführung von CAD allemal geben, wie ein Referat von Helmut Wassermann, bei Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in Ottobrunn für CAD/ CAM-Projekte zuständig, zeigte; Überraschungen in dem Sinne, daß für wichtig gehaltene Probleme sich später als klein, kaum beachtete Punkte aber als ernste Stolpersteine erweisen können.

So arbeitet MBB seit mehreren Jahren mit dem IBM-Programmsystem Cadam beziehungsweise Codem und konnte dabei die Erfahrung machen, daß

- die Schulung des Anwenders,

- die Akzeptanz durch den Anwender und

- die technische Integration kein Problem mehr darstellen. Sehr wohl gibt es aber Probleme bei

- der Information der nur mittelbar Beteiligten,

- der Motivation des mittleren Managements,

- der Bewältigung der einzelnen organisatorischen Folge-Auswirkungen der CAD-Einführung und

- "der Darstellung der Wirtschaftlichkeit", wie Wassermann sich ausdrückte.

Zur weiteren Steigerung eben dieser Wirtschaftlichkeit des Systems will MBB jetzt auch eine "versetzte Arbeitszeit" einführen, die in etwa einem Schichtdienst vergleichbar sein soll. Gleichzeitig wird ein weiterer Ausbau des vorhandenen Systems für nötig gehalten, was hardwareseitig zum Beispiel neue Bildschirme heißt. Die Relation Mitarbeiter pro Bildschirm muß optimiert werden.

Transfer zur Fertigung

Weitere Ausbauplane des innovativen Konzerns betreffen die Anbindung bereits vorhandener DV-Programme (MBB arbeitet schon seit den 60er Jahren mit teilweise selbstentwickelten grafischen Verfahren) an Cadam, den Ausbau des Datentransfers zu den Fertigungshallen und natürlich auch die Weiterentwicklung der Systeme in Richtung Strukturmechanik und dreidimensionale Körpergeometrie.

Zwei grafische Bildschirmsysteme, IBM 3250, eine 4331/1 mit 1 MB und OS/VS1 sowie ein Calcomp-Plotter 960 und weitere Peripherie stellen die Anlage dar, auf der Steyr-Daimler-Puch im Österreichischen Steyr mit Codem-Software arbeitet. Dabei fand der CAD-Verantwortliche Wolfgang Leitner bereits nach sechs Monaten Einsatz seine Hoffnungen auf eine merkliche Beschleunigung des Konstruktionsablaufs bestätigt: Der Zeitgewinn liegt bei Erstkonstruktionen etwa bei einem Faktor zwei bis drei und bei "Ausnutzung der Möglichkeiten der Parameterkonstruktion" (mehrere Varianten einer Grundkonstruktion) sogar maximal bei einem Faktor 20.

Die österreichischen Kugellager-Techniker stellten fest, daß zur CAD-Schulung etwa 15 bis 20 Stunden pro Konstrukteur benötigt wurden. An der Bildschirmauslastung von 85 Prozent liest Leitner ab, daß die Konstrukteure ihr neues Werkzeug akzeptiert haben. Womit er zugleich sich selber zu seinem aufwendigen Beschaffungsverfahren gratulieren kann:

Nicht weniger als zehn CAD-Angebote hat die Steyr-Daimler-Puch AG studiert, mit Eigenkonstruktionen getestet und überdies herumgehorcht, wie zufrieden andere Anwender mit ihren bereits arbeitenden Systemen der einzelnen Anbieter waren.

Straken nur numerisch

Alle Tätigkeiten, die mit der Planung und Ausführung von strömungsgünstigen Oberflächen zu tun haben, bezeichnen die Flugzeug- und Schiffskonstrukteure als "Straken". Diese Flächen lassen sich nicht durch mathematische Funktionen, sondern nur durch numerische Darstellungsmethoden exakt beschreiben.

Zwar gab es entsprechende numerische Methoden schon vor 50 Jahren, erinnerte sich Jürgen Nagel, der Leiter der Konstruktions-Datenverarbeitung bei Dornier, Friedrichshafen, doch damals konnte man den großen Rechenaufwand einfach nicht bewältigen und stellte die Außenform von Flugzeugen deshalb nur in Form von Aufrissen dar. Erst in den 50er Jahren konnte man diese Strak-Rechnerei dann allmählich Computern übertragen.

Drückende Speicher-Knappheit

Zunächst mußten Strak-Tätigkeiten wie Glätten, Interpolieren und andere noch der Reihe nach hintereinander ablaufen, weil man noch unter drückender Hauptspeicher-Knappheit litt. Vor acht bis neun Jahren konnten diese Teilprogramme jedoch zu einem "Prozessor" zusammengefaßt werden, für den eine Batch-Sprache namens "G3D" entworfen wurde. G3D lehnt sich an APT an, was wiederum zum Programmieren numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen dient.

Baut man ein Flugzeug, so braucht man dafür vielerlei Schablonen, Laminierformen und Lehren. Lauter Fertigungsmittel also, die selber überwiegend Strak-Konturen aufweisen und die früher einfach nach Zeichnungen gefertigt wurden. Doch die damit erzielbare Genauigkeit reicht im modernen Flugzeugbau nicht aus, zumal moderne, kohlenfaserverstärkte Kunststoffe auch nicht nachträglich auf Paßgenauigkeit hingebogen werden können wie etwa Bleche. Deshalb geht es heute ohne NC-Werkzeugmaschinen höchster Exaktheit nicht mehr.

Während nun die APT-Programmierung allenfalls noch für gefräste Bauteile ausreicht, erläuterte Nagel, muß man bei Fertigungsmitteln wie Formen mit starken Krümmungsänderungen, Unstetigkeiten und gar dem komplizierten Verschnitt mehrer Strak-Flächen den exakten Werkzeug-Verfahrweg mittels G3D ermitteln. Nur hat auch G3D einen Nachteil: Es ist schwer, mit diesem nichtinteraktiven System auch bei kurzen Programmierzeiten hohe "Trefferquoten" zu erzielen. Gerade darauf kommt es beim Herstellen von Fertigungsmitteln aber besonders an, da von ihnen im allgemeinen höchstens zwei Teile gefertigt werden müssen. Diese dienen dann als Lehren für die Fertigung der eigentlichen Flugzeug-Teile.

Deshalb setzt Dornier jetzt das grafisch-interaktive System APL/APT mit einer Reihe eigener Weiterentwicklungen ein, wobei die Wahl gerade wegen der Erweiterungsmöglichkeiten - es sollte auch die volle G3D-Leistung bieten - auf APL/APT fiel. Nagel gab einen um etwa 270 Grad gewundenen Kanal als Beispiel an (Abbildung), für dessen Herstellung Werkzeuge benötigt wurden, die nur auf einer vierachsigen NC-Maschinen gefertigt werden konnten. Nun war zwar kein Geometrie-Prozessor für die NC-Programmierung derartiger Aufgaben vorhanden, doch es gelang den Dornier-Konstrukteuren den APL/APT-Prozessor um entsprechende Elemente zu erweitern und dann die Kanal-Teilesoftware grafisch-interaktiv zu programmieren.