IMS-Datenbank-Announcement wird von den Benutzern mit Skepsis betrachtet:

Koexistenz von IMS und DB2 ohne Praxisbezug

19.08.1983

STUTTGART-Overheadgeplagte IMS-Anwender feierten die neue relationale IBM-Datenbank "Database 2" (DB2) bei deren Ankündigung Mitte Juni als "Future-Software und "Allheilmittel". Jetzt scheint die Euphorie bereits verflogen. Die fehlenden Integrationsmöglichkeiten zu den bisherigen hierarchischen Systemen sowie ein vermeintlich hoher Speicherbedarf verbauen nach wie vor den Ausweg aus der IMS-Sackgasse. Datenbank-Profis meinen zudem, daß DB2 für eine Hardware konzipiert sei. die es noch gar nicht gebe. Das IBM-Announcement wird deshalb vorrangig unter "Durchhalte"-Aspekten gesehen.

Das DV-Management des ersten und bisher einzigen DB2-Benutzers der Hamburger Esso AG, gibt sich zu Fragen über seine First-Shipment-Anwendung noch äußerst zugeknöpft. Wie bei "blauen" Testinstallationen üblich, hat die IBM auch den Hanseaten einen Maulkorb verpaßt.

So kommt denn auch nur Positives über die offiziellen Informationskanäle des Mineralölkonzerns: "DB2 ist mit Sicherheit das Softwareprodukt der Zukunft", konstatiert der ranghöchste Esso-Datenverarbeiter Klaus Dahncke. Daß aber auch die Hanseaten nur bedingt mit ihrer neuen Datenbank zufrieden sind, läßt sich einigen Äußerungen des DV-Chefs entnehmen. Für den Einsatz relationaler DB-Systeme fehle noch der komplette Rahmen aus Betriebssoftware (XA) und modernen Hardwarekonzepten.

Zudem scheint sich an der Elbe zu bestätigen, was Datenbankprofis bereits beim DB2-Announcement prophezeiten. Das neue IBM-Produkt verursache, wie sein kleiner DOS-Bruder "SQL/DS" (Structured Query Language/Data System), einen erheblichen Maschinenoverhead. Dem Vernehmen nach lassen die Esso-Verantwortlichen derzeit untersuchen, ob es sinnvoll ist, einen zweiten Rechner nur für die DB2-Anwendungen einzusetzen.

Solche Nachteile treffen vor allem IMS-Anwender, die mit ihrem System Kapazitätsgrenzen erreichen und von der IBM schon seit längerem eine Alternative fordern. Vor allem bei Online-Anwendungen stoßen diese zunehmend auf "logische Grenzen" und klagen über schlechte Anwortzeiten.

Sie sehen sich häufig in einer Entwicklungssackgasse, da ihre hierarchisch strukturierte Datenbank den heutigen Anforderungen an eine stärkere Integration der Daten und eine größere Flexibilität bei der Datenbank nicht mehr gerecht wird.

Zumindest hinsichtlich mangelnder Flexibilität könnte Database 2 jetzt Abhilfe schaffen. Aber auch dieses Bonbon enthält für IMS-User einige Bitterstoffe. Als größtes Manko sehen IMS-Datenbanker, daß DB2 nicht in ihr derzeitiges DB-System integriert werden kann. Das neue IBM-Produkt könne man nämlich nur als Subsystem neben IMS fahren. Damit werde die relationale Datenbank zu einem Teil des Gesamtsystems degradiert, sagt der DB/DC-Spezialist der ADV/Orga GmbH in Wilhelmshaven, Mario Zaleski. Wichtig an einer Datenbankanwendung sei jedoch, daß die Koexistenz der Daten gewährleistet sein müsse. Fahre der Benutzer zwei DB-Systeme nebeneinander, ließe sich dieses Ziel kaum erreichen. Bekräftigt Zaleski: "Die Koexistenz von DB2 und IMS trügt."

DB2 langfristig kein IMS-Ersatz

Daß sich Database 2 langfristig als IMS-Ersatz herausstellen könnte, wird von DB-Profis angezweifelt. Das relationale Konzept sei für reine Produktionsaufgaben völlig ungeeignet. In Unternehmen, wo Massendaten anfallen, müsse man weiterhin auf den "DB-Großvater" IMS zurückgreifen. Dadurch werde der Benutzer künftig gezwungen, DV-Produktion und -Information in seiner Anwendung als getrennte Bestandteile zu behandeln. Eine klare Aussage über die "politische Einordnung" von DB2 trifft auch der Marktführer in einem internen Announcement-Papier. O-Ton aus Stuttgart: "IMS-DB bleibt das Schlüsselangebot der IBM für operationale Datenbankanwendungen im Großsystembereich, genau wie DL/ 1 im mittleren Systembereich."

