Künstliche Intelligenz und die Zukunft des Bezahlens

KI und das Ende der manuellen Prozesse

22.10.2018 von Ralf Ohlhausen
Dieser Artikel wirft einen Blick in die Zukunft und beleuchtet, ob und wie die Bezahlindustrie durch KI gesteuert sein wird und welche Folgen das auch für die Menschen haben wird.

Nach den Angaben des World Payments Reports 2017 von Capgemini und BNP Paribas wird das Online-Bezahlvolumen zwischen 2015 und 2020 global jährlich um fast elf Prozent zunehmen. In den aufstrebenden asiatischen Märkten wird das künftige Wachstum des Bezahlvolumens auf 30,9 Prozent geschätzt.

Wie wird die Zukunft des Bezahlens aussehen?
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In Europa werden Banken mit der Verabschiedung der überarbeiteten Zahlungsdienstrichtlinie (PSD2) und mit der Einführung von Open Banking dazu verpflichtet, regulierten Fintechs den Zugriff auf ihre Online-Banking-Systeme zu erlauben. Damit erhalten Fintechs die Möglichkeit, neue Bezahlprodukte für ihre Bankkunden zu entwickeln. Und es wird erwartet, dass dadurch auch das Volumen der elektronischen Bezahlvorgänge innerhalb der EU deutlich in die Höhe gehen wird.

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Mit der Zunahme des Bezahlvolumens werden sich Zahlungsdienstleister nicht mehr in dem Maße wie bisher auf manuelle Prozesse verlassen können. Egal, worum es geht, ob um Betrugserkennung oder Leadgenerierung - die Branche wird sich mehr und mehr auf künstliche Intelligenz verlegen müssen.

Der Wettstreit um den Kunden

Neigungsmodellierung ist eine statistische Modellierungstechnik, die vergangenes Verhalten berücksichtigt, um vorherzusagen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Verbraucher – oder ein Verbrauchersegment – eine bestimmte Handlung vollziehen wird. Im Marketing und im Customer-Relationship-Management wird es eingesetzt, um die Effizienz von Produkten und Werbung einzuschätzen und die Reaktionen der Verbraucher auf die Veränderungen im Geschäftsmodell eines Unternehmens vorherzusagen.

Im Zeitalter des Open Bankings steht zu erwarten, dass der Wettbewerb zwischen und unter Banken und Drittanbietern (TPPs) ein erbitterter werden wird, wenn es darum geht, den Verbrauchern neue Dienstleistungen anzubieten. Die Banken, die nun nicht mehr auf eine abgeschottete Beziehung zum Verbraucher bauen können, werden schneller handeln und mehr Gewicht auf das Customer-Relationship-Management legen müssen.
Die Zahlungsdienstleister wiederum werden sich schnell bewegen müssen, um sich zu etablieren. Oder aber sie riskieren, den Kampf um die Marktanteile zu verlieren.

Dieser Wettbewerb wird aller Wahrscheinlichkeit nach über das reine Vermarkten von Bezahldienstleistungen hinausgehen. Die enge Beziehung, die ein Drittanbieter zu seinen Kunden pflegt, und die Daten, die dabei abfallen, machen ihn zu einem äußerst wertvollen Mittler für andere Werber in anderen Bereichen. Das stimmt umso mehr, als dass sich die Werbebranche selbst immer weiter in eine KI-gesteuerte und programmatische Zukunft bewegt. Wenn die Verordnung diese Flexibilität erlaubt, so könnte das für viele Drittanbieter eine profitable Erweiterung des Geschäftsfeldes bedeuten.

Doch um diese Vorteile zu erkennen, muss die Bezahlindustrie in der Lage sein, maßstabsgetreue Neigungsmodellierung zu leisten, und zwar nahezu in Echtzeit. Und das wird nur mit einer umfassenden Nutzung von künstlicher Intelligenz möglich sein.

KI und Kundenbeziehung

Es ergibt wenig Sinn, KI zu nutzen, um auf der Grundlage des künftigen Verbraucherbedarfs die Absatzmöglichkeiten einzuschätzen, wenn die Beziehungen zu einem Kunden es nicht hergeben, diese Möglichkeit gewinnbringend zu nutzen. Und wieder gilt: Drittanbieter können es sich vor dem Hintergrund der in den nächsten Jahren vermutlich rapide steigenden Zahl von Transaktionen und Kunden nicht leisten, den größten Teil ihrer Kundenbetreuung manuell abzuwickeln. Arbeitskräfte dafür zu bezahlen, auf das erwartete Anfragevolumen zu reagieren, wäre schlicht zu kostenintensiv; menschliche Arbeitskräfte dafür einzusetzen, Routinefragen zu beantworten, wäre reine Verschwendung.

Chatbots werden in der Finanzbranche bereits weitreichend eingesetzt, um Routineanfragen zu beantworten. Aktuell ist die Rolle, die Chatbots im Bereich des Customer-Relationship-Managements spielen können, begrenzt. Sie sind lediglich in der Lage, auf ein relativ simples Spektrum von Anfragen zu einer begrenzten Themenauswahl zu antworten: “Wie ist mein Kontostand?”, “Wie viel kostet diese Transaktion?”.

