Konsolidierungswelle erfasst IT-Töchter

16.06.2003 von Joachim Hackmann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Thyssen-Krupp-Konzern will seine IT-Tochter Triaton verkaufen. Die Entscheidung könnte der Auftakt zu einer breiten Konsolidierungswelle unter den IT-Ausgründungen sein.

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IT gehört nicht zum Kerngeschäft von Industriekonzernen und lässt sich bei Bedarf versilbern. Diese Erfahrung musste kürzlich der IT-Dienstleister Triaton machen. Während einer Aufsichtsratssitzung Mitte Mai entschloss sich das Top-Management der Thyssen-Krupp AG, sich von insgesamt 33 Geschäftsfeldern zu trennen, in denen etwa 30.000 Mitarbeiter rund sieben Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erzielen. Unter den genannten Geschäftsfeldern fand sich auch die Triaton GmbH wieder, die sich als ausgegründete IT-Tochter eines Großkonzerns im IT-Dienstleistungsgeschäft recht gut behauptet hat. Immerhin nahm der Krefelder Outsourcing-Spezialist im letzten Jahr rund 360 Millionen Euro ein, davon rund 56 Prozent außerhalb des Konzerns und fuhr eigenen Angaben zufolge auch Gewinne ein. Eine stolze Bilanz. Nur die Schwergewichte T-Systems und Siemens Business Services (SBS) waren bei der Akquise von Kunden außerhalb des Konzerns erfolgreicher.

Doch Meriten der Vergangenheit zählen nicht, wenn das Kerngeschäft der Konzernmutter lahmt. „Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist ein Trend zur kritischen Überprüfung des Unternehmensportfolios zu beobachten. In vielen Fällen resultieren hieraus Beteiligungsverkäufe, teils auch um die Schuldenquote zu senken.“ erläutert Peter Kreutter vom „Institute for Industrial Organization“ der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Koblenz, das an einer Studie über strategische Handlungsoptionen für Konzern-IT-Töchter arbeitet.

Die Aktivitäten von Thyssen-Krupp passen ins Bild. Erst kürzlich hatte eine Rating-Agentur die Bonität des Konzerns herabgestuft, Kredite werden für den Konzern demnach teurer. Hinzu kam, dass die US-amerikanische Administration drohte, Thyssen-Krupp bei der Vergabe von Regierungsaufträgen auszulassen, solange der Iran bedeutende Anteile am Industriekonzern hält. Thyssen-Krupp kaufte den Persern daraufhin Aktien für mehr als 400 Millionen Euro ab, und benötigt nun Bares. „Alles, was nicht zum Kerngeschäft zählt, steht in solchen Fällen zur Disposition“, berichtet Kreutter.

„Für die Kunden ist das eine positive Nachricht“, bemüht sich Peter Chylla, Geschäftsführer der Triaton GmbH, Zweifel zu zerstreuen. „Sie haben künftig die Gewissheit, IT von einem Lieferanten zu beziehen, der dies als Kerngeschäft betrachtet.“ Doch ganz so einfach stellt sich das in der Praxis nicht dar. Alfons Wahlers, Leiter Organisation und Informationssysteme bei der Keiper GmbH & Co., Kaiserslautern, mag dieser Argumentation nicht vorbehaltlos folgen: „Ich akzeptiere die Entscheidung von Thyssen-Krupp und kann sie nachvollziehen. Wäre sie jedoch während der Ausschreibungsphase gefallen, hätte wir den Vertrag vermutlich nicht unterschrieben.“ Die Keiper Recaro Gruppe hatte erst im März der IBM-Tochter IBB GmbH den Rücken gekehrt und sich für Triaton als Outsourcing-Partner entschieden. Wichtiges Argument war

die Kompetenz im Bereich Automotive, und die wird Keiper auch weiterhin einfordern. „Ich wäre auch nicht besonders glücklich darüber, wenn Triaton zu einem Unternehmen wechselte, das wir in der Ausschreibungsphase ausgeschlossen haben.“