Nach Ansicht von Hartmut Skubch, DB/DC-Spezialist beim EDV-Studio Ploenzke in Wiesbaden, stellt Database 2 somit nur eine Verlagerung des Zentralproblems der IMS-Anwender dar. Ansatzpunkte finden DB2-Kritiker auch in der Aussage der IBM, die neue relationale Datenbank könne problemlos auf der gleichen Maschine laufen wie IMS. Dies sei eine rein theoretische Feststellung, denn DOS-Anwender, die heute bereits das kleine DB2-Pendant SQL/DS einsetzten, hätten ihr Datenbanksystem schon längst als "Ressoursenfresser" ausgemacht. Auch die IBM soll schon mal davon abraten, SQL/DS in performance-intensiven Umgebungen einzusetzen.

Wie Big-Blue-Konkurrenten aus dem DB-Lager bekräftigen, hätten alle relationalen Datenbanken gemeinsam, daß sie gegenüber traditionellen Anwendungen zwar enorm flexibel seien, jedoch unter diesem Plus vornehmlich die Performance leiden würde. Unter Umständen seien gar immense zusätzliche Speicherkapazitäten erforderlich. IBM-Beobachter vermuten, daß auch der mangelnde Verkaufserfolg bei SQL/DS (etwa 170 installierte Systeme) insbesondere mit dem hohen Hardwarebedarf zusammenhänge. Einen Run werde es deshalb auch auf Database 2 nicht geben, da einem Großteil der Benutzer der relationale Datenbankeinsatz noch als zu teuer erscheine. IMS-Anwender wundern sich in diesem Zusammenhang, daß die Stuttgarter bei ihrer DB2-Ankündigung keinerlei Angaben über einen etwaigen Ressourcenbedarf gemacht haben.

DB-Insider gehen davon aus, daß IBM ein Großteil der Performance- und Speicherplatzprobleme mit der 31-Bit-Adressierung über Extended Architecture (XA) ausbügeln könne. Zwar führten die Stuttgarter in ihren Announcementunterlagen als DB2-Aspiranten auch MVS/370-Benutzer an, gaben jedoch von Anfang an zu verstehen, daß die relationale Datenbank erst unter XA zu ihrer vollen Leistung auflaufe. Der Münchner Software-Apostel Harry Sneed sieht indes weniger Extended Architecture als maßgeblich für wirtschaftlich effiziente DB2-Lösungen an, sondern vielmehr eine neue Rechnergeneration. "Eine relationale Datenbank für MVS-User kann aus heutiger Sicht nur eine Zwischenlösung sein", sagt Sneed, "die echte Lösung ist erst in modernerer Hardware zu finden." Der eigentliche "Bottleneck" in den heutigen Anwendungen liege nicht an der Software- hier existieren bereits seit einigen Jahren zukunftsträchtige Konzepte für relationale Datenbanken, die weit über DB2-Erkenntnisse hinausgingen-, sondern an den veralteten Maschinen. Erst die nächste Rechnergeneration, so Sneed, könne den Durchbruch bringen. Der Münchner Softwareprofi wertet DB2 deshalb vorrangig nur als ein "Erziehungsinstrument" der IBM, um die Anwender in Richtung relationale DB-Systeme zu drücken.

Big-Blue-Kritiker vermuten hinter der DB2-Ankündigung außerdem eine clevere Verkaufsstrategie des Marktführers, um das rückläufige Mainframegeschäft anzuheizen.

Indes müssen overheadgeplagte IMS-Anwender noch einige Zeit auf neue Hardware warten. Glaubt man den Prognosen der amerikanischen Marktforschungsgesellschaft Gartner Group, so wird das erste Modell (Codename "Morgan") der bereits mit viel Vorschußlorbeeren bedachten IBM-Future-Serie "Sierra" mit 29 Mips im vierten Quartal 1985 ausgeliefert. Ein halbes Jahr später, so die Gartner-Auguren, wolle Big Blue bereits mit einer 44-Mips-Maschine (Codename "Buckhorn") aufwarten.