Natural Language Processing (NLP), zu Deutsch Natürliche Sprachverarbeitung, ist eine Spielart der künstlichen Intelligenz, die auf Maschinenlernen basiert. Sie ermöglicht es Computern, die menschliche Rede zu verarbeiten und genau zu verstehen, so wie sie gesprochen wird. Um NLP wird derzeit viel Wirbel gemacht, denn Google, Amazon und andere Technologie-Giganten brauchen eine leistungsstärkere NLP, um ihre digitalen Assistenten zu verbessern.
Die Erfolgsmotivation ist hoch, denn das Unternehmen mit dem digitalen Assistenten, der am besten zu gebrauchen und dem Menschen am ähnlichsten ist, wird vermutlich den Kampf um den Verbraucher gewinnen, wenn sich die Suchfunktionen immer mehr vom Schreiben aufs Sprechen verlagern.

Es wird allerdings auch erwartet, dass NLP die nächste Generation von Kundenservices beeinflussen wird. In dem Maße, in dem die verfügbare Rechenleistung steigt und Bots in der Lage sind, die menschliche Sprache immer umfassender und flexibler zu verstehen, wird sich der Kundenservice der Bezahlindustrie immer stärker auf Bots stützen.

Sicherheit und Authentifizierung

Eine weitere wichtige Aufgabe, zu deren Lösung KI beitragen kann, besteht darin, die perfekte Balance zwischen Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit zu finden. Idealerweise wollen sowohl Händler als auch Kunden, dass das Bezahlsystem so einfach wie möglich zu bedienen ist. So bleibt die Kaufhemmschwelle auf einem niedrigen Niveau und eine breitestmögliche Zielgruppe wird zur Nutzung des Systems ermuntert.

Idealerweise muss der Kunde nur eine einzige Aktion ausführen, etwa seinen Fingerabdruck scannen oder ein Selfie machen, um sich zu authentifizieren und eine Transaktion durchführen zu können. Das Problem ist allerdings, dass selbst biometrische Daten kompromittiert werden können. Wenn beispielsweise die Datenbank selbst gehackt wird, könnte ein falscher Fingerabdruck mit einem bereits hinterlegten Namen und dazugehörigen Bankdaten verknüpft werden.

Lesetipp: Neue Methoden der Authentifizierung

Bisher wird dieses Problem mit einer Zwei-Faktoren-Authentifizierung gelöst. Die Verbraucher sind nach wie vor gezwungen, ihren Fingerabdruck zu scannen und ein Passwort oder eine einmalige Passphrase einzugeben. Mit der Unterstützung von künstlicher Intelligenz werden Bezahlanbieter allerdings in der Lage sein, eine klares Bild davon zu entwerfen, was für jeden Kunden normal ist und was nicht. Wenn eine Transaktion zu diesem Bild passt, ist das Risiko gering und sie kann mit geringeren Authentifizierungsanforderungen durchgeführt werden. Wenn die Transaktion als etwas Besonderes hervorsticht, so wird eine umfassendere Authentifizierung erforderlich.

Unsere Zukunft liegt in der Bedienung der Maschinen

Innerhalb einer relativ kurzen Zeit, in nicht mehr als zehn Jahren, wird die Bezahlindustrie fast komplett KI-gesteuert sein. Intelligente Systeme werden die Aufnahme neuer Kunden, Know-your-Customer-Prozeduren und Payment-Backends durchführen und unentwegt Millionen von Transaktionen auf bestimmte Muster abscannen, um Betrug, aber auch künftige Trends, Verkaufs- und Marketingoptionen zu identifizieren. Wenn Kunden mit den Bezahlsystemen interagieren, dann wird das in erster Instanz fast immer über künstliche Intelligenz ablaufen.

Künstliche Intelligenz - ein Ratgeber
KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind.
Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln.
Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren.
Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen.
Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender.
KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind.
Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren.
Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen.
Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben.
Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.

In diesem System werden die Menschen eine andere Rolle als bisher einnehmen. Die Nachfrage der Branche nach den besten KI-Entwicklern und Programmierern wird extrem steigen und sie wird mit anderen Branchen um diese Fachkräfte konkurrieren. Das wird nicht billig. Die New York Times berichtete jüngst, dass die besten KI-Entwickler derzeit bis zu eine Million Dollar pro Jahr verdienen.

Auch Analysten und Manager werden noch eine Rolle spielen, auch sie werden sich immer mehr mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen und daran gewöhnen müssen, mit ihr zu arbeiten. Sie werden in der Lage sein müssen, sachkundige Anweisungen an ihre Entwickler darüber zu geben, wie sie die KI-Modelle aufbauen und gewichten sollen. Sie werden zudem die Verantwortung dafür übernehmen müssen, welche Folgen ihre Entscheidungen nicht nur für ihre Unternehmen, sondern auch für ihre Kunden und die Gesellschaft insgesamt haben werden.

Teil 1: Macht KI die Finanzbranche intelligenter?

Teil 2: Mehr Sicherheit durch KI

Teil 3: KI und das Ende der manuellen Prozesse