Bislang steht jedoch nur die Absichtserklärung, das Unternehmen verkaufen zu wollen, im Raum. Einen konkreten Zeitplan gibt es bislang nicht. Doch dürfte es auch nicht allzu viele Interessenten geben. IBM und EDS sind naturgemäß Unternehmen, die in solchen Fällen genannt werden, doch Big Blue ist in Deutschland mit Rechenzentren gut bestückt und im US-amerikanischen Top-Management von EDS dürfte die Bereitschaft begrenzt sein, eine Akquisition in Deutschland zu finanzieren, nachdem sich schon die Systematics-Integration als ungeahnt schwierig erwies. T-Systems und SBS sind zwei weitere Unternehmen, die die Größe hätten, Triaton zu schlucken, doch beide haben - wenn überhaupt Geld vorhanden ist - vornehmlich außerhalb Deutschlands Handlungsbedarf. Accenture will zwar im deutschen Outsourcing-Markt wachsen, allerdings nicht in dem für

Rechenzentrums-Betriebsdienste, in dem wiederum Triaton ihre Stärken hat.

Zahl der Interessenten ist begrenzt

Bleiben CSC Ploenzke und Cap Gemini Ernst & Young. Beide haben Nachholbedarf im deutschen Outsourcing-Markt, Cap Gemini könnte allerdings der chronische Geldmangel ausbremsen. Schließlich gibt es noch Hewlett-Packard (HP). Dort sind Geld und Ambitionen vorhanden. Zudem könnten derzeit nicht im deutschen Markt aktive Outsourcer über Triaton den Markteintritt suchen.

Die potenziellen Interessenten können sich allerdings Zeit lassen: Die bevorstehende Bereinigung im Markt für IT-Ausgründungen dürfte ihnen noch einige Schnäppchen bescheren. „Ich habe schon immer gesagt, der Konsolidierungsdruck wird zunehmen. Es gibt zu viele IT-GmbHs in Deutschland“, behauptet Chylla, „Triaton ist das erste Unternehmen, das es trifft. Weitere werden folgen. Man kann nicht darauf vertrauen, dass IT-Ausgründungen langfristig am Markt aktiv sind.“

Die Reihen der IT-GmbHs mit Ambitionen im Drittmarkt haben sich ohnehin bereits gelichtet. Neben Triaton, T-Systems und SBS gibt es noch die Deutsche Börse Systems, die Lufthansa-Tochter LH Systems und die Gedas AG aus dem Volkswagen-Konzern, die nennenswerte Einnahmen mit Kunden jenseits der Muttergesellschaft erzielen. Des Weiteren setzt BASF IT Services deutliche Zeichen im deutschen IT-Dienstleistungsmarkt. Die Ludwigshafener stellen derzeit sogar Vertriebsmitarbeiter ein. Andere, wie etwa die Eon-Tochter is:energy, sind infolge von Fusionen und Desinvestitionen mit internen Aufgaben ausgelastet. „Durch den Erfolg des Eon-Konzerns wurden unsere Ressourcen stärker gebunden, als ursprünglich

geplant“, erläutert Werner Hecker, Geschäftsführer der is:energy GmbH, Hannover. „Unser Ziel lautet nach wie vor, 25 bis 30 Prozent vom Umsatz mit Kunden außerhalb des Konzerns zu machen. Wir wollen uns aber nicht festlegen, wann wir diese Quote erreichen werden.“

Allerdings lehrt das Beispiels Triaton auch, dass Erfolg im Drittmarkt keineswegs Schutz vor dem Verkauf bedeutet, denn auf Konzernseite gelten andere Entscheidungsmechanismen. Die Konjunkturkrise zwingt die Muttergesellschaften zunehmend dazu, sich intensiver um das Kerngeschäft zu kümmern. „Der Druck von außen, insbesondere von Analysten, ist groß. Die Konzernverantwortlichen müssen entscheiden: Was ist das richtige Portfolio“, räumt Chylla ein.

Kein Geld für IT-Töchter

In solchen Fällen schlägt die Stunde der Finanzvorstände. Ihnen obliegt die Aufgabe, die einzelnen Unternehmensbereiche genau und kritisch auf Wertbeitrag und Wachstumspotenzial zu durchleuchten. „Konzernnahe IT-Dienstleister werden unter diesen Gesichtspunkten einen schwereren Stand haben,“ erläutert Kreutter. „Sie sind im Vergleich zu anderen Geschäftsfeldern im Konzern zumeist relativ klein und überproportionales Wachstum lässt sich im reifen IT-Markt meist nur durch Verdrängung beziehungsweise Zukäufe erzielen. Das kostet Geld. Spätestens wenn für notwendige weitere Wachstumsschritte größere Investitionen erforderlich sind, wird das Top-Management gerade in Zeiten knapper Konzernbudgets eher die großen Kerngeschäftsfelder als die ungeliebten IT-Töchter versorgen, die konzernstrategisch überwiegend in der zweiten Reihe stehen.“

Schwierige Preisfindung

Als Bestätigung dieser These mag die bislang spektakulärste Abwicklung einer deutschen IT-Ausgründung gelten: Im März 2000 verkaufte der Daimler-Chrysler-Konzern das Debis Systemhaus für rund 5,5 Milliarden Euro an die Deutsche Telekom mit der Begründung: Es sei nicht mehr im Interesse des Konzerns, im IT-Bereich Kapital zu binden. Auch Triaton-Chef Chylla schließt sich der Argumentation an: „Wir haben Zukunfts- und Expansionspläne entwickelt, die Investitionen erfordern. Der Konzernspitze obliegt die Aufgabe, den Mittelzufluss zu steuern. In diesem Prozess ist es zu der bekannten Entscheidung gekommen.“

Vor einer Veräußerung scheint in diesem Markt niemand gefeit, das belegen auch die immer wiederkehrenden Verkaufsgerüchte um Marktführer T-Systems und SBS. Bisher vollzog sich der Konsolidierungsprozess wohl auch deshalb nur in geringerem Umfang. Die Deutsche Bank trennte sich von ihrem Desktop-Support-Dienstleister Sinius, der zu SBS wechselte. Zudem übernahm IBM die Rheinmetall Informationssysteme GmbH (RIS). RIS hatte zwar keine Drittmarkt-Ambitionen, ist aber auch Beleg dafür, das sich Unternehmen schnell von ihren IT-Aktivitäten trennen, wenn sie sich im Kerngeschäft neu orientieren. Im November 2002 unterzeichneten IBM und Rheinmetall den Kaufvertrag. Im darauffolgenden Februar stärkte sich der Rüstungskonzern mit der Übernahme weiterer Anteile an der Euromarine Electronics GmbH.

Über finanzielle Details schwiegen sich IBM und Rheinmetall wohlweislich aus, denn generell ist die Preisfindung für IT-GmbHs ein heikles Thema. Die Verkäufer erwarten viel, insbesondere wenn die Tochter im Drittmarktgeschäft aktiv war. „Es wird sich zeigen müssen, wie lange große, ausländische IT-Dienstleister bereit sind, über den objektiven Wert hinaus hohe strategische Prämien für den Markteintritt beziehungsweise höhere Marktanteile in Deutschland bezahlen. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, könnte sich so mancher Konzernlenker allerdings wundern, wie weit der tatsächlich mögliche Verkaufserlös von den eigenen Vorstellungen entfernt ist“, berichtet Kreutter. Anderen Quellen zufolge stehen die IT-Ausgründungen jedoch oftmals sehr niedrig bewertet in den Büchern der Konzerne. Je höher der Verkaufspreis, desto größer ist der außerordentliche Erlös in der Bilanz.

Die Service-Provider rechnen hingegen anders, sie interessiert das Drittmarkt-Geschäft der IT-GmbHs in der Regel nicht, weil es bei den meisten vernachlässigbar gering ist. Sie betrachten derartige Transaktionen unter klassischen Outsourcing-Aspekten: Je höher und langfristiger die Abnahmegarantien vom Konzern, desto mehr sind sie bereit zu zahlen. Allerdings eröffnet diese Argumention eine neue (alte) Diskussion, nämlich welche Bedeutung die IT für das Kerngeschäft der Konzerne hat.